Lilli Günther-Gutermann née Gallinek

Location 
Helmstedter Str. 24
District
Wilmersdorf
Stone was laid
13 October 2009
Born
07 September 1883 in Berlin
Escape into death
30 August 1942 in Berlin

(Margot) Lilli Gallinek kam am 7. September 1883 in Berlin als Tochter des Kaufmanns Joseph (Josef) Gallinek (1853–1899) und seiner 1857 geborenen Ehefrau Anna, geb. Cohn, auf die Welt. Ihr Vater war der Sohn des Rittergutsbesitzers Heymann Gallinek und der Linna Gallinek, geb. Heilborn, der Tochter eines Kaufmanns. Lillis Eltern, aus Oberschlesien und aus der Provinz Posen stammend (beide Provinzen heute Polen), hatten 1882 in Berlin geheiratet. Ihr Vater war dort Inhaber eines Kommissionsgeschäftes, er vertrat in Berlin „auswärtige Fabriken“ (so im Berliner Adressbuch) und handelte in deren Auftrag und für deren Rechnung. <br />
Im Jahr 1886 wurde Lillis Bruder Fritz Heymann (Hermann) Gallinek geboren. Anfangs wohnten die Eltern am Kaiser-Franz-Grenadier-Platz in Mitte (seit 1951 Heinrich-Heine-Platz). Während der Kindheit und Jugend von Lilli Gallinek zog die Familie des öfteren um: Zum Zeitpunkt ihrer Geburt wohnten die Eltern in der Franzstraße 6, nicht weit entfernt von der ersten Wohnung. Nach der Geburt des Bruders lebte die Familie für kurze Zeit mit den beiden kleinen Kindern auf der anderen Seite der Spree, in der Holzmarktstraße 66, nahe der Jannowitzbrücke.<br />
Dann folgten einige Jahre in der Schönebergerstraße 16a zwischen Ringbahn und Landwehrkanal im heutigen Stadtteil Kreuzberg. Mitte der 1890er-Jahre ging es – wohl mit steigendem Einkommen – nach „Westen“: In der Augsburger Straße, damals in der Stadt Charlottenburg bei Berlin, wohnte die Familie Gallinek zuerst zur Miete, dann ließ Josef Gallinek das Haus Augsburger Straße 42/Ecke Rankestraße bauen. <br />
1899 starb der Vater. Lilli Gallinek wird gerade die „standesgemäße“ Mädchenbildung beendet haben. Sie blieb ohne Beruf und wohnte weiter mit der verwitweten Mutter und dem Bruder in der Augsburger Straße 42. – Ein Leben, wie es für die Mehrzahl der gut versorgten Töchter des Bürgertums um die Jahrhundertwende üblich war.<br />
Am 30. Mai 1905 heiratete Lilli Gallinek den am 17. Oktober 1879 in Berlin geborenen Opernsänger Arthur Gutermann, der aus einer bekannten jüdischen Familie in Schermeisel im Osten der Provinz Brandenburg (heute Trzemeszno Lubuskie/Polen) stammte. Er nannte sich später Arthur Günther oder Arthur Günther-Gutermann, „Günther“ war sein Künstlername.<br />
Nach der Hochzeit blieben Lilli Gutermann und ihr Ehemann zunächst in der Augsburger Straße 42. Am 4. Oktober 1905 wurde ihre Tochter Manon Irmgard geboren. Sie sollte eigentlich Manon Butterfly Gutermann heißen, aber der Standesbeamte verweigerte den zweiten Vornamen. Fünf Jahre später, am 10. Dezember 1910, wurde die Tochter Musette Tosca in Berlin geboren, und auch der Vornamen Musette wurde vom Standesamt nicht akzeptiert. – Die Vornamen der Töchter entsprangen der „Bühnen-Welt“ des Vaters, den Opern von Giacomo Puccini: „Manon Lescaut“ und „Madame Butterfly“, „La Bohème“ und „Tosca“. (Glückliche Frauen waren dies nicht.)<br />
In den folgenden Jahren scheint Lilli Gutermann das Leben der Ehefrau eines von Engagement zu Engagement ziehenden Sängers geführt zu haben. Nach der Erinnerung von Arthur Gutermann zog die Familie im Herbst 1905 nach Mailand und blieb bis 1909 in Italien. 1910 (zur Geburt von Tosca?) kehrte Lilli Gutermann mit Ehemann und Tochter Manon nach Berlin zurück. Das Haus in der Augsburger Straße 42 war inzwischen verkauft worden. <br />
In Berlin ist Arthur Gutermann (als Haushaltsvorstand mit seiner Familie) nicht im Adressbuch verzeichnet. Vor dem Ersten Weltkrieg war er zu Gastspielen in Paris, während des Krieges wurde er in Davos interniert. (Er berichtete auch von Kriegsgefangenschaft. Auch andere seiner Angaben gegenüber der Entschädigungsbehörde sind widersprüchlich und nur schwer nachzuvollziehen.) Lilli Gutermann und die Kinder bekamen eine Einreiseerlaubnis in die Schweiz und blieben bis 1921 in Davos. Nach einem Jahr in einem Hotel in Innsbruck zog die Familie wieder nach Italien und blieb bis 1930 in einem Kurort in der Nähe von Genua. <br />
Wie das Leben von Lilli Gutermann aussah, schildert ihr damaliger Ehemann in seinen Erinnerungen nicht. Dasselbe gilt für die jüngere Tochter. Die ältere Tochter Manon bekam Privatstunden. <br />
1932 ließen sich Lilli und Arthur Gutermann scheiden. Lilli Gutermann lebte als geschiedene Frau in der Güntzelstraße 66 bei ihrem Bruder Fritz Gallinek, der ledig geblieben war und eine gut gehende Buchdruckerei besaß. Sie heiratete nicht wieder. Beide Töchter hatten Berufe gelernt: Manon war Zahnarzthelferin geworden, Tosca Stenotypistin. Die jüngere Tochter blieb bei Mutter und Onkel in der Güntzelstraße, die ältere scheint eine Zeitlang beim Vater in der Meier-Otto-Straße 1 gewohnt haben (so seine Erinnerung). Im Sommer 1933 floh der geschiedene Ehemann von Lilli Gutermann nach Frankreich. Dort wurde „Arthur Günther“ zu „Antoine Gautier“. Nach Internierung und Haft lebte er illegal in einer Kleinstadt am Fuß der Pyrenäen und erlebte dort das Kriegsende. <br />
Am 23. September 1936 starb die Tochter Tosca in der Güntzelstraße 66. Sie wurde zwei Tage später als Tosca Günther in Weißensee beerdigt. – Einen Grabstein gibt es nicht. <br />
Angemeldet wurde die Beisetzung von ihrem Onkel Fritz Gallinek. Von Juni 1938 bis Ende Februar 1939 war Lillis Bruder Fritz im KZ Buchenwald inhaftiert. Als Verwandte gab er seine Schwester Lilli Günther in der Güntzelstraße 66 an. Aber Lilli Gutermann (so will ich sie weiterhin nennen) musste die Wohnung verlassen: Ihr letztes selbst gewähltes Zuhause – für kurze Zeit auch für ihren aus dem KZ entlassenen Bruder Fritz – wurde eine Wohnung in der Helmstedter Straße 24. Dort lebte sie mit ihrer Tochter Manon. Fritz Gallinek konnte nach Großbritannien emigrieren und sein Leben retten. <br />
Lilli und Manon Gutermann wohnten zuallerletzt als Untermieterinnen bei Else und Lily Herzfeld, ebenfalls Mutter und Tochter, am Bayerischen Platz in der Salzburger Straße 14. <br />
Das Deportationsdatum vor Augen, nahmen Lilli Gutermann und ihre Tochter Manon am 28. August 1942 eine Überdosis Schlafmittel. Sie waren nicht sofort tot, sondern wurden in das Jüdische Krankenhaus in Berlin-Wedding gebracht. Hier starb Manon Gutermann am 29. August, Lilli Gutermann einen Tag später, am 30. August 1942. Beide wurden am 11. September 1942 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee begraben (im Sterberegister wie auf dem Friedhof mit dem Nachnamen „Gutermann“).<br />
Ihre Vermieterinnen aus der Salzburger Straße flohen am 13. Dezember 1942 ebenfalls in den Tod. Lilli Gutermanns Bruder Fritz Gallinek nahm 1949 die britische Staatsbürgerschaft an und nannte sich Frank Harris. Er starb 1954 in Großbritannien. Lilli Gutermanns geschiedener Ehemann Arthur Gutermann kehrte später nach Berlin zurück; er starb hier 1968.<br />
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(Margot) Lilli Gallinek kam am 7. September 1883 in Berlin als Tochter des Kaufmanns Joseph (Josef) Gallinek (1853–1899) und seiner 1857 geborenen Ehefrau Anna, geb. Cohn, auf die Welt. Ihr Vater war der Sohn des Rittergutsbesitzers Heymann Gallinek und der Linna Gallinek, geb. Heilborn, der Tochter eines Kaufmanns. Lillis Eltern, aus Oberschlesien und aus der Provinz Posen stammend (beide Provinzen heute Polen), hatten 1882 in Berlin geheiratet. Ihr Vater war dort Inhaber eines Kommissionsgeschäftes, er vertrat in Berlin „auswärtige Fabriken“ (so im Berliner Adressbuch) und handelte in deren Auftrag und für deren Rechnung.
Im Jahr 1886 wurde Lillis Bruder Fritz Heymann (Hermann) Gallinek geboren. Anfangs wohnten die Eltern am Kaiser-Franz-Grenadier-Platz in Mitte (seit 1951 Heinrich-Heine-Platz). Während der Kindheit und Jugend von Lilli Gallinek zog die Familie des öfteren um: Zum Zeitpunkt ihrer Geburt wohnten die Eltern in der Franzstraße 6, nicht weit entfernt von der ersten Wohnung. Nach der Geburt des Bruders lebte die Familie für kurze Zeit mit den beiden kleinen Kindern auf der anderen Seite der Spree, in der Holzmarktstraße 66, nahe der Jannowitzbrücke.
Dann folgten einige Jahre in der Schönebergerstraße 16a zwischen Ringbahn und Landwehrkanal im heutigen Stadtteil Kreuzberg. Mitte der 1890er-Jahre ging es – wohl mit steigendem Einkommen – nach „Westen“: In der Augsburger Straße, damals in der Stadt Charlottenburg bei Berlin, wohnte die Familie Gallinek zuerst zur Miete, dann ließ Josef Gallinek das Haus Augsburger Straße 42/Ecke Rankestraße bauen.
1899 starb der Vater. Lilli Gallinek wird gerade die „standesgemäße“ Mädchenbildung beendet haben. Sie blieb ohne Beruf und wohnte weiter mit der verwitweten Mutter und dem Bruder in der Augsburger Straße 42. – Ein Leben, wie es für die Mehrzahl der gut versorgten Töchter des Bürgertums um die Jahrhundertwende üblich war.
Am 30. Mai 1905 heiratete Lilli Gallinek den am 17. Oktober 1879 in Berlin geborenen Opernsänger Arthur Gutermann, der aus einer bekannten jüdischen Familie in Schermeisel im Osten der Provinz Brandenburg (heute Trzemeszno Lubuskie/Polen) stammte. Er nannte sich später Arthur Günther oder Arthur Günther-Gutermann, „Günther“ war sein Künstlername.
Nach der Hochzeit blieben Lilli Gutermann und ihr Ehemann zunächst in der Augsburger Straße 42. Am 4. Oktober 1905 wurde ihre Tochter Manon Irmgard geboren. Sie sollte eigentlich Manon Butterfly Gutermann heißen, aber der Standesbeamte verweigerte den zweiten Vornamen. Fünf Jahre später, am 10. Dezember 1910, wurde die Tochter Musette Tosca in Berlin geboren, und auch der Vornamen Musette wurde vom Standesamt nicht akzeptiert. – Die Vornamen der Töchter entsprangen der „Bühnen-Welt“ des Vaters, den Opern von Giacomo Puccini: „Manon Lescaut“ und „Madame Butterfly“, „La Bohème“ und „Tosca“. (Glückliche Frauen waren dies nicht.)
In den folgenden Jahren scheint Lilli Gutermann das Leben der Ehefrau eines von Engagement zu Engagement ziehenden Sängers geführt zu haben. Nach der Erinnerung von Arthur Gutermann zog die Familie im Herbst 1905 nach Mailand und blieb bis 1909 in Italien. 1910 (zur Geburt von Tosca?) kehrte Lilli Gutermann mit Ehemann und Tochter Manon nach Berlin zurück. Das Haus in der Augsburger Straße 42 war inzwischen verkauft worden.
In Berlin ist Arthur Gutermann (als Haushaltsvorstand mit seiner Familie) nicht im Adressbuch verzeichnet. Vor dem Ersten Weltkrieg war er zu Gastspielen in Paris, während des Krieges wurde er in Davos interniert. (Er berichtete auch von Kriegsgefangenschaft. Auch andere seiner Angaben gegenüber der Entschädigungsbehörde sind widersprüchlich und nur schwer nachzuvollziehen.) Lilli Gutermann und die Kinder bekamen eine Einreiseerlaubnis in die Schweiz und blieben bis 1921 in Davos. Nach einem Jahr in einem Hotel in Innsbruck zog die Familie wieder nach Italien und blieb bis 1930 in einem Kurort in der Nähe von Genua.
Wie das Leben von Lilli Gutermann aussah, schildert ihr damaliger Ehemann in seinen Erinnerungen nicht. Dasselbe gilt für die jüngere Tochter. Die ältere Tochter Manon bekam Privatstunden.
1932 ließen sich Lilli und Arthur Gutermann scheiden. Lilli Gutermann lebte als geschiedene Frau in der Güntzelstraße 66 bei ihrem Bruder Fritz Gallinek, der ledig geblieben war und eine gut gehende Buchdruckerei besaß. Sie heiratete nicht wieder. Beide Töchter hatten Berufe gelernt: Manon war Zahnarzthelferin geworden, Tosca Stenotypistin. Die jüngere Tochter blieb bei Mutter und Onkel in der Güntzelstraße, die ältere scheint eine Zeitlang beim Vater in der Meier-Otto-Straße 1 gewohnt haben (so seine Erinnerung). Im Sommer 1933 floh der geschiedene Ehemann von Lilli Gutermann nach Frankreich. Dort wurde „Arthur Günther“ zu „Antoine Gautier“. Nach Internierung und Haft lebte er illegal in einer Kleinstadt am Fuß der Pyrenäen und erlebte dort das Kriegsende.
Am 23. September 1936 starb die Tochter Tosca in der Güntzelstraße 66. Sie wurde zwei Tage später als Tosca Günther in Weißensee beerdigt. – Einen Grabstein gibt es nicht.
Angemeldet wurde die Beisetzung von ihrem Onkel Fritz Gallinek. Von Juni 1938 bis Ende Februar 1939 war Lillis Bruder Fritz im KZ Buchenwald inhaftiert. Als Verwandte gab er seine Schwester Lilli Günther in der Güntzelstraße 66 an. Aber Lilli Gutermann (so will ich sie weiterhin nennen) musste die Wohnung verlassen: Ihr letztes selbst gewähltes Zuhause – für kurze Zeit auch für ihren aus dem KZ entlassenen Bruder Fritz – wurde eine Wohnung in der Helmstedter Straße 24. Dort lebte sie mit ihrer Tochter Manon. Fritz Gallinek konnte nach Großbritannien emigrieren und sein Leben retten.
Lilli und Manon Gutermann wohnten zuallerletzt als Untermieterinnen bei Else und Lily Herzfeld, ebenfalls Mutter und Tochter, am Bayerischen Platz in der Salzburger Straße 14.
Das Deportationsdatum vor Augen, nahmen Lilli Gutermann und ihre Tochter Manon am 28. August 1942 eine Überdosis Schlafmittel. Sie waren nicht sofort tot, sondern wurden in das Jüdische Krankenhaus in Berlin-Wedding gebracht. Hier starb Manon Gutermann am 29. August, Lilli Gutermann einen Tag später, am 30. August 1942. Beide wurden am 11. September 1942 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee begraben (im Sterberegister wie auf dem Friedhof mit dem Nachnamen „Gutermann“).
Ihre Vermieterinnen aus der Salzburger Straße flohen am 13. Dezember 1942 ebenfalls in den Tod. Lilli Gutermanns Bruder Fritz Gallinek nahm 1949 die britische Staatsbürgerschaft an und nannte sich Frank Harris. Er starb 1954 in Großbritannien. Lilli Gutermanns geschiedener Ehemann Arthur Gutermann kehrte später nach Berlin zurück; er starb hier 1968.