Siegmund Sborowitz

Location 
Markgraf-Albrecht-Str. 15
District
Halensee
Stone was laid
08 May 2012
Born
24 June 1873 in Brünn / Brno
Deportation
on 02 April 1942 to Warschau
Murdered

Siegmund Sborowitz war Erfinder. In der Markgraf-Albrecht-Straße 15, wo er und seine Frau Paula sowie die Tochter Lotti seit 1937 im Vorderhaus im 3. Stock wohnten, hatte er seinen Arbeitsraum mit Laboratorium. Nach eigener Auskunft von 1942 bestand die Wohnung aus 4 Zimmern, Badezimmer, aber „z.Z. kein Warmwasser“, und Balkon. Die Miete betrug 127,50 RM, für damalige Verhältnisse ziemlich teuer. Hausverwalter war der Bauingenieur Carl Sacht in Berlin-Steglitz, Ahornstraße 12 a.<br />
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Der am 24. Juni 1873 in Brünn (Brno) in Mähren geborene Sborowitz war Tscheche und wurde von den Nazis im Register der Volkszählung von 1939 als „Geltungsjude“ eingeordnet. Er selbst musste sich als „Mischling“ bezeichnen. Seine Frau Paula, geb. Simon, wurde am 11. August 1865 in Krone a.d.Brahe (heute: Koronowo/Polen) geboren, die Tochter Lotti Sborowitz am 16. Januar 1897 in Stettin, auch sie hatten beide die tschechische Staatsangehörigkeit. Einem Sohn, Leo Sborowitz, war die Flucht aus Nazi-Deutschland geglückt, er hatte aber zeitweise keinen Kontakt zu seiner Familie. Erst 1952 meldete er sich aus Palästina.<br />
<br />
Als Beruf gab Sborowitz in der am 2. April 1942 kurz vor seiner Deportation ausgefüllten Vermögenserklärung „Techniker“ an. Er arbeite „selbständig zu Hause in meinem Laboratorium“. Seine Handschrift ist teilweise unleserlich, sodass sich seine Lebensumstände nicht vollständig rekonstruieren lassen. Außerdem waren seine Auskünfte lückenhaft, „da die Vermögenserklärung nur nach Gedächtnis ausgefüllt wurde“. Zur Auflistung seiner Möbel und des Hausrats „hat man mir keine Zeit gelassen da ich die Liste erst hier Levetzowstr. bekommen habe“. Die in der Wohnung hinterlassenen Möbel und der Hausrat wurden am 5. Juni 1942 für 1832 RM von der Firma Erich Lübke in Berlin-Tempelhof, Berliner Straße 128, aufgekauft, während sich an den Kleidungsstücken der Familie Sborowitz im Schätzwert von 479 RM die Firma Richard Carstens in Berlin-Kreuzberg, Naunynstraße 12, bereicherte.<br />
<br />
Er befand sich also nicht mehr in der Markgraf-Albrecht-Straße, sondern in der Levetzowstraße 7-8, wo eine Synagoge stand, die als Sammellager missbraucht wurde. Die Frage nach „Ansprüchen aus Lizenzverträgen, Patentrechten“ beantwortete er: „… kann ohne Akten keine Angaben machen“. Der Frage nach „Steuerrückständen“ wich er auf ähnliche Weise aus: er könne sie „ebenfalls ohne Akten … nicht klären“. Seine Aufzeichnungen und Unterlagen lagerten beim Reichsbauamt in der Viktoriastraße, beim Reichspatentamt in der Gitschiner Straße und bei einem Unternehmen in Strausberg.<br />
<br />
Für die Brüder Arthur und Oswald Münch, die in Strausberg bei Berlin, Mühlenberg 3, eine Fabrik für Perlmutter-und Kunsthorn-Waren, „Spezialität Knöpfe und Schnallen“ (Eigenwerbung), besaßen, hatte Sborowitz ein Spritzgussverfahren zur Herstellung gemusterter Formstücke entwickelt. Das Reichspatentamt hatte ihm für sein „Verfahren zur Herstellung von Formstücken, insbesondere Knöpfen, Abzeichen, Broschen od. dgl. aus härtbarem Kunstharzpreßstoff“ am 15. Januar 1938 das Patent erteilt. Es ermöglichte die Herstellung von Knöpfen aus Materialabfällen und sei „von erheblichem Wert“ und „für die Deutsche Wirtschaft von erheblicher Bedeutung, weil es zu sehr erheblichen Einsparungen in der Kunstharz-Verarbeitung führt“, argumentierten die Brüder Münch. Als sie am 22. August 1941 einen Vertrag schlossen, der ihm als Entgelt für die Lizenz 25 000 RM in Aussicht stellte, gaben sie Sborowitz ein Darlehen.<br />
<br />
Nachdem Sborowitz am 2. April 1942 mit Frau und Tochter ins Warschauer Ghetto deportiert worden war, forderte nicht nur der Hausverwalter 382,20 RM Mietschulden zurück, sondern die Brüder Münch bemühten sich beim Staat um eine Rückzahlung des Darlehens. Das Reichspatentamt vertrat aber den Standpunkt, zwei Patentanmeldungen von Sborowitz, „der Jude sein soll und seinen Aufenthalt anscheinend in Ausland verlegt hat, … dürften dem Reich verfallen sein“. Empört wandten sich die Knopffabrikanten an den Oberfinanzpräsidenten: „Sborowitz hat ein Darlehen von 8000 RM erhalten, um das Patentverfahren zu entwickeln. Er ist durch Ausbürgerung daran verhindert worden und den vorbenannten Betrag schuldig geblieben.“ Das Finanzamt Wilmersdorf-Nord wollte damit nichts zu tun haben und gab den Bescheid: „Der Pflichtige wird hier nicht mehr geführt.“<br />
<br />
Diese Auskünfte erzürnten die Brüder Münch, die offenbar gut mit Sborowitz kooperiert hatten und sich nach eigenem Eingeständnis wunderten, dass er „plötzlich … den Judenstern tragen musste“. Ein sieben Seiten langes Gutachten des Patentanwalts Kurt Schroeter kam zu einem zweideutigen Schluss: Die Patentfähigkeit sei „äußerst gering“, aber „immerhin dürften die Erfindungen nicht wertlos sein“. Die Brüder Münch forderten eine Überprüfung, wurden aber vom Reichspatentamt am 15. September 1944 wiederum abgewiesen – mit einer neuen Begründung: Das Prüfungsverfahren könne nur wieder aufgenommen werden, wenn durch Bescheinigung des Reichsministers für Rüstung eine Bedeutung für die Kriegsproduktion nachgewiesen würde.<br />
<br />
Hartnäckige Nachfragen blieben erfolglos. Am 16. April 1945 – also wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als die Rote Armee schon auf Berlin vorrückte – wurde im Reichspatentamt ein Schreiben verfasst: „…sind die Akten … infolge der kriegerischen Ereignisse zur Zeit nicht mehr greifbar“. Aktenzeichen, Stempel, i.V. gez. Müller, ausgefertigt Geißer, Verwaltungsangestellte. Damit endete die groteske Auseinandersetzung um die Erfindung des Siegmund Sborowitz.

Siegmund Sborowitz war Erfinder. In der Markgraf-Albrecht-Straße 15, wo er und seine Frau Paula sowie die Tochter Lotti seit 1937 im Vorderhaus im 3. Stock wohnten, hatte er seinen Arbeitsraum mit Laboratorium. Nach eigener Auskunft von 1942 bestand die Wohnung aus 4 Zimmern, Badezimmer, aber „z.Z. kein Warmwasser“, und Balkon. Die Miete betrug 127,50 RM, für damalige Verhältnisse ziemlich teuer. Hausverwalter war der Bauingenieur Carl Sacht in Berlin-Steglitz, Ahornstraße 12 a.

Der am 24. Juni 1873 in Brünn (Brno) in Mähren geborene Sborowitz war Tscheche und wurde von den Nazis im Register der Volkszählung von 1939 als „Geltungsjude“ eingeordnet. Er selbst musste sich als „Mischling“ bezeichnen. Seine Frau Paula, geb. Simon, wurde am 11. August 1865 in Krone a.d.Brahe (heute: Koronowo/Polen) geboren, die Tochter Lotti Sborowitz am 16. Januar 1897 in Stettin, auch sie hatten beide die tschechische Staatsangehörigkeit. Einem Sohn, Leo Sborowitz, war die Flucht aus Nazi-Deutschland geglückt, er hatte aber zeitweise keinen Kontakt zu seiner Familie. Erst 1952 meldete er sich aus Palästina.

Als Beruf gab Sborowitz in der am 2. April 1942 kurz vor seiner Deportation ausgefüllten Vermögenserklärung „Techniker“ an. Er arbeite „selbständig zu Hause in meinem Laboratorium“. Seine Handschrift ist teilweise unleserlich, sodass sich seine Lebensumstände nicht vollständig rekonstruieren lassen. Außerdem waren seine Auskünfte lückenhaft, „da die Vermögenserklärung nur nach Gedächtnis ausgefüllt wurde“. Zur Auflistung seiner Möbel und des Hausrats „hat man mir keine Zeit gelassen da ich die Liste erst hier Levetzowstr. bekommen habe“. Die in der Wohnung hinterlassenen Möbel und der Hausrat wurden am 5. Juni 1942 für 1832 RM von der Firma Erich Lübke in Berlin-Tempelhof, Berliner Straße 128, aufgekauft, während sich an den Kleidungsstücken der Familie Sborowitz im Schätzwert von 479 RM die Firma Richard Carstens in Berlin-Kreuzberg, Naunynstraße 12, bereicherte.

Er befand sich also nicht mehr in der Markgraf-Albrecht-Straße, sondern in der Levetzowstraße 7-8, wo eine Synagoge stand, die als Sammellager missbraucht wurde. Die Frage nach „Ansprüchen aus Lizenzverträgen, Patentrechten“ beantwortete er: „… kann ohne Akten keine Angaben machen“. Der Frage nach „Steuerrückständen“ wich er auf ähnliche Weise aus: er könne sie „ebenfalls ohne Akten … nicht klären“. Seine Aufzeichnungen und Unterlagen lagerten beim Reichsbauamt in der Viktoriastraße, beim Reichspatentamt in der Gitschiner Straße und bei einem Unternehmen in Strausberg.

Für die Brüder Arthur und Oswald Münch, die in Strausberg bei Berlin, Mühlenberg 3, eine Fabrik für Perlmutter-und Kunsthorn-Waren, „Spezialität Knöpfe und Schnallen“ (Eigenwerbung), besaßen, hatte Sborowitz ein Spritzgussverfahren zur Herstellung gemusterter Formstücke entwickelt. Das Reichspatentamt hatte ihm für sein „Verfahren zur Herstellung von Formstücken, insbesondere Knöpfen, Abzeichen, Broschen od. dgl. aus härtbarem Kunstharzpreßstoff“ am 15. Januar 1938 das Patent erteilt. Es ermöglichte die Herstellung von Knöpfen aus Materialabfällen und sei „von erheblichem Wert“ und „für die Deutsche Wirtschaft von erheblicher Bedeutung, weil es zu sehr erheblichen Einsparungen in der Kunstharz-Verarbeitung führt“, argumentierten die Brüder Münch. Als sie am 22. August 1941 einen Vertrag schlossen, der ihm als Entgelt für die Lizenz 25 000 RM in Aussicht stellte, gaben sie Sborowitz ein Darlehen.

Nachdem Sborowitz am 2. April 1942 mit Frau und Tochter ins Warschauer Ghetto deportiert worden war, forderte nicht nur der Hausverwalter 382,20 RM Mietschulden zurück, sondern die Brüder Münch bemühten sich beim Staat um eine Rückzahlung des Darlehens. Das Reichspatentamt vertrat aber den Standpunkt, zwei Patentanmeldungen von Sborowitz, „der Jude sein soll und seinen Aufenthalt anscheinend in Ausland verlegt hat, … dürften dem Reich verfallen sein“. Empört wandten sich die Knopffabrikanten an den Oberfinanzpräsidenten: „Sborowitz hat ein Darlehen von 8000 RM erhalten, um das Patentverfahren zu entwickeln. Er ist durch Ausbürgerung daran verhindert worden und den vorbenannten Betrag schuldig geblieben.“ Das Finanzamt Wilmersdorf-Nord wollte damit nichts zu tun haben und gab den Bescheid: „Der Pflichtige wird hier nicht mehr geführt.“

Diese Auskünfte erzürnten die Brüder Münch, die offenbar gut mit Sborowitz kooperiert hatten und sich nach eigenem Eingeständnis wunderten, dass er „plötzlich … den Judenstern tragen musste“. Ein sieben Seiten langes Gutachten des Patentanwalts Kurt Schroeter kam zu einem zweideutigen Schluss: Die Patentfähigkeit sei „äußerst gering“, aber „immerhin dürften die Erfindungen nicht wertlos sein“. Die Brüder Münch forderten eine Überprüfung, wurden aber vom Reichspatentamt am 15. September 1944 wiederum abgewiesen – mit einer neuen Begründung: Das Prüfungsverfahren könne nur wieder aufgenommen werden, wenn durch Bescheinigung des Reichsministers für Rüstung eine Bedeutung für die Kriegsproduktion nachgewiesen würde.

Hartnäckige Nachfragen blieben erfolglos. Am 16. April 1945 – also wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als die Rote Armee schon auf Berlin vorrückte – wurde im Reichspatentamt ein Schreiben verfasst: „…sind die Akten … infolge der kriegerischen Ereignisse zur Zeit nicht mehr greifbar“. Aktenzeichen, Stempel, i.V. gez. Müller, ausgefertigt Geißer, Verwaltungsangestellte. Damit endete die groteske Auseinandersetzung um die Erfindung des Siegmund Sborowitz.