Ilse Flatow

Verlegeort
Niklasstraße 5
Bezirk/Ortsteil
Schlachtensee
Verlegedatum
12. Oktober 2014
Geboren
20. Oktober 1919 in Berlin
Flucht
Flucht Holland 1939
Überlebt
30. September 1995 in Tel Aviv

Ilse Flatow wurde am 20. Oktober 1919 in Berlin als Tochter von Georg und Hedwig Flatow geboren. Sie hatten am 26.März 1918 geheiratet und waren beide aktive Sozialdemokraten, er als Ministerialbeamter, der aktiv an der Ausgestaltung der Betriebsverfassung in Deutschland (Betriebsrätegesetz von 1920) beteiligt war, sie als Sprachlehrerin und Dezernentin in der Sozialfürsorge. Beide wurden 1933 von den Nazis als Juden und Sozialdemokraten verfolgt, schließlich deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet.<br />
<br />
Als die Tochter Ilse geboren wurde, war von alledem noch nichts zu spüren. Für die Flatows ging es aufwärts, der Vater wurde in der neuen Reichsregierung Sekretär des Volksbeauftragten Rudolf Wissel und später Ministerialbeamter. Die junge Familie bezog eine eigene Wohnung in Lichterfelde, Promenadenstraße 10 und dann in Steglitz in der Schönhauser Straße 11, bis dann die Familie in das für sie neu erbaute Haus in Schlachtensee in der Niklasstraße 5 zog. In Erinnerung an ihre Eltern schreibt die Tochter später: „Meine Eltern waren beide berufstätig. Beide waren Sozialisten, beide aktiv in ihren eigenen Aufgaben und Feldern. Mein Vater als Jurist – meine Mutter in der pädagogischen und sozialen Arbeit. Sie arbeiteten für die Rechte der ‚Habenichtse‘ in der deutschen Bevölkerung bis 1933.“<br />
<br />
Ilse Flatow hat also ihre Jugend im Südwesten Berlins verbracht, hier die Schule besucht, während die Eltern und Großeltern noch in eher „jüdischen Vierteln“ in Mitte gewohnt hatten. All dies verhieß Aufstieg.<br />
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Über die Jugend von Ilse Flatow hat sie selber berichtet. Sie musste 1933 die Zehlendorfer Oberschule verlassen und ging später bis 1936 auf das Landschulheim in Herrlingen. Über diese Zeit berichtet sie in: Lucie Schachne, Erziehung zum geistigen Widerstand, Frankfurt 1986 (dipa Verlag), S. 104ff<br />
<br />
Als die Familie 1939 nach Amsterdam emigrieren muss, war Ilse 20 Jahre alt. Das Leben lag vor ihr, aber welches? Sie hatte den Einbruch der unmittelbaren Katastrophe in das Familienleben schon erlebt und erinnerte sich auch in Details später noch daran: „Mein Vater wurde während des Novemberpogroms 1938 verhaftet. Er kam im Dezember durch das Versprechen und die Garantieerklärung von seinem Freund Professor van den Bergh, uns in Holland aufzunehmen, frei. Am Tag nach seiner Verhaftung schickte uns Professor van den Bergh einen christlichen Anwalt, der half, alle Angelegenheiten zu regeln.<br />
<br />
Nichts kann den edlen Geist meines Vaters besser charakterisieren als die folgende Geschichte: Als er aus dem Konzentrationslager frei gekommen war, in körperlich und emotional schlechtem Zustand, mit seinem als Gefangenem glattrasierten Kopf und mit von Frost geschwollenen und verletzten Händen, hielt er am Bahnhof in der Stadt (Bahnhof Zoo) an, um einige Blumen, weiße Chrysanthemen für meine Mutter zu kaufen, bevor er das Taxi nach Hause bestieg. Ein gebrochener Mann, der in das Haus mit den Blumen ging und sagte: ‚Das ist für das noch am Leben sein.‘ … Er ging direkt zu seinem Arbeitszimmer – streckte sich auf seiner Ledercouch aus (genannt die Couch zum Denken) und sagte: ‚Wie können wir in einem Land bleiben, wo solche Dinge geschehen, wie ich sie jetzt mit meinen eigenen Augen 5 Wochen lang sah.‘“<br />
<br />
Kurz danach emigrierte die Familie nach Amsterdam. Die Tochter Ilse konnte bald von Amsterdam nach London emigrieren. Für sie blieb es unfassbar, dass die Eltern „nicht besser auf ihre eigenen Interessen geachtet haben“, wie sie später schrieb. Sie ging dabei auch auf die jüdischen Wurzeln ihrer Eltern ein: „Zu dem schwierigen und alten Problem: Was sind wir Juden – eine Religion? eine Rasse? ein Volk? pflegte mein Vater zu sagen: ‚Ein Volk sui generis‘. Obwohl er selber ein nichtreligiöser Mensch war, hielt er daran fest: ‚Ein Jude ist immer ein Jude und man verlässt eine verfolgte Gruppe von Menschen nicht.‘ Dies war seine Überzeugung und Antwort, wenn christliche sozialdemokratische Freunde ihren christlichen Glauben ‚verließen‘, um Freidenker-Dissidenten zu werden und ihn danach fragten. Es war nichts, was er jemals erwägen konnte zu tun und aus diesen Gründen verschmähte er auch, sich taufen zu lassen.“<br />
<br />
Den Flatows gelang die Emigration von Amsterdam aus nicht mehr. In den Unterlagen finden sich eine Reihe von berührenden Rot-Kreuz-Briefen zwischen Tochter und Eltern, die von der Hoffnung auf Rettung wie auch von Hoffnungslosigkeit, aber Dankbarkeit, die Tochter in Sicherheit zu wissen, sprechen. So schreiben sie einmal: „Auswanderung aussichtslos“, ein Jahr später: „hoffen inniglichst, Dich wohl wiederzusehen.“ Es kam nicht dazu. Über die Zeit von Ilse Flatow in London geben nur die Rot-Kreuz-Briefe wenige Auskünfte. Sie wohnte am Anfang in London bei Otto Kahn-Freund, einem ehemaligen Berliner Arbeitsrichter, der eng mit ihrem Vater zusammengearbeitet hatte und schon 1933 emigrieren musste. Später lebte sie außerhalb von London in Chertsey, Surrey, bei einem Dr. Glaister. Im Dezember 1942 schrieb sie auf der Karte an ihre Eltern im Telegrammstil: ich bin vergnügt, viel Arbeit, aber viel Freude in Verbindung mit unseren Freunden. Um welche Arbeit es sich handelte, ist nicht bekannt.<br />
<br />
Am 3. Januar 1946 heiratete sie Gerhard Herz, den ältesten Sohn von Carl Herz(SPD), der als Kreuzberger Bürgermeister von den Nazis vertrieben worden war. Gerhard Herz lebte damals schon in Haifa (Tel Aviv) und diente bei der britischen Royal Navy. Als Adresse von Ilse Herz, geb. Flatow, wird das Runwell Hospital in Wickford, Essex angegeben. Sie hat in diesem Krankenhaus als Krankenschwester gearbeitet hat und war auch später in diesem Beruf tätig.<br />
<br />
Sie ist später auch nach Israel ausgewandert. Wann dies war und was aus der Ehe geworden ist, ist nicht bekannt. Kinder hatte sie jedenfalls nicht. Eine erste Adresse von ihr in Israel lautete 1951: Tel Aviv, 16 Tempeldor Street, c/o Dr. Loewy-Hattendorf. Später wohnte sie in Tel Aviv, 17 Kaznelson Street. Dort ist sie auch am 30. September 1995 gestorben. Bei aktuellen Recherchen vor Ort konnte sich keiner der Bewohner des Hauses mehr an sie erinnern.<br />
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1980 hat sie die Familiendokumente, die ihre Eltern bei den guten Freunden in Amsterdam versteckt hatten, nach New York gebracht und dem Leo-Baeck-Institut übergeben. Dazu schrieb sie: „Ich hoffe und bin froh, wenn die Geschichte dieser Familie ein gutes Zuhause in Ihrem Institut finden wird, so dass die Texte eine Spur der Erinnerung und des Gedenkens für meine Familie sein werden. Zur gleichen Zeit werden sie etwas Licht werfen und einen Einblick geben in die deutsch-jüdischen Lebensbedingungen und einen Teil der Geschichte für die wenigen, die es interessiert und die es nicht vergessen wollen.“

Ilse Flatow wurde am 20. Oktober 1919 in Berlin als Tochter von Georg und Hedwig Flatow geboren. Sie hatten am 26.März 1918 geheiratet und waren beide aktive Sozialdemokraten, er als Ministerialbeamter, der aktiv an der Ausgestaltung der Betriebsverfassung in Deutschland (Betriebsrätegesetz von 1920) beteiligt war, sie als Sprachlehrerin und Dezernentin in der Sozialfürsorge. Beide wurden 1933 von den Nazis als Juden und Sozialdemokraten verfolgt, schließlich deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet.

Als die Tochter Ilse geboren wurde, war von alledem noch nichts zu spüren. Für die Flatows ging es aufwärts, der Vater wurde in der neuen Reichsregierung Sekretär des Volksbeauftragten Rudolf Wissel und später Ministerialbeamter. Die junge Familie bezog eine eigene Wohnung in Lichterfelde, Promenadenstraße 10 und dann in Steglitz in der Schönhauser Straße 11, bis dann die Familie in das für sie neu erbaute Haus in Schlachtensee in der Niklasstraße 5 zog. In Erinnerung an ihre Eltern schreibt die Tochter später: „Meine Eltern waren beide berufstätig. Beide waren Sozialisten, beide aktiv in ihren eigenen Aufgaben und Feldern. Mein Vater als Jurist – meine Mutter in der pädagogischen und sozialen Arbeit. Sie arbeiteten für die Rechte der ‚Habenichtse‘ in der deutschen Bevölkerung bis 1933.“

Ilse Flatow hat also ihre Jugend im Südwesten Berlins verbracht, hier die Schule besucht, während die Eltern und Großeltern noch in eher „jüdischen Vierteln“ in Mitte gewohnt hatten. All dies verhieß Aufstieg.

Über die Jugend von Ilse Flatow hat sie selber berichtet. Sie musste 1933 die Zehlendorfer Oberschule verlassen und ging später bis 1936 auf das Landschulheim in Herrlingen. Über diese Zeit berichtet sie in: Lucie Schachne, Erziehung zum geistigen Widerstand, Frankfurt 1986 (dipa Verlag), S. 104ff

Als die Familie 1939 nach Amsterdam emigrieren muss, war Ilse 20 Jahre alt. Das Leben lag vor ihr, aber welches? Sie hatte den Einbruch der unmittelbaren Katastrophe in das Familienleben schon erlebt und erinnerte sich auch in Details später noch daran: „Mein Vater wurde während des Novemberpogroms 1938 verhaftet. Er kam im Dezember durch das Versprechen und die Garantieerklärung von seinem Freund Professor van den Bergh, uns in Holland aufzunehmen, frei. Am Tag nach seiner Verhaftung schickte uns Professor van den Bergh einen christlichen Anwalt, der half, alle Angelegenheiten zu regeln.

Nichts kann den edlen Geist meines Vaters besser charakterisieren als die folgende Geschichte: Als er aus dem Konzentrationslager frei gekommen war, in körperlich und emotional schlechtem Zustand, mit seinem als Gefangenem glattrasierten Kopf und mit von Frost geschwollenen und verletzten Händen, hielt er am Bahnhof in der Stadt (Bahnhof Zoo) an, um einige Blumen, weiße Chrysanthemen für meine Mutter zu kaufen, bevor er das Taxi nach Hause bestieg. Ein gebrochener Mann, der in das Haus mit den Blumen ging und sagte: ‚Das ist für das noch am Leben sein.‘ … Er ging direkt zu seinem Arbeitszimmer – streckte sich auf seiner Ledercouch aus (genannt die Couch zum Denken) und sagte: ‚Wie können wir in einem Land bleiben, wo solche Dinge geschehen, wie ich sie jetzt mit meinen eigenen Augen 5 Wochen lang sah.‘“

Kurz danach emigrierte die Familie nach Amsterdam. Die Tochter Ilse konnte bald von Amsterdam nach London emigrieren. Für sie blieb es unfassbar, dass die Eltern „nicht besser auf ihre eigenen Interessen geachtet haben“, wie sie später schrieb. Sie ging dabei auch auf die jüdischen Wurzeln ihrer Eltern ein: „Zu dem schwierigen und alten Problem: Was sind wir Juden – eine Religion? eine Rasse? ein Volk? pflegte mein Vater zu sagen: ‚Ein Volk sui generis‘. Obwohl er selber ein nichtreligiöser Mensch war, hielt er daran fest: ‚Ein Jude ist immer ein Jude und man verlässt eine verfolgte Gruppe von Menschen nicht.‘ Dies war seine Überzeugung und Antwort, wenn christliche sozialdemokratische Freunde ihren christlichen Glauben ‚verließen‘, um Freidenker-Dissidenten zu werden und ihn danach fragten. Es war nichts, was er jemals erwägen konnte zu tun und aus diesen Gründen verschmähte er auch, sich taufen zu lassen.“

Den Flatows gelang die Emigration von Amsterdam aus nicht mehr. In den Unterlagen finden sich eine Reihe von berührenden Rot-Kreuz-Briefen zwischen Tochter und Eltern, die von der Hoffnung auf Rettung wie auch von Hoffnungslosigkeit, aber Dankbarkeit, die Tochter in Sicherheit zu wissen, sprechen. So schreiben sie einmal: „Auswanderung aussichtslos“, ein Jahr später: „hoffen inniglichst, Dich wohl wiederzusehen.“ Es kam nicht dazu. Über die Zeit von Ilse Flatow in London geben nur die Rot-Kreuz-Briefe wenige Auskünfte. Sie wohnte am Anfang in London bei Otto Kahn-Freund, einem ehemaligen Berliner Arbeitsrichter, der eng mit ihrem Vater zusammengearbeitet hatte und schon 1933 emigrieren musste. Später lebte sie außerhalb von London in Chertsey, Surrey, bei einem Dr. Glaister. Im Dezember 1942 schrieb sie auf der Karte an ihre Eltern im Telegrammstil: ich bin vergnügt, viel Arbeit, aber viel Freude in Verbindung mit unseren Freunden. Um welche Arbeit es sich handelte, ist nicht bekannt.

Am 3. Januar 1946 heiratete sie Gerhard Herz, den ältesten Sohn von Carl Herz(SPD), der als Kreuzberger Bürgermeister von den Nazis vertrieben worden war. Gerhard Herz lebte damals schon in Haifa (Tel Aviv) und diente bei der britischen Royal Navy. Als Adresse von Ilse Herz, geb. Flatow, wird das Runwell Hospital in Wickford, Essex angegeben. Sie hat in diesem Krankenhaus als Krankenschwester gearbeitet hat und war auch später in diesem Beruf tätig.

Sie ist später auch nach Israel ausgewandert. Wann dies war und was aus der Ehe geworden ist, ist nicht bekannt. Kinder hatte sie jedenfalls nicht. Eine erste Adresse von ihr in Israel lautete 1951: Tel Aviv, 16 Tempeldor Street, c/o Dr. Loewy-Hattendorf. Später wohnte sie in Tel Aviv, 17 Kaznelson Street. Dort ist sie auch am 30. September 1995 gestorben. Bei aktuellen Recherchen vor Ort konnte sich keiner der Bewohner des Hauses mehr an sie erinnern.

1980 hat sie die Familiendokumente, die ihre Eltern bei den guten Freunden in Amsterdam versteckt hatten, nach New York gebracht und dem Leo-Baeck-Institut übergeben. Dazu schrieb sie: „Ich hoffe und bin froh, wenn die Geschichte dieser Familie ein gutes Zuhause in Ihrem Institut finden wird, so dass die Texte eine Spur der Erinnerung und des Gedenkens für meine Familie sein werden. Zur gleichen Zeit werden sie etwas Licht werfen und einen Einblick geben in die deutsch-jüdischen Lebensbedingungen und einen Teil der Geschichte für die wenigen, die es interessiert und die es nicht vergessen wollen.“