Gertrud Berlin née Straus

Location 
Mommsenstr. 47
District
Charlottenburg
Stone was laid
22 February 2019
Born
26 July 1885 in Cannstatt
Escape into death
26 November 1941 in Berlin

Gertrud Berlin wurde am 26. Juli 1885 als Gertrud Straus in Cannstatt geboren. Ihre Eltern waren Ludwig Straus und seine Frau Meta, geb. Uhlmann. Der Vater war Miteigentümer einer Bettfedernfabrik in Cannstatt, die er gemeinsam mit seinen Brüdern Isac und Max betrieb. Die von Gertruds Großvater Seligmann Loeb Straus 1842 in Ulm gegründete Fabrik war im Zuge der Vergrößerung 1863 nach Cannstatt verlegt worden und hatte in der Folge zahlreiche Filialen weltweit eröffnet. Auch in Berlin wurde 1898 eine weitere Produktionsstätte aufgebaut. Um 1923 bezeichnete sich Straus & Cie als die größte Bettfedernfabrik der Welt, mit mehreren Patenten und eigener Maschinenherstellung. Ludwig und Max Straus zählten zu den reichsten Bürgern Stuttgarts, eine Liste von 1914 bezeichnet sie als „einfache“ Millionäre.<br />
Gertrud – meistens Trude gerufen – wuchs in der Cannstatter Olgastraße 37 auf, ihr Bruder Leo war drei Jahre älter als sie. 1903 heiratete Gertrud in Cannstatt Joseph Berlin aus Fürth. Gertrud zog mit ihrem Mann nach Fürth. Dessen Vater Wilhelm Berlin hatte eine Spiegelglasfabrik gegründet – ein Gewerbezweig, der in Fürth stark vertreten war. Josef Berlin aber war Teilhaber des Kurz- und Spielwarenexportgeschäfts Fleischmann & Blödel, Nachfolger Joseph Berlin, ab 1919 auch Teilhaber der Gustav Krantz Treibriemenfabrik. Ebenfalls ab 1919 war er zudem Geschäftsführer von Berlin Makler. Gertrud und Joseph Berlin wohnten im damaligen besseren Wohnviertel in Fürth, und zwar in der Promenadenstraße 7, später Hornschuchpromenade 7. In Fürth wurden ihre drei Kinder geboren: Lotte 1906, Wilhelm 1910 und Marianne 1919.<br />
Mitte Mai 1926 zog die Familie nach Nürnberg, wo 1926 Tochter Lotte den Dermatologen Ernst W. Nathan heiratete, Vorstand der Hautklinik am Städtischen Krankenhaus. Ein Jahr später starb Gertruds Mann Joseph. Gertrud blieb mit ihrer Tochter Marianne in Nürnberg.<br />
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 wurde Gertruds Schwiegersohn Ernst Nathan sofort entlassen und ohne Bezüge in den Ruhestand versetzt. Er konnte zwar privat weiter praktizieren, bekam aber keine Kassenzulassung. Wie er und Lotte, bekamen auch Gertrud und ihre anderen Kinder die zunehmenden antisemitischen Maßnahmen zu spüren. Zum 30. September 1938 wurde Ernst Nathan die ärztliche Approbation vollständig entzogen. Dies war der Auslöser – vermutlich auch für Gertrud, Wilhelm und Marianne –, die Auswanderung zu betreiben. Ernst und Lotte Nathan gelang es, mit ihrem Sohn Robert Ende März 1939 in die USA zu kommen, wo bereits Ernst Nathans Schwester lebte. Wann genau Wilhelm und Marianne flüchten konnten, wissen wir nicht. <br />
Gertrud selbst bereitete ebenfalls ihre Emigration vor, sie zahlte die Reichsfluchtsteuer, packte ihr „Auswanderergut“, sicher bemühte sie sich um ein Visum in die USA, da alle drei Kinder nach New York fuhren. Im September 1937 gab sie ihre Nürnberger Wohnung in der Rieterstraße 4 auf und zog, noch mit Marianne, nach Berlin. Möglicherweise erhoffte sie sich dort bessere Chancen, eine Auswanderung zu regeln. Am 17. Mai 1939, dem Tag der Volkszählung, wohnte sie zur Untermiete in der Mommsenstraße 47, Marianne war da vermutlich schon in den USA. Mittlerweile machten die nach dem November 1938 drastisch verstärkten Diskriminierungsmaßnahmen das Leben für Juden völlig unerträglich. Gertrud gelang es jedoch nicht, vor Kriegsausbruch ein Visum und eine Schiffspassage für sich zu bekommen. Viele Länder erteilten gar keine Visa mehr, andere ließen sich das teuer bezahlen, auch war es aufgrund gestiegener Nachfrage und explodierender Preise sehr schwer, Schiffskarten zu bekommen. Zudem konnte Gertrud nicht frei über ihr Vermögen verfügen, Judenkonten wurden als „Sicherheitskonten“ geführt, von denen sie nur Beträge für das Existenzminimum abheben durften. <br />
Gertrud Berlin musste immer neue Einschränkungen hinnehmen, so konnte sie ab Juli 1940 nur zwischen vier und fünf Uhr nachmittags einkaufen gehen, sie musste in ein anderes, ihr zugewiesenes Zimmer in der Eosanderstraße 1 bei Kiewitt ziehen, ab September 1941 hatte sie den Judenstern zu tragen, die erst 56-jährige wurde sehr wahrscheinlich zur Zwangsarbeit herangezogen, Mitte Oktober begannen die Deportationen. Für Gertrud gab es kaum mehr Hoffnung, ihren Kindern zu folgen, sie sah nur einen Ausweg: Am 26. November 1941 nahm sie sich das Leben. <br />
Gertrud Berlin hinterließ ein Testament zugunsten ihrer jüngsten Tochter Marianne in New York. Für den Fall, dass diese das Erbe nicht antreten könne, benannte sie Lotte und Wilhelm – nun William – als Erben. Dem Nachlasspfleger beschied jedoch die NS-Behörde „Ausgewanderte sind von der Erbfolge ausgeschlossen“, so konnte der Staat das Vermögen „einziehen“.<br />
Die Bettfedernfabrik wurde ab 1935 „arisiert“, 1936 ist die Berliner Niederlassung letztmalig im Adressbuch aufgeführt, so wie auch Gertruds Bruder Leo, der mit seiner Frau Erika in Berlin gelebt hatte. Er war Vorstandsmitglied der Firma. Ihm gelang die rechtzeitige Emigration, vermutlich auch dank seiner vielen Geschäftskontakte im Ausland.<br />

Gertrud Berlin wurde am 26. Juli 1885 als Gertrud Straus in Cannstatt geboren. Ihre Eltern waren Ludwig Straus und seine Frau Meta, geb. Uhlmann. Der Vater war Miteigentümer einer Bettfedernfabrik in Cannstatt, die er gemeinsam mit seinen Brüdern Isac und Max betrieb. Die von Gertruds Großvater Seligmann Loeb Straus 1842 in Ulm gegründete Fabrik war im Zuge der Vergrößerung 1863 nach Cannstatt verlegt worden und hatte in der Folge zahlreiche Filialen weltweit eröffnet. Auch in Berlin wurde 1898 eine weitere Produktionsstätte aufgebaut. Um 1923 bezeichnete sich Straus & Cie als die größte Bettfedernfabrik der Welt, mit mehreren Patenten und eigener Maschinenherstellung. Ludwig und Max Straus zählten zu den reichsten Bürgern Stuttgarts, eine Liste von 1914 bezeichnet sie als „einfache“ Millionäre.
Gertrud – meistens Trude gerufen – wuchs in der Cannstatter Olgastraße 37 auf, ihr Bruder Leo war drei Jahre älter als sie. 1903 heiratete Gertrud in Cannstatt Joseph Berlin aus Fürth. Gertrud zog mit ihrem Mann nach Fürth. Dessen Vater Wilhelm Berlin hatte eine Spiegelglasfabrik gegründet – ein Gewerbezweig, der in Fürth stark vertreten war. Josef Berlin aber war Teilhaber des Kurz- und Spielwarenexportgeschäfts Fleischmann & Blödel, Nachfolger Joseph Berlin, ab 1919 auch Teilhaber der Gustav Krantz Treibriemenfabrik. Ebenfalls ab 1919 war er zudem Geschäftsführer von Berlin Makler. Gertrud und Joseph Berlin wohnten im damaligen besseren Wohnviertel in Fürth, und zwar in der Promenadenstraße 7, später Hornschuchpromenade 7. In Fürth wurden ihre drei Kinder geboren: Lotte 1906, Wilhelm 1910 und Marianne 1919.
Mitte Mai 1926 zog die Familie nach Nürnberg, wo 1926 Tochter Lotte den Dermatologen Ernst W. Nathan heiratete, Vorstand der Hautklinik am Städtischen Krankenhaus. Ein Jahr später starb Gertruds Mann Joseph. Gertrud blieb mit ihrer Tochter Marianne in Nürnberg.
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 wurde Gertruds Schwiegersohn Ernst Nathan sofort entlassen und ohne Bezüge in den Ruhestand versetzt. Er konnte zwar privat weiter praktizieren, bekam aber keine Kassenzulassung. Wie er und Lotte, bekamen auch Gertrud und ihre anderen Kinder die zunehmenden antisemitischen Maßnahmen zu spüren. Zum 30. September 1938 wurde Ernst Nathan die ärztliche Approbation vollständig entzogen. Dies war der Auslöser – vermutlich auch für Gertrud, Wilhelm und Marianne –, die Auswanderung zu betreiben. Ernst und Lotte Nathan gelang es, mit ihrem Sohn Robert Ende März 1939 in die USA zu kommen, wo bereits Ernst Nathans Schwester lebte. Wann genau Wilhelm und Marianne flüchten konnten, wissen wir nicht.
Gertrud selbst bereitete ebenfalls ihre Emigration vor, sie zahlte die Reichsfluchtsteuer, packte ihr „Auswanderergut“, sicher bemühte sie sich um ein Visum in die USA, da alle drei Kinder nach New York fuhren. Im September 1937 gab sie ihre Nürnberger Wohnung in der Rieterstraße 4 auf und zog, noch mit Marianne, nach Berlin. Möglicherweise erhoffte sie sich dort bessere Chancen, eine Auswanderung zu regeln. Am 17. Mai 1939, dem Tag der Volkszählung, wohnte sie zur Untermiete in der Mommsenstraße 47, Marianne war da vermutlich schon in den USA. Mittlerweile machten die nach dem November 1938 drastisch verstärkten Diskriminierungsmaßnahmen das Leben für Juden völlig unerträglich. Gertrud gelang es jedoch nicht, vor Kriegsausbruch ein Visum und eine Schiffspassage für sich zu bekommen. Viele Länder erteilten gar keine Visa mehr, andere ließen sich das teuer bezahlen, auch war es aufgrund gestiegener Nachfrage und explodierender Preise sehr schwer, Schiffskarten zu bekommen. Zudem konnte Gertrud nicht frei über ihr Vermögen verfügen, Judenkonten wurden als „Sicherheitskonten“ geführt, von denen sie nur Beträge für das Existenzminimum abheben durften.
Gertrud Berlin musste immer neue Einschränkungen hinnehmen, so konnte sie ab Juli 1940 nur zwischen vier und fünf Uhr nachmittags einkaufen gehen, sie musste in ein anderes, ihr zugewiesenes Zimmer in der Eosanderstraße 1 bei Kiewitt ziehen, ab September 1941 hatte sie den Judenstern zu tragen, die erst 56-jährige wurde sehr wahrscheinlich zur Zwangsarbeit herangezogen, Mitte Oktober begannen die Deportationen. Für Gertrud gab es kaum mehr Hoffnung, ihren Kindern zu folgen, sie sah nur einen Ausweg: Am 26. November 1941 nahm sie sich das Leben.
Gertrud Berlin hinterließ ein Testament zugunsten ihrer jüngsten Tochter Marianne in New York. Für den Fall, dass diese das Erbe nicht antreten könne, benannte sie Lotte und Wilhelm – nun William – als Erben. Dem Nachlasspfleger beschied jedoch die NS-Behörde „Ausgewanderte sind von der Erbfolge ausgeschlossen“, so konnte der Staat das Vermögen „einziehen“.
Die Bettfedernfabrik wurde ab 1935 „arisiert“, 1936 ist die Berliner Niederlassung letztmalig im Adressbuch aufgeführt, so wie auch Gertruds Bruder Leo, der mit seiner Frau Erika in Berlin gelebt hatte. Er war Vorstandsmitglied der Firma. Ihm gelang die rechtzeitige Emigration, vermutlich auch dank seiner vielen Geschäftskontakte im Ausland.