Amalie Bier née Kanaretz

Location 
Fasanenstraße 33
District
Wilmersdorf
Stone was laid
16 June 2016
Born
08 March 1885 in Rzeszów (Galizien)
Deportation
on 24 September 1942 to Theresienstadt
Later deported
on 19 October 1944 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Gottlieb Bier kam am 8. Juni 1878 in Frankfurt am Main als Sohn von Maximilian und Augusta Bier, geb. Heß, zur Welt. Gottlieb hatte sieben Brüder: Eduard, Wilhelm Benjamin, Natan (genannt Netty), Siegfried Max, Guido, Ludwig Max und Julius Max. Vier der Brüder Bier, nämlich Julius, Guido, Ludwig und Gottlieb waren in Berlin beruflich eng miteinander verbunden. Sie alle waren Teilhaber der „Julius M. Bier A.G“. In einem 1925 geschlossenen Konsistorialvertrag regelten sie nicht nur detailliert die geschäftlichen Grundlagen und die Einbindung weiterer Familienmitglieder in die Aktiengesellschaft, als Mitglieder der Israelitischen Adass Jisroel Synagogengemeinde legten sie auch fest: „jede Geschäftstätigkeit an Samstagen, sowie an israelitischen Feiertagen hat, entsprechend dem orthodoxen israelitischen Ritus bei den Teilnehmern selbst, wie bei den Angestellten zu unterbleiben.“<br />
Gottlieb Bier war selbstständiger Immobilienmakler und Direktor der Maklerfirma „Julius M. Bier A.G.“. Diese hatte ihren Sitz in der Leipziger Straße 26. Gottlieb war ebenfalls einer der Haupt- und Mitbeteiligten am Bier-Konzern, zu dem 14 Grundstücksverwaltungs- und Mietgesellschaften zählten. Sein Jahreseinkommen war dementsprechend hoch.<br />
Am 15. Dezember 1910 heiratete Gottlieb Bier die am 8. März 1885 im galizischen Rzeszów geborene Amalie Kanarek. Amalies Eltern hießen Feisach und Bliema, geb. Gertler. Zu Amalies Geburtsjahr – in einigen Dokumenten steht 1887 – und der Schreibweise ihrer Elternnamen gibt es unterschiedliche Angaben.<br />
Zunächst wohnte das Ehepaar Bier in der Pfalzburger Straße 88. Dort wurden auch ihre Kinder geboren, am 25. Juli 1911 Eliese Sophie, am 7. Februar 1913 Maximilian Julius (Max) und am 7. Januar 1916 Paula Ruth. Das vierte Kind Paul starb 1918, noch im Jahr seiner Geburt. 1920 wohnten die Biers schon in der Fasanenstraße 32. Diese Adresse sollte ihr langjähriges Zuhause werden. Das Haus wurde im Krieg zerstört, an seiner Stelle steht heute ein Neubau mit der Nummer 33.<br />
Amalie und Gottlieb waren Mitglieder der orthodoxen Adass Jisroel Synagogengemeinde. Gottlieb galt als Förderer des Israelitischen Krankenheims und wurde nach dem Tod von Prof. Mosche Knoller Kuratoriumsvorsitzender. Auch um das Wohl der Kranken hat sich Gottlieb Bier persönlich gekümmert.<br />
Ihre Kinder ließen Amalie und Gottlieb Bier ganz im Sinne des jüdisch orthodoxen Glaubens erziehen. Alle drei besuchten das Realgymnasium der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel – mit unterschiedlichen Berufszielen.<br />
Eliese ging zunächst auf das Realgymnasium, machte ihr Abitur dann aber 1929 auf dem Gymnasium in Sigmundshof. Ihre Leidenschaft galt der Kunst und Literatur. Sie studierte an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Kunstgeschichte, Philosophie, Psychologie und Literaturgeschichte. Gleichzeitig besuchte sie noch die Journalistenschule. 1933 wurde sie als Jüdin vom weiteren Studium ausgeschlossen. Sie fand in der Firma ihres Vaters eine vorübergehende Anstellung, bis sie Ende 1933 nach Palästina auswanderte.<br />
Max studierte nach dem Abitur Jura in Frankfurt/Main und Berlin, musste aber ebenfalls im März 1933 als Jude die Universität verlassen. Auch er arbeitete dann bis zu seiner Auswanderung nach Palästina im April 1934 als Buchhalter im Immobilienbüro seines Vaters.<br />
Ruth konnte gar nicht erst ihr Abitur machen. Sie fand nach der Auflösung der weiterführenden Klassen des Realgymnasiums keine Schule, die sie aufnehmen wollte. Ihr Berufswunsch Medizin blieb unerfüllt und Ruth lebte weiter bei ihren Eltern, bis auch sie 1938 nach Palästina ging.<br />
Eliese und Ruth erkrankten im Laufe der Jahre in Palästina schwer, da sie die ungewohnte schwere Arbeit in der Landwirtschaft bzw. in einer Wäscherei und die klimatischen Bedingungen nicht verkrafteten.<br />
Im Jahre 1938 wurde die Firma „Julius M. Bier A.G.“ zwangsliquidiert. Zuvor hatten Gottlieb, Amalie und Ruth die Wohnung in der Fasanenstraße 32 verlassen müssen. Die Wohnung war zuvor als „Judenwohnung“ deklariert und mit sieben jüdischen Untermietern belegt worden. Die Biers fanden in der Kaiserallee 206 (heute Bundesallee) noch eine adäquate 8-Zimmer-Wohnung. Im Berliner Adressbuch ist Gottlieb Bier dort noch bis 1939 mit der Berufsbezeichnung „Makler“ eingetragen. Bereits 1940 steht sein Name mit dem Zusatz „Privatmann“ in der Admiral-von-Schröder-Straße 42 in Tiergarten (heute Köbisstraße). Dieses war jedoch noch nicht die letzte Bleibe. Es folgte der zwangsweise Umzug in eine 1-Zimmer-Wohnung in der Agricolastraße 21. Diese befindet sich in unmittelbarer Nähe der Levetzowstraße, wo in der zweckentfremdeten Synagoge die Juden vor ihrer Deportation zusammengepfercht wurden.<br />
Gottlieb und Amalie hatten ihr gesamtes Hab und Gut aus den großen Wohnungen in der Fasanenstraße und der Kaiserallee, darunter einen Steinway Flügel, Waschmaschine, Staubsauger, wertvolle Gemälde, Perserteppiche, Schmuck usw. zur Einlagerung bei der Kreuzberger Speditionsfirma Fritz Roth und & Co. abgegeben. Vor der Zwangseinquartierung in die winzige Wohnung in der Agricolastraße wollten sie auch ihre letzten wertvollen Besitztümer in Sicherheit bringen, dazu gehörte neben dem Umzugsgut auch die Aussteuer der Tochter Ruth, die in Palästina auf den Lift aus Deutschland wartete. Nach dem Krieg war alles verschwunden, die Speditionsfirma aufgelöst und der Inhaber in Österreich verstorben. Die Kinder und Enkel haben nie wieder etwas aus dem Nachlass der Großeltern zu sehen bekommen. Wer sich an Gottlieb Biers Auto, einem Lincoln, bereichert hat, bleibt ebenfalls im Dunkeln.<br />
Es ist nicht bekannt, wie lange Gottlieb und Amalie Bier in der winzigen Wohnung ausharren mussten, bis sie am 24. September morgens um 5 Uhr in einen Sonderwagen der Straßenbahn verladen wurden, der sie zum Anhalter Bahnhof brachte. Von dort aus wurden sie mit einem der sogenannten kleinen Transporte, die jeweils 100 Menschen umfassten, nach Theresienstadt deportiert.<br />
Im Ghetto angekommen, erwarteten sie drangvolle Enge und katastrophale hygienische Verhältnisse. Gottlieb starb am 16. Oktober, also etwa drei Wochen nach seiner Ankunft. Die offizielle Todesursache hieß Sepsis und Enteritis Acuta, eine häufig gebrauchte Umschreibung der wahren Ursachen wie Hunger, Seuchen und andere nicht behandelte Krankheiten.<br />
Amalie musste noch zwei Jahre ohne ihren Mann in dem Ghetto leiden. Am 19. Oktober 1944 deportierte man sie in das Vernichtungslager Auschwitz, wo sie vermutlich als nicht arbeitsfähig erklärt und sofort ermordet wurde.<br />

Gottlieb Bier kam am 8. Juni 1878 in Frankfurt am Main als Sohn von Maximilian und Augusta Bier, geb. Heß, zur Welt. Gottlieb hatte sieben Brüder: Eduard, Wilhelm Benjamin, Natan (genannt Netty), Siegfried Max, Guido, Ludwig Max und Julius Max. Vier der Brüder Bier, nämlich Julius, Guido, Ludwig und Gottlieb waren in Berlin beruflich eng miteinander verbunden. Sie alle waren Teilhaber der „Julius M. Bier A.G“. In einem 1925 geschlossenen Konsistorialvertrag regelten sie nicht nur detailliert die geschäftlichen Grundlagen und die Einbindung weiterer Familienmitglieder in die Aktiengesellschaft, als Mitglieder der Israelitischen Adass Jisroel Synagogengemeinde legten sie auch fest: „jede Geschäftstätigkeit an Samstagen, sowie an israelitischen Feiertagen hat, entsprechend dem orthodoxen israelitischen Ritus bei den Teilnehmern selbst, wie bei den Angestellten zu unterbleiben.“
Gottlieb Bier war selbstständiger Immobilienmakler und Direktor der Maklerfirma „Julius M. Bier A.G.“. Diese hatte ihren Sitz in der Leipziger Straße 26. Gottlieb war ebenfalls einer der Haupt- und Mitbeteiligten am Bier-Konzern, zu dem 14 Grundstücksverwaltungs- und Mietgesellschaften zählten. Sein Jahreseinkommen war dementsprechend hoch.
Am 15. Dezember 1910 heiratete Gottlieb Bier die am 8. März 1885 im galizischen Rzeszów geborene Amalie Kanarek. Amalies Eltern hießen Feisach und Bliema, geb. Gertler. Zu Amalies Geburtsjahr – in einigen Dokumenten steht 1887 – und der Schreibweise ihrer Elternnamen gibt es unterschiedliche Angaben.
Zunächst wohnte das Ehepaar Bier in der Pfalzburger Straße 88. Dort wurden auch ihre Kinder geboren, am 25. Juli 1911 Eliese Sophie, am 7. Februar 1913 Maximilian Julius (Max) und am 7. Januar 1916 Paula Ruth. Das vierte Kind Paul starb 1918, noch im Jahr seiner Geburt. 1920 wohnten die Biers schon in der Fasanenstraße 32. Diese Adresse sollte ihr langjähriges Zuhause werden. Das Haus wurde im Krieg zerstört, an seiner Stelle steht heute ein Neubau mit der Nummer 33.
Amalie und Gottlieb waren Mitglieder der orthodoxen Adass Jisroel Synagogengemeinde. Gottlieb galt als Förderer des Israelitischen Krankenheims und wurde nach dem Tod von Prof. Mosche Knoller Kuratoriumsvorsitzender. Auch um das Wohl der Kranken hat sich Gottlieb Bier persönlich gekümmert.
Ihre Kinder ließen Amalie und Gottlieb Bier ganz im Sinne des jüdisch orthodoxen Glaubens erziehen. Alle drei besuchten das Realgymnasium der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel – mit unterschiedlichen Berufszielen.
Eliese ging zunächst auf das Realgymnasium, machte ihr Abitur dann aber 1929 auf dem Gymnasium in Sigmundshof. Ihre Leidenschaft galt der Kunst und Literatur. Sie studierte an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Kunstgeschichte, Philosophie, Psychologie und Literaturgeschichte. Gleichzeitig besuchte sie noch die Journalistenschule. 1933 wurde sie als Jüdin vom weiteren Studium ausgeschlossen. Sie fand in der Firma ihres Vaters eine vorübergehende Anstellung, bis sie Ende 1933 nach Palästina auswanderte.
Max studierte nach dem Abitur Jura in Frankfurt/Main und Berlin, musste aber ebenfalls im März 1933 als Jude die Universität verlassen. Auch er arbeitete dann bis zu seiner Auswanderung nach Palästina im April 1934 als Buchhalter im Immobilienbüro seines Vaters.
Ruth konnte gar nicht erst ihr Abitur machen. Sie fand nach der Auflösung der weiterführenden Klassen des Realgymnasiums keine Schule, die sie aufnehmen wollte. Ihr Berufswunsch Medizin blieb unerfüllt und Ruth lebte weiter bei ihren Eltern, bis auch sie 1938 nach Palästina ging.
Eliese und Ruth erkrankten im Laufe der Jahre in Palästina schwer, da sie die ungewohnte schwere Arbeit in der Landwirtschaft bzw. in einer Wäscherei und die klimatischen Bedingungen nicht verkrafteten.
Im Jahre 1938 wurde die Firma „Julius M. Bier A.G.“ zwangsliquidiert. Zuvor hatten Gottlieb, Amalie und Ruth die Wohnung in der Fasanenstraße 32 verlassen müssen. Die Wohnung war zuvor als „Judenwohnung“ deklariert und mit sieben jüdischen Untermietern belegt worden. Die Biers fanden in der Kaiserallee 206 (heute Bundesallee) noch eine adäquate 8-Zimmer-Wohnung. Im Berliner Adressbuch ist Gottlieb Bier dort noch bis 1939 mit der Berufsbezeichnung „Makler“ eingetragen. Bereits 1940 steht sein Name mit dem Zusatz „Privatmann“ in der Admiral-von-Schröder-Straße 42 in Tiergarten (heute Köbisstraße). Dieses war jedoch noch nicht die letzte Bleibe. Es folgte der zwangsweise Umzug in eine 1-Zimmer-Wohnung in der Agricolastraße 21. Diese befindet sich in unmittelbarer Nähe der Levetzowstraße, wo in der zweckentfremdeten Synagoge die Juden vor ihrer Deportation zusammengepfercht wurden.
Gottlieb und Amalie hatten ihr gesamtes Hab und Gut aus den großen Wohnungen in der Fasanenstraße und der Kaiserallee, darunter einen Steinway Flügel, Waschmaschine, Staubsauger, wertvolle Gemälde, Perserteppiche, Schmuck usw. zur Einlagerung bei der Kreuzberger Speditionsfirma Fritz Roth und & Co. abgegeben. Vor der Zwangseinquartierung in die winzige Wohnung in der Agricolastraße wollten sie auch ihre letzten wertvollen Besitztümer in Sicherheit bringen, dazu gehörte neben dem Umzugsgut auch die Aussteuer der Tochter Ruth, die in Palästina auf den Lift aus Deutschland wartete. Nach dem Krieg war alles verschwunden, die Speditionsfirma aufgelöst und der Inhaber in Österreich verstorben. Die Kinder und Enkel haben nie wieder etwas aus dem Nachlass der Großeltern zu sehen bekommen. Wer sich an Gottlieb Biers Auto, einem Lincoln, bereichert hat, bleibt ebenfalls im Dunkeln.
Es ist nicht bekannt, wie lange Gottlieb und Amalie Bier in der winzigen Wohnung ausharren mussten, bis sie am 24. September morgens um 5 Uhr in einen Sonderwagen der Straßenbahn verladen wurden, der sie zum Anhalter Bahnhof brachte. Von dort aus wurden sie mit einem der sogenannten kleinen Transporte, die jeweils 100 Menschen umfassten, nach Theresienstadt deportiert.
Im Ghetto angekommen, erwarteten sie drangvolle Enge und katastrophale hygienische Verhältnisse. Gottlieb starb am 16. Oktober, also etwa drei Wochen nach seiner Ankunft. Die offizielle Todesursache hieß Sepsis und Enteritis Acuta, eine häufig gebrauchte Umschreibung der wahren Ursachen wie Hunger, Seuchen und andere nicht behandelte Krankheiten.
Amalie musste noch zwei Jahre ohne ihren Mann in dem Ghetto leiden. Am 19. Oktober 1944 deportierte man sie in das Vernichtungslager Auschwitz, wo sie vermutlich als nicht arbeitsfähig erklärt und sofort ermordet wurde.