Jenny Neustadt née Glückmann

Location 
Trautenaustr. 20
District
Wilmersdorf
Stone was laid
29 April 2012
Born
23 July 1851 in Thorn (Westpreußen) / Toruń
Deportation
on 24 August 1942 to Theresienstadt
Murdered
03 September 1942 in Theresienstadt

Über Jenny Glückmanns familiären Hintergrund in Thorn ist wenig bekannt. Sie kam am 23. Juli 1851 als Tochter des aus Posen stammenden Adolf Glückmann zur Welt. Die Mutter war Louise, geb. Karlssohn. Sowohl in Thorn als auch in Posen waren im 19. Jahrhundert mehrere Familien mit dem Namen Glückmann ansässig. In Thorn gab es 1897 eine Zigarrenfabrik „A. Glückmann Kaliski“, die möglicherweise zu Jennys Familie gehörte. Jennys späterer Ehemann Emil Neustadt war 1844 in Posen geboren, auch in seiner Familie kam der Name Glückmann vor, seine Mutter war Dorothea Glückmann, sein Vater Adolph Neustadt. 

Jenny und Emil Neustadt heirateten am 4. Dezember 1869 in Königsberg - Jenny war gerade 18 Jahre alt. Dort kam die Tochter Anna am 3. August 1870 zur Welt. Als der Sohn Paul am 9. Mai 1877 geboren wurde, war die Familie schon nach Berlin übergesiedelt. 1904 starb Emil Neustadt 60-jährig in seiner Wohnung in der Genthiner Straße 32. 

1902 hatte sich der Sohn Paul in der Kirche zu Bückeburg in Niedersachsen evangelisch taufen lassen. Im Kirchenbuch heißt es: „Paul Neustadt steht z.Z. als Reserve – Gefreiter beim Westf. Jägerbat. N.7, um eine 8 wöchentl. Übung zu machen. Seine Eltern, jüdischer Herkunft, sind frei religös. P. Neustadt wünschte Christ zu werden und begehrte die Taufe. Ich habe ihn unterrichtet und am 23.7. getauft.“ - unterzeichnet von Pfarrer Heidkämper.

Jenny zog nach dem Tod ihres Mannes zu Anna und ihrer Familie nach Schöneberg in die Coubièrestraße 7. Anna hatte 1894 den aus Hannover stammenden Kaufmann und Fabrikdirektor Bernhard Seckendorff (oft auch Seckendorf geschrieben) geheiratet. Der Sohn Walther Adolph war am 3. Mai 1895 auf die Welt gekommen, drei Jahre später, am 30. Oktober 1898, der zweite Sohn Erich Max. Dieser hatte nur ein kurzes Leben. Der 16-jährige Schüler starb 1914 in Frankreich als Füsilier in den Kämpfen des gerade begonnenen Ersten Weltkriegs. Er war damals ebenso wie sein Onkel Paul evangelisch getauft, auch seine Mutter Anna war lt. Sterbeurkunde zu einem nicht bekannten Zeitpunkt zum protestantischen Glauben übergetreten. 

 

Jenny wohnte noch bei den Seckendorffs, als die Familie 1913 nach Wilmersdorf in die Güntzelstraße 13 zog. Unter dieser Adresse führte Bernhard auch seine Metallwarenfabrik, spezialisiert auf Geschirrspülmaschinen. 1928 starb Bernhard Seckendorff, die Firma war jedoch noch 1931 unter seinem Namen und derselben Anschrift im Handelsregister verzeichnet. 

Jenny Neustadt ist von 1932 an nicht mehr in den Adressbüchern verzeichnet, ihre Tochter Anna (in den Adressbüchern „Anni Wwe.“ genannt) zog von der Güntzelstraße in die nahe gelegene Düsseldorfer Straße 29, wo sie bis 1938 aufgeführt ist. Wo Jenny in diesem Zeitraum wohnte, ist unbekannt. Nach eigenen Angaben hatte sie seit 1938 ein Zimmer zur Untermiete bei Elise Hiller in der Trautenaustraße 20. Die alte Frau lebte dort unter ärmlichen Verhältnissen. Ihr einziger Besitz bestand aus einem Schrank und einem Tisch. Das restliche Mobiliar war von Elise Hiller zur Verfügung gestellt, in deren Wohnung insgesamt sechs zur Deportation bestimmte Menschen zusammengedrängt leben mussten. In ihrer Vermögenserklärung gab Jenny Neustadt an, eine jährliche Vorzugsrente des Deutsch Reiches in Höhe von 420 RM bezogen zu haben – ein Betrag, der ein Überleben kaum ermöglichte. 300 RM Barvermögen befand sich noch in ihrem Besitz und wurde zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Ansonsten gab der Beamte der Reichsfinanzverwaltung an „In der Schätzungssache ist die Schätzung fruchtlos ausgefallen.“ Auch die Hauswartfrau, die sich offenbar in den Wohnungen der jüdischen Nachbarn bestens auskannte, bestätigte, dass in Jenny Neustadts Zimmer keine Gegenstände vorhanden gewesen wären.

Jenny Neustadt unterschrieb die obligatorische Vermögenserklärung am 12. August 1942, am 21. August wurde ihr die Urkunde über die Einziehung des Vermögens an die Adresse Große Hamburger Straße 26 „übergeben“. In diesem als Sammelstelle für Deportationen missbrauchten ehemaligen Altersheim musste Jenny tagelang ausharren, bis man sie am 24. August zusammen mit 99 weiteren Menschen vom Anhalter Bahnhof aus in das Böhmische Ghetto Theresienstadt deportierte. Sie überlebte die Qualen des Transports und der Gefangenschaft nur 10 Tage. Am 3. September starb Jenny Neustadt. Als Todesursache wurden in der Todesfallanzeige - wie häufig - Darmkatarrh und Herzschwäche angegeben.

Jennys protestantisch getauften Kinder, Paul und Anna und Enkel Walther überlebten die Verfolgung. Da es keinerlei Hinweise auf Flucht oder Auswanderung gibt, bleibt zu vermuten, dass sie mit Hilfe mutiger Menschen in Berlin versteckt waren. Am 7. April 1949 starb Anna an Altersschwäche in ihrer Wohnung in der Pariser Straße 6. Walther, der mit seiner Mutter in derselben Wohnung lebte, zeigte ihren Tod beim Standesamt an. Nach eigenen Angaben hatte er keinen Beruf.