Siegfried Peltesohn

Location 
Rankestr. 9
District
Charlottenburg
Stone was laid
12 September 2012
Born
1876 in Berlin
Occupation
Arzt
Deportation
on 17 March 1943 to Theresienstadt
Survived

Siegfried Peltesohn kam am 13. August 1876 als drittes von fünf Kindern – Julius, Therese, Siegfried, Ernst, Martha – des Sanitätsrats Dr. Emil Peltesohn und seiner Frau Clara, geb. Meyer, zur Welt. Der Vater war Arzt, die Mutter stammte aus einer gut situierten Berliner jüdischen Familie. Der älteste Sohn Julius wurde wie seine Frau und die 13-jährige Tochter deportiert. Julius‘ 16-jährigem Sohn Fritz, der heute Shlomo Palti heißt, gelang im August 1939, acht Tage vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, die Emigration nach Palästina. Der Sohn Ernst war Regierungsbaumeister, beteiligt am Bau des Jüdischen Krankenhauses. Über ihn schrieb Siegfried Peltesohn später an das Leo Baeck Institute in New York: „Meinen Bruder musste ich vor meinen eigenen Augen 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt elend zugrunde gehen sehen.“ Auch Therese überlebte den Holocaust nicht. Die jüngste Tochter Martha Kahn war 1910 im Kindbett gestorben.<br />
<br />
Vom großzügigen Elternhaus in der Magdeburger Straße 3 in Tiergarten hatte Siegfried es nicht weit zum Königlichen Französischen Gymnasium, damals am Reichstagsufer. Nach dem Abitur studierte er in Berlin und Würzburg Medizin.<br />
<br />
Peltesohn heiratete 1908 die elf Jahre jüngere Alice Maas. 1909 kam Gertrud zur Welt, die mit 26 Jahren kurz nach ihrer Hochzeit an Scharlach starb. Die zweite Tochter Edith wurde 1914 geboren. In der Rankestraße 9 wuchsen die beiden Schwestern behütet auf. Die Familie, in der Religion eher eine Nebenrolle spielte, liebte deutsche Musik und Literatur, zu Weihnachten schmückte ein stattlicher Tannenbaum die große Wohnung.<br />
<br />
Mit der Approbation 1901 und seiner Dissertation über „Das Verhalten der Kniescheibe bei der Little’schen Krankheit“ wurde Peltesohn Assistenzarzt am Urban-Krankenhaus. Nach fünf Jahren wechselte er an die Königliche Chirurgische Poliklink an der Ziegelstraße und wurde dort 1906 Oberarzt. Sein Chef und Mentor war Georg Joachimsthal (1863-1914), der mit Peltesohns älterer Schwester Therese verheiratet war. Als er 1914 starb, wurde Peltesohn Kommissarischer Direktor der Poliklinik.<br />
<br />
Am 1. August 1914, dem Beginn des Ersten Weltkriegs, wurde Peltesohn als Stabsarzt einberufen und tat Militärdienst bis 1918. Vieles spricht dafür, dass er danach zunächst seine universitäre Laufbahn fortführte. Er war ein ausgezeichneter Operateur und Wissenschaftler, der auch außerhalb Berlins einen Namen hatte. Als federführendes Mitglied der Berliner Orthopädischen Gesellschaft hielt er regelmäßig Vorträge. Dass der Spezialist für orthopädische Chirurgie und Unfallheilkunde am Ende die Praxis und nicht die Habilitation wählte, hatte viel mit der Benachteiligung von Juden zu tun. Trotz formaler Gleichberechtigung blieben sie von höheren Laufbahnen im Militär, im Staatsdienst und in den Universitäten weitgehend ausgeschlossen.<br />
<br />
1919 eröffnete Dr. Siegfried Peltesohn in der Rankestraße 9, Ecke Augsburger Straße, seine mit einem Röntgengerät hochmodern ausgestattete Praxis. Die Familie wohnte im hinteren Teil der großzügigen Wohnung. Peltesohn war ein waschechter Berliner, allerdings einer von der zurückhaltenden Sorte. Zartgliedrig und klein von Statur, ließ der bedächtige, eher in sich gekehrte Mann nicht sofort an einen orthopädischen Chirurgen denken, der stundenlang am Operationstisch steht. Seinem Naturell entsprang menschliche Wärme. Peltesohns Praxis lief hervorragend – bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933.<br />
<br />
Gegen den Entzug der Kassenzulassung war sein Widerspruch als mehrfach ausgezeichneter Frontsoldat im Ersten Weltkrieg noch erfolgreich. Seine Patienten blieben ihm treu, auch Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei (NSDAP). Regelmäßig veröffentlichte er Beiträge in Fachzeitschriften. Doch 1933 wurde er vom gefragten Redner und Autor zur unerwünschten Person, nur weil er Jude war.<br />
<br />
Seine Tochter Edith half seit Beginn ihres Medizinstudiums 1932 in der Praxis mit. Er konnte seine Praxis noch fünf Jahre fortführen, bis ihm am 30. September 1938 die Approbation entzogen wurde. Praktisch hieß das Arbeitslosigkeit und Berufsverbot. Peltesohn stellte einen Antrag auf Zulassung als „Krankenbehandler“.<br />
<br />
Um diese Zeit heiratete Edith Peltesohn ihren Kommilitonen Arthur Grischmann aus Rathenau. Beide, als Juden in Deutschland von Approbation und Promotion längst ausgeschlossen, mussten 1938 nach Bern ziehen, um für ihre Berliner Doktorarbeiten dort promoviert zu werden. Im März 1939 konnten die Tochter und der Schwiegersohn Deutschland verlassen und ließen sich als Ärzte in New York nieder.<br />
<br />
In Berlin wurde am 15. August 1939 Siegfried Peltesohn von der Reichsärztekammer „widerruflich die Ausübung des Arztberufs mit folgenden Auflagen genehmigt: Sie haben ein Schild zu führen, das auf blauem Grund einen gelben Kreis mit blauem Davidstern zeigt. Sie dürfen sich weder als Arzt bezeichnen noch ähnliche Bezeichnungen wie Sanitätsrat usw. führen.“ 63 Jahre alt und 37 Jahre Arzt in Deutschland war Dr. Siegfried Peltesohn, als er diesen Brief öffnete.<br />
<br />
Der Alltag wurde beschwerlicher. Immerhin wurde Peltesohn als Arzt der Jüdischen Gemeinde erlaubt, „von ½ 12 bis 1 Uhr einzukaufen“ und nicht nur, wie andere Juden, erst abends, wenn die Geschäfte leer und die Schlangen davor lang waren. Das Haus Rankestraße 9 wurde von der Gesellschaft Victoria übernommen. Einen Teil ihrer Wohnung mussten sie räumen, aber gekündigt wurde ihnen nicht. Peltesohn praktizierte weiter und obwohl er an einer Magenerkrankung litt, war der eingefleischte Optimist mit Frohsinn für seine Patienten da.<br />
<br />
Doch am 15. März 1943 wurde dem Ehepaar Peltesohn eine Verfügung zugestellt, dass ihr „gesamtes Vermögen … zu Gunsten des Deutschen Reichs eingezogen“ würde. Zwei Tage später wurden Siegfried und Alice Peltesohn vom Bahnhof Grunewald in einem mit 1159 Menschen überfüllten Zug ins Ghetto Theresienstadt deportiert.<br />
<br />
Sie wurde in den „Hausdienst“ eingeteilt: „Koffer tragen, Kleiderkammer, Wäscherei, Schuhreparaturannahme“. Er wurde am 1. April 1943 Arzt der orthopädischen Ambulanz Block E VI. Zur Begründung eines Gesuchs beschrieb er die Zustände am 3. September 1943 so: „Bei 165 cm Körpergröße wiege ich nur noch 48 kg netto. Ich bin alleiniger Arzt (ohne ärztliche Assistenz) zweier (großer) Ambulanzen für Orthopädie, und zwar von E VI Block und H V Block (allein durch diese letztere Ambulanz passierten vom 27.7. bis 24.8.43 (vier Wochen) laut Monatsbericht 334 Kranke). Jede Ordination bringt 20-30 und mehr Kranke, deren Behandlung nicht nur in Beratung wie auch in Verbänden aller Art … besteht, wodurch ich die bandagistische und die orthopädisch-mechanische Werkstatt wirkungsvoll zu entlasten suche. Endlich ließ und lasse ich mir die Fortbildung von Arztgehilfen angelegen sein.“<br />
<br />
Leid, Hunger und Tod waren Alltag. Doch auch bei 70 Arbeitsstunden in der Woche erlahmte Peltesohns Interesse an Kultur und Wissenschaft nicht. Notizen und Röntgenbilder einer Patientin konnte er, als er das Ghetto Theresienstadt verlassen durfte, mitnehmen. 20 Monate habe er dort als Arzt gearbeitet, gab er später auf seinem Einreiseantrag in die USA an. Doch er war schwer krank. „Jetziges Leiden beginnt am 25. Dezember 1943“, notierte er und beschrieb „zunehmende Mattigkeit, Taumeln, Parästhesien, Ödeme“, ab 25. Januar 1944 plagte ihn „zunehmende allgemeine Stomatitis“.<br />
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Seine Frau Alice, die ohnehin eine schmächtige Person war, wog, als sie im Juli 1943 an Diphterie erkrankte, nur noch 37 Kilogramm. Im Februar 1944 brach sich die 56-Jährige auf dem Weg zur Arbeit („Geschirrwaschen, Siechenheim“) den Oberschenkel. Erst im November konnte sie die Krankenstation des Ghettos verlassen.<br />
<br />
14 Tage zuvor hatte Alice Peltesohn den mit „Einberufung“ überschriebenen Befehl erhalten, sie sei in einen „Transport eingereiht“. Doch sie war zu krank oder hatte sehr viel Glück, dass sie am 28. Oktober 1944 nicht in diesen Zug einsteigen musste. Es war der letzte von 25 Zügen mit dem Ziel Auschwitz. Am 5. Februar 1943 war das Ehepaar Peltesohn dann erneut „eingereiht“ worden, jetzt in den einzigen Transport, der je aus der nationalsozialistischen Gefangenschaft in die Freiheit führte. Mit weiteren 1200 Lagerinsassen konnten sie durch die Nacht im D-Zug nach St. Gallen in die Schweiz rollen. Diese ungewöhnliche und einmalige Aktion war aufgrund geheimer Absprachen zwischen dem Reichsführer SS Heinrich Himmler und dem früheren Schweizer Bundespräsidenten Jean-Marie Musy zu Stande gekommen.<br />
<br />
„Rettung aus Theresienstadt“ – in einem so überschriebenen Artikel der in New York erscheinenden jüdischen Zeitung „Aufbau“ konnte Edith Peltesohn am 8. Februar 1945 die Namen ihrer Eltern lesen. 18 Monate später, eine Woche vor Peltesohns 70. Geburtstag, landeten sie im Hafen von New York. Von nun an lebten Alice und Siegfried Peltesohn mit Edith und Arthur Grishman in Queens unter einem Dach. 1968 ist Siegfried Peltesohn im Alter von 91 Jahren gestorben. Alice Peltesohn war 93, als sie 1980 starb.<br />
<br />
Die beiden Stolpersteine vor dem Haus Rankestraße 9 erinnern an einen geradezu übermenschlichen Lebenswillen, an die Stärke und Entschlossenheit des Ehepaars Peltesohn, Krankheit, Demütigung und Leid zu trotzen. Und sie zeugen davon, dass Juden „Masel“ brauchten, um dem Massenmord zu entgehen.

Siegfried Peltesohn kam am 13. August 1876 als drittes von fünf Kindern – Julius, Therese, Siegfried, Ernst, Martha – des Sanitätsrats Dr. Emil Peltesohn und seiner Frau Clara, geb. Meyer, zur Welt. Der Vater war Arzt, die Mutter stammte aus einer gut situierten Berliner jüdischen Familie. Der älteste Sohn Julius wurde wie seine Frau und die 13-jährige Tochter deportiert. Julius‘ 16-jährigem Sohn Fritz, der heute Shlomo Palti heißt, gelang im August 1939, acht Tage vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, die Emigration nach Palästina. Der Sohn Ernst war Regierungsbaumeister, beteiligt am Bau des Jüdischen Krankenhauses. Über ihn schrieb Siegfried Peltesohn später an das Leo Baeck Institute in New York: „Meinen Bruder musste ich vor meinen eigenen Augen 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt elend zugrunde gehen sehen.“ Auch Therese überlebte den Holocaust nicht. Die jüngste Tochter Martha Kahn war 1910 im Kindbett gestorben.

Vom großzügigen Elternhaus in der Magdeburger Straße 3 in Tiergarten hatte Siegfried es nicht weit zum Königlichen Französischen Gymnasium, damals am Reichstagsufer. Nach dem Abitur studierte er in Berlin und Würzburg Medizin.

Peltesohn heiratete 1908 die elf Jahre jüngere Alice Maas. 1909 kam Gertrud zur Welt, die mit 26 Jahren kurz nach ihrer Hochzeit an Scharlach starb. Die zweite Tochter Edith wurde 1914 geboren. In der Rankestraße 9 wuchsen die beiden Schwestern behütet auf. Die Familie, in der Religion eher eine Nebenrolle spielte, liebte deutsche Musik und Literatur, zu Weihnachten schmückte ein stattlicher Tannenbaum die große Wohnung.

Mit der Approbation 1901 und seiner Dissertation über „Das Verhalten der Kniescheibe bei der Little’schen Krankheit“ wurde Peltesohn Assistenzarzt am Urban-Krankenhaus. Nach fünf Jahren wechselte er an die Königliche Chirurgische Poliklink an der Ziegelstraße und wurde dort 1906 Oberarzt. Sein Chef und Mentor war Georg Joachimsthal (1863-1914), der mit Peltesohns älterer Schwester Therese verheiratet war. Als er 1914 starb, wurde Peltesohn Kommissarischer Direktor der Poliklinik.

Am 1. August 1914, dem Beginn des Ersten Weltkriegs, wurde Peltesohn als Stabsarzt einberufen und tat Militärdienst bis 1918. Vieles spricht dafür, dass er danach zunächst seine universitäre Laufbahn fortführte. Er war ein ausgezeichneter Operateur und Wissenschaftler, der auch außerhalb Berlins einen Namen hatte. Als federführendes Mitglied der Berliner Orthopädischen Gesellschaft hielt er regelmäßig Vorträge. Dass der Spezialist für orthopädische Chirurgie und Unfallheilkunde am Ende die Praxis und nicht die Habilitation wählte, hatte viel mit der Benachteiligung von Juden zu tun. Trotz formaler Gleichberechtigung blieben sie von höheren Laufbahnen im Militär, im Staatsdienst und in den Universitäten weitgehend ausgeschlossen.

1919 eröffnete Dr. Siegfried Peltesohn in der Rankestraße 9, Ecke Augsburger Straße, seine mit einem Röntgengerät hochmodern ausgestattete Praxis. Die Familie wohnte im hinteren Teil der großzügigen Wohnung. Peltesohn war ein waschechter Berliner, allerdings einer von der zurückhaltenden Sorte. Zartgliedrig und klein von Statur, ließ der bedächtige, eher in sich gekehrte Mann nicht sofort an einen orthopädischen Chirurgen denken, der stundenlang am Operationstisch steht. Seinem Naturell entsprang menschliche Wärme. Peltesohns Praxis lief hervorragend – bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933.

Gegen den Entzug der Kassenzulassung war sein Widerspruch als mehrfach ausgezeichneter Frontsoldat im Ersten Weltkrieg noch erfolgreich. Seine Patienten blieben ihm treu, auch Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei (NSDAP). Regelmäßig veröffentlichte er Beiträge in Fachzeitschriften. Doch 1933 wurde er vom gefragten Redner und Autor zur unerwünschten Person, nur weil er Jude war.

Seine Tochter Edith half seit Beginn ihres Medizinstudiums 1932 in der Praxis mit. Er konnte seine Praxis noch fünf Jahre fortführen, bis ihm am 30. September 1938 die Approbation entzogen wurde. Praktisch hieß das Arbeitslosigkeit und Berufsverbot. Peltesohn stellte einen Antrag auf Zulassung als „Krankenbehandler“.

Um diese Zeit heiratete Edith Peltesohn ihren Kommilitonen Arthur Grischmann aus Rathenau. Beide, als Juden in Deutschland von Approbation und Promotion längst ausgeschlossen, mussten 1938 nach Bern ziehen, um für ihre Berliner Doktorarbeiten dort promoviert zu werden. Im März 1939 konnten die Tochter und der Schwiegersohn Deutschland verlassen und ließen sich als Ärzte in New York nieder.

In Berlin wurde am 15. August 1939 Siegfried Peltesohn von der Reichsärztekammer „widerruflich die Ausübung des Arztberufs mit folgenden Auflagen genehmigt: Sie haben ein Schild zu führen, das auf blauem Grund einen gelben Kreis mit blauem Davidstern zeigt. Sie dürfen sich weder als Arzt bezeichnen noch ähnliche Bezeichnungen wie Sanitätsrat usw. führen.“ 63 Jahre alt und 37 Jahre Arzt in Deutschland war Dr. Siegfried Peltesohn, als er diesen Brief öffnete.

Der Alltag wurde beschwerlicher. Immerhin wurde Peltesohn als Arzt der Jüdischen Gemeinde erlaubt, „von ½ 12 bis 1 Uhr einzukaufen“ und nicht nur, wie andere Juden, erst abends, wenn die Geschäfte leer und die Schlangen davor lang waren. Das Haus Rankestraße 9 wurde von der Gesellschaft Victoria übernommen. Einen Teil ihrer Wohnung mussten sie räumen, aber gekündigt wurde ihnen nicht. Peltesohn praktizierte weiter und obwohl er an einer Magenerkrankung litt, war der eingefleischte Optimist mit Frohsinn für seine Patienten da.

Doch am 15. März 1943 wurde dem Ehepaar Peltesohn eine Verfügung zugestellt, dass ihr „gesamtes Vermögen … zu Gunsten des Deutschen Reichs eingezogen“ würde. Zwei Tage später wurden Siegfried und Alice Peltesohn vom Bahnhof Grunewald in einem mit 1159 Menschen überfüllten Zug ins Ghetto Theresienstadt deportiert.

Sie wurde in den „Hausdienst“ eingeteilt: „Koffer tragen, Kleiderkammer, Wäscherei, Schuhreparaturannahme“. Er wurde am 1. April 1943 Arzt der orthopädischen Ambulanz Block E VI. Zur Begründung eines Gesuchs beschrieb er die Zustände am 3. September 1943 so: „Bei 165 cm Körpergröße wiege ich nur noch 48 kg netto. Ich bin alleiniger Arzt (ohne ärztliche Assistenz) zweier (großer) Ambulanzen für Orthopädie, und zwar von E VI Block und H V Block (allein durch diese letztere Ambulanz passierten vom 27.7. bis 24.8.43 (vier Wochen) laut Monatsbericht 334 Kranke). Jede Ordination bringt 20-30 und mehr Kranke, deren Behandlung nicht nur in Beratung wie auch in Verbänden aller Art … besteht, wodurch ich die bandagistische und die orthopädisch-mechanische Werkstatt wirkungsvoll zu entlasten suche. Endlich ließ und lasse ich mir die Fortbildung von Arztgehilfen angelegen sein.“

Leid, Hunger und Tod waren Alltag. Doch auch bei 70 Arbeitsstunden in der Woche erlahmte Peltesohns Interesse an Kultur und Wissenschaft nicht. Notizen und Röntgenbilder einer Patientin konnte er, als er das Ghetto Theresienstadt verlassen durfte, mitnehmen. 20 Monate habe er dort als Arzt gearbeitet, gab er später auf seinem Einreiseantrag in die USA an. Doch er war schwer krank. „Jetziges Leiden beginnt am 25. Dezember 1943“, notierte er und beschrieb „zunehmende Mattigkeit, Taumeln, Parästhesien, Ödeme“, ab 25. Januar 1944 plagte ihn „zunehmende allgemeine Stomatitis“.

Seine Frau Alice, die ohnehin eine schmächtige Person war, wog, als sie im Juli 1943 an Diphterie erkrankte, nur noch 37 Kilogramm. Im Februar 1944 brach sich die 56-Jährige auf dem Weg zur Arbeit („Geschirrwaschen, Siechenheim“) den Oberschenkel. Erst im November konnte sie die Krankenstation des Ghettos verlassen.

14 Tage zuvor hatte Alice Peltesohn den mit „Einberufung“ überschriebenen Befehl erhalten, sie sei in einen „Transport eingereiht“. Doch sie war zu krank oder hatte sehr viel Glück, dass sie am 28. Oktober 1944 nicht in diesen Zug einsteigen musste. Es war der letzte von 25 Zügen mit dem Ziel Auschwitz. Am 5. Februar 1943 war das Ehepaar Peltesohn dann erneut „eingereiht“ worden, jetzt in den einzigen Transport, der je aus der nationalsozialistischen Gefangenschaft in die Freiheit führte. Mit weiteren 1200 Lagerinsassen konnten sie durch die Nacht im D-Zug nach St. Gallen in die Schweiz rollen. Diese ungewöhnliche und einmalige Aktion war aufgrund geheimer Absprachen zwischen dem Reichsführer SS Heinrich Himmler und dem früheren Schweizer Bundespräsidenten Jean-Marie Musy zu Stande gekommen.

„Rettung aus Theresienstadt“ – in einem so überschriebenen Artikel der in New York erscheinenden jüdischen Zeitung „Aufbau“ konnte Edith Peltesohn am 8. Februar 1945 die Namen ihrer Eltern lesen. 18 Monate später, eine Woche vor Peltesohns 70. Geburtstag, landeten sie im Hafen von New York. Von nun an lebten Alice und Siegfried Peltesohn mit Edith und Arthur Grishman in Queens unter einem Dach. 1968 ist Siegfried Peltesohn im Alter von 91 Jahren gestorben. Alice Peltesohn war 93, als sie 1980 starb.

Die beiden Stolpersteine vor dem Haus Rankestraße 9 erinnern an einen geradezu übermenschlichen Lebenswillen, an die Stärke und Entschlossenheit des Ehepaars Peltesohn, Krankheit, Demütigung und Leid zu trotzen. Und sie zeugen davon, dass Juden „Masel“ brauchten, um dem Massenmord zu entgehen.