Else Nawroth

Location 
Warschauer Straße 67
District
Friedrichshain
Stone was laid
22 March 2014
Born
24 July 1894 in Berlin
Escape into death
26 October 1942 in Berlin

Else Nawroth wurde am 24. Juli 1894 in Berlin geboren. Ihre Mutter Hannchen war Jüdin, ihr Vater Robert Katholik. Sie hatte vier Brüder und eine Schwester. Else Nawroth war unverheiratet, hatte keine Kinder. Anfang der 1930er Jahre zog sie in die elterliche Wohnung in der Warschauer Straße 67, um sich um die kranke und in den letzten Lebensjahren bettlägerige Mutter zu kümmern. Nach deren Tod 1937 blieb sie in der Wohnung und führte dem Vater den Haushalt. Nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 galt sie als Jüdin als ein Mensch „zweiter Klasse“ und verlor damit das Recht auf Arbeit und damit die Möglichkeit, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen.<br />
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Ihre jüngere Schwester Margarethe lebte mit ihrem nichtjüdischen Ehemann und zwei Kindern nur wenige hundert Meter weiter am Warschauer Platz 1. Durch den Schutz der sogenannten „Mischehe“ behielt sie ihre Arbeitsstelle. So kam es, dass Else Nawroth häufig ihren Neffen Werner und ihre Nichte Waltraud beaufsichtigte. Kurz bevor die Mutter von der Arbeit heimkam, wurden die Kinder von ihrer Tante Else gewaschen und „wie Püppchen angezogen“, erinnert sich der 1934 geborene Neffe Werner liebevoll. Ordentlich und vorzeigbar sollten die Kinder aussehen, wenn ihre Mutter nach Hause kam. Darauf legten beide Schwestern, die in einem Modehaus arbeiteten, großen Wert. Dann verabschiedete sich Else Nawroth und lief die Warschauer Straße hoch zu ihrer eigenen Wohnung. Ab September 1939 musste sie bereits um 20 Uhr (im Sommer 21 Uhr) wieder zu Hause sein, da sich Juden nach der „Sperrstunde“ nicht mehr auf der Straße aufhalten durften.<br />
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An einem Abend im Oktober 1942 fiel der Abschied sicher ein wenig inniger aus, dauerte die Umarmung vielleicht etwas länger als sonst. Denn es sollte der letzte Abschied sein. Else Nawroth entschied sich für den Freitod. Der Aufforderung der Gestapo, sich für die Deportation nach Theresienstadt zu melden, wollte sie nicht nachkommen. Auch wenn das Lager in Theresienstadt von den Nationalsozialisten offiziell als „Alterslager“ bezeichnet wurde, fungierte es als „Durchgangslager“ für den Weitertransport in die Vernichtungslager im Osten. Die Reise nach Theresienstadt als „Tor zum Tod“ trat Else Nawroth nicht an, sie verweigerte den Befehl. Ein kleiner Akt des Widerstandes, der großen Mut erforderte. Ihr Vater durfte das Zimmer erst betreten, als die Kriminalpolizei die Untersuchungen abgeschlossen hatte. Ob Else Nawroth einen Abschiedsbrief geschrieben hat, ist nicht bekannt. Wenn es einen gegeben hat, dann verschwand dieser – wie leider häufig – in den Akten der Gestapo und wurde den Angehörigen nicht überreicht. Die letzte offizielle Nennung des Namens von Else Nawroth findet sich in einer Verfügung der Geheimen Staatspolizei „zur Einziehung des Vermögens von Reichsfeinden zu Gunsten des Deutschen Reiches“. Unter Punkt 11 ist „Nawroth, Else Sara“ mit ihrer letzten Anschrift in der Warschauer Straße 67 aufgelistet. Ihre Schwester Margarethe überlebte mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern den Nationalsozialismus. Aber sie verlor ihre „liebe gute Schwester Else“. „Herzzerreißend war der Abschied von meiner einzigen Schwester“, schrieb sie. Auch ihren Bruder Hans verlor sie durch die „braune Pest“. Er wurde im Dezember 1942 in Auschwitz ermordet. Oft sprach Margarethe von ihren Geschwistern, erinnerte sich an gemeinsame Feste, wie Jom Kippur, das jüdische Fest der Versöhnung, das sie gemeinsam mit ihrer „herzensguten Mutter“ begingen.<br />
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Die letzte fotografische Aufnahme von Else Nawroth zeigt sie in ihrer Wohnung in der Warschauer Straße 67: Eine schöne Frau mittleren Alters, hohe Wangenknochen, dunkle Augen und die Frisur im Stil der „Goldenen Zwanziger Jahre“. Die helle Seidenbluse und die glänzenden Strümpfe zeugen von Modebewusstsein und Lebensfreude. Lächelnd blickt sie in die Kamera, vielleicht ein wenig scheu, aber selbstbewusst und zufrieden. Die Nichte Waltraud (Jahrgang 1929) erinnert sich an das Grammophon, welches für Else Nawroth geradezu ein Heiligtum war. Musik hörte sie sehr gern und nachdem die Juden im September 1939 ihre Radioapparate abgeben mussten, war das die einzig verbliebene Quelle für musikalische Abwechslung. Gerade weil sie das Leben liebte und mitten in ihm stand, zog sie den Freitod einem würdelosen, langen und schmerzensreichen Sterben in den Lagern der Nationalsozialisten vor. Nach der Anordnung vom September 1941, den sogenannten „Judenstern“ zu tragen, verloren die Juden den bis dahin noch anonymen Schutz der Großstadt. Mit dem Bescheid zur Deportation erlosch die Hoffnung auf ein Überleben ganz.<br />
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Else Nawroth wusste, was sie nach der Deportation erwarten würde. Ihr Bruder Hans Nawroth war mit einer Nichtjüdin verlobt, weshalb er 1937 wegen „Rassenschande“ verurteilt und in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald inhaftiert wurde. Als er im Konzentrationslager Buchenwald war, hatte sie Kontakt zu ihm. Die Zustände in den Lagern waren ihr also nicht unbekannt.<br />
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Nachdem die Nationalsozialisten auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 konkrete Maßnahmen zur sogenannten „Endlösung“, also der physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, festgelegt hatten, nahmen die Transporte in die Konzentrations- und Vernichtungslager systematisch zu. Ebenso nahmen die Selbsttötungen unter den Juden zu und erreichten ihren zahlenmäßigen Höhepunkt im Jahr 1942. Zu diesen gehörte auch Else Nawroth. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee auf dem Grab ihrer Mutter beigesetzt.

Else Nawroth wurde am 24. Juli 1894 in Berlin geboren. Ihre Mutter Hannchen war Jüdin, ihr Vater Robert Katholik. Sie hatte vier Brüder und eine Schwester. Else Nawroth war unverheiratet, hatte keine Kinder. Anfang der 1930er Jahre zog sie in die elterliche Wohnung in der Warschauer Straße 67, um sich um die kranke und in den letzten Lebensjahren bettlägerige Mutter zu kümmern. Nach deren Tod 1937 blieb sie in der Wohnung und führte dem Vater den Haushalt. Nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 galt sie als Jüdin als ein Mensch „zweiter Klasse“ und verlor damit das Recht auf Arbeit und damit die Möglichkeit, für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen.

Ihre jüngere Schwester Margarethe lebte mit ihrem nichtjüdischen Ehemann und zwei Kindern nur wenige hundert Meter weiter am Warschauer Platz 1. Durch den Schutz der sogenannten „Mischehe“ behielt sie ihre Arbeitsstelle. So kam es, dass Else Nawroth häufig ihren Neffen Werner und ihre Nichte Waltraud beaufsichtigte. Kurz bevor die Mutter von der Arbeit heimkam, wurden die Kinder von ihrer Tante Else gewaschen und „wie Püppchen angezogen“, erinnert sich der 1934 geborene Neffe Werner liebevoll. Ordentlich und vorzeigbar sollten die Kinder aussehen, wenn ihre Mutter nach Hause kam. Darauf legten beide Schwestern, die in einem Modehaus arbeiteten, großen Wert. Dann verabschiedete sich Else Nawroth und lief die Warschauer Straße hoch zu ihrer eigenen Wohnung. Ab September 1939 musste sie bereits um 20 Uhr (im Sommer 21 Uhr) wieder zu Hause sein, da sich Juden nach der „Sperrstunde“ nicht mehr auf der Straße aufhalten durften.

An einem Abend im Oktober 1942 fiel der Abschied sicher ein wenig inniger aus, dauerte die Umarmung vielleicht etwas länger als sonst. Denn es sollte der letzte Abschied sein. Else Nawroth entschied sich für den Freitod. Der Aufforderung der Gestapo, sich für die Deportation nach Theresienstadt zu melden, wollte sie nicht nachkommen. Auch wenn das Lager in Theresienstadt von den Nationalsozialisten offiziell als „Alterslager“ bezeichnet wurde, fungierte es als „Durchgangslager“ für den Weitertransport in die Vernichtungslager im Osten. Die Reise nach Theresienstadt als „Tor zum Tod“ trat Else Nawroth nicht an, sie verweigerte den Befehl. Ein kleiner Akt des Widerstandes, der großen Mut erforderte. Ihr Vater durfte das Zimmer erst betreten, als die Kriminalpolizei die Untersuchungen abgeschlossen hatte. Ob Else Nawroth einen Abschiedsbrief geschrieben hat, ist nicht bekannt. Wenn es einen gegeben hat, dann verschwand dieser – wie leider häufig – in den Akten der Gestapo und wurde den Angehörigen nicht überreicht. Die letzte offizielle Nennung des Namens von Else Nawroth findet sich in einer Verfügung der Geheimen Staatspolizei „zur Einziehung des Vermögens von Reichsfeinden zu Gunsten des Deutschen Reiches“. Unter Punkt 11 ist „Nawroth, Else Sara“ mit ihrer letzten Anschrift in der Warschauer Straße 67 aufgelistet. Ihre Schwester Margarethe überlebte mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern den Nationalsozialismus. Aber sie verlor ihre „liebe gute Schwester Else“. „Herzzerreißend war der Abschied von meiner einzigen Schwester“, schrieb sie. Auch ihren Bruder Hans verlor sie durch die „braune Pest“. Er wurde im Dezember 1942 in Auschwitz ermordet. Oft sprach Margarethe von ihren Geschwistern, erinnerte sich an gemeinsame Feste, wie Jom Kippur, das jüdische Fest der Versöhnung, das sie gemeinsam mit ihrer „herzensguten Mutter“ begingen.

Die letzte fotografische Aufnahme von Else Nawroth zeigt sie in ihrer Wohnung in der Warschauer Straße 67: Eine schöne Frau mittleren Alters, hohe Wangenknochen, dunkle Augen und die Frisur im Stil der „Goldenen Zwanziger Jahre“. Die helle Seidenbluse und die glänzenden Strümpfe zeugen von Modebewusstsein und Lebensfreude. Lächelnd blickt sie in die Kamera, vielleicht ein wenig scheu, aber selbstbewusst und zufrieden. Die Nichte Waltraud (Jahrgang 1929) erinnert sich an das Grammophon, welches für Else Nawroth geradezu ein Heiligtum war. Musik hörte sie sehr gern und nachdem die Juden im September 1939 ihre Radioapparate abgeben mussten, war das die einzig verbliebene Quelle für musikalische Abwechslung. Gerade weil sie das Leben liebte und mitten in ihm stand, zog sie den Freitod einem würdelosen, langen und schmerzensreichen Sterben in den Lagern der Nationalsozialisten vor. Nach der Anordnung vom September 1941, den sogenannten „Judenstern“ zu tragen, verloren die Juden den bis dahin noch anonymen Schutz der Großstadt. Mit dem Bescheid zur Deportation erlosch die Hoffnung auf ein Überleben ganz.

Else Nawroth wusste, was sie nach der Deportation erwarten würde. Ihr Bruder Hans Nawroth war mit einer Nichtjüdin verlobt, weshalb er 1937 wegen „Rassenschande“ verurteilt und in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald inhaftiert wurde. Als er im Konzentrationslager Buchenwald war, hatte sie Kontakt zu ihm. Die Zustände in den Lagern waren ihr also nicht unbekannt.

Nachdem die Nationalsozialisten auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 konkrete Maßnahmen zur sogenannten „Endlösung“, also der physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, festgelegt hatten, nahmen die Transporte in die Konzentrations- und Vernichtungslager systematisch zu. Ebenso nahmen die Selbsttötungen unter den Juden zu und erreichten ihren zahlenmäßigen Höhepunkt im Jahr 1942. Zu diesen gehörte auch Else Nawroth. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee auf dem Grab ihrer Mutter beigesetzt.