Hedwig Nathan

Location 
Wilhelmsaue 5
District
Wilmersdorf
Stone was laid
29 November 2005
Born
18 March 1870 in New York
Occupation
Buchhalterin
Deportation
on 23 September 1942 to Theresienstadt
Murdered
01 February 1943 in Theresienstadt

Hedwig Nathan ist am 18. März 1870 in New York geboren. Wer ihre Eltern waren und warum und wann sie nach Berlin ging, ist nicht mehr herauszufinden. Im Adressbuch von 1939 war als Bewohnerin des Hauses Wilhelmsaue 5 in Wilmersdorf “Nathan, H. Frl.“ eingetragen. Im Volkszählungsregister vom 17.5.1939 stand der Zusatzvermerk: „Zugehörigkeit zum Dt. Reich steht nicht fest, da in USA geboren“. Außer ihr wohnten in dem Haus ein jüdisches Ehepaar und eine Jüdin, die ebenfalls 1942 deportiert worden sind.

Für Hedwig Nathan, deren Beruf zu dieser Zeit mit “ohne“ angegeben wurde, kam der Tag ihrer Abholung im September 1942. Am 23. September 1942 wurde sie, nachdem sie sich in der Sammelstelle Großen Hamburger Straße 26 hatte registrieren lassen müssen, vom Anhalter Bahnhof nach Theresienstadt deportiert. Auf dem Stolperstein wurde fälschlich Lodz als Deportationsziel angegeben. In diesen Zug wurden 100 Menschen getrieben. Hedwig Nathan wurde am 1. Februar 1943 umgebracht.

In dem vom Ältestenrat Theresienstadt ausgestellten Totenschein http://www.holocaust.cz/de/datenba… wurde von den Ärzten “Erysipelas=Rotlauf“, eine Hautentzündung, als den Tod verursachende Krankheit angegeben. Hedwig Nathan war 72 Jahre alt.
 

Hedwig Nathan kam am 18. März 1870 in New York als eine von fünf Töchtern deutscher Eltern auf die Welt . Ihr Vater Heimann Nathan (1825–1887), Sohn eines Rabbiners aus der Provinz Posen, und ihre Mutter Fanny, geb. Bernstein (1844–1920), waren ungefähr 1864 aus Berlin in die Vereinigten Staaten gegangen. In Berlin hatte ihr Vater bei einem Onkel seiner Ehefrau gearbeitet, in New York besaß er ein gut gehendes Spirituosengeschäft. Dort wurden auch die vier Schwestern von Hedwig Nathan geboren: Caroline, Lina genannt (*1864), July (*1866), Johanna (*1868) und Sidonie, Toni genannt (*1873). Kurz nach Sidonies Geburt verlor Heimann Nathan durch einen Betrüger seine Firma und kehrte verarmt mit Ehefrau und fünf kleinen Kindern nach Berlin zurück. Hier fand er einen Arbeitsplatz als Gemeindebeamter bei der Jüdischen Gemeinde. Er verdiente wenig, und die Familie zog oft um. Mitte der 1880er-Jahre lebte sie in einer kleinen Wohnung im 4. Stock des Hauses Chorinerstraße 81, einem gerade fertig gestellten Haus zwischen Torstraße und Rosenthaler Platz. Dort trafen sich Freunde und Bekannte der Familie: Hedwig Nathans Mutter Fanny war eine Schwester von Eduard Bernstein (1850–1932), dem sozialdemokratischen Politiker und Theoretiker. Diese Verwandtschaft und enge Verbundenheit prägte das Leben der ganzen Familie Nathan: Sie gehörte zu einem kommunalpolitisch und sozialreformerisch tätigen Berliner Milieu, Männer und Frauen waren miteinander verwandt, befreundet und/oder verheiratet – oftmals auch gemeinsam Mitglieder der SPD.

Der spätere Ehemann einer der Schwestern Nathan erinnerte sich, dass diese „... trotz der äußerst beschränkten Mittel eine treffliche Erziehung bekamen“. Die Eltern sorgten für eine gute Schulbildung aller Töchter: Hedwig Nathan wurde Buchhalterin, ebenso Caroline/Lina (die später Medizin studieren sollte) und Sidonie/Toni. July wurde Lehrerin und Johanna arbeitete als Direktrice.

Zwei von Hedwigs Schwestern sollten bekannte sozialdemokratische Ärzte heiraten: July heiratete Dr. med. Ignaz Zadek senior (1858–1931), Arzt in Neukölln, Stadtverordneter der SPD, Gründer des Sozialistischen Ärztevereins Berlin, und Sidonie/Toni den Arzt Dr.med. Raphael Silberstein (1873–1926), ebenfalls Arzt in Neukölln, engagiert in der kommunalen Gesundheitspolitik Berlins.

Der in ganz Deutschland bekannte Onkel Eduard Bernstein und die vor allem in Berlin bekannten sozialistischen Ärzte Zadek und Silberstein ließen Mutter und Schwestern „sichtbar“ werden, Hedwig Nathan führte dagegen ein (bis jetzt) unsichtbares Leben – aber ihre Umgebung lässt ahnen, wie auch ihr Leben ausgesehen hat.

Zwei Jahre nach dem Tod ihres Ehemannes zog Hedwig Nathans Mutter mit ihren Töchtern in die Ohmgasse 5 (heute Ohmstraße). 1892 heiratete July und zog fort. 1894 starb Hedwigs Schwester Caroline/Lina, die in Zürich Medizin studiert und gerade mit ihrer Doktorarbeit begonnen hatte, in der Ohmgasse 5 an Tuberkulose. Hedwig Nathan meldete den Tod der jüngeren Schwester dem Standesamt – sie arbeitete als Buchhalterin, aber sie wird sicherlich bei der Pflege geholfen haben. Mutter und Töchter zogen wiederum um. 1899 heiratete auch Sidonie/Toni und 1905 schließlich die Schwester Johanna. Diese heiratete den Kaufmann und Handelsvertreter Max Reimer (1871–1939). Die Mutter lebte nun (mit Hedwig?) in der Josephstraße 1, einer heute überbauten Straße westlich vom Michaelkirchplatz. Während des Ersten Weltkriegs zog sie nach Lichterfelde und lebte dort nach Kriegsende bei Tochter Johanna und deren Mann Max Reimer in der Ringstraße. 1919 starb Hedwigs Schwester Johanna ebenfalls an Tuberkulose. 1920 starb auch Hedwigs Mutter. – Die Todesanzeige im Berliner Tageblatt unterzeichnete Hedwig Nathan als „Hetty Nathan“.

„Hedwig“ scheint sie niemand genannt zu haben, einige Jahre später versandte ihre Nichte Lilli Zadek (1893–1969) aus Palästina, wohin sie als sozialistische Zionistin ausgewandert war, in einem Brief an die Eltern Grüße an „Tante Hette“.

Mitte der 1920er-Jahre scheint Hedwig Nathan für eine kurze Zeit allein in der Petersburger Straße im Bezirk Friedrichshain gelebt zu haben – danach fehlt sie wieder in den Berliner Adressbüchern.

Seit 1928 arbeitete Hedwig Nathan nicht mehr.

1926 war ihr Schwager Raphael Silberstein gestorben, ihre Schwester Sidonie/Toni lebte weiter in der alten Wohnung in Neukölln. 1931 starb auch der Schwager Ignaz Zadek sen.

Die drei am Leben gebliebenen Schwestern hielten weiterhin engen Kontakt. Aber: July Zadek emigrierte bereits 1933 über die Schweiz zu ihrer Tochter Lilli nach Palästina. Sidonie/Toni Silberstein zog 1936 in eine 3-Zimmer-Wohnung mit Mädchenzimmer, warmen Wasser und Balkon im ersten Stock des Vorderhauses der Wilhelmsaue 5. Sie teilte sich die Wohnung mit Hedwig Nathan. 1938 emigrierte auch Sidonie/Toni, und Hedwig Nathan übernahm die Wohnung.

Hedwig Nathan blieb als einzige der drei Schwestern in Berlin. 1939 starb auch ihr Schwager Max Reimer.

Hedwig Nathan musste jüdische Untermieter in die Wohnung nehmen: das Ehepaar Emil und Eleonore Gruner (eine „privilegierte Mischehe“) und die alleinstehende, aber verheiratete (geschiedene?) Elise Schwenk, geb. Fraenkel (1898–1943 Auschwitz).

Am 23. September 1942 wurde Hedwig Nathan über das Sammellager Große Hamburger Straße nach Theresienstadt deportiert. Es war einer der „kleinen Transporte“ mit 100 Menschen in zwei Waggons der 3. Klasse, angehängt an den fahrplanmäßigen Zug um 6.07 Uhr vom Anhalter Bahnhof Richtung Dresden-Prag. Hedwig Nathan kam am 1. Februar 1943 in Theresienstadt um.