Wilhelmine Herzfeld née Kadisch

Location 
Giesebrechtstr. 19
District
Charlottenburg
Stone was laid
08 May 2011
Born
03 August 1872 in Danzig / Gdańsk
Deportation
on 28 August 1942 to Theresienstadt
Later deported
on 29 September 1942 to Treblinka
Murdered
in Treblinka

Wilhelmine Kadisch war die älteste Tochter des Kaufmanns Martin Michael Kadisch und seiner Frau Bertha, geb. Löwenstein. Sie wurde am 3. August 1872 in Danzig, in der dortigen Jopengasse 35 geboren. Martin Kadisch war Lederhändler, wenige Jahre nach Minnas Geburt wurde er Teilhaber der Firma „A.J.Weinberg, Lederhandlung en gros“. Wilhelmines Geschwister wurden im Jahresrhythmus geboren: John (*1874), Ernst (*1875), Adolf (*1876) und Gertrud (*1877), Nesthäkchen Hannah kam 1880 auf die Welt. Ernst starb bereits im Alter von 2 Monaten. 

Wilhelmine wurde Minna genannt. Sie wuchs in Danzig bei ihren Eltern auf, die Familie war wohl recht wohlhabend – mehr wissen wir leider nicht über Minnas Kindheit und Jugend. In ihrer Heiratsurkunde wird sie als „ohne Stand“ bezeichnet, was wohl bedeutet, dass sie keine Berufsausbildung hatte, was aber den Besuch einer höheren Töchterschule – wie damals üblich - nicht ausschließt. Sie heiratete am 30. November 1895 den elf Jahre älteren Kaufmann Meschullem Emanuel Herzfeld. Nicht lange nach der Hochzeit zog das Paar nach Berlin. Im Berliner Adressbuch ist Emanuel Herzfeld erstmalig 1898 erwähnt, wohnhaft in der Uhlandstraße 3 parterre. Einige Jahre später sind Minna und Emanuel in die Uhlandstraße 31, Gartenhaus 2. Stock, gezogen – beides keine sehr repräsentative Wohnlagen, vielleicht ein Anzeichen, dass Emanuels Geschäfte nicht so gut liefen.

In welcher Branche Emanuel Herzfeld tätig war, erfahren wir zunächst nicht. 1909 zieht das Ehepaar – ob sie Kinder hatten bleibt im Dunkeln – in die Giesebrechtstraße 19, 4. Stock. Im Adressbuch bezeichnet sich Emanuel jetzt als „Vertreter auswärtiger Häuser für Maschinen und technische Bedarfsartikel“. 

In der Giesebrechtstraße wohnte Minna auch noch 1928, ein besonders schweres Jahr für sie. Am 14. Januar starb Emanuel in der gemeinsamen Wohnung. Einen Monat später, am 13. Februar 1928, starb in Danzig die Mutter Bertha. Ihren Tod meldete dem Standesamt Minnas Bruder John, der offenbar bei der Mutter zu Besuch war, denn er lebte auch in Berlin, wo er einen Maschinenhandel betrieb. Minnas Vater Martin Michaelis war bereits 1915 gestorben. 

Minna blieb auch als Witwe in der Giesebrechtstraße wohnen. Vermutlich hatte Emanuel Rücklagen hinterlassen. Jedenfalls bekam sie eine kleine Rente aufgrund von Reichsschuldanleihen. Sie wohnte noch dort am 17. Mai 1939, als bei der Volkszählung Juden in einer getrennten Kartei erfasst wurden. Aber zum 1. Oktober 1941 wurde sie gezwungen, ihre langjährige Wohnung zu räumen. Seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933, vor allem aber nach den Pogromen vom November 1938 hatten zahlreiche antisemitische Verordnungen das Leben von Juden durch Diskriminierung und Ausgrenzung unerträglich gemacht. Dazu gehörte nach einem Plan von Generalbauinspektor Albert Speer auch, dass Juden zusammenrücken und so Wohnraum frei machen sollten. Dieser sollte Nichtjuden zugewiesen werden, deren Wohnungen im Rahmen der großangelegten „Neugestaltung“ der Hauptstadt „Germania“ im Stadtzentrum abgerissen werden sollten oder schon abgerissen waren. Minna Herzfeld musste zur Untermiete in ein Zimmer bei Kurt und Dorothea Schlochauer in der Nassauischen Straße 48 ziehen. Von ihrer Wohnungseinrichtung konnte sie lediglich eine Couch, zwei Stühle, zwei Sessel, einen Tisch, eine dreiteilige Rosshaarmatratze und ein Vertiko mitnehmen.

Am 20. August 1942 unterschrieb Minna - wahrscheinlich noch in der Nassauischen Straße - ihre „Vermögenserklärung“, das Dokument, das der Deportation vorausging und das der Oberfinanzdirektion erleichtern sollte, die (Rest-)Habe zu deportierender Juden „einzuziehen“, also zu rauben. Am 27. August wurde Minna die entsprechende Verfügung überreicht, da war sie schon in der Große Hamburger Straße 26, ein zum Sammellager missbrauchtes jüdisches Altersheim. Und gleich am Tag darauf, am 28. August 1942, wurde sie mit weiteren 99 Menschen in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dieses war praktisch ein Durchgangslager zu den Vernichtungslagern – für jene, die nicht schon vorher an den erbärmlichen Lebensumständen im Ghetto starben. 

Minna Herzfeld wurde ein Monat nach ihrer Ankunft, am 29. September 1942 nach Treblinka weiterdeportiert und dort umgebracht. Auch ihre ehemalige Nachbarin aus der Giesebrechtstraße, Ida Fabian, war in diesem „Transport“, der allerdings 2000 Menschen umfasste. Sie wurde ebenfalls ermordet.

Wenige Tage vor Minna, am 15. August, waren ihre Vermieter, Kurt und Dorothea Schlochauer, bereits nach Riga deportiert worden.

Minna Schwester Hanna überlebte die Shoa. Sie emigrierte schon 1933 mit ihrem Mann Henry/Heinrich Feilchenfeld, nach Scheveningen in den Niederlanden, 1941 mussten sie nach Gorinchem übersiedeln. Zwei Jahre später wurden sie festgenommen, im Lager Westerbork interniert und 1944 nach Bergen-Belsen deportiert. Dort starb Heinrich im Januar 1945 an der Ruhr, Hannah wurde nach Wurznach verlegt, wo sie die Befreiung erlebte. Sie starb 1957 in den USA. Für Heinrich Feilchenfeld liegt ein Stolperstein vor der Oranienstraße 119.

Auch die anderen Geschwister Minnas überlebten. Gertrud, verheiratete Ginzburg wanderte über die USA nach Puerto Rico aus, John nach Brasilien. Adolfs Schicksal ist nicht genau bekannt. Aber auch er steht in keinem Gedenkbuch und wurde auch nicht bei der Volkszählung 1939 erfasst, sodass man annehmen kann, dass er rechtzeitig flüchten konnte und ebenfalls überlebte.