Siegfried Jacobsohn

Location 
Dietzgenstraße 20
Historical name
Kaiser-Wilhelm-Straße 5
District
Niederschönhausen
Stone was laid
24 September 2016
Born
15 August 1884 in Wronke / Wronki
Occupation
Kaufmann
Verhaftet
22 December 1939 to 10 June 1940 in Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit
Verhaftet
10 June 1940 to 21 June 1940 in Zuchthaus Luckau
Verhaftet
21 June 1940 to 22 March 1941 in Zuchthaus Brandenburg
Verhaftet
22 March 1941 to 12 June 1941 in Sicherheitsverwahrung Potsdam
Verhaftet
12 June 1941 to 10 July 1941 in KZ Buchenwald
Murdered
10 July 1941 in Buchenwald

Siegfried Jacobsohn wurde am 15. August 1884 in Wronke (heute: Wronki / Polen) geboren. Außer seinem Zwillingsbruder Julius sind noch zwei Schwestern namentlich bekannt: Bertha (geb. 24.11.1888) und Hedwig (geb. 28.03.1892). Wann die Eltern, Handelsmann Raphael Jacobsohn und Helene, geb. Rosenbaum, von Wronke nach Berlin gezogen sind, wissen wir nicht; als 1914 Zwillingsbruder Julius heiratete, wohnten die Jacobsohns in der Keibelstraße 18.<br />
Siegfried Jacobsohn hatte eigentlich Lehrer werden wollen; aber als er 1911 Cäcilie Ehrlich (geb. 09.04.1884 in Vandsburg, poln. Wiecbork) heiratete, brachte diese als Mitgift ein Textilkaufhaus in Niederschönhausen in der Kaiser-Wilhelm-Straße 5 (heute: Dietzgenstraße 20) mit in die Ehe. Das Geschäft war 1904 von Emil Birkholz gegründet worden und wurde nun von Siegfried Jacobsohn zum Landwarenhaus „Emil Birkholz Nachf.“ ausgebaut.<br />
Am 20. August 1912 wurde Tochter Ruth geboren, am 11. Dezember 1913 Tochter Gerda; der jüngste Sohn Arno kam erst zehn Jahre später, am 15. Juli 1923, zur Welt. Dazwischen lag der Erste Weltkrieg. Als „freiwilliger Frontsoldat“ war Siegfried Jacobsohn von 1914 bis 1918 Telegrafist beim Stabsoffizier der Flieger im Westen an der Somme. Unversehrt und ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse kam er aus dem Krieg zurück.<br />
Von Anfang an bewohnte die junge Familie in dem 1766 erbauten ehemaligen Amtshaus im Zentrum des Ortes das 1. Stockwerk über den Geschäftsräumen. Im Dachgeschoß hatte sich der jüdische Maler und Grafiker Julius Cohn (er nannte sich später Julius C. Turner), den Siegfried Jacobsohn im Krieg und im jüdischen Sportverein Bar Kochba kennengelernt hatte, sein Atelier eingerichtet. Einen Teil der Miete zahlte er mit Portraits der Familienmitglieder.<br />
In den 1920er Jahren florierte das Geschäft außerordentlich gut. Auf dem großen Grundstück gab es ausreichend Lagermöglichkeiten und sogar Platz für einen regionalen Wochenmarkt. Die Familie war im Ort angesehen und integriert.<br />
Das änderte sich 1933 mit der Machtübernahme der Nazis; auch in Niederschönhausen kam es zu massiven Boykottmaßnahmen gegen das jüdische Landwarenhaus, die Umsätze gingen zurück. Aber Siegfried Jacobsohn gab nicht auf. Obwohl er noch zusätzlich eine Stelle als Vertreter für eine Kartonnagefabrik angenommen hatte, konnte er seinen Geschäftsbetrieb bis 1938 stabilisieren und bei der Generalrevision der IHK als „vollkaufmännisch“ einstufen lassen. „Damit gehörte das Kaufhaus zu den 3750 jüdischen Einzelhandelsbetrieben, die im August 1938 noch bestanden“ (Jahresbericht des SD-Hauptamts für 1938; zit. nach Kreutzmüller, Ausverkauf, S. 347).<br />
Zuvor schon hatte Siegfried Jacobsohn Zivilcourage gezeigt, als er sich für seinen jüdischen Pankower Kaufmannskollegen Benno Falk einsetzte, als dieser im Sommer 1935 wegen „Rassenschande“ angezeigt und drangsaliert wurde.<br />
Dann kam die Reichspogromnacht. Nach Erinnerung von Siegfrieds Schwester Bertha wurde das Kaufhaus in Niederschönhausen am 10. November 1938 vollständig demoliert, die Waren geplündert oder zerstört und Siegfried Jacobsohn unter Johlen und Schimpfen der Menge durch die Straßen zur Polizei geführt, die ihn in „Schutzhaft“ nahm, von wo er erst nach Tagen als gebrochener Mann zurückkehrte.<br />
Wenige Wochen später, am 20. Januar 1939, musste Siegfried Jacobsohn auf dem Amtsgericht unterschreiben, „daß meine Firma ‚Emil Birkholz Nachf.‘ erloschen“ ist (LAB, A Rep. 342-02.37855).<br />
Siegfried Jacobsohn machte weiter. Seine Tochter Gerda (verheiratete Rosenstrauch) war bereits im März 1938 mit ihrem Ehemann Lutz nach Palästina ausgereist. Tochter Ruth hatte nach dem Abitur 1931 mit dem Medizinstudium in Berlin begonnen, das sie 1935 nach dem Physikum zunächst abbrechen musste. Weil ihr Vater aber im Ersten Weltkrieg freiwilliger Frontkämpfer gewesen war, durfte sie noch zwei Semester in Leipzig weiterstudieren, bevor sie 1937 als Jüdin endgültig exmatrikuliert wurde. Auch ohne Abschlussexamen arbeitete sie seitdem im Jüdischen Krankenhaus in Berlin als ungelernte Krankenschwester. Auch ihr kleiner Bruder Arno musste 1937 die Schule verlassen und wohnte und arbeitete seither als Koch und Konditor in Schöneberg am Barbarossaplatz im Café Bavaria, das seiner Tante Bertha und ihrem Mann, Ignatz Engländer, gehörte.<br />
Bevor das Ehepaar Engländer im Mai 1939 zuerst nach Shanghai und von dort aus nach Palästina flüchtete, hatten sie das Café und ihre Wohnung an Siegfried Jacobsohn und seine Familie übertragen. Doch auch diese zunächst so verheißungsvolle Perspektive war nicht von Dauer. Wegen „Vergehens gegen die Kriegswirtschaftsordnung“ wurde Siegfried Jacobsohn am 22. Dezember 1939 verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis Moabit eingeliefert. Am 8. Juni 1940 wurde er vom Landgericht Berlin zu 15 Monaten Zuchthaus verurteilt (da bisher nur das Urteil aktenmäßig erfasst werden konnte, bleibt unklar, was ihm genau zur Last gelegt wurde). Nach Verbüßung dieser Strafe, zunächst im Zuchthaus Luckau, dann im Zuchthaus Brandenburg, sollte Siegfried Jacobsohn eigentlich am 8. Juni 1941 nach Niederschönhausen entlassen werden. Stattdessen wurde er in Potsdam in „Schutzhaft“ genommen und am 12. Juni 1941 ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Dort wurde er einen Monat später, am 10. Juli 1941, erschossen – angeblich „auf der Flucht“. Tochter Ruth musste die Asche ihres Vaters im Pappkarton bei der Polizei abholen. Damit lief sie zu Fuß nach Weißensee zum Jüdischen Friedhof, wo die sterblichen Überreste beigesetzt wurden. <br />
Siegfried Jacobsohns Frau Cäcilie wurde am 5. September 1942 mit dem „19. Osttransport“ nach Riga deportiert und dort gleich nach der Ankunft ermordet. Sohn Arno, der seit Kriegsbeginn als Maschinendreher bei Siemens Zwangsarbeit leistete, und Tochter Ruth, wurden am 26. Oktober 1942 mit dem „22. Osttransport“ ebenfalls nach Riga deportiert und umgebracht. Von Ruth wusste eine Schulfreundin aus der Nachbarschaft, dass sie sich vor der Deportation ihre medizinischen Instrumente mit einem Gürtel um die Taille gebunden hatte, in der Hoffnung, ihren Beruf nach der Deportation wieder ausüben zu können.<br />

Siegfried Jacobsohn wurde am 15. August 1884 in Wronke (heute: Wronki / Polen) geboren. Außer seinem Zwillingsbruder Julius sind noch zwei Schwestern namentlich bekannt: Bertha (geb. 24.11.1888) und Hedwig (geb. 28.03.1892). Wann die Eltern, Handelsmann Raphael Jacobsohn und Helene, geb. Rosenbaum, von Wronke nach Berlin gezogen sind, wissen wir nicht; als 1914 Zwillingsbruder Julius heiratete, wohnten die Jacobsohns in der Keibelstraße 18.
Siegfried Jacobsohn hatte eigentlich Lehrer werden wollen; aber als er 1911 Cäcilie Ehrlich (geb. 09.04.1884 in Vandsburg, poln. Wiecbork) heiratete, brachte diese als Mitgift ein Textilkaufhaus in Niederschönhausen in der Kaiser-Wilhelm-Straße 5 (heute: Dietzgenstraße 20) mit in die Ehe. Das Geschäft war 1904 von Emil Birkholz gegründet worden und wurde nun von Siegfried Jacobsohn zum Landwarenhaus „Emil Birkholz Nachf.“ ausgebaut.
Am 20. August 1912 wurde Tochter Ruth geboren, am 11. Dezember 1913 Tochter Gerda; der jüngste Sohn Arno kam erst zehn Jahre später, am 15. Juli 1923, zur Welt. Dazwischen lag der Erste Weltkrieg. Als „freiwilliger Frontsoldat“ war Siegfried Jacobsohn von 1914 bis 1918 Telegrafist beim Stabsoffizier der Flieger im Westen an der Somme. Unversehrt und ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse kam er aus dem Krieg zurück.
Von Anfang an bewohnte die junge Familie in dem 1766 erbauten ehemaligen Amtshaus im Zentrum des Ortes das 1. Stockwerk über den Geschäftsräumen. Im Dachgeschoß hatte sich der jüdische Maler und Grafiker Julius Cohn (er nannte sich später Julius C. Turner), den Siegfried Jacobsohn im Krieg und im jüdischen Sportverein Bar Kochba kennengelernt hatte, sein Atelier eingerichtet. Einen Teil der Miete zahlte er mit Portraits der Familienmitglieder.
In den 1920er Jahren florierte das Geschäft außerordentlich gut. Auf dem großen Grundstück gab es ausreichend Lagermöglichkeiten und sogar Platz für einen regionalen Wochenmarkt. Die Familie war im Ort angesehen und integriert.
Das änderte sich 1933 mit der Machtübernahme der Nazis; auch in Niederschönhausen kam es zu massiven Boykottmaßnahmen gegen das jüdische Landwarenhaus, die Umsätze gingen zurück. Aber Siegfried Jacobsohn gab nicht auf. Obwohl er noch zusätzlich eine Stelle als Vertreter für eine Kartonnagefabrik angenommen hatte, konnte er seinen Geschäftsbetrieb bis 1938 stabilisieren und bei der Generalrevision der IHK als „vollkaufmännisch“ einstufen lassen. „Damit gehörte das Kaufhaus zu den 3750 jüdischen Einzelhandelsbetrieben, die im August 1938 noch bestanden“ (Jahresbericht des SD-Hauptamts für 1938; zit. nach Kreutzmüller, Ausverkauf, S. 347).
Zuvor schon hatte Siegfried Jacobsohn Zivilcourage gezeigt, als er sich für seinen jüdischen Pankower Kaufmannskollegen Benno Falk einsetzte, als dieser im Sommer 1935 wegen „Rassenschande“ angezeigt und drangsaliert wurde.
Dann kam die Reichspogromnacht. Nach Erinnerung von Siegfrieds Schwester Bertha wurde das Kaufhaus in Niederschönhausen am 10. November 1938 vollständig demoliert, die Waren geplündert oder zerstört und Siegfried Jacobsohn unter Johlen und Schimpfen der Menge durch die Straßen zur Polizei geführt, die ihn in „Schutzhaft“ nahm, von wo er erst nach Tagen als gebrochener Mann zurückkehrte.
Wenige Wochen später, am 20. Januar 1939, musste Siegfried Jacobsohn auf dem Amtsgericht unterschreiben, „daß meine Firma ‚Emil Birkholz Nachf.‘ erloschen“ ist (LAB, A Rep. 342-02.37855).
Siegfried Jacobsohn machte weiter. Seine Tochter Gerda (verheiratete Rosenstrauch) war bereits im März 1938 mit ihrem Ehemann Lutz nach Palästina ausgereist. Tochter Ruth hatte nach dem Abitur 1931 mit dem Medizinstudium in Berlin begonnen, das sie 1935 nach dem Physikum zunächst abbrechen musste. Weil ihr Vater aber im Ersten Weltkrieg freiwilliger Frontkämpfer gewesen war, durfte sie noch zwei Semester in Leipzig weiterstudieren, bevor sie 1937 als Jüdin endgültig exmatrikuliert wurde. Auch ohne Abschlussexamen arbeitete sie seitdem im Jüdischen Krankenhaus in Berlin als ungelernte Krankenschwester. Auch ihr kleiner Bruder Arno musste 1937 die Schule verlassen und wohnte und arbeitete seither als Koch und Konditor in Schöneberg am Barbarossaplatz im Café Bavaria, das seiner Tante Bertha und ihrem Mann, Ignatz Engländer, gehörte.
Bevor das Ehepaar Engländer im Mai 1939 zuerst nach Shanghai und von dort aus nach Palästina flüchtete, hatten sie das Café und ihre Wohnung an Siegfried Jacobsohn und seine Familie übertragen. Doch auch diese zunächst so verheißungsvolle Perspektive war nicht von Dauer. Wegen „Vergehens gegen die Kriegswirtschaftsordnung“ wurde Siegfried Jacobsohn am 22. Dezember 1939 verhaftet und ins Untersuchungsgefängnis Moabit eingeliefert. Am 8. Juni 1940 wurde er vom Landgericht Berlin zu 15 Monaten Zuchthaus verurteilt (da bisher nur das Urteil aktenmäßig erfasst werden konnte, bleibt unklar, was ihm genau zur Last gelegt wurde). Nach Verbüßung dieser Strafe, zunächst im Zuchthaus Luckau, dann im Zuchthaus Brandenburg, sollte Siegfried Jacobsohn eigentlich am 8. Juni 1941 nach Niederschönhausen entlassen werden. Stattdessen wurde er in Potsdam in „Schutzhaft“ genommen und am 12. Juni 1941 ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Dort wurde er einen Monat später, am 10. Juli 1941, erschossen – angeblich „auf der Flucht“. Tochter Ruth musste die Asche ihres Vaters im Pappkarton bei der Polizei abholen. Damit lief sie zu Fuß nach Weißensee zum Jüdischen Friedhof, wo die sterblichen Überreste beigesetzt wurden.
Siegfried Jacobsohns Frau Cäcilie wurde am 5. September 1942 mit dem „19. Osttransport“ nach Riga deportiert und dort gleich nach der Ankunft ermordet. Sohn Arno, der seit Kriegsbeginn als Maschinendreher bei Siemens Zwangsarbeit leistete, und Tochter Ruth, wurden am 26. Oktober 1942 mit dem „22. Osttransport“ ebenfalls nach Riga deportiert und umgebracht. Von Ruth wusste eine Schulfreundin aus der Nachbarschaft, dass sie sich vor der Deportation ihre medizinischen Instrumente mit einem Gürtel um die Taille gebunden hatte, in der Hoffnung, ihren Beruf nach der Deportation wieder ausüben zu können.