Doris Michaelis

Location 
Albrechtstraße 12
District
Mitte
Stone was laid
20 October 2014
Born
04 February 1896 in Zittau
Deportation
on 29 June 1943 to Theresienstadt
Later deported
on 12 October 1944 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Doris Michaelis wurde am 4. Februar 1896 im sächsischen Zittau geboren. Sie war die jüngste Tochter des Kaufmanns und Geschäftsinhabers Albert Michaelis und von dessen Ehefrau Mathilde Michaelis. Doris hatte fünf Geschwister: Ihre Schwestern Martha, Anna und Bianka waren 1874, 1875 und 1886 in Zittau geboren worden; ihre Brüder Paul und John in den Jahren 1881 und 1887. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Doris und ihren Geschwistern im Zittau der Kaiserzeit haben sich so gut wie keine Informationen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt, zu der zum Zeitpunkt von Doris’ Geburt etwa 140 der rund 25000 Einwohner zählten. Ab 1865 hatten sich die ersten jüdischen Familien wieder in Zittau niedergelassen, nachdem eine mittelalterliche Ansiedlung aufgelassen worden war, und 1880 die neuzeitliche israelitische Gemeinde in Zittau gegründet. Doris Eltern müssen zu dieser ersten Generation jüdischer Einwohner in Zittau gehört haben. Albert Michaelis hatte 1871 ein Bekleidungsgeschäft am Rathausplatz in der Zittauer Innenstadt gegründet. Um die Jahrhundertwende war sein Geschäft in der Böhmischen Straße 11 (heutige Johannisstraße) ansässig. In den 1910er-Jahren führte er neben einem Textilgeschäft für Weißstickerei und Schürzen in der Brüderstraße 11 auch ein Getreidekommissionsgeschäft, zu dessen Geschäftsbereich auch Heu- und Strohexporte gehörten. Zwischen 1913 und 1918 übergab er die Weißstickerei an seine Frau Mathilde und, nachdem er sich zwischen 1918 und 1921 zur Ruhe gesetzt hatte, übernahm sein Sohn John den Betrieb in der Brüderstraße als Getreide-, Kartoffel und Sämereigroßhandlung. Außerdem führte die Familie in der Zeit der Weimarer Republik noch eine Mehl- und Brothandlung in der Böhmischen Straße 30. Die Familie Michaelis zählte zum gehobenen Mittelstand Zittaus; die Töchter besuchten örtliche Schulen, die Söhne absolvierten kaufmännische und handwerkliche Ausbildungen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ging Doris Michaelis eine Beziehung ein, aus der ihre Tochter Eva hervorging, die am 2. Dezember 1921 in Zittau zur Welt kam. Über den Vater haben sich in den vorliegenden Quellen keine Informationen erhalten. Sein Name und sein weiteres Schicksal sind unbekannt. In den 1920er-Jahren starben Doris’ Mutter 1924 und ihr Vater 1928 in Zittau. Sie wurden auf dem Jüdischen Friedhof Zittau in der Görlitzer Straße 67 bestattet. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben von Doris Michaelis und ihrer Tochter im Zittau der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Doris Michaelis und ihre Tochter. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Bildungs- und Berufsleben. Gesetze und Sondererlasse drängten die Angehörigen der Familie Michaelis zunehmend in die Position von Rechtlosen im eigenen Land. 1935 zog Doris Michaelis mit Eva nach Berlin. Möglicherweise versprach sie sich von der Anonymität der Großstadt einen besseren Schutz für sich und ihre Tochter und hoffte den antisemitischen Verfolgungen in Berlin besser entgehen zu können. Sie bezogen eine Einzimmerwohnung in der dritten Etage der Albrechtstraße 12 in Mitte unweit des Spreeufers. Doris fand in der Hauptstadt eine Beschäftigung als Kanzleiangestellte und war als solche zwischen 1936 und 1939 tätig, bevor sie ihre Anstellung verlor. Im Berliner Adressbuch von 1940 wurde sie noch als Aufwärterin (Hausangestellte) geführt. Nachdem sie auch diese Stellung verlor, wurde sie zu Zwangsarbeit herangezogen: Zuletzt als Arbeiterin im Reichsbahnbetriebswerk am Stettiner Bahnhof (heutiger Nordbahnhof). Spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde das Leben für Doris Michaelis in Berlin zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnte sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdischen Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Doris Michaelis erhielt den Deportationsbescheid im Sommer 1943. Sie wurde im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert und von dort am 29. Juni 1943 mit dem „92. Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Die 47-Jährige überstand die unmenschlichen Bedingungen im Ghetto mehr als ein Jahr, bevor sie am 12. Oktober 1944 weiter in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft – ermordet wurde.

Doris’ Tochter Eva überlebte die NS-Verfolgung. Sie galt nach den rassistischen Kategorien der Nürnberger Gesetze als „Mischling ersten Grades“. Doris’ Bruder Paul Michaelis hatte in den 1930er-Jahren in Bautzen gelebt. Er wurde am 21. Januar 1942 in das Ghetto Riga deportiert, am 9. August 1944 weiter in das Konzentrationslager Stutthof verschleppt und von dort am 13. August 1944 in das KZ Buchenwald, wo er ermordet wurde. John Michaelis wurde 1938 verhaftet, im Konzentrationslager Dachau interniert und kam 1939 in das Untersuchungsgefängnis George-Bähr-Straße in Dresden. Im Mai 1943 wurde er erneut inhaftiert und am 28. Oktober 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo er ermordet wurde. Bianka Michaelis, verheiratete Singer, war in den 1930er-Jahren mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn nach Wigandsthal (heutiges Pobiedna in Polen) gezogen. Sie wurde im Mai 1942 in das Ghetto Lublin deportiert und entweder dort oder in einem der östlichen Vernichtungslager ermordet. In jedem Fall gehörte sie nicht zu den wenigen Überlebenden von Lublin. Doris’ Schwestern Martha Michaelis, verheiratete Peckel, und Anna Michaelis, verheiratete Völker, überlebten die NS-Verfolgung in sogenannten „privilegierten Mischehen“.