Rudi Moritz Pincus

Location 
(Stolperstein is virtual)
Michaelkirchstr. 13
Historical name
Michaelkirchstr. 13
District
Mitte
Stone was laid
09 November 2021
Born
24 March 1917 in Berlin
Occupation
Optiker
Escape
1939 Chile
Survived

Rodolfo Pincus Zacharias wurde am 24.03.1917 als Rudi Moritz Pincus in Berlin als einziges Kind von Anna Pincus, geb. Zacharias (*1878), und Siegfried Elkan Pincus (*1867) geboren. Die Familie lebte in der Michaelkirchstr. 13 in Berlin-Mitte in einer Wohnung im ersten Obergeschoss des Vorderhauses und verfügte über einen eigenen Telefonanschluss (Tel. 674675). Seine Mutter, Anna Pincus, war Krankenpflegerin und Hausfrau. Sein Vater, Elkan Pincus, war in Berlin als Kaufmann und als Hersteller von Zuschneidemaschinen für industriell genutzte Stoffrollen tätig. <br />
<br />
Seine Schulzeit verbachte Rudi Pincus am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin-Mitte, welche er im Frühjahr 1934 mit dem Abitur abschloss. Er war in der zionistischen Jugendgruppe „Habbonim" aktiv. Er soll seinen Eltern zwar treu ergeben, aber auch sehr unabhängig gewesen sein. Seinen eigenen Kindern sagte er später oft: „Kinder sollten von Sparta und nicht von Athen lernen." Als Jude war ihm die Aufnahme des von ihm angestrebten Universitätsstudiums der Physik verboten. Stattdessen absolvierte er ab 01.04.1934 eine Ausbildung zum Augenoptikergesellen beim Optiker Platzmann in der Brückenstraße 1 in Berlin-Mitte. Er besuchte in diesem Zuge die Berufsschule für Augenoptik in Berlin-Schöneberg und Kurse an der Deutschen Schule für Optik und Photo-Technik. 1936 führte ihn seine Ausbildung für ein halbes Jahr nach Jena, wo er Kurse an der Staatlichen Fachhochschule für Optik besuchte. Der von ihm angestrebte Berufsabschluss eines „Diplom-Optikers“ (Jena) bzw. eines „Staatlich geprüften Augenoptikers“ (Berlin), setzte den Titel eines Meisters und ein Mindestalter von 25 Jahre voraus. Das Erlangen dieses Ausbildungsgrads war für Juden jedoch verboten. Am 26.03.1938 bestand er in Berlin vor dem Gesellenprüfungsausschuss der Innung des Optiker- und Feinmechanikerhandwerks seine Gesellenprüfung. <br />
<br />
1936 kam sein 18 Jahre älterer Cousin Bernie Pincus nach Berlin, um die Olympischen Spiele zu besuchen. Bernie stammte ursprünglich ebenfalls aus Berlin, lebte aber schon seit längerer Zeit in Chile. Er hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft und Bergbauingenieurswesen studiert. 1926 hatte er eine Ingenieursanstellung bei Ferrostahl angetreten, welche ihn in der Folge nach Chile, zur fachlichen Begleitung der dortigen Minenstandorte führte. Bernie Pincus war bald Chef der Südamerika-Abteilung von Ferrostahl geworden, wurde jedoch 1935 von diesem Posten demontiert, da Juden fortan die Geschäftsführung deutscher Firmen verboten war. Während seines Berlinaufenthalts ermutigte er Rudi, Anna und Elkan Pincus das Deutsche Reich zu verlassen und schlug ihnen vor, nach Chile auszureisen. <br />
<br />
In Chile wurde 1938 Pedro Aguirre Cerda zum Präsidenten gewählt. Der Außenminister der neuen Regierung, Abraham Ortega, war der Nachbar von Bernie Pincus. Ortega unterstützte die Immigration von Juden nach Chile. Bernie Pincus half vielen jüdischen Menschen bei Einreise- und Aufenthaltsmodalitäten in dem südamerikanischen Land und bemühte sich um Sponsoren zur Finanzierung der Reisekosten. Eine nicht bekannte Zahl jüdischer Menschen kam in diesem Zuge nach Chile. 1939 leitete der chilenische Kongress eine Untersuchung gegen Außenminister Ortega ein, in deren Folge die Visavergabe an Juden beendet wurde.<br />
<br />
Nur wenige Tage nach seiner erfolgreichen Gesellenprüfung musste der damals 21-jährige Rudi Pincus am 31.03.1938 seine Arbeitsstelle im Geschäft des Optikers Platzmann aufgeben, da die Arisierung des Betriebs bevorstand. Er entschied sich dem Vorschlag seines Cousins Bernie zu folgen und seine eigene Ausreise nach Chile zu konkretisieren. Bei seinen Reisevorbereitungen wurde Rudi Pincus von seinen Eltern unterstützt, auch Nachbarn aus dem Haus in der Michaelkirchstraße sammelten Geld zur Finanzierung seiner Reise. Bereits wenige Wochen nach den Novemberpogromen in der Nacht vom 9. auf den 10.11.1938, besaß Rudi Pincus einen Reisepass und ein chilenisches Visum. Sein Reisepass wurde am 25.11.1938 ausgestellt. Am 2.12.1938 erhielt Rudi Pincus im chilenischen Konsulat in Berlin ein 12-Monatsvisum für Chile. Am 16.01.1939 erteilte die Britische Botschaft in Berlin ein Durchreisevisum für das Vereinigte Königreich zur direkten Weiterreise nach Chile. <br />
<br />
Am 31.01.1939 reiste er aus dem Deutschen Reich in die Niederlande, um von dort aus direkt nach Großbritannien weiterzureisen. Am 1.02.1939 kam Rudi Pincus in der britischen Hafenstadt Harwich an. In Liverpool bestieg er am 16.02.1939 das chilenische Dampfschiff „Orduña“ nach Valparaiso (Chile). Auf der Passagierliste ist hinter seinem Namen „Optiker" als Beruf vermerkt. Um etwas Geld zu verdienen, soll Rudi Pincus auf der Überfahrt nach Chile andere Schiffspassagieren in Spanisch unterrichtet haben. Da er zuvor kein Spanisch gelernt hatte, habe ihm dabei sein Schullatein als Grundlage geholfen. <br />
<br />
Nach seiner Ankunft in Chile ließ er sich in der Hauptstadt Santiago nieder und stand in regem Briefkontakt mit seinen in Berlin verbliebenen Eltern, welcher kurz vor deren Deportation am 24.10.1941 abriss. Der Briefwechsel bestand zwischen ihm und beiden Elternteilen, mit denen er jeweils beidseitig im Austausch stand. Die gesamte Korrespondenz wurde von der Gestapo geöffnet und zensiert. Neben einem intensiven Informationsaustausch zu Möglichkeiten der Ausreise soll dort auch von dem Bedauern der Eltern zu lesen sein, nicht schon 1939, gemeinsam mit ihrem Sohn Rudi ausgereist zu sein. <br />
<br />
Während seiner ersten vier Jahre in Chile war Rudi Pincus als Augenoptiker-Geselle, u.a. beim Optiker Rotter in Santiago tätig. Am 12.12.1943 heiratete er die aus Meckenheim bei Bonn stammende und ebenfalls nach Chile geflohene Minna Mendel. Das Ehepaar bekam drei Kinder, Claudio, Eliana und Roberto. Im Mai desselben Jahres eröffnete er mit Unterstützung seines Cousins Bernie Pincus sein eigenes Optikgeschäft in Santiago de Chile. Die Geschäftsadresse lautet bis heute Moneda 1037 und liegt mitten im Zentrum der chilenischen Hauptstadt, etwa 200 Meter (anderthalb Häuserblocks) vom Präsidentenpalast „La Moneda" entfernt. <br />
<br />
Das Familienunternehmen wird inzwischen in zweiter Generation geführt und besteht aus vier Filialen, wovon sich drei in Santiago und eine in der Küstenstadt La Serena befinden. Rudi Pincus engagierte sich für die Entwicklung des Optikerhandwerks in Chile und war u.a. von 1963 bis 1967 Präsident der Optikerinnung des Landes und seither deren Ehrenmitglied. Darüber hinaus engagierte er sich für die jüdische Gemeinschaft Chiles, so findet er u.a. als Präsident des Altenpflegeheims „Fundación CISROCO“ (Comité Israelita de Socorro) sowie als emeritierter Direktor der „Comunidad Bnei Israel Chile" Erwähnung. Heute trägt das gemeinschaftliche Familienzentrum der Organisation den Namen „Minna Pincus Z'L“. 2016 wurde das Innovations- und Fortbildungszentrum „Rudy Pincus Z'L" unter dem Dach des Lateinamerikanischen Rabbinerseminars eröffnet. Das Engagement von Rudi Pincus ehrend, hat das Zentrum die Stärkung jüdischer Bildung auf dem südamerikanischen Kontinent zum Ziel.<br />
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Rodolfo Pincus Zacharias lebte bis zu seinem Tod am 07.09.2005 in Santiago de Chile. Seine Nachfahren leben ebendort, in den USA und in Israel.

Rodolfo Pincus Zacharias wurde am 24.03.1917 als Rudi Moritz Pincus in Berlin als einziges Kind von Anna Pincus, geb. Zacharias (*1878), und Siegfried Elkan Pincus (*1867) geboren. Die Familie lebte in der Michaelkirchstr. 13 in Berlin-Mitte in einer Wohnung im ersten Obergeschoss des Vorderhauses und verfügte über einen eigenen Telefonanschluss (Tel. 674675). Seine Mutter, Anna Pincus, war Krankenpflegerin und Hausfrau. Sein Vater, Elkan Pincus, war in Berlin als Kaufmann und als Hersteller von Zuschneidemaschinen für industriell genutzte Stoffrollen tätig.

Seine Schulzeit verbachte Rudi Pincus am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin-Mitte, welche er im Frühjahr 1934 mit dem Abitur abschloss. Er war in der zionistischen Jugendgruppe „Habbonim" aktiv. Er soll seinen Eltern zwar treu ergeben, aber auch sehr unabhängig gewesen sein. Seinen eigenen Kindern sagte er später oft: „Kinder sollten von Sparta und nicht von Athen lernen." Als Jude war ihm die Aufnahme des von ihm angestrebten Universitätsstudiums der Physik verboten. Stattdessen absolvierte er ab 01.04.1934 eine Ausbildung zum Augenoptikergesellen beim Optiker Platzmann in der Brückenstraße 1 in Berlin-Mitte. Er besuchte in diesem Zuge die Berufsschule für Augenoptik in Berlin-Schöneberg und Kurse an der Deutschen Schule für Optik und Photo-Technik. 1936 führte ihn seine Ausbildung für ein halbes Jahr nach Jena, wo er Kurse an der Staatlichen Fachhochschule für Optik besuchte. Der von ihm angestrebte Berufsabschluss eines „Diplom-Optikers“ (Jena) bzw. eines „Staatlich geprüften Augenoptikers“ (Berlin), setzte den Titel eines Meisters und ein Mindestalter von 25 Jahre voraus. Das Erlangen dieses Ausbildungsgrads war für Juden jedoch verboten. Am 26.03.1938 bestand er in Berlin vor dem Gesellenprüfungsausschuss der Innung des Optiker- und Feinmechanikerhandwerks seine Gesellenprüfung.

1936 kam sein 18 Jahre älterer Cousin Bernie Pincus nach Berlin, um die Olympischen Spiele zu besuchen. Bernie stammte ursprünglich ebenfalls aus Berlin, lebte aber schon seit längerer Zeit in Chile. Er hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft und Bergbauingenieurswesen studiert. 1926 hatte er eine Ingenieursanstellung bei Ferrostahl angetreten, welche ihn in der Folge nach Chile, zur fachlichen Begleitung der dortigen Minenstandorte führte. Bernie Pincus war bald Chef der Südamerika-Abteilung von Ferrostahl geworden, wurde jedoch 1935 von diesem Posten demontiert, da Juden fortan die Geschäftsführung deutscher Firmen verboten war. Während seines Berlinaufenthalts ermutigte er Rudi, Anna und Elkan Pincus das Deutsche Reich zu verlassen und schlug ihnen vor, nach Chile auszureisen.

In Chile wurde 1938 Pedro Aguirre Cerda zum Präsidenten gewählt. Der Außenminister der neuen Regierung, Abraham Ortega, war der Nachbar von Bernie Pincus. Ortega unterstützte die Immigration von Juden nach Chile. Bernie Pincus half vielen jüdischen Menschen bei Einreise- und Aufenthaltsmodalitäten in dem südamerikanischen Land und bemühte sich um Sponsoren zur Finanzierung der Reisekosten. Eine nicht bekannte Zahl jüdischer Menschen kam in diesem Zuge nach Chile. 1939 leitete der chilenische Kongress eine Untersuchung gegen Außenminister Ortega ein, in deren Folge die Visavergabe an Juden beendet wurde.

Nur wenige Tage nach seiner erfolgreichen Gesellenprüfung musste der damals 21-jährige Rudi Pincus am 31.03.1938 seine Arbeitsstelle im Geschäft des Optikers Platzmann aufgeben, da die Arisierung des Betriebs bevorstand. Er entschied sich dem Vorschlag seines Cousins Bernie zu folgen und seine eigene Ausreise nach Chile zu konkretisieren. Bei seinen Reisevorbereitungen wurde Rudi Pincus von seinen Eltern unterstützt, auch Nachbarn aus dem Haus in der Michaelkirchstraße sammelten Geld zur Finanzierung seiner Reise. Bereits wenige Wochen nach den Novemberpogromen in der Nacht vom 9. auf den 10.11.1938, besaß Rudi Pincus einen Reisepass und ein chilenisches Visum. Sein Reisepass wurde am 25.11.1938 ausgestellt. Am 2.12.1938 erhielt Rudi Pincus im chilenischen Konsulat in Berlin ein 12-Monatsvisum für Chile. Am 16.01.1939 erteilte die Britische Botschaft in Berlin ein Durchreisevisum für das Vereinigte Königreich zur direkten Weiterreise nach Chile.

Am 31.01.1939 reiste er aus dem Deutschen Reich in die Niederlande, um von dort aus direkt nach Großbritannien weiterzureisen. Am 1.02.1939 kam Rudi Pincus in der britischen Hafenstadt Harwich an. In Liverpool bestieg er am 16.02.1939 das chilenische Dampfschiff „Orduña“ nach Valparaiso (Chile). Auf der Passagierliste ist hinter seinem Namen „Optiker" als Beruf vermerkt. Um etwas Geld zu verdienen, soll Rudi Pincus auf der Überfahrt nach Chile andere Schiffspassagieren in Spanisch unterrichtet haben. Da er zuvor kein Spanisch gelernt hatte, habe ihm dabei sein Schullatein als Grundlage geholfen.

Nach seiner Ankunft in Chile ließ er sich in der Hauptstadt Santiago nieder und stand in regem Briefkontakt mit seinen in Berlin verbliebenen Eltern, welcher kurz vor deren Deportation am 24.10.1941 abriss. Der Briefwechsel bestand zwischen ihm und beiden Elternteilen, mit denen er jeweils beidseitig im Austausch stand. Die gesamte Korrespondenz wurde von der Gestapo geöffnet und zensiert. Neben einem intensiven Informationsaustausch zu Möglichkeiten der Ausreise soll dort auch von dem Bedauern der Eltern zu lesen sein, nicht schon 1939, gemeinsam mit ihrem Sohn Rudi ausgereist zu sein.

Während seiner ersten vier Jahre in Chile war Rudi Pincus als Augenoptiker-Geselle, u.a. beim Optiker Rotter in Santiago tätig. Am 12.12.1943 heiratete er die aus Meckenheim bei Bonn stammende und ebenfalls nach Chile geflohene Minna Mendel. Das Ehepaar bekam drei Kinder, Claudio, Eliana und Roberto. Im Mai desselben Jahres eröffnete er mit Unterstützung seines Cousins Bernie Pincus sein eigenes Optikgeschäft in Santiago de Chile. Die Geschäftsadresse lautet bis heute Moneda 1037 und liegt mitten im Zentrum der chilenischen Hauptstadt, etwa 200 Meter (anderthalb Häuserblocks) vom Präsidentenpalast „La Moneda" entfernt.

Das Familienunternehmen wird inzwischen in zweiter Generation geführt und besteht aus vier Filialen, wovon sich drei in Santiago und eine in der Küstenstadt La Serena befinden. Rudi Pincus engagierte sich für die Entwicklung des Optikerhandwerks in Chile und war u.a. von 1963 bis 1967 Präsident der Optikerinnung des Landes und seither deren Ehrenmitglied. Darüber hinaus engagierte er sich für die jüdische Gemeinschaft Chiles, so findet er u.a. als Präsident des Altenpflegeheims „Fundación CISROCO“ (Comité Israelita de Socorro) sowie als emeritierter Direktor der „Comunidad Bnei Israel Chile" Erwähnung. Heute trägt das gemeinschaftliche Familienzentrum der Organisation den Namen „Minna Pincus Z'L“. 2016 wurde das Innovations- und Fortbildungszentrum „Rudy Pincus Z'L" unter dem Dach des Lateinamerikanischen Rabbinerseminars eröffnet. Das Engagement von Rudi Pincus ehrend, hat das Zentrum die Stärkung jüdischer Bildung auf dem südamerikanischen Kontinent zum Ziel.

Rodolfo Pincus Zacharias lebte bis zu seinem Tod am 07.09.2005 in Santiago de Chile. Seine Nachfahren leben ebendort, in den USA und in Israel.