Bianka Irma Hamburger née Löwenherz

Location 
Englerallee 6
District
Dahlem
Stone was laid
04 April 2011
Born
04 June 1877 in Berlin
Escape into death
02 September 1942 in Berlin

Bianka Hamburger gehörte in der Weimarer Republik zu den ersten und zugleich bedeutsamsten Frauen in der Jüdischen Reformgemeinde als auch der innerjüdischen Politik. Sie war Vorstand der Jüdischen Reformgemeinde und wurde als Vertreterin der Liberalen bei der ersten Gemeindewahl mit Frauenwahlrecht 1926 in die Repräsentanten-Versammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gewählt. 1930 kandidierte sie erfolgreich als Abgeordnete des Preußischen Landesverbands der Jüdischen Gemeinden. Spätestens in den 1930er Jahren war sie außerdem Vorstandsmitglied und Verwaltungsleiterin des Jüdischen Krankenhauses in Berlin und von 1937-1939 des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen. Aufgrund der schwierigen Quellenlage blieb aber ihr Beitrag zur Gleichberechtigung der Frau, zur Sozialarbeit und zur innerjüdischen Politik - anders als bei ihren Mitstreiterinnen wie Paula Ollendorf, Berta Falkenberg oder Minna Schwarz - bisher weitgehend unentdeckt. <br />
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Bereits für das Jahr 1907 ist belegt, dass Frau Magistratsrat Bianka Hamburger zusammen mit der berühmten Dr. Alice Salomon Schriftführerin des Comités zur Errichtung von Arbeiterinnenheimen war, das in jenem Jahr ein Heim mit zwanzig Betten am Kottbusser Ufer 33 in Berlin-Kreuzberg gründete. Während des ersten Weltkrieges wurde ihr 1917 unter Kaiser Wilhelm II. das „Verdienstkreuz für Kriegshilfe“ verliehen, eine Auszeichnung für besondere Leistungen im Hilfsdienst in der Heimat.<br />
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Ihre Ansichten zur religiösen, sozialen und politischen Rolle der Frau sind in ihrem Beitrag zum Symposium „Die Frau im Gottesdienst“ erhalten, der 1926 in der Jüdisch-liberalen Zeitung erschien: „Unter dem Drucke von wirtschaftlichen Sorgen und von beruflicher Belastung klagen die führenden Männer jüdischer Gemeinden jetzt oft darüber, daß sie ihre ehrenamtliche Tätigkeit und deren Anforderungen an Zeit und Kraft nicht mehr bewältigen können. Demnach fehlt es zugegebenermaßen an Mitarbeitern! Trotzdem galt es, enorme Schwierigkeiten zu überwinden, ehe den Frauen die erstrebte Mitwirkung ermöglicht wurde.“ <br />
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Sie war mit dem Kommunal-Beamten Ludwig Hamburger (geb. 1867) verheiratet, der zunächst Magistratsrat, dann Stadtrat in Berlin war. Ludwig Hamburger war auch Mitglied der „Gesellschaft der Freunde“, eines alteingesessenen Berliner jüdischen Wohlfahrtsvereins, dessen zentrales Anliegen die gegenseitige Unterstützung seiner Mitglieder war. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich der Verein zu einem der wichtigsten gesellschaftlichen Treffpunkte der Berliner Wirtschafts- und Finanzelite entwickelt und war auch für viele Christen attraktiv, die in der Zeit der Weimarer Republik sogar die Mehrheit der Mitglieder stellten.<br />
Das Ehepaar Hamburger lebte im Berliner Hansa-Viertel im Siegmunds Hof Nr. 21. Ludwig Hamburger starb bereits 1923. Die beiden hatten mindestens eine Tochter - Hilde Strauss, geborene Hamburger, die den Holocaust durch Emigration nach Palästina überlebte. Einige Jahre nach dem Tod ihres Mannes zog Frau Hamburger von der Wohnung im Hansa-Viertel in das heute noch erhaltene Haus in der Englerallee 6 in Dahlem. <br />
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Vorstand der Jüdischen Reformgemeinde zu Berlin <br />
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Spätestens seit 1926 war Bianka Hamburger im Vorstand der Jüdischen Reformgemeinde. Die Reformgemeinde war unter dem Dach der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit rund 750 erwachsenen Mitgliedern aus allen Teilen Groß-Berlins die größte und älteste private Gemeinde und gleichzeitig der äußerste Flügel des religiösen jüdischen Liberalismus in Deutschland: Die Mitglieder verstanden sich als Zusammenschluss deutscher Juden, welche die Entwicklung des Judentums im Geiste der deutschen Kultur und der Wissenschaft sowie „bei treuer Pflege der vaterländischen Gesinnung“ anstrebte. Die Gottesdienste wurden, statt in Hebräisch am Sabbat, in deutscher Sprache am Sonntag abgehalten und Frauen nahmen - entgegen den traditionalistischen Synagogen - von jeher im Tempel der Reformgemeinde keine zurückgesetzte Stellung gegenüber den Männern ein.<br />
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1926 schrieb Frau Hamburger: „Wer die Entwicklung der Jüdischen Reformgemeinde zu Berlin in den 80 Jahren ihres Bestehens kennt, wird ohne Verwunderung erfahren, daß diese Gemeinde auch in Bezug auf die Stellung der Frau Pionierarbeit geleistet hat. In ihrem Gotteshause waren die Frauen den Männern stets gleichgestellt: nie gab es dort vergitterte Frauenplätze und besondere Frauengalerien, und soweit es die Raumeinteilung gestattet, wie bei den Festgottesdiensten in den neueren Sälen im Westen sitzen Frauen und Männer, Gatte und Gattin, Eltern und Kinder zusammen. […] Bereits vor Jahren ist in dieser Gemeinde das gleiche Wahlrecht eingeführt worden. Ich darf wohl behaupten, daß die Frauen es sich selbst, und zwar auf friedliche Weise, errungen haben. Sie hatten sich als Mitglieder der verschiedenen Kommissionen so bewährt, daß ihre männlichen Kollegen den Wunsch hegten, im Vorstande und im Repräsentanten-Kollegium mit ihnen zusammenzuarbeiten. So begrüße ich als langjähriges Mitglied der Reformgemeinde zu Berlin es mit besonderer Freude und Genugtuung, daß den Frauen ständig mehr und mehr die Möglichkeit gegeben wird, ihrer Glaubensgemeinschaft in treuer Pflichterfüllung zu dienen.“<br />
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Es muss in ihrem Leben ein besonderes Ereignis gewesen sein, als die Präsidentin der World Union of Progressive Judaism, The Hon. Lily Montagu, 1928 als erste Frau in Deutschland im völlig überfüllten Tempel der Reformgemeinde in der Johannisstraße predigte. Selbst die Jüdische Rundschau, die das Organ der Zionistischen Vereinigung war und den jüdischen Liberalismus in derselben Ausgabe als „Bekenntnis der assimilierten Bourgeoisie“ bezeichnete, druckte folgenden Beitrag: „Lange Reihen von Autos, festlich geschmückte Menschen, drängendes Getriebe. Alles strömt nach dem protestantisch schmucklosen, wenn auch jetzt geschmackvoll umgebauten Betsaale der jüdischen Reformgemeinde. Also hätte der Sonntagsgottesdienst, der eben wieder umstrittene, dennoch seine Berechtigung?! – […] Diesmal gilts einer Sensation. Im Rahmen der Tagung des Weltverbandes für das religiös-liberale Judentum wurde ein Festgottesdienst angekündigt. […] Denn hier soll Lily Montagu predigen: die erste Frau, die in Deutschland eine jüdische Kanzel besteigt. […] Und dann – beginnt eine Predigt, die auch für den ganz anders gewöhnten und gerichteten Juden zum Erlebnis wird. […] Die jüdische Welt weiß, daß hinter jedem dieser Worte eine jüdische Liebestat steht, deren ihr Leben voll ist; über ihre soziale Arbeit seit mehr als einem Menschenalter wird sie selbst im Jüdischen Frauenbund noch berichten. […] Darum auch darf sie diese Predigt wagen, die mit ihren abstrakt ethischen Forderungen wohl darum nicht farblos wird, weil man bei jedem dieser Worte spürt, daß hier ein Mensch von seinem Gotteserlebnis berichtet.“<br />
Die Mitglieder der Reformgemeinde sahen sich selbst als Deutsche jüdischen Glaubens, das Jüdische war für sie im Wesentlichen eine Religionszugehörigkeit. Ihre Rabbiner lehnten insbesondere den Zionismus und auch eine Emigration selbst nach Hitlers Machtergreifung ab: Solange Deutschland ein Rechtsstaat sei und der deutsche Charakter nicht seine ethische Komponente verliere, könne man mit Überzeugung und Hoffnung in die Zukunft schauen. Auch nach 1933 traten noch mindestens 169 neue Mitglieder der Reformgemeinde bei - davon auch Übertritte aus der evangelischen Landeskirche, bei denen Ehepartner aus sogenannten Mischehen auf diese Weise als Paar einer Religion angehören wollten.<br />
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Erste Frauen in der Repräsentanten-Versammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin <br />
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Im Jahr 1925 lebten in Berlin 173.000 Juden und damit rund ein Drittel (30,6 %) der jüdischen Bevölkerung in Deutschland. Die offizielle Jüdische Gemeinde zu Berlin hatte im Laufe der Zeit ein enormes Netzwerk gemeinnütziger Institutionen wie Synagogen, Wohlfahrtseinrichtungen, Krankenhäuser und Schulen aufgebaut. Die Gemeindegremien entschieden sich 1924 mit den Stimmen der Liberalen und der Volkspartei für die Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts. Das Frauenwahlrecht war in der Weimarer Republik zwar schon Ende 1918 eingeführt worden, die jüdischen Gemeinden unterlagen aber behördlicher Aufsicht und konnten nur mit deren Zustimmung Neuerungen einführen. Auch gab es zunächst innerjüdische Meinungsverschiedenheiten über die Beteiligung von Frauen. Dazu schrieb Bianka Hamburger: „Auch innerhalb der Gemeinden setzen fast überall fortschrittliche Bestrebungen ein. Im neuen Repräsentantenkollegium der Berliner Jüdischen Gemeinde werden zum ersten Male Männer und Frauen gemeinsam arbeiten, um vor allem die Not zu lindern, die schlimmer als je zuvor in der Gemeinde herrscht.“ <br />
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Nach den 1926 erfolgten Neuwahlen zogen 1927 erstmals vier weibliche Vertreter in die Berliner Repräsentanten-Versammlung ein, die alle keine Neulinge in öffentlicher Arbeit waren: für die „Liberale Liste“ Bertha Falkenberg und Bianka Hamburger als Stellvertreterin; die beiden anderen Frauen gehörten der Jüdischen Volkspartei (Lina Wagner-Tauber) bzw. der Religiösen Mittelpartei (Ernestine Eschelbacher) an. <br />
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Bianka Hamburger setzte sich auch hier wieder besonders für die Einrichtung von Arbeiterinnenheimen ein, bspw. 1929, als ihre Liberale Fraktion zusätzliche Mittel für bevölkerungspolitische Maßnahmen im Etat der Gemeinde sowie zur Ausbildung jüdischer Krankenschwestern beantragte: „Ich würde es für bedauerlich halten, wenn man mit der Fürsorge für die weibliche Bevölkerung warten würde. Man könnte sehr schnell anfangen, […] nicht gleich in der erstrebenswerten Weise von Arbeiterinnenheimen mit Wohnung, sondern zunächst als Tages- und Abendheime. […] Denn die weiblichen Angestellten, die in Schlafstellen wohnen, haben solche Heime nötig. Aber die Arbeiterinnen, die bei Angehörigen wohnen, haben diese Heime noch nötiger. In London wird ein Heim für 800 jüdische Mädchen von Lili Montagu geleitet.“<br />
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Abgeordnete im Preußischen Landesverband jüdischer Gemeinden <br />
- auch stolz das „Judenparlament“ genannt <br />
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Der bedeutendste Landesverband der jüdischen Gemeinden in Deutschland war der 1922 gegründete „Preußische Landesverband jüdischer Gemeinden (PLV)“, der von zeitgenössischer innerjüdischer Seite daher auch stolz als „Judenparlament“ bezeichnet wurde: Er repräsentierte 1925 646 und wenige Jahre später bereits 784 Gemeinden und damit rund 75 Prozent der deutschen jüdischen Bevölkerung. In seiner jährlichen Verbandstagung im Plenarsaal des ehemaligen Preußischen Herrenhauses in der Leipziger Straße (heute Sitz des Deutschen Bundesrats) schuf der PLV eine auf streng demokratischen Wahlen beruhende Plattform, auf der neben praktischen Fragen wie der Rabbinerbesoldung, Lehrerausbildung, Wohlfahrts- und Wirtschaftsfragen auch die großen geistigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen jüdischen Strömungen stattfinden konnten. Der Verbandstag des PLV war bis zur Etablierung des israelischen Parlaments, der Knesset, das einzige selbst gewählte repräsentative jüdische Gremium.<br />
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Beim ersten Verbandstag 1925 waren von den 124 Abgeordneten zehn Frauen, die überwiegend der Liberalen Fraktion angehörten. Frau Hamburger schrieb dazu: „Leider ist es bis jetzt noch nicht restlos gelungen, alle Vorurteile zu überwinden. Bei den Wahlen zum Landesverband z. B. stand keine einzige Frau auf der Liste der Konservativen Partei; aber die letztere bemühte sich, die Stimmen der Frauen für ihre Kandidaten zu gewinnen. Auch bei dieser Gelegenheit zeigte sich wieder, dass Liberalismus und Fortschritt identisch sind. Die Liberalen waren es, die das Wahlrecht der Frau nach heißen Kämpfen erreicht haben, und für sie war es eine Unmöglichkeit, aktives und passives Wahlrecht zu trennen. Eine solche Scheidung hätte einer glücklicherweise überwundenen Rückständigkeit früherer Zeiten entsprochen. So vermissen die liberalen Frauen im Landesverband leider die Vertreterinnen der erwähnten Partei, mit denen sie gerne gemeinsame Arbeit zum Besten der Allgemeinheit geleistet hätten.“ <br />
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Beim nächsten Wahlgang im Jahre 1930 hatte sich die Zahl der Abgeordneten auf 130 erhöht, davon waren aber nur noch neun Frauen – eine davon war Bianka Hamburger. Sie wurde außerdem Mitglied des Unterrichtsausschusses des PLV. Wieder gehörten die meisten Frauen wie Hamburger der Liberalen Fraktion an, zwei stellte die Jüdische Volkspartei. Im Jahre 1931, als die Weltwirtschaftskrise in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte, trieben die neun weiblichen Abgeordneten im PLV unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit auch Frauenpolitik im engeren Sinne: Sie traten geschlossen an die jüdische Öffentlichkeit heran, um Hilfe für die von zunehmender Arbeitslosigkeit betroffene weibliche Jugend zu fordern. An die jüdischen Gemeinden wurde appelliert, für die hauswirtschaftliche und berufliche Ausbildung erwerbsloser Mädchen zu sorgen; gleichzeitig sollten die jüdischen Gemeinden die staatlichen Behörden veranlassen, bei der Bereitstellung von Mitteln der Erwerbslosenfürsorge auch den besonderen jüdischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Der Frauen-Antrag wurde im Plenum einstimmig und ohne große Diskussion angenommen.<br />
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Die ersten Schreckensjahre im Dritten Reich (1933-1938) <br />
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Frau Hamburger war spätestens seit 1931 nicht nur Vorstandsmitglied, sondern auch Vorsitzende der Schul-Kommission der Jüdischen Reformgemeinde. Trotz der zunehmenden Entrechtung und Verfolgung der Juden ab 1933 meinten gerade die Mitglieder der Reformgemeinde, dass es nicht mehr lange dauern könne bis das Regime zu einem Ende käme – solange wollte man sich arrangieren. Die Schulgründungen der Reformgemeinde sind ein Beleg für diese Haltung: Die Kinder wurden aus ihren bisherigen Schulen heraus gedrängt, also musste man selber dafür sorgen, dass sie Kultur und Humanität, aber auch Anregung erhielten. Im April 1935 wurde die Joseph-Lehmann-Schule (Joachimsthaler Str. 13) gegründet, deren Schülerzahl schnell von 100 auf 300 anwuchs; im Oktober 1936 folgte die Gründung der Samuel-Holdheim-Oberschule in der Nürnberger Str. 66. Im Gegensatz zu den anderen Schulen der Jüdischen Gemeinde, die spätestens ab 1936 ihre Schüler bspw. mit Englisch-, Hebräisch- und Handwerks-Kursen auf die als dringend erachtete Emigration vorbereiteten, wechselte der Bildungsverein der Reformgemeinde erst im Frühjahr 1937 das Lehrprogramm entsprechend. <br />
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Die Reformgemeinde bekam durch die Berufsverbote, die Boykotte gegen jüdische Geschäfte und die damit erzwungene Ghettoisierung einen völlig anderen Charakter: Nachdem ihre Mitglieder die Gemeinde Jahrzehnte lang als Raum der spezifischen Religionsausübung innerhalb der deutschen Gesellschaft gesehen hatten, wurde sie nun zum Fluchtpunkt; notwendigerweise rückte man immer mehr zusammen. Und immer, wenn es kaum mehr schlimmer kommen konnte, gab es noch eine Steigerung. <br />
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Es gab sicherlich genügend Anlass, dem Thema „Selbstmord“ 1936 einen ausführlichen Artikel in den Mitteilungen der Reformgemeinde zu widmen, denn der Selbstmord war für jeden Juden aus religiösen Gründen verboten. Die Leser der Mitteilungen erhalten Empfehlungen, wie sie bei Niedergeschlagenheit reagieren können: „durch Ablenkung bei guter Musik, bei Büchern, Theater, Sport, Wanderung […] Wer Halt findet in seiner Familie, ja, wer auch nur eine Seele sein nennt, […] wird einen Hafen anlaufen können, in dem er sein havariertes Lebensschifflein wenigstens zeitweilig ausruhen und ausbessern kann.“ Der Suizid sei nur unter drei Umständen dem „Märtyrertod“ gleichgestellt und damit durch die Talmudvorschriften legitimiert: Götzendienst, Unkeuschheit oder Mord. Man müsse nicht den Mord an sich erdulden, sondern dürfe diesem durch einen selbst gewählten Tod entgehen. <br />
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Beim Pogrom im November 1938 wurden in Berlin neben vielen Geschäften jüdischer Besitzer und Privatwohnungen die meisten Jüdischen Synagogen beschädigt oder teilweise zerstört. Auch gegen den Tempel der Reformgemeinde in der Johannisstraße richteten sich die Angriffe der aufgehetzten Meute verschiedener SA-Trupps. Da die Synagoge der Reformgemeinde eng mit angrenzenden Häusern verbunden war, wurde sie zwar nicht angezündet, der Innenraum aber vom fanatisierten Pöbel nahezu vollständig zerstört.<br />
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Vorstandsmitglied und Verwaltungsleiterin des Jüdischen Krankenhauses sowie des Vereins der jüdischen Krankenpflegerinnen <br />
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Ihre zentrale Rolle für das Jüdischen Krankenhaus, insbesondere in der Zeit des Dritten Reiches, lässt sich aus zwei Zeugnissen für Frau Hamburger rekonstruieren: Zunächst war sie mehrere Jahre im Vorstand des Jüdischen Krankenhauses, anschließend mehrere Jahre bis zum November 1937 Hauskuratorin des Krankenhauses – eine Funktion, die heute als Kaufmännische Direktorin oder Verwaltungsleiterin bezeichnet werden würde. Seit wann genau sie diese Aufgaben ausübte ist nicht bekannt. Im Dezember 1937 wurde sie dann zum Mitglied des Vorstandes des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Berlin gewählt, dem größten jüdischen Schwesternverband in Deutschland. Sie übernahm die Verantwortung für den gesamten wirtschaftlichen Betrieb und das Personal. Walter Lustig, der später (1942 – 1945) auch das Jüdische Krankenhaus leitete, schrieb über sie im März 1939: „Frau Hamburger besitzt außergewöhnlich große Erfahrungen in verwaltungstechnischen Dingen, die sie sich in jahrzehntelanger Sozialarbeit auf ähnlichem Gebiet erworben hat. Nur dadurch ist es ihr gelungen, sich trotz der Schwierigkeiten, die gerade jetzt mit der Leitung eines solchen Betriebes verbunden sind, sehr gut einzuarbeiten. Frau Hamburger […] hat sich durch ihr liebenswürdiges und gütiges Wesen das persönliche Vertrauen ihrer Umgebung in außergewöhnlichem Maße erworben.“<br />
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Ob und warum Frau Hamburger 1939 diese Tätigkeit beendete, ist nicht bekannt, aber sie blieb in Berlin. Sicher ist auch, dass noch vor dem Progrom allen jüdischen Ärzten in Deutschland im Juli 1938 die Approbation entzogen wurde und mit Beginn des Jahres 1939 alle Juden den Zwangsvornamen „Sara“ bzw. „Israel“ tragen mussten. Prof. Hermann Strauß, Arzt im Krankenhaus, schrieb 1939: „Das letztvergangene Jahr hat mich erst zum alten Manne gemacht. Tägliche Selbstmordversuche, durch Gas und Schlafmittel, behandeln zu müssen, oftmals vergeblich, ist auch für den Stärksten zuviel.“ Es begann eine massenhafte Auswanderung der Schwestern und Ärzte, die Belegschaft am Krankenhaus wurde bis Kriegsbeginn fast vollständig ausgewechselt. Die Verwaltung des Krankenhauses hatte im November 1938 an die Mitarbeiter die schriftliche Aufforderung verschickt, „auch an Ihre Auswanderung zu denken“, aber im Juni 1939 appellierte der Vorstand der Jüdischen Gemeinde dringend, „an Ihren Arbeitsplätzen in unseren Heilstätten auszuharren schon in Gedanken an die Pflicht, die wir allen alten und kranken Menschen gegenüber haben“. Absurderweise verzichtete das Berliner Polizeipräsidium bis zuletzt nicht auf die staatliche Prüfung und Diplomierung der Schwesternschülerinnen, 1941 begann der letzte Schwesternkurs am Jüdischen Krankenhaus. <br />
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Die Deportationen und Flucht in den Tod <br />
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Bianka („Sara“) Hamburger wurde noch im Berliner Adressbuch 1941 als Bewohnerin und Eigentümerin der Englerallee 6 geführt, aber in diesem Jahr zog keinesfalls zufällig Bürgermeister Treff als neuer „Eigentümer“ ein. Der Nationalsozialist Herbert Treff war seit 1933 Bürgermeister von Berlin-Steglitz, Vorsitzender der Berliner Bürgermeisterkonferenz und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gemeindetags; gerade war das langjährige SS-Mitglied Treff mit folgender Begründung zum Obersturmbannführer befördert worden: „Er […] setzt sich in jeder Beziehung rücksichtlos für die Belange der SS ein. […] Seine Einsatzbereitschaft ist vorbildlich.“<br />
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Im Herbst 1941 begannen dann die Deportationen der Berliner Jüdinnen und Juden: Die Gerüchte schwirrten durch die Stadt, die meisten wussten nicht, was mit den „Verschickten“ passierte, es war nur sicher, dass niemand von ihnen zurückgekehrt war. Frau Hamburger war für die Deportation unter der Wohnadresse Mozartstr. 22 in Berlin-Lankwitz registriert. <br />
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Die Arbeit im Jüdischen Krankenhaus stand in dieser Zeit völlig unter dem erschütternden Eindruck der vielen Selbstmordpatienten. Ganze Seiten im Aufnahme- und Sterbebuch dokumentieren diese Reaktion der Betroffenen; ebenso wie Interviews die schrecklichen Konflikte der wenigen überlebenden Ärzte und Schwestern: „Es kamen viele, viele Patienten zu uns, die aus den Wohnungen geholt worden waren und die an und für sich wegkommen sollten. Sie hatten Tabletten oder Zyankali genommen. Es waren so viele, wir legten sie ins Badehaus, weil wir gar keinen Platz mehr hatten.“ „Anfang `43, da lagen alle Korridore voll, es wurde ein Selbstmordversuch nach dem anderen eingeliefert, bis wir bis zum Rand gefüllt waren, wir waren völlig zugeschoben.“ „Die Kollegen der Inneren Abteilung waren geteilter Meinung, ob es besser sei, die Kranken dieser Art zu retten oder sie ruhig einschlafen zu lassen.“ „Die Wiederbelebten, die wurden dann irgendwo in ein Lager gebracht, aber das ist es ja eben, wir sind ja nicht da zu töten, sondern wir sind da zu heilen und zu pflegen.“ Aber die Mörder waren gegen Selbstmord. Ein Selbstmordversuch war strafbar. Die „Geretteten“ mussten auf die Polizeistation im Krankenhaus verlegt werden und kamen von dort in die Strafabteilung der Deportationszüge. An sie durfte auch kein Essen mehr verteilt werden.<br />
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Alle diejenigen, die für die nächsten Transport bestimmt waren, erhielten von der zwangsweise eingerichteten „Abwanderungsstelle“ der Jüdischen Gemeinde in Berlin die Benachrichtigung und gleichzeitig ein Formular zur genauen Vermögensaufstellung und Bewertung ihres Besitzes, das innerhalb von zwei bis drei Tagen zurückgeschickt werden musste. Danach wurden die Betroffenen aufgefordert, in ihren Wohnungen auf die Abholung zu warten bzw. sich zu einem festgelegten Zeitpunkt in einem Sammellager einzufinden.<br />
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Bianka Hamburger war 1942 am Vorabend ihrer angeordneten Deportation im Alter von 65 Jahren schneller als ihre Mörder. <br />
Sie wurde zwar noch ins Jüdische Krankenhaus eingeliefert, starb dort aber am nächsten Morgen. <br />
Ihr Grab findet sich auf dem Friedhof in Weißensee.

Bianka Hamburger gehörte in der Weimarer Republik zu den ersten und zugleich bedeutsamsten Frauen in der Jüdischen Reformgemeinde als auch der innerjüdischen Politik. Sie war Vorstand der Jüdischen Reformgemeinde und wurde als Vertreterin der Liberalen bei der ersten Gemeindewahl mit Frauenwahlrecht 1926 in die Repräsentanten-Versammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gewählt. 1930 kandidierte sie erfolgreich als Abgeordnete des Preußischen Landesverbands der Jüdischen Gemeinden. Spätestens in den 1930er Jahren war sie außerdem Vorstandsmitglied und Verwaltungsleiterin des Jüdischen Krankenhauses in Berlin und von 1937-1939 des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen. Aufgrund der schwierigen Quellenlage blieb aber ihr Beitrag zur Gleichberechtigung der Frau, zur Sozialarbeit und zur innerjüdischen Politik - anders als bei ihren Mitstreiterinnen wie Paula Ollendorf, Berta Falkenberg oder Minna Schwarz - bisher weitgehend unentdeckt.

Bereits für das Jahr 1907 ist belegt, dass Frau Magistratsrat Bianka Hamburger zusammen mit der berühmten Dr. Alice Salomon Schriftführerin des Comités zur Errichtung von Arbeiterinnenheimen war, das in jenem Jahr ein Heim mit zwanzig Betten am Kottbusser Ufer 33 in Berlin-Kreuzberg gründete. Während des ersten Weltkrieges wurde ihr 1917 unter Kaiser Wilhelm II. das „Verdienstkreuz für Kriegshilfe“ verliehen, eine Auszeichnung für besondere Leistungen im Hilfsdienst in der Heimat.

Ihre Ansichten zur religiösen, sozialen und politischen Rolle der Frau sind in ihrem Beitrag zum Symposium „Die Frau im Gottesdienst“ erhalten, der 1926 in der Jüdisch-liberalen Zeitung erschien: „Unter dem Drucke von wirtschaftlichen Sorgen und von beruflicher Belastung klagen die führenden Männer jüdischer Gemeinden jetzt oft darüber, daß sie ihre ehrenamtliche Tätigkeit und deren Anforderungen an Zeit und Kraft nicht mehr bewältigen können. Demnach fehlt es zugegebenermaßen an Mitarbeitern! Trotzdem galt es, enorme Schwierigkeiten zu überwinden, ehe den Frauen die erstrebte Mitwirkung ermöglicht wurde.“

Sie war mit dem Kommunal-Beamten Ludwig Hamburger (geb. 1867) verheiratet, der zunächst Magistratsrat, dann Stadtrat in Berlin war. Ludwig Hamburger war auch Mitglied der „Gesellschaft der Freunde“, eines alteingesessenen Berliner jüdischen Wohlfahrtsvereins, dessen zentrales Anliegen die gegenseitige Unterstützung seiner Mitglieder war. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich der Verein zu einem der wichtigsten gesellschaftlichen Treffpunkte der Berliner Wirtschafts- und Finanzelite entwickelt und war auch für viele Christen attraktiv, die in der Zeit der Weimarer Republik sogar die Mehrheit der Mitglieder stellten.
Das Ehepaar Hamburger lebte im Berliner Hansa-Viertel im Siegmunds Hof Nr. 21. Ludwig Hamburger starb bereits 1923. Die beiden hatten mindestens eine Tochter - Hilde Strauss, geborene Hamburger, die den Holocaust durch Emigration nach Palästina überlebte. Einige Jahre nach dem Tod ihres Mannes zog Frau Hamburger von der Wohnung im Hansa-Viertel in das heute noch erhaltene Haus in der Englerallee 6 in Dahlem.

Vorstand der Jüdischen Reformgemeinde zu Berlin

Spätestens seit 1926 war Bianka Hamburger im Vorstand der Jüdischen Reformgemeinde. Die Reformgemeinde war unter dem Dach der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit rund 750 erwachsenen Mitgliedern aus allen Teilen Groß-Berlins die größte und älteste private Gemeinde und gleichzeitig der äußerste Flügel des religiösen jüdischen Liberalismus in Deutschland: Die Mitglieder verstanden sich als Zusammenschluss deutscher Juden, welche die Entwicklung des Judentums im Geiste der deutschen Kultur und der Wissenschaft sowie „bei treuer Pflege der vaterländischen Gesinnung“ anstrebte. Die Gottesdienste wurden, statt in Hebräisch am Sabbat, in deutscher Sprache am Sonntag abgehalten und Frauen nahmen - entgegen den traditionalistischen Synagogen - von jeher im Tempel der Reformgemeinde keine zurückgesetzte Stellung gegenüber den Männern ein.

1926 schrieb Frau Hamburger: „Wer die Entwicklung der Jüdischen Reformgemeinde zu Berlin in den 80 Jahren ihres Bestehens kennt, wird ohne Verwunderung erfahren, daß diese Gemeinde auch in Bezug auf die Stellung der Frau Pionierarbeit geleistet hat. In ihrem Gotteshause waren die Frauen den Männern stets gleichgestellt: nie gab es dort vergitterte Frauenplätze und besondere Frauengalerien, und soweit es die Raumeinteilung gestattet, wie bei den Festgottesdiensten in den neueren Sälen im Westen sitzen Frauen und Männer, Gatte und Gattin, Eltern und Kinder zusammen. […] Bereits vor Jahren ist in dieser Gemeinde das gleiche Wahlrecht eingeführt worden. Ich darf wohl behaupten, daß die Frauen es sich selbst, und zwar auf friedliche Weise, errungen haben. Sie hatten sich als Mitglieder der verschiedenen Kommissionen so bewährt, daß ihre männlichen Kollegen den Wunsch hegten, im Vorstande und im Repräsentanten-Kollegium mit ihnen zusammenzuarbeiten. So begrüße ich als langjähriges Mitglied der Reformgemeinde zu Berlin es mit besonderer Freude und Genugtuung, daß den Frauen ständig mehr und mehr die Möglichkeit gegeben wird, ihrer Glaubensgemeinschaft in treuer Pflichterfüllung zu dienen.“

Es muss in ihrem Leben ein besonderes Ereignis gewesen sein, als die Präsidentin der World Union of Progressive Judaism, The Hon. Lily Montagu, 1928 als erste Frau in Deutschland im völlig überfüllten Tempel der Reformgemeinde in der Johannisstraße predigte. Selbst die Jüdische Rundschau, die das Organ der Zionistischen Vereinigung war und den jüdischen Liberalismus in derselben Ausgabe als „Bekenntnis der assimilierten Bourgeoisie“ bezeichnete, druckte folgenden Beitrag: „Lange Reihen von Autos, festlich geschmückte Menschen, drängendes Getriebe. Alles strömt nach dem protestantisch schmucklosen, wenn auch jetzt geschmackvoll umgebauten Betsaale der jüdischen Reformgemeinde. Also hätte der Sonntagsgottesdienst, der eben wieder umstrittene, dennoch seine Berechtigung?! – […] Diesmal gilts einer Sensation. Im Rahmen der Tagung des Weltverbandes für das religiös-liberale Judentum wurde ein Festgottesdienst angekündigt. […] Denn hier soll Lily Montagu predigen: die erste Frau, die in Deutschland eine jüdische Kanzel besteigt. […] Und dann – beginnt eine Predigt, die auch für den ganz anders gewöhnten und gerichteten Juden zum Erlebnis wird. […] Die jüdische Welt weiß, daß hinter jedem dieser Worte eine jüdische Liebestat steht, deren ihr Leben voll ist; über ihre soziale Arbeit seit mehr als einem Menschenalter wird sie selbst im Jüdischen Frauenbund noch berichten. […] Darum auch darf sie diese Predigt wagen, die mit ihren abstrakt ethischen Forderungen wohl darum nicht farblos wird, weil man bei jedem dieser Worte spürt, daß hier ein Mensch von seinem Gotteserlebnis berichtet.“
Die Mitglieder der Reformgemeinde sahen sich selbst als Deutsche jüdischen Glaubens, das Jüdische war für sie im Wesentlichen eine Religionszugehörigkeit. Ihre Rabbiner lehnten insbesondere den Zionismus und auch eine Emigration selbst nach Hitlers Machtergreifung ab: Solange Deutschland ein Rechtsstaat sei und der deutsche Charakter nicht seine ethische Komponente verliere, könne man mit Überzeugung und Hoffnung in die Zukunft schauen. Auch nach 1933 traten noch mindestens 169 neue Mitglieder der Reformgemeinde bei - davon auch Übertritte aus der evangelischen Landeskirche, bei denen Ehepartner aus sogenannten Mischehen auf diese Weise als Paar einer Religion angehören wollten.

Erste Frauen in der Repräsentanten-Versammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Im Jahr 1925 lebten in Berlin 173.000 Juden und damit rund ein Drittel (30,6 %) der jüdischen Bevölkerung in Deutschland. Die offizielle Jüdische Gemeinde zu Berlin hatte im Laufe der Zeit ein enormes Netzwerk gemeinnütziger Institutionen wie Synagogen, Wohlfahrtseinrichtungen, Krankenhäuser und Schulen aufgebaut. Die Gemeindegremien entschieden sich 1924 mit den Stimmen der Liberalen und der Volkspartei für die Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts. Das Frauenwahlrecht war in der Weimarer Republik zwar schon Ende 1918 eingeführt worden, die jüdischen Gemeinden unterlagen aber behördlicher Aufsicht und konnten nur mit deren Zustimmung Neuerungen einführen. Auch gab es zunächst innerjüdische Meinungsverschiedenheiten über die Beteiligung von Frauen. Dazu schrieb Bianka Hamburger: „Auch innerhalb der Gemeinden setzen fast überall fortschrittliche Bestrebungen ein. Im neuen Repräsentantenkollegium der Berliner Jüdischen Gemeinde werden zum ersten Male Männer und Frauen gemeinsam arbeiten, um vor allem die Not zu lindern, die schlimmer als je zuvor in der Gemeinde herrscht.“

Nach den 1926 erfolgten Neuwahlen zogen 1927 erstmals vier weibliche Vertreter in die Berliner Repräsentanten-Versammlung ein, die alle keine Neulinge in öffentlicher Arbeit waren: für die „Liberale Liste“ Bertha Falkenberg und Bianka Hamburger als Stellvertreterin; die beiden anderen Frauen gehörten der Jüdischen Volkspartei (Lina Wagner-Tauber) bzw. der Religiösen Mittelpartei (Ernestine Eschelbacher) an.

Bianka Hamburger setzte sich auch hier wieder besonders für die Einrichtung von Arbeiterinnenheimen ein, bspw. 1929, als ihre Liberale Fraktion zusätzliche Mittel für bevölkerungspolitische Maßnahmen im Etat der Gemeinde sowie zur Ausbildung jüdischer Krankenschwestern beantragte: „Ich würde es für bedauerlich halten, wenn man mit der Fürsorge für die weibliche Bevölkerung warten würde. Man könnte sehr schnell anfangen, […] nicht gleich in der erstrebenswerten Weise von Arbeiterinnenheimen mit Wohnung, sondern zunächst als Tages- und Abendheime. […] Denn die weiblichen Angestellten, die in Schlafstellen wohnen, haben solche Heime nötig. Aber die Arbeiterinnen, die bei Angehörigen wohnen, haben diese Heime noch nötiger. In London wird ein Heim für 800 jüdische Mädchen von Lili Montagu geleitet.“

Abgeordnete im Preußischen Landesverband jüdischer Gemeinden
- auch stolz das „Judenparlament“ genannt

Der bedeutendste Landesverband der jüdischen Gemeinden in Deutschland war der 1922 gegründete „Preußische Landesverband jüdischer Gemeinden (PLV)“, der von zeitgenössischer innerjüdischer Seite daher auch stolz als „Judenparlament“ bezeichnet wurde: Er repräsentierte 1925 646 und wenige Jahre später bereits 784 Gemeinden und damit rund 75 Prozent der deutschen jüdischen Bevölkerung. In seiner jährlichen Verbandstagung im Plenarsaal des ehemaligen Preußischen Herrenhauses in der Leipziger Straße (heute Sitz des Deutschen Bundesrats) schuf der PLV eine auf streng demokratischen Wahlen beruhende Plattform, auf der neben praktischen Fragen wie der Rabbinerbesoldung, Lehrerausbildung, Wohlfahrts- und Wirtschaftsfragen auch die großen geistigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen jüdischen Strömungen stattfinden konnten. Der Verbandstag des PLV war bis zur Etablierung des israelischen Parlaments, der Knesset, das einzige selbst gewählte repräsentative jüdische Gremium.

Beim ersten Verbandstag 1925 waren von den 124 Abgeordneten zehn Frauen, die überwiegend der Liberalen Fraktion angehörten. Frau Hamburger schrieb dazu: „Leider ist es bis jetzt noch nicht restlos gelungen, alle Vorurteile zu überwinden. Bei den Wahlen zum Landesverband z. B. stand keine einzige Frau auf der Liste der Konservativen Partei; aber die letztere bemühte sich, die Stimmen der Frauen für ihre Kandidaten zu gewinnen. Auch bei dieser Gelegenheit zeigte sich wieder, dass Liberalismus und Fortschritt identisch sind. Die Liberalen waren es, die das Wahlrecht der Frau nach heißen Kämpfen erreicht haben, und für sie war es eine Unmöglichkeit, aktives und passives Wahlrecht zu trennen. Eine solche Scheidung hätte einer glücklicherweise überwundenen Rückständigkeit früherer Zeiten entsprochen. So vermissen die liberalen Frauen im Landesverband leider die Vertreterinnen der erwähnten Partei, mit denen sie gerne gemeinsame Arbeit zum Besten der Allgemeinheit geleistet hätten.“

Beim nächsten Wahlgang im Jahre 1930 hatte sich die Zahl der Abgeordneten auf 130 erhöht, davon waren aber nur noch neun Frauen – eine davon war Bianka Hamburger. Sie wurde außerdem Mitglied des Unterrichtsausschusses des PLV. Wieder gehörten die meisten Frauen wie Hamburger der Liberalen Fraktion an, zwei stellte die Jüdische Volkspartei. Im Jahre 1931, als die Weltwirtschaftskrise in Deutschland ihren Höhepunkt erreichte, trieben die neun weiblichen Abgeordneten im PLV unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit auch Frauenpolitik im engeren Sinne: Sie traten geschlossen an die jüdische Öffentlichkeit heran, um Hilfe für die von zunehmender Arbeitslosigkeit betroffene weibliche Jugend zu fordern. An die jüdischen Gemeinden wurde appelliert, für die hauswirtschaftliche und berufliche Ausbildung erwerbsloser Mädchen zu sorgen; gleichzeitig sollten die jüdischen Gemeinden die staatlichen Behörden veranlassen, bei der Bereitstellung von Mitteln der Erwerbslosenfürsorge auch den besonderen jüdischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Der Frauen-Antrag wurde im Plenum einstimmig und ohne große Diskussion angenommen.

Die ersten Schreckensjahre im Dritten Reich (1933-1938)

Frau Hamburger war spätestens seit 1931 nicht nur Vorstandsmitglied, sondern auch Vorsitzende der Schul-Kommission der Jüdischen Reformgemeinde. Trotz der zunehmenden Entrechtung und Verfolgung der Juden ab 1933 meinten gerade die Mitglieder der Reformgemeinde, dass es nicht mehr lange dauern könne bis das Regime zu einem Ende käme – solange wollte man sich arrangieren. Die Schulgründungen der Reformgemeinde sind ein Beleg für diese Haltung: Die Kinder wurden aus ihren bisherigen Schulen heraus gedrängt, also musste man selber dafür sorgen, dass sie Kultur und Humanität, aber auch Anregung erhielten. Im April 1935 wurde die Joseph-Lehmann-Schule (Joachimsthaler Str. 13) gegründet, deren Schülerzahl schnell von 100 auf 300 anwuchs; im Oktober 1936 folgte die Gründung der Samuel-Holdheim-Oberschule in der Nürnberger Str. 66. Im Gegensatz zu den anderen Schulen der Jüdischen Gemeinde, die spätestens ab 1936 ihre Schüler bspw. mit Englisch-, Hebräisch- und Handwerks-Kursen auf die als dringend erachtete Emigration vorbereiteten, wechselte der Bildungsverein der Reformgemeinde erst im Frühjahr 1937 das Lehrprogramm entsprechend.

Die Reformgemeinde bekam durch die Berufsverbote, die Boykotte gegen jüdische Geschäfte und die damit erzwungene Ghettoisierung einen völlig anderen Charakter: Nachdem ihre Mitglieder die Gemeinde Jahrzehnte lang als Raum der spezifischen Religionsausübung innerhalb der deutschen Gesellschaft gesehen hatten, wurde sie nun zum Fluchtpunkt; notwendigerweise rückte man immer mehr zusammen. Und immer, wenn es kaum mehr schlimmer kommen konnte, gab es noch eine Steigerung.

Es gab sicherlich genügend Anlass, dem Thema „Selbstmord“ 1936 einen ausführlichen Artikel in den Mitteilungen der Reformgemeinde zu widmen, denn der Selbstmord war für jeden Juden aus religiösen Gründen verboten. Die Leser der Mitteilungen erhalten Empfehlungen, wie sie bei Niedergeschlagenheit reagieren können: „durch Ablenkung bei guter Musik, bei Büchern, Theater, Sport, Wanderung […] Wer Halt findet in seiner Familie, ja, wer auch nur eine Seele sein nennt, […] wird einen Hafen anlaufen können, in dem er sein havariertes Lebensschifflein wenigstens zeitweilig ausruhen und ausbessern kann.“ Der Suizid sei nur unter drei Umständen dem „Märtyrertod“ gleichgestellt und damit durch die Talmudvorschriften legitimiert: Götzendienst, Unkeuschheit oder Mord. Man müsse nicht den Mord an sich erdulden, sondern dürfe diesem durch einen selbst gewählten Tod entgehen.

Beim Pogrom im November 1938 wurden in Berlin neben vielen Geschäften jüdischer Besitzer und Privatwohnungen die meisten Jüdischen Synagogen beschädigt oder teilweise zerstört. Auch gegen den Tempel der Reformgemeinde in der Johannisstraße richteten sich die Angriffe der aufgehetzten Meute verschiedener SA-Trupps. Da die Synagoge der Reformgemeinde eng mit angrenzenden Häusern verbunden war, wurde sie zwar nicht angezündet, der Innenraum aber vom fanatisierten Pöbel nahezu vollständig zerstört.

Vorstandsmitglied und Verwaltungsleiterin des Jüdischen Krankenhauses sowie des Vereins der jüdischen Krankenpflegerinnen

Ihre zentrale Rolle für das Jüdischen Krankenhaus, insbesondere in der Zeit des Dritten Reiches, lässt sich aus zwei Zeugnissen für Frau Hamburger rekonstruieren: Zunächst war sie mehrere Jahre im Vorstand des Jüdischen Krankenhauses, anschließend mehrere Jahre bis zum November 1937 Hauskuratorin des Krankenhauses – eine Funktion, die heute als Kaufmännische Direktorin oder Verwaltungsleiterin bezeichnet werden würde. Seit wann genau sie diese Aufgaben ausübte ist nicht bekannt. Im Dezember 1937 wurde sie dann zum Mitglied des Vorstandes des Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen zu Berlin gewählt, dem größten jüdischen Schwesternverband in Deutschland. Sie übernahm die Verantwortung für den gesamten wirtschaftlichen Betrieb und das Personal. Walter Lustig, der später (1942 – 1945) auch das Jüdische Krankenhaus leitete, schrieb über sie im März 1939: „Frau Hamburger besitzt außergewöhnlich große Erfahrungen in verwaltungstechnischen Dingen, die sie sich in jahrzehntelanger Sozialarbeit auf ähnlichem Gebiet erworben hat. Nur dadurch ist es ihr gelungen, sich trotz der Schwierigkeiten, die gerade jetzt mit der Leitung eines solchen Betriebes verbunden sind, sehr gut einzuarbeiten. Frau Hamburger […] hat sich durch ihr liebenswürdiges und gütiges Wesen das persönliche Vertrauen ihrer Umgebung in außergewöhnlichem Maße erworben.“

Ob und warum Frau Hamburger 1939 diese Tätigkeit beendete, ist nicht bekannt, aber sie blieb in Berlin. Sicher ist auch, dass noch vor dem Progrom allen jüdischen Ärzten in Deutschland im Juli 1938 die Approbation entzogen wurde und mit Beginn des Jahres 1939 alle Juden den Zwangsvornamen „Sara“ bzw. „Israel“ tragen mussten. Prof. Hermann Strauß, Arzt im Krankenhaus, schrieb 1939: „Das letztvergangene Jahr hat mich erst zum alten Manne gemacht. Tägliche Selbstmordversuche, durch Gas und Schlafmittel, behandeln zu müssen, oftmals vergeblich, ist auch für den Stärksten zuviel.“ Es begann eine massenhafte Auswanderung der Schwestern und Ärzte, die Belegschaft am Krankenhaus wurde bis Kriegsbeginn fast vollständig ausgewechselt. Die Verwaltung des Krankenhauses hatte im November 1938 an die Mitarbeiter die schriftliche Aufforderung verschickt, „auch an Ihre Auswanderung zu denken“, aber im Juni 1939 appellierte der Vorstand der Jüdischen Gemeinde dringend, „an Ihren Arbeitsplätzen in unseren Heilstätten auszuharren schon in Gedanken an die Pflicht, die wir allen alten und kranken Menschen gegenüber haben“. Absurderweise verzichtete das Berliner Polizeipräsidium bis zuletzt nicht auf die staatliche Prüfung und Diplomierung der Schwesternschülerinnen, 1941 begann der letzte Schwesternkurs am Jüdischen Krankenhaus.

Die Deportationen und Flucht in den Tod

Bianka („Sara“) Hamburger wurde noch im Berliner Adressbuch 1941 als Bewohnerin und Eigentümerin der Englerallee 6 geführt, aber in diesem Jahr zog keinesfalls zufällig Bürgermeister Treff als neuer „Eigentümer“ ein. Der Nationalsozialist Herbert Treff war seit 1933 Bürgermeister von Berlin-Steglitz, Vorsitzender der Berliner Bürgermeisterkonferenz und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gemeindetags; gerade war das langjährige SS-Mitglied Treff mit folgender Begründung zum Obersturmbannführer befördert worden: „Er […] setzt sich in jeder Beziehung rücksichtlos für die Belange der SS ein. […] Seine Einsatzbereitschaft ist vorbildlich.“

Im Herbst 1941 begannen dann die Deportationen der Berliner Jüdinnen und Juden: Die Gerüchte schwirrten durch die Stadt, die meisten wussten nicht, was mit den „Verschickten“ passierte, es war nur sicher, dass niemand von ihnen zurückgekehrt war. Frau Hamburger war für die Deportation unter der Wohnadresse Mozartstr. 22 in Berlin-Lankwitz registriert.

Die Arbeit im Jüdischen Krankenhaus stand in dieser Zeit völlig unter dem erschütternden Eindruck der vielen Selbstmordpatienten. Ganze Seiten im Aufnahme- und Sterbebuch dokumentieren diese Reaktion der Betroffenen; ebenso wie Interviews die schrecklichen Konflikte der wenigen überlebenden Ärzte und Schwestern: „Es kamen viele, viele Patienten zu uns, die aus den Wohnungen geholt worden waren und die an und für sich wegkommen sollten. Sie hatten Tabletten oder Zyankali genommen. Es waren so viele, wir legten sie ins Badehaus, weil wir gar keinen Platz mehr hatten.“ „Anfang `43, da lagen alle Korridore voll, es wurde ein Selbstmordversuch nach dem anderen eingeliefert, bis wir bis zum Rand gefüllt waren, wir waren völlig zugeschoben.“ „Die Kollegen der Inneren Abteilung waren geteilter Meinung, ob es besser sei, die Kranken dieser Art zu retten oder sie ruhig einschlafen zu lassen.“ „Die Wiederbelebten, die wurden dann irgendwo in ein Lager gebracht, aber das ist es ja eben, wir sind ja nicht da zu töten, sondern wir sind da zu heilen und zu pflegen.“ Aber die Mörder waren gegen Selbstmord. Ein Selbstmordversuch war strafbar. Die „Geretteten“ mussten auf die Polizeistation im Krankenhaus verlegt werden und kamen von dort in die Strafabteilung der Deportationszüge. An sie durfte auch kein Essen mehr verteilt werden.

Alle diejenigen, die für die nächsten Transport bestimmt waren, erhielten von der zwangsweise eingerichteten „Abwanderungsstelle“ der Jüdischen Gemeinde in Berlin die Benachrichtigung und gleichzeitig ein Formular zur genauen Vermögensaufstellung und Bewertung ihres Besitzes, das innerhalb von zwei bis drei Tagen zurückgeschickt werden musste. Danach wurden die Betroffenen aufgefordert, in ihren Wohnungen auf die Abholung zu warten bzw. sich zu einem festgelegten Zeitpunkt in einem Sammellager einzufinden.

Bianka Hamburger war 1942 am Vorabend ihrer angeordneten Deportation im Alter von 65 Jahren schneller als ihre Mörder.
Sie wurde zwar noch ins Jüdische Krankenhaus eingeliefert, starb dort aber am nächsten Morgen.
Ihr Grab findet sich auf dem Friedhof in Weißensee.