Hermann Rachmann

Location 
Helmstedter Str. 27
District
Wilmersdorf
Stone was laid
24 October 2012
Born
24 November 1893 in Labiau (Ostpreußen) / Polessk
Deportation
on 13 July 1944 to Theresienstadt
Later deported
on 28 September 1944 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Hermann Rachmann wurde am 24. November 1893 in Labiau (Ostpreußen) / Polessk als Sohn des Pferdehändlers David Rachmann geboren. In Königsberg im damaligen Ostpreußen (heute Kaliningrad) besuchte er Volks- und Mittelschule und absolvierte im Anschluss eine kaufmännische Lehre. 1915 wurde er zum Militärdienst eingezogen, aber sein Vater reklamierte ihn erfolgreich zur Abwicklung größerer Heeresaufträge. Bald darauf übernahm er die Geschäftsführung des in Königsberg seit 1912 ansässigen Neuen Luisen Theaters, das sein späterer Schwiegervater betrieb, dessen Tochter Grete er 1919 heiratete. 

1921 zog er mit seiner Frau und dem 1920 geborenen Sohn Heinz nach Berlin, wo er Betreiber des Kabaretts am Nikolsburger Platz in Wilmersdorf wurde. Zwischen 1923 und 1928 war er als Teppichhändler tätig, bis er sich wieder der Theaterwelt zuwandte und erfolgreich das Salome-Ballett leitete, was ihm 1935 wegen seiner jüdischen Herkunft verboten wurde.

In den Berliner Adressbüchern der Zeit ist Rachmann 1922 als Direktor in der Trautenaustraße 18 verzeichnet, als Kaufmann 1923 in Schöneberg in der Hähnelstraße 13 sowie in den beiden Folgejahren in Charlottenburg in der Friedbergstraße 39 und dann als Manager 1934 in der Sybelstraße 7 und 1936 Neue Kantstraße 11. Bei der Volkszählung vom 17. Mai 1939 war er in der Helmstedter Straße 27 in Wilmersdorf gemeldet.

Hermann Rachmann war 1926 geschieden worden. 1939 heiratete er in zweiter Ehe Margarete Amalie Lewin geb. Plachta (*1. Februar 1890 in Berlin). Bevor Rachmann und seine Frau vor der nationalsozialistischen Verfolgung in die Illegalität flüchteten, waren sie Anfang der 1940er Jahre zu Zwangsarbeit verpflichtet worden. Margarete Rachmann musste in einer Berufswäscherei in Berlin-Britz arbeiten, Hermann Rachmann in einem Malereigeschäft, wobei seine Aufgabe darin bestand, Pflastersteine mit gesundheitsschädlicher Phosphorfarbe zu bestreichen, damit diese auch bei Verdunkelung sichtbar blieben.

Erste Unterstützung erfuhren sie von der Portiersfrau des Hauses Berchtesgadener Straße 7 in Schöneberg, der die Rachmanns nicht unbekannt gewesen sein dürften, denn im Haus wohnte lt. Adressbuch von 1935 bis 1941 die Privatiere Martha Plachta geb. Landsberg (geboren 13. September 1855, gestorben 13. September 1942 in Theresienstadt), wahrscheinlich eine Verwandte von Margarete Rachmann. So erhielten sie Anfang 1943 den Schlüssel zur Hintertür einer von der Gestapo versiegelten Wohnung, deren Bewohner bereits deportiert waren. Es kamen dort weitere sogenannte „Illegale" hinzu, darunter auch Edith Oppenheim. 

Als die Situation in der Wohnung zu gefährlich wurde, half auf Bitten Rachmanns eine Bewohnerin des Hauses weiter. In der Literatur wird dazu eine Gräfin von Puttkammer erwähnt, wobei in den Berliner Adressbüchern ab 1940 dort nur eine Gräfin von Einsiedel gemeldet war. Sie nahm die Untergetauchten zunächst in ihrer Wohnung auf bis Hermann Rachmann durch Vermittlung von Karl Deibel einen neuen Unterschlupf in dessen 1 ½-Zimmer-Kellerwohnung in der Großbeerenstraße 92 fand. Hier wurden sie wie alle anderen dort Untergebrachten von Otto Weidt und Hedwig Porschütz mit Lebensmitteln versorgt. Die beiden unterstützten, versteckten und retteten viele jüdische Menschen und wurden von der Internationalen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als „Gerechte unter den Völkern" anerkannt.

Deibel suchte die Rachmanns zu „legalisieren“ und besorgte einen auf den Namen Lenk ausgestellten Bombenschein und bat Walter Eck, seinen ehemaligen Schulfreund und jetzigen hohen Funktionär der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, um Hilfe für die angeblichen Lenks. Mit dessen Hilfe kamen sie zusammen mit Edith Oppenheim nach Lichtenberg im Odenwald zu Ecks NSDAP-Parteifreund Dr. Schmieden, der sie aber schon bald als „rassisch" Verfolgte enttarnte; angeblich hatten sie sich auffällig benommen. Sie flohen zurück nach Berlin, um erneut bei Deibel unterzutauchen. Dort wurde die Situation aber immer gefährlicher, sodass Deibel im März 1944 selbst in den Untergrund gehen musste.

Rachmann wurde von der Gestapo festgenommen. Sein Sohn Heinz Rachmann ging in einem Interview in den 1950er Jahren davon aus, dass sein Vater von Stella Kübler verraten worden war, einer berüchtigten jüdischen Kollaborateurin der Nationalsozialisten, die als sog. „Greiferin" untergetauchte Jüdinnen und Juden an die Gestapo verriet. Nun wurde aus dem Verfolgten Rachmann selbst ein Verfolger, ein „Greifer", der zudem auch die Helferinnen und Helfer in Gefahr brachte.

Die Gestapo verhörte und drangsalierte die verdächtigten Unterstützerinnen und Unterstützer der Flüchtigen, darunter Hedwig Porschütz, die nichts und niemanden verriet, und Otto Weidt, der ungeachtet der eigenen Gefährdung und trotz aller Repressalien falsche Erklärungen abgab, während beide ihre Schützlinge u.a. in der Großbeerenstraße 92, wo auch Rachmanns Unterschlupf gefunden hatten, weiterhin mit neuen Unterkünften und Lebensmitteln versorgten. Den dort zunächst ebenfalls untergetauchten Leo Seelig hatte Porschütz in der Wohnung ihrer Mutter Hedwig Völker in der Schöneberger Fritz -Reuter - Straße 10 untergebracht, wo er im Mai 1944 von der Gestapo verhaftet wurde, nachdem Rachmann, dem er sich anvertraut hatte, ihn verraten hatte. Da die Rachmann nahe stehende Edith Oppenheim ebenso wie Seelig am selben Tag nach Auschwitz deportiert wurde, wird davon ausgegangen, dass auch sie von Rachmann denunziert wurde. 

Gesichert ist, dass Rachmann Rahel Haar und deren Tochter Henny an die Gestapo verriet, ebenso wie seinen ehemaligen Kollegen Hans Winterfeldt und dass er auch auf der Suche nach den Schwestern Annelies und Marianne Bernstein war, die in der Wohnung von Hedwig Porschütz versteckt waren, mit deren Unterstützung sie überlebten und später in die USA emigrierten. Rachmann soll ebenfalls die Verhaftung eines namentlich unbekannten 18-jährigen Mannes veranlasst haben, diesen dann im „Sammellager" aufgesucht und sein Bedauern über dessen Festnahme bekundet heben. Er soll die von ihm initiierte Denunziation mit dem Versuch entschuldigt haben, seine Mutter - die noch auf freiem Fuß war - zu retten.

Das mag eine der Repressalien gewesen sein, denen Rachmann höchstwahrscheinlich ausgesetzt war und wegen derer er sich als einer von 29 namentlich bekannten „Jüdischen Greiferinnen und Greifern“ in Berlin in die Fahndungsaktionen der Gestapo einbinden ließ. Als „Greifer" durfte er sich ohne „Gelben Stern“ in der Öffentlichkeit bewegen, um Untergetauchte aufzuspüren und zu verraten. Dass Rachmann und seine Frau so dem Tod zu entkommen suchten - oder wenigstens auf eine Zurückstellung von der Deportation hofften - ist mehr als wahrscheinlich, erwies sich jedoch beides für sie bei aller Schuld des Verrats als tödlicher Trugschluss.

Hermann und Margarete Rachmann mussten sich in der von den Nationalsozialisten als „Sammellager" missbrauchten ehemaligen Pathologie des Jüdischen Krankenhauses in der Schulstraße 78 im Berliner Wedding einfinden. Sie wurden am 13. Juli 1944 mit dem sog. „108. Alterstransport" zusammen mit 24 weiteren jüdischen Berlinerinnen und Berlinern ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Hermann wurde von dort am 28. September 1944 mit 2500 Theresienstädter Häftlingen und Margarete am 1. Oktober 1944 mit 1500 Menschen weiter nach Auschwitz verschleppt, wo sich ihre Lebensspur für immer verliert.