Julie Goldstein née Mendelsohn

Location 
Thomasiusstraße 5
District
Moabit
Stone was laid
08 August 2014
Born
12 January 1877 in Sorau / Żary
Deportation
on 19 May 1943 to KZ Theresienstadt
Survived

Julie Mendelsohn wurde am 12. Januar 1877 in Sorau (dem heutigen Żary in Polen) geboren. Sie war die Tochter des Kaufmanns Hermann Mendelsohn (1848–1931) und von dessen Ehefrau Jenny Mendelsohn, geborene Brie (1844–1924). Ihr Vater stammte aus der brandenburgischen Ortschaft Lausitz (heute eingemeindeter Ortsteil von Bad Liebenwerda), ihre Mutter aus der Stadt Rawitsch aus der damaligen Provinz Posen (dem heutigen Rawicz). 1874 hatten ihre Eltern geheiratet und sich in Sorau niedergelassen, wo 1875 mit Max Mendelsohn ein älterer Bruder von Julie zur Welt kam. 1878 wurde Ludwig Mendelsohn in Lausitz geboren und 1881 kam schließlich Julies jüngster Bruder Martin Mendelsohn zur Welt. In den 1880er-Jahren lebte die Familie in der Innenstadt an der Adresse Marktplatz Nr. 8. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Julie Mendelsohn und ihren Geschwistern im Sorau der Kaiserzeit geben könnten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur kleinen jüdischen Gemeinde des Ortes, zu der um das Jahr 1880 etwa 150 der knapp 14.000 Einwohner zählten.

Über die schulische und berufliche Ausbildung von Julie Mendelsohn haben sich keine Zeugnisse erhalten. Spätestens um die Jahrhundertwende ist die Familie Mendelsohn nach Berlin gezogen, wo Julie 1902 den aus Kiel stammenden Kaufmann Israel Georg Goldstein heiratete. Der im Dezember 1875 geborene Sohn von Hermann Heinrich Goldstein und Maria Goldstein, geborene Prinz, war ein Jahr älter als Julie und arbeitete in Berlin als Expedient (kaufmännischer Angestellter). Nach der Hochzeit bezogen Georg und Julie Goldstein eine Wohnung in der Zehdenicker Straße 20 in Berlin-Mitte, wo am 6. Juni 1903 ihr Sohn Siegbert zur Welt kam. In den 1900er-Jahren heirateten auch Julies Brüder Max und Ludwig Mendelsohn in Berlin: Max ehelichte 1904 die zehn Jahre jüngere Berlinerin Gertrud Mendelsohn; Ludwig Mendelsohn, der sich nach seinem Medizinstudium als praktizierender Arzt in Berlin niedergelassen hatte, heiratete 1909 die Krankenschwester Käthe Marie Henriette Kiesau. 1912 kam Julies Neffe Ernst Albrecht in Berlin zu Welt und im Juli 1913 folgten die Zwillinge Elistreva Lisbeth Thea und Hans Simon Mendelsohn. Julies Bruder Martin blieb ledig und wohnte in der elterlichen Wohnung in Alt-Moabit 84b im Westfälischen Viertel, bis die Eltern – Jenny im Jahr 1924 und Hermann im Jahr 1931 – verstarben. In den 1920er-Jahren wurde Martin Mendelsohn, der eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen hatte, Mitinhaber des Engros-Warengeschäfts für Seidenbänder und Seidenstoffe „Gerson Krotowski“ in der Krausenstraße 19/20.

Julie Goldstein zog mit ihrem Mann und ihrem Sohn 1911/1912 in eine Wohnung im Nachbarhaus ihrer Eltern in Alt-Moabit 83b. Ende des Ersten Weltkriegs erkrankte ihr Ehemann schwer. Er wurde im Jüdischen Krankenhaus an der Exerzierstraße (heute Iranische Straße) behandelt, wo er am 23. Dezember 1918 im Alter von 42 Jahren verstarb. Die verwitwete Julie Goldstein lebte in den folgenden Jahren alleinerziehend mit ihrem Sohn Siegbert in Berlin. Siegbert Goldstein begann nach seinem Abitur ein Rechtsstudium, promovierte und wurde in der Weimarer Republik Referendar und Assessor in Berlin. Zuletzt wurde er als Hilfsrichter an das Amtsgericht II Berlin berufen. Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten, die einen Einblick in das Leben von Julie Goldstein und ihrem Sohn im Berlin der Weimarer Republik geben können.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Julie Goldstein und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. 1933 wurde Julies Sohn mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 als „Beamter nicht arischer Abstammung“ aus dem Staatsdienst entlassen. Er übernahm in den 1930er-Jahren die Leitung der Schlichtungsstelle der Berliner Jüdischen Gemeinde. 1938 zogen Julie und Siegbert Goldstein mit Julies Bruder Martin zusammen in eine Sechseinhalb-Zimmer-Wohnung in der Thomasiusstraße 5 in Moabit. Laut Aufzeichnungen von Julie war Martin Mendelsohn in den 1930er-Jahren gezwungen, die Lagerbestände seines Geschäftes zu verschleudern und nach den Pogromen im Juni und November 1938 musste er das Unternehmen schließlich zwangsweise verkaufen. Er trat daraufhin eine Stelle als Verwaltungsangestellter der Reichsvereinigung der Juden an. Ende 1938 wurde Martin Mendelsohn verhaftet und von November bis zum 22. Dezember 1938 als Häftling im KZ Sachsenhausen interniert. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Angehörigen der Familie Goldstein/Mendelsohn zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Im Oktober 1942 mussten Julie Goldstein, ihr Sohn und ihr Bruder auf behördliche Weisung hin noch einmal umziehen. Sie zogen in eine Wohnung in der vierten Etage der Tile-Wardenberg-Straße 26a, die sie zusammen mit zwei jüdischen Untermietern bewohnten.

Der Entrechtung folgten die Deportationen: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Vorfeld der „Gemeindeaktion“, bei der Hunderte Gemeindemitarbeiter am 26. Oktober 1942 in das Ghetto Riga deportiert werden sollten, hatte der Vorstand den Aufenthalt von 20 Personen nicht ermitteln und der Gestapo mitteilen können. Daraufhin drangen im November 1942 Gestapobeamte in die Büroräume von Siegbert Goldstein ein und verhafteten ihn zusammen mit 17 anderen Gemeindebeamten als Geiseln für den Vorstand der Berliner Jüdischen Gemeinde. Im Dezember 1942 wurde Julie Goldstein informiert, dass ihr Sohn am 3. Dezember 1942 zusammen mit sieben anderen Geiseln in Lichterfelde erschossen worden war. Julie lebte mit ihrem Bruder Martin noch bis ins Frühjahr 1943 in Berlin, bevor sie den Deportationsbescheid erhielten und in einem der Berliner Sammellager interniert wurden. Am 19. Mai 1943 wurden sie mit dem „89. Alterstransport“ zusammen aus Berlin in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Martin Mendelsohn überlebte die unmenschlichen Bedingungen in Theresienstadt fast ein Jahr, bevor er am 17. Februar 1944 im Ghetto ermordet wurde – entweder infolge direkter oder indirekter Gewalteinwirkung mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlichen Misshandlungen. Julie Goldstein erlebte die Befreiung des Ghettos durch die Rote Armee am 8. Mai 1945. Sie kam danach in das bayerische Lager Winzer und Deggendorf für Displaced Persons (DP) und emigrierte 1946 in die USA, wo ihr Bruder Ludwig Mendelsohn lebte. Ludwig hatte bis 1933 als Leiter der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge im Wedding gearbeitet. Nach seiner Entlassung im April 1933 hatte er noch eine Privatpraxis in Berlin geführt, bevor ihm 1938 die Approbation entzogen worden war. 1941 war er mit seiner Ehefrau und seinen Kindern über Portugal nach Argentinien geflohen, von wo aus er 1945 in die USA emigrierte. Julies älterer Bruder Max Mendelsohn, der nach NS-Kategorien in „Mischehe“ mit seiner nichtjüdischen Ehefrau Gertrud Mendelsohn gelebt hatte, war unter nicht näher bekannten Umständen am 25. November 1941 in Berlin verstorben.