Helene Lina Wolff geb. Meyerhardt

Verlegeort
Niebuhrstr. 66
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
27. Oktober 2009
Geboren
30. November 1875 in Krojanke (Westpreußen) / Krajenka
Deportation
am 25. Januar 1942 nach Riga
Ermordet
05. Februar 1942 in Riga

Helene Lina Meyerhardt wurde am 30. November 1875 in Krojanke/Westpreußen (heute Krajenka) als Tochter von Michaelis Meyerhardt und Mathilde, geb. Goldstein geboren. Sie hatte mindestens zwei Geschwister, Julie und Jakob. Über ihre Kindheit und Jugend haben wir keine weiteren Daten. Sie heiratete am 2. August 1898 in Krojanke den Kaufmann Richard Wolff aus Stallupönen/Ostpreußen (heute Nesterow in der russischen Exklave Kaliningrad), und zog dorthin. In Stallupönen kamen ihre fünf Kinder zur Welt: Leo 1899, Charlotte 1903, Martin 1905, Alfred 1910 und Gerhard 1912.

Helenes Mann Richard Wolff war am 6. August 1871 in Stallupönen geboren worden, machte dort Abitur und trat dann in die Getreidegroßhandlung seines Vaters Eduard Asher Wolff ein, die er ab 1906 zusammen mit seinem Bruder Sally führte. Möglicherweise war er mit Helene, meist Lina gerufen, verwandt, da seine Mutter Caroline auch eine geborene Goldstein war. Nach dem Ersten Weltkrieg zog Richard mit Lina und seiner Familie nach Berlin. 1922 überführte er die Getreidefirma nach Charlottenburg, nannte sie nun „Richard Wolff Landesproduktengroßhandlung“ mit Büro in seiner Wohnung in Charlottenburg, Karolingerplatz 3. 1925 wurde Richard an der Börse als Getreidemakler zugelassen. Über seine Kontakte in Ostpreußen wurde ihm waggonweise Getreide zum Weiterverkauf angeboten. Die Geschäfte liefen offensichtlich gut, schon 1922 hatte er das bebaute Grundstück am Sachsendamm 51 gekauft, drei Jahre später das Haus Niebuhrstraße 66. Dort bezog die Familie – wahrscheinlich Anfang der 30er- Jahre - eine komfortable 5-Zimmer Wohnung. Die Kinder wurden nach und nach selbstständig. Leo, der vermutlich nicht nach Berlin mitgekommen war, wurde Städtischer Arzt in Tilsit. Charlotte war Krankenschwester, sie heiratete 1932 den Papiergroßhändler Kurt Blaschkauer. Martin betrieb ein Zigarrengeschäft, Alfred eine Eisdiele und Gerhard hatte wie sein Schwager einen Papier- und Tütengroßhandel. 

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich Richards und Linas Leben, zunächst allmählich, dann rasant. Richard verlor die Börsenzulassung, 1936 musste er seine Firma auflösen. Martin wanderte schon 1935 nach Brasilien aus. 1937 emigrierten auch Charlotte und Kurt Blaschkauer nach Brasilien. Arthur und Leo konnten in Palästina einwandern. Martin drängte die Eltern auch nach Brasilien zu kommen, aber Richard fühlte sich durch den Besitz der Häuser abgesichert, „mir tut keiner was“ beschied er seinem Sohn. Dann versuchte er doch, einen Teil seines Vermögens ins Ausland zu verbringen, was misslang und ihm 1937 und 1938 Verhaftungen einbrachte und eine Strafzahlung von 40 000 RM. Er musste dafür eine Hypothek auf ein Grundstück in Stallupönen aufnehmen, das er noch hatte. Nach den Pogromen vom November 1938 sah er sich auch genötigt, die Häuser in der Niebuhrstraße und am Sachsendamm zu verkaufen. Von dem Erlös wurden noch etliche diskriminierende Abgaben abgezogen, aber auch über den Überschuss konnte er nicht verfügen, das Geld kam auf ein Sperrkonto. Nun änderte Richard seine Meinung - „Ein böses Erwachen zeigte mir meinen Irrtum“ schrieb er an Martin – und wollte mit Lina auch nach Brasilien. Am 3. März 1939 – das Haus in der Niebuhrstraße war gerade verkauft – schrieb er „Heute wurden bei uns die Sachen in Kisten gepackt, die vorläufig beim Spediteur bis zur Ausreise auf Lager bleiben … noch einige Gegenstände nehmen wir in die gemieteten möbl. Räume am 30. mit.“ Doch es scheint mit dem Umzug nicht gleich zu klappen, da sie am 17. Mai, zum Zeitpunkt der Volkszählung, noch in der Niebuhrstraße gemeldet waren. Ende April schreibt Richard „Wir möchten schon gern fort und ist dafür nicht bald Aussicht vorhanden, dann nehmen wir uns 2 möbl. Zimmer, da wir hier nicht weiter wohnen wollen“. Der Plan mit Brasilien scheint nicht mehr aktuell, jetzt hofft Richard auf eine Anforderung durch Leo aus Palästina. Allerdings „ob Leos Anforderung für uns oder Gerhard gelingt, ist zweifelhaft“, und Lina im gleichen Brief „Wie glücklich wären wir, wenn wir erst aufs [sic] Schiff säßen, wir können Beide nicht mehr die Zeit abwarten. Es kommt so vieles dazwischen und nichts geht glatt.“

 Richard und Lina mussten noch mehrmals umziehen. Einige Möbel aus der einst gediegenen Wohnung in der Niebuhrstraße konnte Richard noch verkaufen, das meiste – wohl auch die Kisten bei der Spedition - musste er „im Stich lassen“, wie seine Söhne später berichteten. Er sei durch die Verhaftungen und Strafgelder gesundheitlich so gebrochen gewesen, dass er sich nicht mehr um den Möbelverkauf kümmern konnte. In einem weiteren Brief vom Juli des Jahres kommt die Verzweiflung des alten Ehepaares zum Ausdruck: „Ich muss fort, da ich nach dem Verkauf und Übergabe der Häuser nicht mehr genügend zum Leben habe … Das Geld bekomme ich nicht und wenig davon bleibt nach allen Zahlungen überhaupt übrig, trotzdem ich mich an Wohnung und Essen ganz umstellen würde. Auch eine Wohnung würde ich nicht erhalten. In welcher Verfassung wir sind, könnt ihr euch vorstellen.“

Nachdem sie kurzfristig in der Rosenheimer Straße und am Innsbrucker Platz unterkamen, konnten sie schließlich zwei möblierte Zimmer zur Untermiete bei Samter in der Kufsteiner Straße 18 beziehen. Auch die Ausreise nach Palästina scheiterte, unter anderem wohl weil noch das Verfahren wegen Devisenvergehens anhängig war. Am 3. Juli 1941 starb Richard Wolff in der Bavaria Klinik, Münchener Straße 49, offiziell an Aderverkalkung. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt.

Noch ein halbes Jahr lebte Lina in der Kufsteiner Straße. Sie musste erleben, wie ihr Sohn Gerhard, ihre Schwiegertochter Paula und der kleine Joachim, ihr Enkel, die mittlerweile bei Paulas Vater in der Tilsiter Straße (heute Richard-Sorge-Straße) wohnten, Anfang November 1941 deportiert wurden. Dass sie bei Ankunft in Riga sofort erschossen wurden, hat Lina vermutlich nicht mehr erfahren. Denn einige Wochen später, am 25. Januar 1942, wurde sie selbst mit 1043 weiteren Personen vom Bahnhof Grunewald aus nach Riga deportiert. Die Menschen wurden in gedeckte Güterwagen gepfercht und waren auf der fünf Tage andauernden Fahrt der klirrenden Kälte ausgesetzt. Viele erfroren schon auf der Fahrt, andere waren bei Ankunft sehr geschwächt und wurden gleich erschossen. Helene Lina Wolff scheint ins Ghetto gelangt zu sein, überlebte aber nur wenige Tage oder Wochen. Eine 1950 nachträglich ausgestellte Sterbeurkunde datiert ihren Tod auf Ende Februar 1942, „Tag und Stunde unbekannt“. Im Gedenkbuch des Bundesarchivs ist der 5. Februar 1942 als Todestag genannt. Sie wurde 66 Jahre alt. Eine Großnichte, Mathilde Hain aus Baltimore, hat in der Gedenkstätte Yad Vashem ein Gedenkblatt für Lina Wolff hinterlegt.