Chaim Hermann Askanas

Verlegeort
Karlsruher Str. 23
Bezirk/Ortsteil
Halensee
Verlegedatum
16. April 2013
Geboren
13. März 1868 in Plock (Russ. Reich) / Płock
Beruf
Kaufmann
Deportation
am 14. September 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
14. Dezember 1943 in Theresienstadt

Chaim Askanas, der sich mit dem Vornamen Hermann ansprechen und eintragen ließ, wurde am 13. März 1868 in Plock (Płock/Russ. Reich) geboren. Er bewohnte seit 1931 mit seiner Frau Jenny, geboren am 1. November 1867 in Breslau (Wrocław/Polen) als Jenny Lappe, in der Karlsruher Straße 23 drei Zimmer mit Balkon und einer Kammer für 73,50 RM Miete. Allerdings benutzten die Eheleute – sicherlich aus wirtschaftlicher Not – nur einen Raum, denn zwei Zimmer hatten sie für monatlich 60 RM untervermietet an Fridaluise Thomsen. Aus zwei Vermerken, sie sei „arisch“ und „wandert nicht aus“, ist zu schließen, dass sie nicht zu den verfolgten Berliner Jüdinnen gehörte. Offenbar musste sie unter persönlich drängenden Umständen in diese Wohnung einziehen und überwies die Miete, wie ihr Sohn mit antisemitischem Unterton formulierte, „verständlicherweise nicht an die Juden Askanas“, sondern an den Hausverwalter.<br />
<br />
1942, als Hermann und Jenny Askanas sich auf ihre Deportation vorbereiten mussten, waren sie in einer Jüdischen Gemeinschaftsküche in der Sächsischen Straße 72 angestellt, er als „Pflichtarbeiter“, wie er notierte, womit er offenbar den Begriff „Zwangsarbeiter“ umschrieb, und sie als Küchenhelferin. Hermann Askanas, der in den Jahren zuvor als Kaufmann im Adressbuch eingetragen war, verdiente nach eigenen Angaben dort nur 3 RM wöchentlich.<br />
<br />
Jenny Askanas hatte einen Sohn, Hans Lappe, als dessen Anschrift sie Wilmersdorf, Wilhelmsaue 3, angab. Ein Mann dieses Namens ist weder unter dieser Adresse noch in den Deportationslisten zu finden, also ist er offenbar mit dem Leben davongekommen. Hermann Askanas nannte eine Schwester: Margarete Damm, geb. Askanas, geboren am 7. Juni 1895 in Berlin, die in der Meraner Straße 5 in Schöneberg wohnte und am 5. September 1942 nach Riga deportiert wurde, wo sie erschossen worden ist. <br />
<br />
Am 3. September 1942 musste das Ehepaar Askanas wie alle zur Deportation vorgesehenen Juden eine Vermögenserklärung ausfüllen, und die Nazi-Behörden zogen Bilanz: Es sei „keinerlei Vermögen vorhanden“. Wenige bescheidene Möbel wurden von der Händlerin Marie Bredow, Müllerstraße 16, auf 24,50 Reichsmark geschätzt und am 19. März 1943 an den Vollziehungsbeamten Roder übergeben. Die Wohnung war schon am 1. Oktober 1942 beschlagnahmt worden.<br />
<br />
Am 14. September 1942 wurden Hermann und Jenny Askanas, beide 74 Jahre alt, vom Bahnhof Grunewald ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie starb am 4. Dezember 1942 im Ghetto ausweislich des Totenscheins an einer Lungenembolie, er kam ein Jahr danach am 14. Dezember 1943 ums Leben. <br />
<br />
Die Behörde des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg hatte sofort nach der Deportation von Hermann und Jenny Askanas deren 64 Jahre alter Untermieterin Fridaluise Thomsen gekündigt, vermutlich weil die Wohnung für Interesssenten gebraucht wurde. Aber der Sohn Winfried Thomsen protestierte und benutzte dafür einen Dienstbriefbogen mit dem Kopf „Der Bevollmächtigte Vertreter des Reichsbeauftragten der NSDAP für Altmaterialerfassung“ und Hakenkreuz-Aufdruck. Sollte die Kündigung aufrechterhalten werden, drohte er am 9. November 1942, „so würde ich mich unverzüglich Beschwerde führend an die Kanzlei des Führers wenden“. Drei Tage später antwortete ein Beamter des Oberfinanzpräsidiums handschriftlich, er sei „ausdrücklich“ verpflichtet, „allen Untermietern in den Wohnungen der abgeschobenen Juden“ zu kündigen. Auch Fridaluise Thomsen selbst widersprach ihrem bevorstehenden Rauswurf: „... „werden Sie verstehen, dass ich nicht zufrieden bin“, warb sie um Verständnis, verwies auf die Wohnungsnot und unterschrieb: „Heil Hitler!“ Am 3. August 1943 kaufte sie dann einige Gegenstände ihrer einstigen Vermieter: Küchenschrank und -tisch für 12 RM. Also war es ihr gelungen, in der Wohnung zu bleiben – mindestens bis zum 29. April 1944, mit diesem Datum ist ein letzter Vermerk über ihre Miete in den noch vorhandenen Akten im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam erhalten.<br />
<br />
Hausbesitzerin war Agnes Fürstenau, Podbielskiallee 81. Hausverwalter war der Oberregierungsrat Erich Struck, von dem ein „Antrag auf Zahlung zum Teil längst überfälliger Mieten“ existiert: Vom Oberfinanzpräsidium erwarte er eine Nachzahlung für Oktober 1942 bis Januar 1943 von 54 Reichsmark für die ihm entgangene Miete, während „Frau Thomsen (arisch) monatlich Rmk 60,-- bezahlt“.<br />
<br />
PS 2012: Ein Zeitgenosse, der durch die Recherche nach seiner Familiengeschichte auf den Stolperstein für Jenny Askenas aufmerksam wurde, ist sich sicher, in dem in dieser Biographie genannten Winfried Thomsen seinen Vater erkannt zu haben. Er tut sich schwer mit der Vorstellung, dass seine Großmutter - Untermieterin bei Jenny und Hermann Askenas - von deren Deportation profitiert haben könnte, ohne sich je über deren weiteres Schicksal Gedanken gemacht zu haben. Ein "familiäres Erbe", mit dem sich viele Nachkommen der sog. "2. Generation" auseinandersetzen (müssen).

Chaim Askanas, der sich mit dem Vornamen Hermann ansprechen und eintragen ließ, wurde am 13. März 1868 in Plock (Płock/Russ. Reich) geboren. Er bewohnte seit 1931 mit seiner Frau Jenny, geboren am 1. November 1867 in Breslau (Wrocław/Polen) als Jenny Lappe, in der Karlsruher Straße 23 drei Zimmer mit Balkon und einer Kammer für 73,50 RM Miete. Allerdings benutzten die Eheleute – sicherlich aus wirtschaftlicher Not – nur einen Raum, denn zwei Zimmer hatten sie für monatlich 60 RM untervermietet an Fridaluise Thomsen. Aus zwei Vermerken, sie sei „arisch“ und „wandert nicht aus“, ist zu schließen, dass sie nicht zu den verfolgten Berliner Jüdinnen gehörte. Offenbar musste sie unter persönlich drängenden Umständen in diese Wohnung einziehen und überwies die Miete, wie ihr Sohn mit antisemitischem Unterton formulierte, „verständlicherweise nicht an die Juden Askanas“, sondern an den Hausverwalter.

1942, als Hermann und Jenny Askanas sich auf ihre Deportation vorbereiten mussten, waren sie in einer Jüdischen Gemeinschaftsküche in der Sächsischen Straße 72 angestellt, er als „Pflichtarbeiter“, wie er notierte, womit er offenbar den Begriff „Zwangsarbeiter“ umschrieb, und sie als Küchenhelferin. Hermann Askanas, der in den Jahren zuvor als Kaufmann im Adressbuch eingetragen war, verdiente nach eigenen Angaben dort nur 3 RM wöchentlich.

Jenny Askanas hatte einen Sohn, Hans Lappe, als dessen Anschrift sie Wilmersdorf, Wilhelmsaue 3, angab. Ein Mann dieses Namens ist weder unter dieser Adresse noch in den Deportationslisten zu finden, also ist er offenbar mit dem Leben davongekommen. Hermann Askanas nannte eine Schwester: Margarete Damm, geb. Askanas, geboren am 7. Juni 1895 in Berlin, die in der Meraner Straße 5 in Schöneberg wohnte und am 5. September 1942 nach Riga deportiert wurde, wo sie erschossen worden ist.

Am 3. September 1942 musste das Ehepaar Askanas wie alle zur Deportation vorgesehenen Juden eine Vermögenserklärung ausfüllen, und die Nazi-Behörden zogen Bilanz: Es sei „keinerlei Vermögen vorhanden“. Wenige bescheidene Möbel wurden von der Händlerin Marie Bredow, Müllerstraße 16, auf 24,50 Reichsmark geschätzt und am 19. März 1943 an den Vollziehungsbeamten Roder übergeben. Die Wohnung war schon am 1. Oktober 1942 beschlagnahmt worden.

Am 14. September 1942 wurden Hermann und Jenny Askanas, beide 74 Jahre alt, vom Bahnhof Grunewald ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Sie starb am 4. Dezember 1942 im Ghetto ausweislich des Totenscheins an einer Lungenembolie, er kam ein Jahr danach am 14. Dezember 1943 ums Leben.

Die Behörde des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg hatte sofort nach der Deportation von Hermann und Jenny Askanas deren 64 Jahre alter Untermieterin Fridaluise Thomsen gekündigt, vermutlich weil die Wohnung für Interesssenten gebraucht wurde. Aber der Sohn Winfried Thomsen protestierte und benutzte dafür einen Dienstbriefbogen mit dem Kopf „Der Bevollmächtigte Vertreter des Reichsbeauftragten der NSDAP für Altmaterialerfassung“ und Hakenkreuz-Aufdruck. Sollte die Kündigung aufrechterhalten werden, drohte er am 9. November 1942, „so würde ich mich unverzüglich Beschwerde führend an die Kanzlei des Führers wenden“. Drei Tage später antwortete ein Beamter des Oberfinanzpräsidiums handschriftlich, er sei „ausdrücklich“ verpflichtet, „allen Untermietern in den Wohnungen der abgeschobenen Juden“ zu kündigen. Auch Fridaluise Thomsen selbst widersprach ihrem bevorstehenden Rauswurf: „... „werden Sie verstehen, dass ich nicht zufrieden bin“, warb sie um Verständnis, verwies auf die Wohnungsnot und unterschrieb: „Heil Hitler!“ Am 3. August 1943 kaufte sie dann einige Gegenstände ihrer einstigen Vermieter: Küchenschrank und -tisch für 12 RM. Also war es ihr gelungen, in der Wohnung zu bleiben – mindestens bis zum 29. April 1944, mit diesem Datum ist ein letzter Vermerk über ihre Miete in den noch vorhandenen Akten im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam erhalten.

Hausbesitzerin war Agnes Fürstenau, Podbielskiallee 81. Hausverwalter war der Oberregierungsrat Erich Struck, von dem ein „Antrag auf Zahlung zum Teil längst überfälliger Mieten“ existiert: Vom Oberfinanzpräsidium erwarte er eine Nachzahlung für Oktober 1942 bis Januar 1943 von 54 Reichsmark für die ihm entgangene Miete, während „Frau Thomsen (arisch) monatlich Rmk 60,-- bezahlt“.

PS 2012: Ein Zeitgenosse, der durch die Recherche nach seiner Familiengeschichte auf den Stolperstein für Jenny Askenas aufmerksam wurde, ist sich sicher, in dem in dieser Biographie genannten Winfried Thomsen seinen Vater erkannt zu haben. Er tut sich schwer mit der Vorstellung, dass seine Großmutter - Untermieterin bei Jenny und Hermann Askenas - von deren Deportation profitiert haben könnte, ohne sich je über deren weiteres Schicksal Gedanken gemacht zu haben. Ein "familiäres Erbe", mit dem sich viele Nachkommen der sog. "2. Generation" auseinandersetzen (müssen).