Gertrud Friedlaender geb. Goldberger

Verlegeort
Schlüterstr. 54
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
23. September 2010
Geboren
30. April 1875 in Breslau (Schlesien) / Wrocław
Deportation
am 02. April 1942 nach Warschau
Ermordet
in Warschau

Gertrud Friedländer wurde am 30. April 1875 als eine Tochter von Isidor Goldberger in Breslau geboren. Ihre Eltern stammten aus Cosel (heute Koźle) in Schlesien. Sie heiratete den Börsenmakler Georg Friedländer, Sohn von Adolf und Henriette aus Schweidnitz.<br />
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Georg Friedländer hatte seine Firma 1890 nach Berlin, genauer Schöneberg, verlegt. Eine eigene Wohnung bezog Georg Friedländer laut Adressbuch erst 1895, möglicherweise nach seiner Heirat mit Gertrud. Das Paar lebte zunächst in der Motz- und dann in der Goltzstraße, 1905 kaufte Georg Friedländer ein Wohnhaus in der Tempelhofer Straße 21a und zog dort selbst ein. Fünf Jahre später verkaufte er es wieder, um in eine Wohnung in der neuerbauten Charlottenburger Schlüterstraße 52 einzuziehen, Ecke Niebuhrstraße. Im nächsten Jahr wurde das Haus in Nr. 55 umnummeriert. Auch das Gewerbe ließ Georg Friedländer nach Charlottenburg verlegen. 1921 erhielt Gertrud Prokura und 1928 wurde sie auch als Gesellschafterin eingetragen. Zwei Jahre später ging Georg in den Ruhestand, seine Firma wurde gelöscht.<br />
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Die Ehe der Friedländer blieb kinderlos. Sie hatten aber beide etliche Geschwister und folglich zahlreiche Neffen und Nichten, von denen auch einige in Berlin lebten. Ein Testament von Georg und Gertrud Friedländer legt 13 Erben aus der Familie fest, außerdem großzügige Legate an die jüdischen Gemeinden in Breslau, Schweidnitz und Berlin, die ersten beiden mit der Auflage, die Familiengrabstätten der Goldberger und Friedländer zu pflegen.<br />
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Georg und Gertrud Friedländer waren vermögend. In ihrer Fünf-Zimmerwohnung in der Schlüterstraße 55 pflegten sie ein großzügiges gesellschaftliches Leben, die Einrichtung war entsprechend gediegen. Im September 1935 starb Georg, seine Witwe blieb weiter in der Wohnung. In den folgenden Jahren musste sie erleben, wie ihr Leben durch Antisemitismus und diskriminierende Maßnahmen der Regierung zunehmend erschwert wurde, insbesondere der Zugriff auf ihr Vermögen wurde empfindlich eingeschränkt. Nach dem Novemberpogrom am 9./10. November 1938 häuften sich nochmal die Verordnungen gegen Juden, sie durften nicht am öffentlichen Leben teilnehmen, nicht in Theater, Konzerte, Kinos gehen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, ihre Konten wurde zu „Sicherheitskonten“ erklärt, von denen sie nur durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben durften.<br />
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Gertrud Friedländer konnte ihre Wohnung nicht mehr halten und entschloss sich, in die Pension Phiebig in der benachbarten Schlüterstraße 54 zu ziehen. Am 1. April 1939 bezog sie bei Rosa Phiebig ein möbliertes Zimmer und zahlte fortan monatlich 150.- RM für Unterkunft und Verpflegung. Auch hier wurde das Dasein immer stärker bedroht. Anfang 1941 gab es in Berlin verstärkt Zwangseinweisungen, im Herbst begannen die Deportationen in eine ungewisse Zukunft „nach dem Osten“. Gertrud Friedländer musste damit rechnen, ihr Zimmer mit anderen teilen zu müssen und befürchten, selbst „abgeschoben“ zu werden. Anfang November schrieb sie an ihren Neffen Richard Fraenkel in Frankfurt am Main: „...die Kündigungen und Abtransporte erfolgen in größtem Umfange.“ Und sie berichtete, die Zimmer seien, wie schon einmal zuvor, besichtigt worden und sicherlich würde man diesmal Mitbewohner bekommen, das nähme sie aber mittlerweile gerne in Kauf, wenn sie nur nicht fort müsse. Diese Bescheidung half ihr aber wenig: als eine der ersten aus dem Haus wurde sie Ende März 1942 aufgefordert, eine „Vermögenserklärung“ auszufüllen, der Vorbote der Deportation . Gertrud Friedländer nannte bloß noch Wäsche und Kleidung ihr eigen, ausführlich gab sie über ihre finanzielle Lage Auskunft, schließlich hatte sie auch eine „Erklärung“ unterschreiben müssen, nach der ihr bekannt sei, dass ihre Angaben „noch vor dem Abtransport“ überprüft würden und dass sie „bei Verstoß gegen diese Anordnung auf keine Nachsicht zu rechnen“ habe. Auf ihrem Konto waren einige Tausend Reichsmark, von denen aber noch Judensteuern, der beträchtliche „Sonderbeitrag“ – die Strafabgabe für Juden von 25% nach dem Novemberpogrom –, Lebensunterhaltkosten und, besonders zynisch, 50.- RM „für die Abwanderung“ abgingen. Um ein 20faches höher lag Gertrud Friedländers Vermögen in Wertpapieren. Allein, sie konnte nur eingeschränkt, seit Dezember 1941 überhaupt nicht mehr darüber verfügen. Es sollte alles zur Raubbeute des nationalsozialistischen Staates werden, inklusive des lächerlichen Erlöses ihrer letzten Habseligkeiten, für die der Trödler Paul Linke 49.- RM zahlte.<br />
<br />
Genau einen Monat vor ihrem 67. Geburtstag unterschrieb Gertrud Friedländer die „Vermögenserklärung“ und wurde am gleichen oder am nächsten Tag in die zur Sammelstelle umgewandelte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 gebracht und am 2. April 1942 nach Warschau in das dortige Ghetto deportiert.<br />
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Das Warschauer Ghetto wurde Mitte 1940 von den deutschen Besatzern in der Warschauer Altstadt eingerichtet und durch eine hohe Mauer und Wachposten isoliert. Juden aus Warschau und anderen polnischen Regionen wurden hier zusammengepfercht. 1942 wurden auch Juden aus dem „Altreich“ dorthin deportiert, so auch Gertrud Friedländer. Ein von den Deutschen eingesetzter und ihnen vollkommen unterstellter „Judenrat“ täuschte Selbstverwaltung vor. Überfüllung, Hunger und Seuchen bestimmten die Lebensbedingungen. Etwa 500000 Menschen mussten auf engstem Raum zusammenleben, 6-7 Leute hatten sich ein Zimmer zu teilen. Die Nahrungsmittelrationen betrugen 184 Kalorien pro Tag und Kopf (für Polen 634, für Deutsche 2310). Flecktyphus und andere Krankheiten machten die Runde. Zudem war Zwangsarbeit an der Tagesordnung. Gertrud Friedländer wurde in die Gartenstraße 27 eingewiesen, sicherlich auch in ein überbelegtes Zimmer. Dort erhielt sie noch Ende Mai Post – von der Steuerbehörde.<br />
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Ab Juli 1942 wurden die Ghettobewohner weiter in Vernichtungslager deportiert, vor allem nach Treblinka, und dort ermordet. Es ist nicht bekannt, ob dies auch das Schicksal von Gertrud Friedländer war, oder ob sie, wie weitere 80000 Menschen, noch im Ghetto an den menschenunwürdigen Lebensbedingungen umkam.

Gertrud Friedländer wurde am 30. April 1875 als eine Tochter von Isidor Goldberger in Breslau geboren. Ihre Eltern stammten aus Cosel (heute Koźle) in Schlesien. Sie heiratete den Börsenmakler Georg Friedländer, Sohn von Adolf und Henriette aus Schweidnitz.

Georg Friedländer hatte seine Firma 1890 nach Berlin, genauer Schöneberg, verlegt. Eine eigene Wohnung bezog Georg Friedländer laut Adressbuch erst 1895, möglicherweise nach seiner Heirat mit Gertrud. Das Paar lebte zunächst in der Motz- und dann in der Goltzstraße, 1905 kaufte Georg Friedländer ein Wohnhaus in der Tempelhofer Straße 21a und zog dort selbst ein. Fünf Jahre später verkaufte er es wieder, um in eine Wohnung in der neuerbauten Charlottenburger Schlüterstraße 52 einzuziehen, Ecke Niebuhrstraße. Im nächsten Jahr wurde das Haus in Nr. 55 umnummeriert. Auch das Gewerbe ließ Georg Friedländer nach Charlottenburg verlegen. 1921 erhielt Gertrud Prokura und 1928 wurde sie auch als Gesellschafterin eingetragen. Zwei Jahre später ging Georg in den Ruhestand, seine Firma wurde gelöscht.

Die Ehe der Friedländer blieb kinderlos. Sie hatten aber beide etliche Geschwister und folglich zahlreiche Neffen und Nichten, von denen auch einige in Berlin lebten. Ein Testament von Georg und Gertrud Friedländer legt 13 Erben aus der Familie fest, außerdem großzügige Legate an die jüdischen Gemeinden in Breslau, Schweidnitz und Berlin, die ersten beiden mit der Auflage, die Familiengrabstätten der Goldberger und Friedländer zu pflegen.

Georg und Gertrud Friedländer waren vermögend. In ihrer Fünf-Zimmerwohnung in der Schlüterstraße 55 pflegten sie ein großzügiges gesellschaftliches Leben, die Einrichtung war entsprechend gediegen. Im September 1935 starb Georg, seine Witwe blieb weiter in der Wohnung. In den folgenden Jahren musste sie erleben, wie ihr Leben durch Antisemitismus und diskriminierende Maßnahmen der Regierung zunehmend erschwert wurde, insbesondere der Zugriff auf ihr Vermögen wurde empfindlich eingeschränkt. Nach dem Novemberpogrom am 9./10. November 1938 häuften sich nochmal die Verordnungen gegen Juden, sie durften nicht am öffentlichen Leben teilnehmen, nicht in Theater, Konzerte, Kinos gehen. Alle Wertgegenstände mussten sie abliefern, ihre Konten wurde zu „Sicherheitskonten“ erklärt, von denen sie nur durch „Sicherungsanordnung“ festgelegte Beträge für ein Existenzminimum abheben durften.

Gertrud Friedländer konnte ihre Wohnung nicht mehr halten und entschloss sich, in die Pension Phiebig in der benachbarten Schlüterstraße 54 zu ziehen. Am 1. April 1939 bezog sie bei Rosa Phiebig ein möbliertes Zimmer und zahlte fortan monatlich 150.- RM für Unterkunft und Verpflegung. Auch hier wurde das Dasein immer stärker bedroht. Anfang 1941 gab es in Berlin verstärkt Zwangseinweisungen, im Herbst begannen die Deportationen in eine ungewisse Zukunft „nach dem Osten“. Gertrud Friedländer musste damit rechnen, ihr Zimmer mit anderen teilen zu müssen und befürchten, selbst „abgeschoben“ zu werden. Anfang November schrieb sie an ihren Neffen Richard Fraenkel in Frankfurt am Main: „...die Kündigungen und Abtransporte erfolgen in größtem Umfange.“ Und sie berichtete, die Zimmer seien, wie schon einmal zuvor, besichtigt worden und sicherlich würde man diesmal Mitbewohner bekommen, das nähme sie aber mittlerweile gerne in Kauf, wenn sie nur nicht fort müsse. Diese Bescheidung half ihr aber wenig: als eine der ersten aus dem Haus wurde sie Ende März 1942 aufgefordert, eine „Vermögenserklärung“ auszufüllen, der Vorbote der Deportation . Gertrud Friedländer nannte bloß noch Wäsche und Kleidung ihr eigen, ausführlich gab sie über ihre finanzielle Lage Auskunft, schließlich hatte sie auch eine „Erklärung“ unterschreiben müssen, nach der ihr bekannt sei, dass ihre Angaben „noch vor dem Abtransport“ überprüft würden und dass sie „bei Verstoß gegen diese Anordnung auf keine Nachsicht zu rechnen“ habe. Auf ihrem Konto waren einige Tausend Reichsmark, von denen aber noch Judensteuern, der beträchtliche „Sonderbeitrag“ – die Strafabgabe für Juden von 25% nach dem Novemberpogrom –, Lebensunterhaltkosten und, besonders zynisch, 50.- RM „für die Abwanderung“ abgingen. Um ein 20faches höher lag Gertrud Friedländers Vermögen in Wertpapieren. Allein, sie konnte nur eingeschränkt, seit Dezember 1941 überhaupt nicht mehr darüber verfügen. Es sollte alles zur Raubbeute des nationalsozialistischen Staates werden, inklusive des lächerlichen Erlöses ihrer letzten Habseligkeiten, für die der Trödler Paul Linke 49.- RM zahlte.

Genau einen Monat vor ihrem 67. Geburtstag unterschrieb Gertrud Friedländer die „Vermögenserklärung“ und wurde am gleichen oder am nächsten Tag in die zur Sammelstelle umgewandelte Synagoge in der Levetzowstraße 7-8 gebracht und am 2. April 1942 nach Warschau in das dortige Ghetto deportiert.

Das Warschauer Ghetto wurde Mitte 1940 von den deutschen Besatzern in der Warschauer Altstadt eingerichtet und durch eine hohe Mauer und Wachposten isoliert. Juden aus Warschau und anderen polnischen Regionen wurden hier zusammengepfercht. 1942 wurden auch Juden aus dem „Altreich“ dorthin deportiert, so auch Gertrud Friedländer. Ein von den Deutschen eingesetzter und ihnen vollkommen unterstellter „Judenrat“ täuschte Selbstverwaltung vor. Überfüllung, Hunger und Seuchen bestimmten die Lebensbedingungen. Etwa 500000 Menschen mussten auf engstem Raum zusammenleben, 6-7 Leute hatten sich ein Zimmer zu teilen. Die Nahrungsmittelrationen betrugen 184 Kalorien pro Tag und Kopf (für Polen 634, für Deutsche 2310). Flecktyphus und andere Krankheiten machten die Runde. Zudem war Zwangsarbeit an der Tagesordnung. Gertrud Friedländer wurde in die Gartenstraße 27 eingewiesen, sicherlich auch in ein überbelegtes Zimmer. Dort erhielt sie noch Ende Mai Post – von der Steuerbehörde.

Ab Juli 1942 wurden die Ghettobewohner weiter in Vernichtungslager deportiert, vor allem nach Treblinka, und dort ermordet. Es ist nicht bekannt, ob dies auch das Schicksal von Gertrud Friedländer war, oder ob sie, wie weitere 80000 Menschen, noch im Ghetto an den menschenunwürdigen Lebensbedingungen umkam.