Erich Lustig

Verlegeort
Reichenberger Str. 181
Bezirk/Ortsteil
Kreuzberg
Verlegedatum
02. Dezember 2005
Geboren
22. Oktober 1906 in Berlin-Köpenick
Deportation
am 26. Februar 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Erich Lustig wurde am 22. Oktober 1906 in Köpenick geboren. Wenige Tage zuvor hatte der Coup Wilhelm Voigts, des „Hauptmann von Köpenicks“, die Stadt in Aufruhr versetzt und in der Folge die damals noch unabhängige Ortschaft vor den Toren Berlins als Schauplatz der Köpenickiade schlagartig im In- und Ausland bekannt gemacht.<br />
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Erich war der Sohn des Buchbinders Moritz Lustig und dessen Frau Malvine, geborene Krieger, die beide aus Wien stammten und am 11. Juli 1903 in Köpenick geheiratet hatten. Zum Zeitpunkt der Geburt von Erich lebte die Familie in der Gartenstraße 29. Erich wuchs im Kreis von zwei Geschwistern auf. Sein älterer Bruder Walter war im Oktober 1903 in Köpenick zur Welt gekommen, seine jüngere Schwester Helene wurde im April 1914 in Berlin geboren. Über die Kindheit und Jugend von Erich Lustig und seinen Geschwistern während der Kaiserzeit und den Jahren des Ersten Weltkriegs haben sich keine Informationen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur Jüdischen Gemeinde der Stadt. 1914 waren sie in eine größere Wohnung in der Reichenberger Straße 162 in Kreuzberg gezogen.<br />
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Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gaben Moritz und Malvine Lustig ihre österreichische Nationalität auf und wurden 1919 in Preußen eingebürgert. In diesem Jahr zog die Familie noch einmal um. Diesmal ging es in die Köpenicker Straße 24 in Kreuzberg. Moritz Lustig gab Mitte der 1920er-Jahre seinen Beruf als Buchbinder auf. Seit 1926 wurde er in den Berliner Adressbüchern als Handelsmann geführt und er eröffnete ein Ladengeschäft. Frau Eva Neufeld, eine Bekannte der Familie, erinnerte sich später: „Ich kann bestätigen, dass Herr Moritz Lustig im Zentrum von Berlin einen Laden und Stand besaß, unweit des Rathauses, wo unter anderem Zigarren, Zigaretten, Süßigkeiten und Obst verkauft wurden. Soweit ich mich erinnern kann, stand die Familie damals in guten wirtschaftlichen Verhältnissen.“ Das Ladengeschäft befand sich Anfang der 1930er-Jahre in der kleinen Poststraße 4 in Mitte, später in der Spandauer Straße 28.<br />
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Erich Lustig hatte nach seinem Schulabschluss eine Lehre im Textilhandwerk begonnen und erlernte den Beruf eines Maßschneiders für Herren. Von 1925 bis 1933 war er als Schneider bei verschiedenen Unternehmen in der Hauptstadt tätig. Seine Schwester Helene arbeitete als Stenotypistin und Buchhalterin zunächst 1930/1931 beim Zentralverband der Arbeitsinvaliden und Witwen Deutschlands und ab 1932 in der Allgemeinen Ortskrankenkasse der Stadt Berlin. Erichs älterer Bruder Walter hatte ein Studium an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen (DHfL) – eines Instituts der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute HU Berlin) – absolviert, an der Sportlehrer und Trainer ausgebildet wurden. 1929 heiratete Walter die gebürtige Berlinerin Lucie Borchert und lebte später mit ihr und seiner Schwiegermutter in der Weisestraße 21 in Neukölln. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familienmitglieder im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.<br />
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Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Erich Lustig und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität; Erlasse und Sondergesetze drängten die Lustigs zunehmend in die Position von Rechtlosen. Walters damalige Ehefrau Lucie erinnerte sich später: „Mein Schwager – Erich Lustig – hatte die Absicht, sich einmal in seinem Beruf selbstständig zu machen. Durch die eingetretenen Verhältnisse wurde sein Plan aber zunichtegemacht. Die Firmen, bei denen er jeweils tätig war, sind mir nicht mehr in Erinnerung, ich weiß nur so viel, dass es sich bei dem Betrieb, wo er zuletzt gearbeitet hatte, um einen Großbetrieb handelte. Durch die sogenannte Gleichschaltung dieses Betriebes wurde er sofort entlassen."<br />
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Nach den Berichten seiner Schwester Helene erfolgte die Entlassung noch 1933 und sie schilderte seine Situation danach: „Mir ist bekannt, dass er bald danach für etwa 1 Jahr einen Kursus besuchte, wo er das Zuschneiden von Damenmänteln und Kostümen erlernte. Da es ihm nicht möglich war, in seinem Beruf Arbeit zu finden, half er im Obst- und Zigarettengeschäft meines Vaters aus, welches sich in der Spandauerstraße in Berlin befand. In 1937 wurde mein Bruder zwangsweise innerhalb Berlins zum Straßenbau für viele Stunden herangezogen und ab 1938 musste er außerhalb Berlins, möglicherweise Thüringen Straßenarbeiten verrichten.“ Helene Lustig selbst war 1933 entlassen worden und arbeitete bis 1938 in einem Berliner Büro als Stenotypistin.<br />
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Zur existentiellen Unsicherheit der Familienmitglieder trug bei, dass der Polizeipräsident Berlins am 11. Oktober 1933 die Einbürgerung von Moritz Lustig und seiner Ehefrau aus dem Jahr 1919 für nichtig erklärt hatte und das Ehepaar sowie Walter, Erich und Helene damit „staatenlos“ geworden waren. Im März 1939 wurde gegen die gebürtige Berlinerin Helene Lustig auf der Grundlage der Ausländerpolizeiverordnung vom August 1938 ein „Aufenthaltsverbot für das Reichsgebiet“ erlassen. Sie musste Deutschland innerhalb von acht Wochen verlassen, andernfalls drohten Geld- und Haftstrafen sowie eine Zwangsabschiebung. Helene verließ daraufhin im Juli 1939 Deutschland und rettete sich nach England. Eine gleichartige Aufforderung erhielten auch ihre Eltern im Dezember 1939. Die Androhung der Abschiebung wurde aber offenbar gegen diese nicht durchgesetzt. Im selben Jahr ließ sich Walter Lustig nach zehn Jahren Ehe und vermutlich angesichts massiven Drucks seitens der Behörden und der Gestapo von seiner nichtjüdischen Ehefrau Lucie scheiden. Helene Lustig erklärte später: „Die Ehe meines Bruder Walter wurde unter dem Druck der damaligen Verhältnisse auf Wunsch meines Bruders und gegen den Willen meiner Schwägerin […] geschieden.“<br />
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Im Januar 1939 heiratete Erich Lustig in Berlin. Seine Ehefrau Ida, geborene Eilberg, war 1913 in der Hauptstadt zur Welt gekommen. Das Ehepaar nahm sich im März 1939 in der Reichenberger Straße 181 in Kreuzberg eine 1-Zimmer-Wohnung. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Familienmitglieder in Berlin zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Erich Lustig war nach seinen Arbeitseinsätzen seit 1937 zuletzt Zwangsarbeiter bei den „Deutschen Hydraulik- und Präzisionswerken – Alfred Tewes AG“ in Wittenau. Ob er Kontakt zur dortigen Widerstandszelle der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe hatte, die im Betrieb gebildet wurde, ist nicht bekannt. Trotz ihrer Not nahm das Paar im Jahr 1941 oder 1942 zwei Pflegekinder von der Jüdischen Gemeinde auf: Manfred Cohn war 1933 in Berlin als Sohn der Jenny Cohn und des nach NS-Terminologie „deutschblütigen“ Arbeiters Willi Pröll zur Welt gekommen. Er besuchte die Knabenvolksschule der Jüdischen Gemeinde in der Kaiserstraße 29/30 besucht, bis diese im Juni 1942 schließen musste. Bevor er zum Ehepaar Lustig kam, war Manfred bei Hermann und Johanna Hirsch, geborene Cassriel, in Pflege gewesen, die in Friedrichshain in der Höchste Straße 4 lebten, bis sie im September 1942 nach Raasiku bei Reval deportiert und ermordet wurden. Das Schicksal von Manfreds leiblicher Mutter ist nicht bekannt. Der zweite Pflegesohn war Peter Schönwald, der 1936 in Wilmersdorf geboren worden war. Er war eine Zeit lang im Säuglings- und Kleinkinderheim der Jüdischen Gemeinde in der Wilhelm-Wolff-Straße 30-38 in Niederschönhausen untergebracht gewesen, bevor er für kurze Zeit zu dem Ehepaar Lustig kam.<br />
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Der Entrechtung folgte die Deportation: Erich und Ida Lustig sowie ihre beiden Pflegesöhne erhielten den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Sie mussten ihre Wohnung in der Reichenberger Straße 181 räumen und wurden im Sammellager an der Großen Hamburger Straße 26 interniert. Die vier wurden gemeinsam am 26. Februar 1943 mit dem „30. Osttransport“ aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Keiner von ihnen gehörte zu den wenigen Überlebenden von Auschwitz. Zum Zeitpunkt der Deportation war Erich Lustig 36 Jahre alt, seine Ehefrau 29, Manfred Cohn neun und Peter Schönwald sechs Jahre alt.<br />
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Nur wenige von Erichs Verwandten überlebten die NS-Verfolgung: Seine Eltern waren bereits Ende 1941 aus ihrer langjährigen Wohnung in der Köpenicker Straße 24 in eines der Berliner Sammellager verschleppt und am 27. November 1941 nach Riga deportiert worden. Dort wurden sie nach Ankunft am 30. November 1941 ermordet. Erichs Schwiegervater Israel Eilberg war 1939 in Berlin verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt worden, wo er am 20. April 1942 ermordet wurde. Walter Lustig hatte zuletzt in Berlin zur Untermiete bei Hohenstein in einer Wohnung in der Oranienstraße 206 gelebt. Er wurde am 27. Februar 1943 in Berlin verhaftet und wenige Tage nach seinem Bruder mit dem „31. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert. Nach der Ankunft des Transports wurde er am 2. März 1943 mit der Häftlingsnummer „104812“ in das Lager selektiert. Kurz vor Kriegsende wurde er in das Konzentrationslager Mauthausen weiterverschleppt, wo er am 29. Januar 1945 als Häftling registriert wurde. Walter erlebte noch die Befreiung des Konzentrationslagers durch US-Truppen am 5. Mai 1945, starb aber wenige Tage später, am 12. Mai 1945, an den Folgen jahrelanger Misshandlungen, Mangelversorgung und vollkommener Entkräftung. Erichs Schwester Helene Lustig, später verheiratete Gowa, überlebte im Exil in England und emigrierte nach Kriegsende in die USA. Seine Schwägerin Lucie, später verheiratete Kozak, wurde nach der erzwungenen Trennung von Walter nicht mehr aus rassistisch motivierten Gründen („Rassenverrat“) verfolgt und lebte später am Bodensee.

Erich Lustig wurde am 22. Oktober 1906 in Köpenick geboren. Wenige Tage zuvor hatte der Coup Wilhelm Voigts, des „Hauptmann von Köpenicks“, die Stadt in Aufruhr versetzt und in der Folge die damals noch unabhängige Ortschaft vor den Toren Berlins als Schauplatz der Köpenickiade schlagartig im In- und Ausland bekannt gemacht.

Erich war der Sohn des Buchbinders Moritz Lustig und dessen Frau Malvine, geborene Krieger, die beide aus Wien stammten und am 11. Juli 1903 in Köpenick geheiratet hatten. Zum Zeitpunkt der Geburt von Erich lebte die Familie in der Gartenstraße 29. Erich wuchs im Kreis von zwei Geschwistern auf. Sein älterer Bruder Walter war im Oktober 1903 in Köpenick zur Welt gekommen, seine jüngere Schwester Helene wurde im April 1914 in Berlin geboren. Über die Kindheit und Jugend von Erich Lustig und seinen Geschwistern während der Kaiserzeit und den Jahren des Ersten Weltkriegs haben sich keine Informationen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur Jüdischen Gemeinde der Stadt. 1914 waren sie in eine größere Wohnung in der Reichenberger Straße 162 in Kreuzberg gezogen.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gaben Moritz und Malvine Lustig ihre österreichische Nationalität auf und wurden 1919 in Preußen eingebürgert. In diesem Jahr zog die Familie noch einmal um. Diesmal ging es in die Köpenicker Straße 24 in Kreuzberg. Moritz Lustig gab Mitte der 1920er-Jahre seinen Beruf als Buchbinder auf. Seit 1926 wurde er in den Berliner Adressbüchern als Handelsmann geführt und er eröffnete ein Ladengeschäft. Frau Eva Neufeld, eine Bekannte der Familie, erinnerte sich später: „Ich kann bestätigen, dass Herr Moritz Lustig im Zentrum von Berlin einen Laden und Stand besaß, unweit des Rathauses, wo unter anderem Zigarren, Zigaretten, Süßigkeiten und Obst verkauft wurden. Soweit ich mich erinnern kann, stand die Familie damals in guten wirtschaftlichen Verhältnissen.“ Das Ladengeschäft befand sich Anfang der 1930er-Jahre in der kleinen Poststraße 4 in Mitte, später in der Spandauer Straße 28.

Erich Lustig hatte nach seinem Schulabschluss eine Lehre im Textilhandwerk begonnen und erlernte den Beruf eines Maßschneiders für Herren. Von 1925 bis 1933 war er als Schneider bei verschiedenen Unternehmen in der Hauptstadt tätig. Seine Schwester Helene arbeitete als Stenotypistin und Buchhalterin zunächst 1930/1931 beim Zentralverband der Arbeitsinvaliden und Witwen Deutschlands und ab 1932 in der Allgemeinen Ortskrankenkasse der Stadt Berlin. Erichs älterer Bruder Walter hatte ein Studium an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen (DHfL) – eines Instituts der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute HU Berlin) – absolviert, an der Sportlehrer und Trainer ausgebildet wurden. 1929 heiratete Walter die gebürtige Berlinerin Lucie Borchert und lebte später mit ihr und seiner Schwiegermutter in der Weisestraße 21 in Neukölln. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familienmitglieder im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Erich Lustig und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Rassismus mit Hilfe staatlicher Autorität; Erlasse und Sondergesetze drängten die Lustigs zunehmend in die Position von Rechtlosen. Walters damalige Ehefrau Lucie erinnerte sich später: „Mein Schwager – Erich Lustig – hatte die Absicht, sich einmal in seinem Beruf selbstständig zu machen. Durch die eingetretenen Verhältnisse wurde sein Plan aber zunichtegemacht. Die Firmen, bei denen er jeweils tätig war, sind mir nicht mehr in Erinnerung, ich weiß nur so viel, dass es sich bei dem Betrieb, wo er zuletzt gearbeitet hatte, um einen Großbetrieb handelte. Durch die sogenannte Gleichschaltung dieses Betriebes wurde er sofort entlassen."

Nach den Berichten seiner Schwester Helene erfolgte die Entlassung noch 1933 und sie schilderte seine Situation danach: „Mir ist bekannt, dass er bald danach für etwa 1 Jahr einen Kursus besuchte, wo er das Zuschneiden von Damenmänteln und Kostümen erlernte. Da es ihm nicht möglich war, in seinem Beruf Arbeit zu finden, half er im Obst- und Zigarettengeschäft meines Vaters aus, welches sich in der Spandauerstraße in Berlin befand. In 1937 wurde mein Bruder zwangsweise innerhalb Berlins zum Straßenbau für viele Stunden herangezogen und ab 1938 musste er außerhalb Berlins, möglicherweise Thüringen Straßenarbeiten verrichten.“ Helene Lustig selbst war 1933 entlassen worden und arbeitete bis 1938 in einem Berliner Büro als Stenotypistin.

Zur existentiellen Unsicherheit der Familienmitglieder trug bei, dass der Polizeipräsident Berlins am 11. Oktober 1933 die Einbürgerung von Moritz Lustig und seiner Ehefrau aus dem Jahr 1919 für nichtig erklärt hatte und das Ehepaar sowie Walter, Erich und Helene damit „staatenlos“ geworden waren. Im März 1939 wurde gegen die gebürtige Berlinerin Helene Lustig auf der Grundlage der Ausländerpolizeiverordnung vom August 1938 ein „Aufenthaltsverbot für das Reichsgebiet“ erlassen. Sie musste Deutschland innerhalb von acht Wochen verlassen, andernfalls drohten Geld- und Haftstrafen sowie eine Zwangsabschiebung. Helene verließ daraufhin im Juli 1939 Deutschland und rettete sich nach England. Eine gleichartige Aufforderung erhielten auch ihre Eltern im Dezember 1939. Die Androhung der Abschiebung wurde aber offenbar gegen diese nicht durchgesetzt. Im selben Jahr ließ sich Walter Lustig nach zehn Jahren Ehe und vermutlich angesichts massiven Drucks seitens der Behörden und der Gestapo von seiner nichtjüdischen Ehefrau Lucie scheiden. Helene Lustig erklärte später: „Die Ehe meines Bruder Walter wurde unter dem Druck der damaligen Verhältnisse auf Wunsch meines Bruders und gegen den Willen meiner Schwägerin […] geschieden.“

Im Januar 1939 heiratete Erich Lustig in Berlin. Seine Ehefrau Ida, geborene Eilberg, war 1913 in der Hauptstadt zur Welt gekommen. Das Ehepaar nahm sich im März 1939 in der Reichenberger Straße 181 in Kreuzberg eine 1-Zimmer-Wohnung. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Familienmitglieder in Berlin zum Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Erich Lustig war nach seinen Arbeitseinsätzen seit 1937 zuletzt Zwangsarbeiter bei den „Deutschen Hydraulik- und Präzisionswerken – Alfred Tewes AG“ in Wittenau. Ob er Kontakt zur dortigen Widerstandszelle der Saefkow-Jacob-Bästlein-Gruppe hatte, die im Betrieb gebildet wurde, ist nicht bekannt. Trotz ihrer Not nahm das Paar im Jahr 1941 oder 1942 zwei Pflegekinder von der Jüdischen Gemeinde auf: Manfred Cohn war 1933 in Berlin als Sohn der Jenny Cohn und des nach NS-Terminologie „deutschblütigen“ Arbeiters Willi Pröll zur Welt gekommen. Er besuchte die Knabenvolksschule der Jüdischen Gemeinde in der Kaiserstraße 29/30 besucht, bis diese im Juni 1942 schließen musste. Bevor er zum Ehepaar Lustig kam, war Manfred bei Hermann und Johanna Hirsch, geborene Cassriel, in Pflege gewesen, die in Friedrichshain in der Höchste Straße 4 lebten, bis sie im September 1942 nach Raasiku bei Reval deportiert und ermordet wurden. Das Schicksal von Manfreds leiblicher Mutter ist nicht bekannt. Der zweite Pflegesohn war Peter Schönwald, der 1936 in Wilmersdorf geboren worden war. Er war eine Zeit lang im Säuglings- und Kleinkinderheim der Jüdischen Gemeinde in der Wilhelm-Wolff-Straße 30-38 in Niederschönhausen untergebracht gewesen, bevor er für kurze Zeit zu dem Ehepaar Lustig kam.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Erich und Ida Lustig sowie ihre beiden Pflegesöhne erhielten den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Sie mussten ihre Wohnung in der Reichenberger Straße 181 räumen und wurden im Sammellager an der Großen Hamburger Straße 26 interniert. Die vier wurden gemeinsam am 26. Februar 1943 mit dem „30. Osttransport“ aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Keiner von ihnen gehörte zu den wenigen Überlebenden von Auschwitz. Zum Zeitpunkt der Deportation war Erich Lustig 36 Jahre alt, seine Ehefrau 29, Manfred Cohn neun und Peter Schönwald sechs Jahre alt.

Nur wenige von Erichs Verwandten überlebten die NS-Verfolgung: Seine Eltern waren bereits Ende 1941 aus ihrer langjährigen Wohnung in der Köpenicker Straße 24 in eines der Berliner Sammellager verschleppt und am 27. November 1941 nach Riga deportiert worden. Dort wurden sie nach Ankunft am 30. November 1941 ermordet. Erichs Schwiegervater Israel Eilberg war 1939 in Berlin verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt worden, wo er am 20. April 1942 ermordet wurde. Walter Lustig hatte zuletzt in Berlin zur Untermiete bei Hohenstein in einer Wohnung in der Oranienstraße 206 gelebt. Er wurde am 27. Februar 1943 in Berlin verhaftet und wenige Tage nach seinem Bruder mit dem „31. Osttransport“ nach Auschwitz deportiert. Nach der Ankunft des Transports wurde er am 2. März 1943 mit der Häftlingsnummer „104812“ in das Lager selektiert. Kurz vor Kriegsende wurde er in das Konzentrationslager Mauthausen weiterverschleppt, wo er am 29. Januar 1945 als Häftling registriert wurde. Walter erlebte noch die Befreiung des Konzentrationslagers durch US-Truppen am 5. Mai 1945, starb aber wenige Tage später, am 12. Mai 1945, an den Folgen jahrelanger Misshandlungen, Mangelversorgung und vollkommener Entkräftung. Erichs Schwester Helene Lustig, später verheiratete Gowa, überlebte im Exil in England und emigrierte nach Kriegsende in die USA. Seine Schwägerin Lucie, später verheiratete Kozak, wurde nach der erzwungenen Trennung von Walter nicht mehr aus rassistisch motivierten Gründen („Rassenverrat“) verfolgt und lebte später am Bodensee.