Ernestine Silberstein geb. Feibel

Verlegeort
Fritschestr. 54
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
25. Februar 2020
Geboren
11. Oktober 1871 in Heinrichsdorf (Westpreußen) / Przysiersk
Deportation
am 16. Dezember 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
08. August 1943 in Theresienstadt

Ernestine Silberstein wurde 1871 in Heinrichsdorf in Westpreußen als Tochter von Max und Minna Feibel (geb. Cohn) geboren. Als junge Frau lernte Ernestine den aus dem 37 km entfernten Löbau stammenden Samuel Silberstein kennen. Die beiden heirateten 1896.<br />
Der erste Sohn, Siegbert, starb im Kindsbett. Als nächstes kam 1898 Töchterchen Meta auf die Welt. Ebenfalls in Löbau wurden 1899 Sohn Hermann und 1901 Sohn Walter geboren. Danach siedelte die junge fünfköpfige Familie nach Berlin um, wie so viele andere vermutlich in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.<br />
Im Alter von 38 Jahren brachte Ernestine am 15. April 1909 die Zwillinge Bianka und Martin zur Welt, ein ganz besonderes Geschenk für die ältere Schwester Meta, die an diesem Tag ihren elften Geburtstag feierte.<br />
Nach mehreren Umzügen innerhalb Berlins ließ sich die Familie bald nach der Geburt der Zwillinge in der Fritschestr. 54 nieder. Für die Erziehung der Kinder war die Mutter zuständig, da der Vater, ein selbstständiger Textilkaufmann, beruflich viel unterwegs war. Das Familienleben wurde von den Kindern als harmonisch und eng bezeichnet. Die Silbersteins waren völlig assimilierte liberale Juden, die Religion spielte in der Familie nur eine untergeordnete Rolle.<br />
Sohn Walter starb als junger Mann 1926 an einer Lungenentzündung; zu dieser Zeit hielt er sich in Frankfurt/Main auf – vielleicht studierte er dort?<br />
Anfang 1933 fiel der erste große Schatten auf die Familie. Martin, der eine beeindruckende Karriere in einem Konfektionsbetrieb in Berlins Konfektionsviertel um den Hausvogteiplatz gemacht hatte, wurde infolge der Judenboykotte arbeitslos und konnte auch in den Jahren danach keine Festanstellung mehr finden. Die gefundenen Unterlagen deuten darauf hin, dass auch die Geschäftstätigkeit des Vaters in Laufe der 1930er-Jahre deutlich zurückging.<br />
Am 10. November 1938 erlebten Samuel und Sohn Hermann in dessen Ladengeschäft in der Kronenstr. 56 die Gewaltexzesse des Novemberterrors. Wie durch ein Wunder überlebte der Vater unverletzt; Hermann aber kam nur knapp mit dem Leben davon und verlor kurz später mit seiner Firma seine wirtschaftliche Existenz.<br />
Dies dürfte das einschneidendste Ereignis in der Familiengeschichte der Silbersteins gewesen sein, das nicht nur den Übergang von systematischer Diskriminierung und Entrechtung zur systematischen Vernichtung markierte; es bedeutete auch den Beginn eines drastischen sozialen Abstiegs und den Zerfall der Familie Silberstein. Hermann, Martin und Bianka gelang 1939/1940 die Flucht ins Ausland; Bianka lebte fortan in London, während Hermann und Martin auf Umwegen in die USA gelangten. Aller dreier Weg blieb aber bis zum Ende sehr steinig, geprägt vom Verlust der Familie, fehlenden beruflichen Perspektiven und wirtschaftlichen Notlagen, auch aufgrund erheblicher verfolgungsbedingter gesundheitlicher Probleme.<br />
Die Eltern blieben in Deutschland. Sie hatten sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht zur Flucht entschließen können. Oder fehlte es an den finanziellen Mitteln für eine Flucht? Der einstige Wohlstand der Familie dürfte zu dieser Zeit schon erheblich geschrumpft sein, zumal Juden immer mehr finanzielle Mittel über „Judenvermögensabgaben“ etc. entzogen wurden. Auch war es inzwischen insbesondere für ältere Menschen fast unmöglich geworden, eine Einreisegenehmigung in ein anderes Land zu bekommen. Ebenso ungeklärt ist, warum Meta in Berlin blieb, aber als Älteste der Kinder fühlte sie sich sicher besonders für die Eltern verantwortlich.<br />
1941 wurden Samuel und Ernestine Silberstein gezwungen, ihr Zuhause in der Fritschestr. zu verlassen und fast ihren gesamten restlichen Besitz zurückzulassen. Sie wurden in das Altersheim in der Großen Hamburger Straße gebracht. Mit Beginn der Deportationen nach Theresienstadt Anfang Juni 1942 wurde das Gebäude zu einem Sammellager umfunktioniert; die Möbel wurden entfernt, um möglichst viele Menschen unterzubringen. Statt Betten gab es nur noch Stroh auf nacktem Boden; die Fenster wurden vergittert.<br />
Ob und, falls ja, unter welchen Umständen es noch Begegnungen zwischen den Eltern und ihrer Tochter Meta geben konnte, ist nicht bekannt. Ende Oktober 1942 wurden Meta und ihr Mann Bruno Pohle (siehe die Stolpersteine in der Bismarckstr. 108 in Charlottenburg) nach Riga deportiert. Samuel und Ernestine Silberstein sollten keines ihrer Kinder je wiedersehen. Knapp zwei Monate später, am 16. Dezember 1942, wurden sie in einem der sogenannten Alterstransporte nach Theresienstadt deportiert. Ernestine starb im August 1943, angeblich an einer „Herzmuskelentartung“ in Theresienstadt; Samuel überlebte die schrecklichen Lebensbedingungen bis 1944.<br />
Ernestine hatte noch drei Geschwister, die ebenso während der Shoah ermordet wurden. Ein Bruder, Tierarzt mit Wohnsitz in Hamburg, starb in Auschwitz; zwei weitere Geschwister wurden in der alten Heimat bei Culm-Weichsel von der Gestapo erschossen.<br />

Ernestine Silberstein wurde 1871 in Heinrichsdorf in Westpreußen als Tochter von Max und Minna Feibel (geb. Cohn) geboren. Als junge Frau lernte Ernestine den aus dem 37 km entfernten Löbau stammenden Samuel Silberstein kennen. Die beiden heirateten 1896.
Der erste Sohn, Siegbert, starb im Kindsbett. Als nächstes kam 1898 Töchterchen Meta auf die Welt. Ebenfalls in Löbau wurden 1899 Sohn Hermann und 1901 Sohn Walter geboren. Danach siedelte die junge fünfköpfige Familie nach Berlin um, wie so viele andere vermutlich in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Im Alter von 38 Jahren brachte Ernestine am 15. April 1909 die Zwillinge Bianka und Martin zur Welt, ein ganz besonderes Geschenk für die ältere Schwester Meta, die an diesem Tag ihren elften Geburtstag feierte.
Nach mehreren Umzügen innerhalb Berlins ließ sich die Familie bald nach der Geburt der Zwillinge in der Fritschestr. 54 nieder. Für die Erziehung der Kinder war die Mutter zuständig, da der Vater, ein selbstständiger Textilkaufmann, beruflich viel unterwegs war. Das Familienleben wurde von den Kindern als harmonisch und eng bezeichnet. Die Silbersteins waren völlig assimilierte liberale Juden, die Religion spielte in der Familie nur eine untergeordnete Rolle.
Sohn Walter starb als junger Mann 1926 an einer Lungenentzündung; zu dieser Zeit hielt er sich in Frankfurt/Main auf – vielleicht studierte er dort?
Anfang 1933 fiel der erste große Schatten auf die Familie. Martin, der eine beeindruckende Karriere in einem Konfektionsbetrieb in Berlins Konfektionsviertel um den Hausvogteiplatz gemacht hatte, wurde infolge der Judenboykotte arbeitslos und konnte auch in den Jahren danach keine Festanstellung mehr finden. Die gefundenen Unterlagen deuten darauf hin, dass auch die Geschäftstätigkeit des Vaters in Laufe der 1930er-Jahre deutlich zurückging.
Am 10. November 1938 erlebten Samuel und Sohn Hermann in dessen Ladengeschäft in der Kronenstr. 56 die Gewaltexzesse des Novemberterrors. Wie durch ein Wunder überlebte der Vater unverletzt; Hermann aber kam nur knapp mit dem Leben davon und verlor kurz später mit seiner Firma seine wirtschaftliche Existenz.
Dies dürfte das einschneidendste Ereignis in der Familiengeschichte der Silbersteins gewesen sein, das nicht nur den Übergang von systematischer Diskriminierung und Entrechtung zur systematischen Vernichtung markierte; es bedeutete auch den Beginn eines drastischen sozialen Abstiegs und den Zerfall der Familie Silberstein. Hermann, Martin und Bianka gelang 1939/1940 die Flucht ins Ausland; Bianka lebte fortan in London, während Hermann und Martin auf Umwegen in die USA gelangten. Aller dreier Weg blieb aber bis zum Ende sehr steinig, geprägt vom Verlust der Familie, fehlenden beruflichen Perspektiven und wirtschaftlichen Notlagen, auch aufgrund erheblicher verfolgungsbedingter gesundheitlicher Probleme.
Die Eltern blieben in Deutschland. Sie hatten sich, aus welchen Gründen auch immer, nicht zur Flucht entschließen können. Oder fehlte es an den finanziellen Mitteln für eine Flucht? Der einstige Wohlstand der Familie dürfte zu dieser Zeit schon erheblich geschrumpft sein, zumal Juden immer mehr finanzielle Mittel über „Judenvermögensabgaben“ etc. entzogen wurden. Auch war es inzwischen insbesondere für ältere Menschen fast unmöglich geworden, eine Einreisegenehmigung in ein anderes Land zu bekommen. Ebenso ungeklärt ist, warum Meta in Berlin blieb, aber als Älteste der Kinder fühlte sie sich sicher besonders für die Eltern verantwortlich.
1941 wurden Samuel und Ernestine Silberstein gezwungen, ihr Zuhause in der Fritschestr. zu verlassen und fast ihren gesamten restlichen Besitz zurückzulassen. Sie wurden in das Altersheim in der Großen Hamburger Straße gebracht. Mit Beginn der Deportationen nach Theresienstadt Anfang Juni 1942 wurde das Gebäude zu einem Sammellager umfunktioniert; die Möbel wurden entfernt, um möglichst viele Menschen unterzubringen. Statt Betten gab es nur noch Stroh auf nacktem Boden; die Fenster wurden vergittert.
Ob und, falls ja, unter welchen Umständen es noch Begegnungen zwischen den Eltern und ihrer Tochter Meta geben konnte, ist nicht bekannt. Ende Oktober 1942 wurden Meta und ihr Mann Bruno Pohle (siehe die Stolpersteine in der Bismarckstr. 108 in Charlottenburg) nach Riga deportiert. Samuel und Ernestine Silberstein sollten keines ihrer Kinder je wiedersehen. Knapp zwei Monate später, am 16. Dezember 1942, wurden sie in einem der sogenannten Alterstransporte nach Theresienstadt deportiert. Ernestine starb im August 1943, angeblich an einer „Herzmuskelentartung“ in Theresienstadt; Samuel überlebte die schrecklichen Lebensbedingungen bis 1944.
Ernestine hatte noch drei Geschwister, die ebenso während der Shoah ermordet wurden. Ein Bruder, Tierarzt mit Wohnsitz in Hamburg, starb in Auschwitz; zwei weitere Geschwister wurden in der alten Heimat bei Culm-Weichsel von der Gestapo erschossen.