Recha Tobias geb. Hirschfeld

Verlegeort
John-Foster-Dulles-Allee 10
Historischer Name
In den Zelten 9a
Bezirk/Ortsteil
Tiergarten
Verlegedatum
30. März 2013
Geboren
09. Juni 1857 in Kolberg (Pommern) / Kołobrzeg
Deportation
am 17. August 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
28. September 1942 in Theresienstadt

Recha Tobias wurde am 9. Juni 1857 im Ostseebad Kolberg (heute: Kołobrzeg, Polen) unter dem Mädchennamen Hirschfeld geboren. Sie war das älteste Kind des jüdischen Arztes Hermann Hirschfeld und dessen Frau Friederike Mann. Zu ihren sieben jüngeren Geschwistern gehörten die Schriftstellerin Franziska Mann und der Arzt und Sexualreformer Magnus Hirschfeld. Recha Tobias stammte aus einem gebildeten Elternhaus. Der Vater Hermann Hirschfeld hatte sich zu seinen Lebzeiten große Verdienste um die Gründung des Kolberger Bades erworben, und ihm zu Ehren errichteten die Bürger der Stadt 1886, kurz nach seinem Tod, ein Denkmal, das sie allerdings bereits 1933 wieder zerstörten.<br />
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Recha Tobias heiratete um 1877 den Kaufmann Martin Tobias, der einer in Mecklenburg ansässigen jüdischen Familie entstammte. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Georg, Margarethe und Gustav, die zwischen 1878 und 1881 geboren wurden. Vermutlich lebte die Familie bis Anfang der 1880er Jahre im mecklenburgischen Teterow nördlich der Müritz, bevor sie nach Kolberg zog. 1882 war Martin Tobias der Erbauer der dortigen Solbadeanstalt. Später übernahm er das Solbad selbst, und nach seinem Tod wurde es von seiner Witwe weitergeführt. Sie lebte bis mindestens 1913 in Kolberg.<br />
<br />
Ab etwa 1920 wohnte Recha Tobias in Berlin, und zwar zunächst in Schöneberg. Hier lebte auch ihr jüngster Sohn Gustav, der als Kaufmann tätig war. 1919 hatte Magnus Hirschfeld in einem Gebäude an der Ecke Beethovenstraße 3 / In den Zelten 10 am Rande des Berliner Tiergartens das weltweit erste Institut für Sexualwissenschaft eingerichtet. Als er einige Jahre später auch das Nachbargebäude unter der Adresse In den Zelten 9a erwarb, bezog Recha Tobias hier eine große Wohnung, deren hinteren Trakt sie selbst nutzte, während sie die vorderen Zimmer vermietete. Zwischen der Wohnung und dem Institutsgebäude gab es eine Verbindungstür, die Recha Tobias den direkten Zugang zu den Räumen ihres Bruders ermöglichte. So war sie im Institutsbetrieb durchaus präsent. Sie war es auch, die den Institutsangestellten im Frühjahr 1932 die Nachricht überbrachte, dass ihr Bruder von seiner Weltreise nicht nach Berlin zurückkehren werde. Magnus Hirschfeld hatte ihr zuvor brieflich eine entsprechende Mitteilung zukommen lassen.<br />
<br />
Zu den bekanntesten Untermietern von Recha Tobias gehörten der Schriftsteller Christopher Isherwood und der Archäologe Francis Turville-Petre. 1976 hielt Christopher Isherwood in seinem Erinnerungsbuch Christopher and His Kind (Christopher und die Seinen) über seine ehemalige, über 70-jährige Vermieterin fest: „Sie lebte irgendwo weitab im rückwärtigen Teil der Wohnung, auf einer Lichtung innerhalb eines Schwarzwalds von Möbelstücken. Falls ihr hin und wieder Beischlafgeräusche ans Ohr drangen, dann beschwerte sie sich nie. Vielleicht war sie im Prinzip sogar damit einverstanden – schließlich war sie ja Hirschfelds leibliche Schwester.“<br />
<br />
Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld war als Jude und Sozialist, als unabhängiger Wissenschaftler, vermögender Unternehmer und Institutsbetreiber ein zentrales Feindbild der Nationalsozialisten. Sein Institut für Sexualwissenschaft wurde am 6. Mai 1933 geplündert und Teile der umfangreichen Bibliothek wenige Tage später auf dem Berliner Opernplatz verbrannt. Die meisten seiner Mitarbeiter wurden ins Exil getrieben. Recha Tobias musste ihre Wohnung In den Zelten 9a Ende 1933 verlassen. Sie zog zunächst nach Halensee, wo sie bis etwa 1938 wohnte. Danach siedelte sie zu ihrem ältesten Sohn Georg nach Biesdorf über, der nach seinem Studium der Medizin ab 1907 eine eigene augenärztliche Praxis in Lichtenberg-Friedrichshain bzw. Karlshorst betrieb. Von Biesdorf zog Recha Tobias schließlich in die Augsburger Straße 64 nach Schöneberg, wo sie zur Untermiete bei einer Lehrerin namens Margarethe Kallmann wohnte, die ebenfalls jüdischer Herkunft war. Am 17. August 1942 wurde Recha Tobias von hier aus mit dem „1. großen Alterstransport“ nach Theresienstadt deportiert. Kaum sechs Wochen nach ihrer Ankunft kam sie am 28. September 1942 ums Leben. Sie war 85 Jahre alt. Als offizielle Todesursache wurde Herzschwäche angegeben.<br />
<br />
Sowohl das Institut für Sexualwissenschaft Magnus Hirschfelds als auch dessen Nachbargebäude wurden im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, die Ruinen später abgetragen. Erst zur Internationalen Bauausstellung „Interbau“ im Jahre 1957 wurde an dem Ort die Kongresshalle errichtet, die seit 1989 Sitz des Hauses der Kulturen der Welt ist.

Recha Tobias wurde am 9. Juni 1857 im Ostseebad Kolberg (heute: Kołobrzeg, Polen) unter dem Mädchennamen Hirschfeld geboren. Sie war das älteste Kind des jüdischen Arztes Hermann Hirschfeld und dessen Frau Friederike Mann. Zu ihren sieben jüngeren Geschwistern gehörten die Schriftstellerin Franziska Mann und der Arzt und Sexualreformer Magnus Hirschfeld. Recha Tobias stammte aus einem gebildeten Elternhaus. Der Vater Hermann Hirschfeld hatte sich zu seinen Lebzeiten große Verdienste um die Gründung des Kolberger Bades erworben, und ihm zu Ehren errichteten die Bürger der Stadt 1886, kurz nach seinem Tod, ein Denkmal, das sie allerdings bereits 1933 wieder zerstörten.

Recha Tobias heiratete um 1877 den Kaufmann Martin Tobias, der einer in Mecklenburg ansässigen jüdischen Familie entstammte. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Georg, Margarethe und Gustav, die zwischen 1878 und 1881 geboren wurden. Vermutlich lebte die Familie bis Anfang der 1880er Jahre im mecklenburgischen Teterow nördlich der Müritz, bevor sie nach Kolberg zog. 1882 war Martin Tobias der Erbauer der dortigen Solbadeanstalt. Später übernahm er das Solbad selbst, und nach seinem Tod wurde es von seiner Witwe weitergeführt. Sie lebte bis mindestens 1913 in Kolberg.

Ab etwa 1920 wohnte Recha Tobias in Berlin, und zwar zunächst in Schöneberg. Hier lebte auch ihr jüngster Sohn Gustav, der als Kaufmann tätig war. 1919 hatte Magnus Hirschfeld in einem Gebäude an der Ecke Beethovenstraße 3 / In den Zelten 10 am Rande des Berliner Tiergartens das weltweit erste Institut für Sexualwissenschaft eingerichtet. Als er einige Jahre später auch das Nachbargebäude unter der Adresse In den Zelten 9a erwarb, bezog Recha Tobias hier eine große Wohnung, deren hinteren Trakt sie selbst nutzte, während sie die vorderen Zimmer vermietete. Zwischen der Wohnung und dem Institutsgebäude gab es eine Verbindungstür, die Recha Tobias den direkten Zugang zu den Räumen ihres Bruders ermöglichte. So war sie im Institutsbetrieb durchaus präsent. Sie war es auch, die den Institutsangestellten im Frühjahr 1932 die Nachricht überbrachte, dass ihr Bruder von seiner Weltreise nicht nach Berlin zurückkehren werde. Magnus Hirschfeld hatte ihr zuvor brieflich eine entsprechende Mitteilung zukommen lassen.

Zu den bekanntesten Untermietern von Recha Tobias gehörten der Schriftsteller Christopher Isherwood und der Archäologe Francis Turville-Petre. 1976 hielt Christopher Isherwood in seinem Erinnerungsbuch Christopher and His Kind (Christopher und die Seinen) über seine ehemalige, über 70-jährige Vermieterin fest: „Sie lebte irgendwo weitab im rückwärtigen Teil der Wohnung, auf einer Lichtung innerhalb eines Schwarzwalds von Möbelstücken. Falls ihr hin und wieder Beischlafgeräusche ans Ohr drangen, dann beschwerte sie sich nie. Vielleicht war sie im Prinzip sogar damit einverstanden – schließlich war sie ja Hirschfelds leibliche Schwester.“

Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld war als Jude und Sozialist, als unabhängiger Wissenschaftler, vermögender Unternehmer und Institutsbetreiber ein zentrales Feindbild der Nationalsozialisten. Sein Institut für Sexualwissenschaft wurde am 6. Mai 1933 geplündert und Teile der umfangreichen Bibliothek wenige Tage später auf dem Berliner Opernplatz verbrannt. Die meisten seiner Mitarbeiter wurden ins Exil getrieben. Recha Tobias musste ihre Wohnung In den Zelten 9a Ende 1933 verlassen. Sie zog zunächst nach Halensee, wo sie bis etwa 1938 wohnte. Danach siedelte sie zu ihrem ältesten Sohn Georg nach Biesdorf über, der nach seinem Studium der Medizin ab 1907 eine eigene augenärztliche Praxis in Lichtenberg-Friedrichshain bzw. Karlshorst betrieb. Von Biesdorf zog Recha Tobias schließlich in die Augsburger Straße 64 nach Schöneberg, wo sie zur Untermiete bei einer Lehrerin namens Margarethe Kallmann wohnte, die ebenfalls jüdischer Herkunft war. Am 17. August 1942 wurde Recha Tobias von hier aus mit dem „1. großen Alterstransport“ nach Theresienstadt deportiert. Kaum sechs Wochen nach ihrer Ankunft kam sie am 28. September 1942 ums Leben. Sie war 85 Jahre alt. Als offizielle Todesursache wurde Herzschwäche angegeben.

Sowohl das Institut für Sexualwissenschaft Magnus Hirschfelds als auch dessen Nachbargebäude wurden im Zweiten Weltkrieg stark zerstört, die Ruinen später abgetragen. Erst zur Internationalen Bauausstellung „Interbau“ im Jahre 1957 wurde an dem Ort die Kongresshalle errichtet, die seit 1989 Sitz des Hauses der Kulturen der Welt ist.