Isidor Sessler

Location 
Große Hamburger Straße 33
District
Mitte
Stone was laid
20 October 2014
Born
06 July 1927 in Berlin
Deportation
on 04 March 1943 to Auschwitz
Murdered
1943 in Auschwitz

Manfred Isidor Sessler, dessen Rufname Isidor war, wurde am 6. Juli 1927 in Berlin geboren. Er war der jüngste Sohn von (Adolf) Abraham Sessler (*1884) und Fanny Sessler, geborene Bindefeld (*1895). Sein Vater, der Kaufmann war, stammte aus der österreichischen Ortschaft Nowy Wisnicz (heutiges Polen) unweit von Krakau (Kraków); seine Mutter aus Leipzig. In den 1910er-Jahren hatten seine Eltern in Leipzig geheiratet, wo Abraham Sessler als Handels- und Kaufmann in der Textilbranche tätig gewesen ist. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs waren seine Eltern nach Berlin gezogen, wo in den Jahren 1921, 1922 und 1925 Isidors ältere Geschwister Salomon, Eva und Max Meier Sessler geboren worden waren. Die Sesslers lebten in Berlin zunächst in einer Wohnung in der Boxhagener Straße 128 (heute überbaut) in Friedrichshain. An dieser Adresse führte Isidors Vater bis Mitte der 1920er-Jahre eine Schäftefabrik, in der Vorderblätter und Seitenteile von Schuhen hergestellt wurden. 1925 zog die Familie in eine neue Wohnung in der Zorndorfer Straße 19 (heutige Mühsamstraße) an der Ecke zur Eckertstraße nahe dem Petersburger Platz in Friedrichshain. In der nahegelegenen Tilsiter Straße (heutige Richard-Sorge-Straße) eröffneten Isidors Eltern ein Textilwarengeschäft. Das Ladengeschäft mit Schaufensterfront zur Tilsiter Straße, angrenzendem Warenlager und einer Angestellten sicherte das Einkommen der Familie, die im Berlin der Weimarer Republik zur großstädtischen Mittelschicht zählte.

Isidors Bruder Salomon berichtete später: „In diesem Geschäft waren meine beiden Eltern und eine Angestellte in folgender Weise tätig. Meine Mutter und die Gehilfin waren ständig im Geschäft, während mein Vater auch noch außerhalb Kunden besuchte. […] Unsere Wohnung in der Zorndorfer Straße 19 bestand aus komplett eingerichteten Schlafzimmer, Speisezimmer, Kinderzimmer, Dienstmädchen-Kammer, Küche, Speisekammern, Badezimmer und Toilette. Meine Großmutter väterlicherseits beaufsichtigte die Wirtschaft und uns Kinder mit Hilfe eines Dienstmädchens. […] Jeden Sommer fuhren wir alle auf einige Wochen zur Erholung in die Sommerfrische an der Ostsee, und der Vater blieb im Geschäft zurück.“ Die Kinder besuchten Berliner Schulen: Eva Sessler kurzzeitig die Volksschule der Gemeinde Adass Jisroel, 1929/1930 wechselte sie an die Jüdische Mädchenschule in der Auguststraße und ab 1933 an die Jüdische Volksschule in der Rykestraße. Max und Isidor Sessler besuchten die Knabenvolksschule der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Kaiserstraße 29/30 (heutige Jacobystraße). Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie Sessler im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Isidor Sessler und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Seit 1933 waren Isidors Eltern auch als Geschäftsinhaber in Berlin von antisemitischen Kampagnen betroffen: SA-Posten hinderten Kunden am Betreten des Geschäfts und die Boykotte führten zu derartigen Einbußen, dass sich das Ehepaar bereits 1933/1934 gezwungen sah, das Textilwarengeschäft in der Tilsiter Straße aufzugeben. Abraham Sessler arbeitete in den Folgejahren bis 1938 als Handelsvertreter von Weinen und Likören für die Firma „Gebrüder Nickemann“ aus Mainz. Laut Berichten von Bekannten der Familie aber zu einem deutlich geringeren Verdienst als zuvor, so dass die Sesslers zum Teil Besitz verschleudern mussten, um die notwendigsten Bedürfnisse zu decken. 1935/1936 zogen sie zeitweise nach Leipzig in die Walter-Blümel-Straße 13 (heutige Löhrstraße), in unmittelbarer Nähe zu Isidors Großvater mütterlicherseits und dessen zweiter Ehefrau, Nachmann und Esther Bindefeld, die damals in der Walter-Blümel-Straße 15 lebten. 1936 ging es zurück nach Berlin, wo die Familie eine Wohnung in der Lothringer Straße 38 (heutige Torstraße) in Mitte bezog. Isidors Bruder Salomon besuchte unterdessen die Hachscharastätte in Bomsdorf bei Gräfenhainichen, um sich durch die landwirtschaftliche Ausbildung auf eine Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Seine Schwester Eva fing nach ihrem Schulabschluss eine Schneiderlehre an.

Im Oktober 1938 wurde Isidors Vater zusammen mit seinen Geschwistern Salomon und Eva im Zuge der sogenannten „Polenaktion“ aus Berlin nach Bentschen (Zbąszyń) deportiert. Während Abraham und Eva Sessler, nachdem sie aus dem Internierungslager an der Grenze freikamen, in Krakau lebten, wo sie den Überfall Deutschlands auf Polen miterlebten, gelang Salomon Sessler aus Polen die Flucht in das britische Mandatsgebiet Palästina. Max Sessler wurde 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien verschickt, wo er in den Kriegsjahren lebte, bevor er sich als Soldat meldete, auf dem europäischen Kriegsschauplatz eingesetzt wurde und später nach Israel auswanderte. In Berlin blieb Isidor Sessler mit seiner Mutter Fanny zurück. Max Sessler erhielt 1942 eine letzte Rote-Kreuz-Nachricht von seiner Mutter aus Berlin, in der sie schrieb, dass sein Vater umgekommen sei. Abraham und Eva Sessler waren Anfang der 1940er-Jahre vermutlich im Ghetto Krakau interniert gewesen und entweder dort ermordet worden oder während der Räumung des Ghettos 1942/1943 in eines der Vernichtungslager Belzec oder Auschwitz deportiert und dort ermordet worden. Jedenfalls gehörten beide nicht zu den wenigen Überlebenden.

In Berlin spitzte sich die Lage Anfang der 1940er-Jahre für Isidor und Fanny Sessler zu. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Isidors Mutter wurde außerdem zu Zwangsarbeit herangezogen, zuletzt im Wernerwerk der Siemens-Schuckert AG in Siemensstadt-Fürstenbrunn. Seit April 1940 lebten Mutter und Sohn in einer Wohnung in der Großen Hamburger Straße 33 in Mitte. Zuvor waren sie 1939 kurzzeitig bei Verwandten von Isidors Vater in der Gormannstraße 2 untergekommen. Im Sommer 1942 verließ Isidor Sessler die Volksschule der Jüdischen Gemeinde, die kurz darauf, im Juni 1942, erzwungenermaßen schließen musste. Auf seiner Schülerkartei findet sich die Notiz „Auerbach. Waisenh.“ – möglicherweise war er für kurze Zeit im Auerbachschen Waisenhaus in der Schönhauser Allee 162 untergebracht worden, lebte aber mindestens ab Frühjahr 1943 wieder bei seiner Mutter.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Isidor und seine Mutter Fanny erhielten den Deportationsbescheid im Herbst 1942. Sie wurden im November 1942 in einem der Berliner Sammellager interniert und von dort am 4. März 1943 mit dem „34. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie – vermutlich unmittelbar nach der Ankunft des Transports – ermordet wurden. Isidor Sessler war zum Zeitpunkt der Deportation 15 Jahre alt; seine Mutter 47. Isidors Geschwister Max und Salomon Sessler überlebten die NS-Verfolgung im Exil.