Bertha Grünwald née Glückstein

Location 
Giesebrechtstr. 22
District
Charlottenburg
Stone was laid
08 May 2011
Born
19 February 1873 in Posen / Poznań
Deportation
on 11 June 1942 to Theresienstadt
Later deported
on 19 September 1942 to Treblinka
Murdered
in Treblinka

Als die 69jährige Bertha Grünwald am 11. Juni 1942 von der SS abgeholt und in einen Transportzug nach Theresienstadt verfrachtet wurde, war sie bettelarm. Nur ein Koffer voller Habseligkeiten war ihr geblieben. Hinter ihr lag ein Leben, das ihr anfangs nur Gutes versprochen hatte.

Donnerstag, der 13. Oktober 1892 war ein wunderschöner Tag für die damals 19-jährige Bertha. Der Tag ihrer Hochzeit. Nach der Trauung mit Alfred Grünwald im Standesamt Berlin-Wedding beginnt das Fest. Im weißen Kleid unter der Chuppa, dem großen verzierten Baldachin. Der Rabbiner hat dem Brautpaar den Wein gereicht und den Ehevertrag verlesen, die Ketubba. Der Bräutigam überreicht seiner Braut den Ring, zertritt das Weinglas und erinnert so an die Zerstörung des Tempels. Es wird ein großes Festmahl gegeben haben, denn Berthas Familie war wohlhabend.

Ihre Eltern hatten lange in der Stadt Posen/Poznan gelebt. Ihr Vater Julius Glückstein betrieb dort eine Leinen- und Wäschehandlung. Seit 1871 gehörte Posen zum deutschen Kaiserreich und davor zum Norddeutschen Bund. Die Juden der Stadt, deren Synagogen-Kuppel am Wronker Platz sogar katholische Kirchen überragte, sprachen deutsch. Am 19. Februar 1873 wurde Bertha hier geboren.

Wegen der anhaltenden deutsch-polnischen Konflikte verließen Ende des 19. Jahrhunderts viele Juden die Provinz Posen und Posen-Stadt. Auch Julius Glückstein. In Berlin war er geschäftlich mit Verwandten seiner Frau Sara, geb. Graetz, verbunden. Die Firma Glückstein & Co., später Graetz & Glückstein, auf Sack- und Planfabrikation aus Jute und Hanf spezialisiert, hatte ihren Sitz erst in der Berliner Straße in Pankow und in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts in der angesagten Neuen Friedrichstraße Nr. 11, der heutigen Littenstraße, in Mitte. Man war geschäftlich eng mit einer „Jute-Spinnerei und Weberei“ in Hamburg-Harburg verbunden. Partner Isaac Graetz hatte deren Generalagentur übernommen. Als Bertha acht Jahre vor der Jahrtausendwende heiratete, war ihr Vater Julius Glückstein bereits „Rentier“. Berthas sieben Jahre älterer Bruder Bernhard hatte die Leitung der väterlichen Betriebe übernommen.

Der künftige Ehemann von Bertha, Alfred Grünwald, wuchs ebenfalls in einem großbürgerlichen Milieu auf. Sein Vater, Lesser (Louis) Grünwald, stammt aus Schwetz/Swiecie in der Nähe von Danzig/Gdansk. Dort war im 18. Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde entstanden, die schnell anwuchs. Lesser Grünwald wurde dort 1819 geboren, diente als junger Mann fünf Monate lang in einem preußischen „Ersatz-Infanterie-Regiment“, wanderte nach Berlin aus und heiratete 1849 die Tochter eines erfolgreichen Modewarenhändlers. Er betrieb eine Manufakturhandlung an der Werderschen Mühle 15 gleich neben dem Schlossplatz. Die Wohnadresse der Familie war die Schlegelstraße 29 nahe der Charité. Wer sich hier eine der riesigen Wohnungen leisten konnte, hatte es im Leben zu Geld gebracht. Bei der Eheschließung mit Bertha gab der 32jährige Sohn Alfred als seine Adresse den Wohnsitz des 74-jährigen Vaters an. Der Vater ist im Berliner Adressbuch von 1893 als „Privatier“ eingetragen. Die Geschäfte führte der Sohn.

Wann genau Bertha Grünwald und ihr Mann Alfred in die Giesebrechtstraße 22, ihre letzte Wohnadresse, gezogen sind, ist in den Berliner Adressbüchern nicht verzeichnet. Auf jeden Fall haben sie aber ab dem Jahr 1928 in der großen Wohnung nahe dem Kurfürstendamm gewohnt. Der zu dieser Zeit fast 70-jährige Alfred Grünwald leidet in den kommenden Jahren an Leberzirrhose und Wassersucht. Am 24. Juli 1939 verstirbt er im Jüdischen Krankenhaus in der damaligen Exerzierstraße IIa an Herzmuskelschwäche. Die Beerdigung erfolgt vier Tage später im „Erbbegräbnis“ der Familie. Hier ist bereits Cäcilie Glückstein begraben (01.09.1876 - 23.02.1919), offenbar eine jüngere Verwandte von Bertha. Außer Bertha Grünwald sind in der „Beerdigungs-Anmeldung“ keine weiteren Hinterbliebenen angegeben. War das Ehepaar kinderlos? Wir wissen es nicht.

Nur ein halbes Jahr später muss Bertha einen weiteren Todesfall verarbeiten. Ihr Bruder Bernhard, der zuletzt in der Giesebrechtstraße 5 als „Privatier“ gewohnt hatte, verstirbt 74-jährig am 7. Dezember 1940. Er wird ebenfalls im „Erbbegräbnis“ auf dem Friedhof Berlin-Weißensee bestattet. Zwei weitere Grabstellen bleiben frei. Für wen waren sie gedacht? Es ist kein Hinweis darauf zu finden.

Auch wissen wir nicht, ob Bertha Grünwald bis zu ihrer Deportation in der Giesebrechtstraße 22 wohnen bleiben durfte. Gerade Witwen wurde oft in „Judenhäuser“ umquartiert. Fest steht: Am 11. Juni 1942 wird Bertha Grünwald mit dem Transport 1/5 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Drei Monate später, am 19. September 1942, wird sie im Vernichtungslager Treblinka nordöstlich von Warschau ermordet.

Das Lager Treblinka wurde im Frühjahr 1942 im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ errichtet. Zwischen dem 22. Juli 1942 und dem 21. August 1943 ermordete die SS dort rund eine Million Menschen. In Gaskammern und durch Erschießungen.
 

Als die 69jährige Bertha Grünwald am 11. Juni 1942 von der SS abgeholt und in einen Transportzug nach Theresienstadt verfrachtet wurde, war sie bettelarm. Nur ein Koffer voller Habseligkeiten war ihr geblieben. Hinter ihr lag ein Leben, das ihr anfangs nur Gutes versprochen hatte.

Donnerstag, der 13. Oktober 1892 war ein wunderschöner Tag für die damals 19-jährige Bertha. Der Tag ihrer Hochzeit. Nach der Trauung mit Alfred Grünwald im Standesamt Berlin-Wedding beginnt das Fest. Im weißen Kleid unter der Chuppa, dem großen verzierten Baldachin. Der Rabbiner hat dem Brautpaar den Wein gereicht und den Ehevertrag verlesen, die Ketubba. Der Bräutigam überreicht seiner Braut den Ring, zertritt das Weinglas und erinnert so an die Zerstörung des Tempels. Es wird ein großes Festmahl gegeben haben, denn Berthas Familie war wohlhabend.

Ihre Eltern hatten lange in der Stadt Posen/Poznan gelebt. Ihr Vater Julius Glückstein betrieb dort eine Leinen- und Wäschehandlung. Seit 1871 gehörte Posen zum deutschen Kaiserreich und davor zum Norddeutschen Bund. Die Juden der Stadt, deren Synagogen-Kuppel am Wronker Platz sogar katholische Kirchen überragte, sprachen deutsch. Am 19. Februar 1873 wurde Bertha hier geboren.

Wegen der anhaltenden deutsch-polnischen Konflikte verließen Ende des 19. Jahrhunderts viele Juden die Provinz Posen und Posen-Stadt. Auch Julius Glückstein. In Berlin war er geschäftlich mit Verwandten seiner Frau Sara, geb. Graetz, verbunden. Die Firma Glückstein & Co., später Graetz & Glückstein, auf Sack- und Planfabrikation aus Jute und Hanf spezialisiert, hatte ihren Sitz erst in der Berliner Straße in Pankow und in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts in der angesagten Neuen Friedrichstraße Nr. 11, der heutigen Littenstraße, in Mitte. Man war geschäftlich eng mit einer „Jute-Spinnerei und Weberei“ in Hamburg-Harburg verbunden. Partner Isaac Graetz hatte deren Generalagentur übernommen. Als Bertha acht Jahre vor der Jahrtausendwende heiratete, war ihr Vater Julius Glückstein bereits „Rentier“. Berthas sieben Jahre älterer Bruder Bernhard hatte die Leitung der väterlichen Betriebe übernommen.

Der künftige Ehemann von Bertha, Alfred Grünwald, wuchs ebenfalls in einem großbürgerlichen Milieu auf. Sein Vater, Lesser (Louis) Grünwald, stammt aus Schwetz/Swiecie in der Nähe von Danzig/Gdansk. Dort war im 18. Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde entstanden, die schnell anwuchs. Lesser Grünwald wurde dort 1819 geboren, diente als junger Mann fünf Monate lang in einem preußischen „Ersatz-Infanterie-Regiment“, wanderte nach Berlin aus und heiratete 1849 die Tochter eines erfolgreichen Modewarenhändlers. Er betrieb eine Manufakturhandlung an der Werderschen Mühle 15 gleich neben dem Schlossplatz. Die Wohnadresse der Familie war die Schlegelstraße 29 nahe der Charité. Wer sich hier eine der riesigen Wohnungen leisten konnte, hatte es im Leben zu Geld gebracht. Bei der Eheschließung mit Bertha gab der 32jährige Sohn Alfred als seine Adresse den Wohnsitz des 74-jährigen Vaters an. Der Vater ist im Berliner Adressbuch von 1893 als „Privatier“ eingetragen. Die Geschäfte führte der Sohn.

Wann genau Bertha Grünwald und ihr Mann Alfred in die Giesebrechtstraße 22, ihre letzte Wohnadresse, gezogen sind, ist in den Berliner Adressbüchern nicht verzeichnet. Auf jeden Fall haben sie aber ab dem Jahr 1928 in der großen Wohnung nahe dem Kurfürstendamm gewohnt. Der zu dieser Zeit fast 70-jährige Alfred Grünwald leidet in den kommenden Jahren an Leberzirrhose und Wassersucht. Am 24. Juli 1939 verstirbt er im Jüdischen Krankenhaus in der damaligen Exerzierstraße IIa an Herzmuskelschwäche. Die Beerdigung erfolgt vier Tage später im „Erbbegräbnis“ der Familie. Hier ist bereits Cäcilie Glückstein begraben (01.09.1876 - 23.02.1919), offenbar eine jüngere Verwandte von Bertha. Außer Bertha Grünwald sind in der „Beerdigungs-Anmeldung“ keine weiteren Hinterbliebenen angegeben. War das Ehepaar kinderlos? Wir wissen es nicht.

Nur ein halbes Jahr später muss Bertha einen weiteren Todesfall verarbeiten. Ihr Bruder Bernhard, der zuletzt in der Giesebrechtstraße 5 als „Privatier“ gewohnt hatte, verstirbt 74-jährig am 7. Dezember 1940. Er wird ebenfalls im „Erbbegräbnis“ auf dem Friedhof Berlin-Weißensee bestattet. Zwei weitere Grabstellen bleiben frei. Für wen waren sie gedacht? Es ist kein Hinweis darauf zu finden.

Auch wissen wir nicht, ob Bertha Grünwald bis zu ihrer Deportation in der Giesebrechtstraße 22 wohnen bleiben durfte. Gerade Witwen wurde oft in „Judenhäuser“ umquartiert. Fest steht: Am 11. Juni 1942 wird Bertha Grünwald mit dem Transport 1/5 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Drei Monate später, am 19. September 1942, wird sie im Vernichtungslager Treblinka nordöstlich von Warschau ermordet.

Das Lager Treblinka wurde im Frühjahr 1942 im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ errichtet. Zwischen dem 22. Juli 1942 und dem 21. August 1943 ermordete die SS dort rund eine Million Menschen. In Gaskammern und durch Erschießungen.