Irene Wolfsohn

Location 
Prager Platz 4
District
Wilmersdorf
Stone was laid
27 August 2014
Born
16 April 1922 in Berlin
Deportation
on 19 April 1943 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Irene Wolfsohn wurde am 16. April 1922 in Berlin geboren. Ihre Mutter Hilda starb einen Tag nach ihrer Geburt. Irene wuchs bei ihrem Vater und der Familie ihrer Mutter am Prager Platz 4 auf. Als sie drei Jahre alt war, heiratete der Vater erneut, drei Jahre später kam ihr Halbbruder Alfred zur Welt.<br />
<br />
Ihre Tante Käthe Rosenbaum (später Russell), die mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen auch am Prager Platz wohnte, hatte ein enges Verhältnis zu ihrer Nichte, der Tochter ihrer verstorbenen engsten Freundin und Schwägerin. Als sie 1933 ihre beiden Söhne über Schweden nach England schickte und 1938 selbst nach London emigrierte, hätte sie ihre Nichte Irene gern mit nach England genommen, aber das wollte wohl der Vater nicht.<br />
<br />
Käthe Rosenbaum hat später immer wieder von ihrer Nichte und deren traurigem Ende erzählt, was schließlich dazu führte, dass die überlebenden Verwandten Nachforschungen betrieben und Stolpersteine für die Familie Wolfsohn legen ließen.<br />
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Irene war vom 25. Juli 1941 bis zu ihrer Deportation im April 1943 im Landwerk Neuendorf, einem Ausbildungslager der Hachschara-Bewegung, wo junge jüdische Frauen und Männer für die Ausreise nach Palästina vorbereitet wurden. In der Vermögenserklärung wird sie als Fremdsprachenkorrespondentin und Gartenarbeiterin genannt, sie arbeitete in dieser Zeit beim Gartenbau Lehmpfuhl in Fürstenwalde.<br />
<br />
Im April 1943 wurde Irene zusammen mit den letzten Mitstreitern und Mitstreiterinnen aus dem Landwerk Neuendorf nach Berlin in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße gebracht und von dort am 19. April 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ihre Familie hat sie nicht mehr wiedergesehen.<br />
<br />
Trotz dieses schrecklichen und traurigen Endes war es möglicherweise tröstlich, dass sie bis zum Ende mit den Freundinnen und Freunden aus Neuendorf zusammen war.<br />
<br />
Anneliese Ora-Borinski, eine der Überlebenden aus den Landwerken Ahrendsdorf und Neuendorf beschreibt in ihren Erinnerungen, wie stark diese Gruppe in dem Sammellager in der Großen Hamburger Straße wirkte:<br />
<br />
„Seltsame Atmosphäre, die in diesem Haus herrscht. Mischung von hoffnungsloser Verzweiflung und ein wenig Sarkasmus, von einem letzten Auflodern des Lebenwollens, und einer Begierde, noch einmal alles auszukosten, was dieses Leben bieten konnte. Eine Art »Zauberberg«. Und dazwischen stehen jetzt wir, mit unserer vielleicht ein wenig zu bewußt zur Schau getragenen Kraft und Sicherheit und unserem Wohlgerüstet-Sein. Am Morgen machen wir unseren Appell auf dem Flur, die Kommandos schallen durchs Haus. Wir machen Frühsport, nachdem wir die Erlaubnis dazu von dem für uns verantwortlichen SS-Chef bekommen haben, in dem kleinen Garten, der zum Haus gehört. – In dem wir außerdem jeden Tag eine halbe Stunde, zwei und zwei hintereinander, spazieren gehen dürfen. Und an dem angrenzend der kleine, alte Friedhof liegt, in dem sich das Grab Moses Mendelsohns befindet. – Es mutet einen an wie eine Art tragischer Ironie. Einmal machen wir dort unten auch einen ganz offiziellen Singkreis, wir singen unsere Lieder und die Gestapo hört zu, und wenn sie es verstehen, dann lächeln sie vielleicht über diese Toren, die in dieser Situation singen: »Wir formen ein neues, starkes Geschlecht! Wir fordern die jüdische Ehre! Wir kämpfen für Freiheit, Gleichheit und Recht!«. Und Abend für Abend sitzen wir eng nebeneinander auf unserem Gang und singen. – Manche von den anderen kommen dazu und hören mit. ... Auf unsere Chewrah wirkt die Atmosphäre der Großen Hamburger Straße in eigener Weise. – Man ist weicher, vertrauter, offener, einer dem anderen gegenüber. Vieles wurde gesagt, was im alltäglichen Leben aus Scham – oder auch nur aus Mangel an Zeit – nicht ausgesprochen war. – Das war gut so, denn es band uns noch fester.“<br />
<br />
Am Freitag feierten sie den letzten Schabbath in der Großen Hamburger Straße, Montag sollte sie abgeholt werden. Sie rezitierten einen Sprechchor aus Neuendorf, beschwörten das Überleben. „Wir sind die Letzten hier und müssen überstehen, soll unsere Jugend nicht sinnlos verloren gehen!“ Es war Irene Wolfsohns 21. Geburtstag.<br />
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zitiert aus: Anneliese Ora-Borinski, Erinnerungen 1940 – 1943, Kwuzat Maayan-Zwi, Israel 1970

Irene Wolfsohn wurde am 16. April 1922 in Berlin geboren. Ihre Mutter Hilda starb einen Tag nach ihrer Geburt. Irene wuchs bei ihrem Vater und der Familie ihrer Mutter am Prager Platz 4 auf. Als sie drei Jahre alt war, heiratete der Vater erneut, drei Jahre später kam ihr Halbbruder Alfred zur Welt.

Ihre Tante Käthe Rosenbaum (später Russell), die mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen auch am Prager Platz wohnte, hatte ein enges Verhältnis zu ihrer Nichte, der Tochter ihrer verstorbenen engsten Freundin und Schwägerin. Als sie 1933 ihre beiden Söhne über Schweden nach England schickte und 1938 selbst nach London emigrierte, hätte sie ihre Nichte Irene gern mit nach England genommen, aber das wollte wohl der Vater nicht.

Käthe Rosenbaum hat später immer wieder von ihrer Nichte und deren traurigem Ende erzählt, was schließlich dazu führte, dass die überlebenden Verwandten Nachforschungen betrieben und Stolpersteine für die Familie Wolfsohn legen ließen.

Irene war vom 25. Juli 1941 bis zu ihrer Deportation im April 1943 im Landwerk Neuendorf, einem Ausbildungslager der Hachschara-Bewegung, wo junge jüdische Frauen und Männer für die Ausreise nach Palästina vorbereitet wurden. In der Vermögenserklärung wird sie als Fremdsprachenkorrespondentin und Gartenarbeiterin genannt, sie arbeitete in dieser Zeit beim Gartenbau Lehmpfuhl in Fürstenwalde.

Im April 1943 wurde Irene zusammen mit den letzten Mitstreitern und Mitstreiterinnen aus dem Landwerk Neuendorf nach Berlin in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße gebracht und von dort am 19. April 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ihre Familie hat sie nicht mehr wiedergesehen.

Trotz dieses schrecklichen und traurigen Endes war es möglicherweise tröstlich, dass sie bis zum Ende mit den Freundinnen und Freunden aus Neuendorf zusammen war.

Anneliese Ora-Borinski, eine der Überlebenden aus den Landwerken Ahrendsdorf und Neuendorf beschreibt in ihren Erinnerungen, wie stark diese Gruppe in dem Sammellager in der Großen Hamburger Straße wirkte:

„Seltsame Atmosphäre, die in diesem Haus herrscht. Mischung von hoffnungsloser Verzweiflung und ein wenig Sarkasmus, von einem letzten Auflodern des Lebenwollens, und einer Begierde, noch einmal alles auszukosten, was dieses Leben bieten konnte. Eine Art »Zauberberg«. Und dazwischen stehen jetzt wir, mit unserer vielleicht ein wenig zu bewußt zur Schau getragenen Kraft und Sicherheit und unserem Wohlgerüstet-Sein. Am Morgen machen wir unseren Appell auf dem Flur, die Kommandos schallen durchs Haus. Wir machen Frühsport, nachdem wir die Erlaubnis dazu von dem für uns verantwortlichen SS-Chef bekommen haben, in dem kleinen Garten, der zum Haus gehört. – In dem wir außerdem jeden Tag eine halbe Stunde, zwei und zwei hintereinander, spazieren gehen dürfen. Und an dem angrenzend der kleine, alte Friedhof liegt, in dem sich das Grab Moses Mendelsohns befindet. – Es mutet einen an wie eine Art tragischer Ironie. Einmal machen wir dort unten auch einen ganz offiziellen Singkreis, wir singen unsere Lieder und die Gestapo hört zu, und wenn sie es verstehen, dann lächeln sie vielleicht über diese Toren, die in dieser Situation singen: »Wir formen ein neues, starkes Geschlecht! Wir fordern die jüdische Ehre! Wir kämpfen für Freiheit, Gleichheit und Recht!«. Und Abend für Abend sitzen wir eng nebeneinander auf unserem Gang und singen. – Manche von den anderen kommen dazu und hören mit. ... Auf unsere Chewrah wirkt die Atmosphäre der Großen Hamburger Straße in eigener Weise. – Man ist weicher, vertrauter, offener, einer dem anderen gegenüber. Vieles wurde gesagt, was im alltäglichen Leben aus Scham – oder auch nur aus Mangel an Zeit – nicht ausgesprochen war. – Das war gut so, denn es band uns noch fester.“

Am Freitag feierten sie den letzten Schabbath in der Großen Hamburger Straße, Montag sollte sie abgeholt werden. Sie rezitierten einen Sprechchor aus Neuendorf, beschwörten das Überleben. „Wir sind die Letzten hier und müssen überstehen, soll unsere Jugend nicht sinnlos verloren gehen!“ Es war Irene Wolfsohns 21. Geburtstag.

zitiert aus: Anneliese Ora-Borinski, Erinnerungen 1940 – 1943, Kwuzat Maayan-Zwi, Israel 1970