Betty Schlesinger

Location 
Bartningallee 3
District
Moabit
Stone was laid
23 May 2014
Born
17 April 1933 in Berlin
Deportation
on 09 December 1942 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Betty Schlesinger wurde am 17. April 1933 in Berlin geboren. Sie war die Tochter des Lehrers und Schuldirektors Dr. Nachman Schlesinger (*1883 in Hamburg) und dessen Ehefrau Käthe Schlesinger, geborene Bauer (*1898 in Hamburg). Ihre Mutter stammte aus einer wohlhabenden Hamburger Familie; ihr Vater aus einer Hamburger Lehrer- und Kaufmannsfamilie. Bettys Vater hatte an der Universität Berlin studiert und promoviert, ab Ende der 1900er-Jahre die Tachkemoni-Mittelschule in Jaffa geleitet und Ende der 1910er-Jahre einen Rektorenposten in Kaunas bekleidet. Anfang der 1920er-Jahre war er von der Israelitischen Synagogen-Gemeinde Adass Jisroel nach Berlin berufen worden, wo er das dortige Schulwerk der Gemeinde mitaufbaute. 1923 hatten Bettys Eltern geheiratet und sich nach der Hochzeit einen gemeinsamen Haushalt in Berlin eingerichtet, wo zwischen 1924 und 1934 neben Betty auch deren acht Geschwister zur Welt kamen: Ihre älteren Geschwister David (*1924), Hanna (*1924), Martin (*1926), Fanny (*1927), Rosa (*1929), Samuel (*1930) und Rahel (*1931) sowie ihr jüngerer Bruder Michael (*1934). Die Familie bewohnte Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre eine Wohnung in der Levetzowstraße 16a in Moabit unweit der Synagoge der Jüdischen Gemeinde. 1933/1934 zogen die Schlesingers in eine Sechseinhalbzimmer-Wohnung in der Wullenweberstraße 4–5 und 1938 schließlich in eine Wohnung in der Lessingstraße 13 (heutige Bartningallee 3) im Hansaviertel.

Spätere Berichte von Bekannten der Familie, die in der Entschädigungsakte enthalten sind, vermitteln einen groben Eindruck von der Familienwohnung in der Wullenweberstraße zur Zeit der Weimarer Republik. So war die Wohnung im Berliner Westen nach übereinstimmenden Berichten gutbürgerlich eingerichtet. Zur Unterstützung bei der Kindesbetreuung halfen Kindermädchen, im Esszimmer befand sich ein Klavier, an dem musiziert wurde, ganz besonderen Eindruck machte aber die Bibliothek von Nachman Schlesinger im Herrenzimmer mit mehr als 2000 Werken – darunter seltenen Judaica, Hebraica, eine große Sammlung deutscher Klassiker sowie französische und englische Fachliteratur. Die mit der Familie befreundete Oberschullehrerin Rahel Lehmann berichtete: „Die Bibliothek umfasste die Wände des großen Herrenzimmers bis hoch hinauf an die Decke. Dieses Zimmer war sein [Dr. Schlesingers] Heiligtum. Doch immer bewunderte ich im Hause Schlesinger die geistige Atmosphäre, die auch durch die feinsinnige Gattin des Verstorbenen geschaffen wurde.“ Dr. Schlesinger war mit Pädagogen wie Joseph Carlebach (1883–1942) und Leo Deutschländer (1889–1935) einer der wichtigsten deutsch-(neo-)orthodoxen Lehrer seiner Zeit und die Verbindung von traditionellem Judentum und moderner weltlicher Zugewandtheit („Torah im Derech Eretz“-Ideal), der Verbindung von Religiosität, akademischer Bildung und deutsch-jüdischer Identität prägte Bettys Elternhaus. In den 1930er-Jahren besuchte Betty noch für kurze Zeit das Schulwerk der Gemeinde Adass Jisroel am Siegmundshof im Tiergarten (Grund- und Volksschule sowie Gymnasium und Lyzeum), an deren Volksschule ihr Vater als Oberlehrer Mathematik und Naturwissenschaften unterrichtet und ab 1930 die Leitung des dortigen Reformrealgymnasiums und des Oberlyzeums als Rektor übernommen hatte.

Betty Schlesinger wurde in eine Gesellschaft geboren, in der sie als Tochter jüdischer Eltern verfolgt wurde und in der die Angehörigen der Familie Schlesinger schrittweise Entrechtung und Verfolgung erlebten. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Betty und ihre Geschwister erfuhren als Heranwachsende Rassismus und antijüdische Gesetze unmittelbar in der NS-Bildungspolitik: Bereits im April 1933 war ihnen mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ ein künftiger Zugang zu höheren Bildungszweigen versperrt worden. Das Schulwerk der Gemeinde Adass Jisroel, an dem ihr Vater Rektor war, und andere Bildungswerke Jüdischer Gemeinden übernahmen vermehrt die Funktion von Schutzräumen in einer feindlichen Umgebung und bereiteten die Schüler auf Emigration und ein Leben im Exil vor. Ob auch die Schlesingers mit ihren Kindern in den 1930er-Jahren Pläne verfolgten, aus Deutschland zu entkommen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Nach der erzwungenen Schließung der Schulen von Adass Jisroel im März 1939 wechselte Betty im Oktober 1939 an eine Schule der Jüdischen Gemeinde, wo sie formal bis April 1942 angemeldet war. Ihr Vater, der mit den Schulschließungen seinen Posten als Direktor verloren hatte, fand noch eine Anstellung als einfache Lehrkraft an der Oberschule der jüdischen Religionsgemeinde in Berlin. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Familienmitglieder in Berlin zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation : Nachdem auch die Oberschule der Jüdischen Gemeinde im Juli 1942 geschlossen worden war, erkrankte Bettys Vater schwer. Er wurde im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße 2 behandelt. Von dort wurde der Schwerkranke am 5. Dezember 1942 auf einer Trage in die Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße 26 verschleppt. Betty Schlesinger, ihre Mutter Käthe und ihre acht Geschwister mussten drei Tage später, am 8. Dezember 1942, ihre Wohnung verlassen. Sie wurden ebenfalls zunächst in der Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße interniert. Von dort aus wurden alle elf Familienmitglieder am 9. Dezember 1942 mit dem „24. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Betty Schlesinger war zum Zeitpunkt der Deportation neun Jahre alt.