Gertrud Cohn geb. Pincsohn

Verlegeort
Sybelstr. 61
Bezirk/Ortsteil
Charlottenburg
Verlegedatum
01. April 2014
Geboren
17. September 1887 in Berlin
Flucht in den Tod
19. April 1943

Gertrud Pincsohn wurde am 17. September 1887 in Berlin geboren. Sie war die Tochter des aus Tütz (dem heutigen Tuczno) stammenden Kaufmanns und Fabrikanten Heimann Pincsohn und seiner in Posen (Poznań) geborenen Ehefrau Therese, geborene Mamroth. Gertrud hatte eine ältere Schwester, die 1894 geborene Pauline. Außerdem lebten noch weitere Geschwister ihres Vaters in Berlin: Mit seinen Brüdern Selig und Max führte Heimann Pincsohn die Strickgarn- und Strumpfwarenfabrik „Lindenau & Pincsohn“. Zum Zeitpunkt der Geburt von Gertrud lebte die Familie Pincsohn in der Charlottenstraße 89 in Kreuzberg. Über die Kindheit und Jugend von Gertrud haben sich keine Informationen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt.<br />
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Im Oktober 1906 bestand Gertrud ihr Lehrerinnenexamen für höhere und mittlere Mädchenschulen, erhielt 1909 das Abitur und begann in Berlin ihr Medizinstudium, das sie 1914 mit dem Staatsexamen abschloss. Im ersten Kriegsjahr erhielt sie ihre Approbation und war vom Oktober 1914 bis 1921 Assistenzärztin im renommierten Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin-Schöneberg in den Abteilungen Innere und Chirurgie – Abteilungen, in denen Ärzte wie Walther Kausch (1867–1928) und Otto Nordmann (1876–1846) in jener Zeit Pionierarbeit leisteten. 1916 erschien ein Aufsatz von ihr zu „Sehstörungen nach der Darreichung von Optochin“ in der Berliner klinischen Wochenschrift. Am 4. März 1921 veröffentlichte Gertrud Pincsohn, inzwischen verheiratete Cohn, ihre Dissertation zum Thema von Pneumonien bei Paratyphuserkrankungen – also Entzündung des Lungengewebes bei einer durch Salmonellen hervorgerufenen Infektionskrankheit – mit dem Titel „Zur Kenntnis des Pneumoparatyphus“. Ab dem 29. August 1924 praktizierte Gertrud Cohn als niedergelassene Hausärztin. Ihre Praxis lag in der Pistoriusstraße 147 in Weißensee und ab 1931 in der Berliner Straße 112 in Hohenschönhausen. In den 1930er-Jahren lebte die Ärztin in der Charlottenburger Sybelstraße 61. 1931 trat Gertrud Cohn in den Bund deutscher Ärztinnen (BdÄ) ein.<br />
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Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Gertud Cohn und ihre Verwandten. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Abgesehen von Boykottmaßnahmen, behördlichen Schikanen und Verhaftungsaktionen wurde die Schlinge für jüdische Ärzte durch eine Flut von Verordnungen und Gesetze schrittweise enger gezogen: So wurden mit insgesamt sieben Verordnungen von 1933 bis 1937 „nichtarischen“ Ärzten nach und nach die Kassenzulassungen entzogen; mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 waren sie vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossen, mit der Verordnung vom 20. November 1933 durften sie keine ärztlichen Fortbildungskurse mehr besuchen und wurden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst ausgeschlossen; ab dem Jahr 1936 durften sie nicht mehr mit „deutschstämmigen“ Ärzten zusammenarbeiten. Gertrud Cohn wurde die Kassenzulassung am 1. Juli 1933 entzogen. Am 30. September 1938 wurde ihr wie allen jüdischen Ärzten und Ärztinnen mit der „vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ die Approbation entzogen. Das Leben in Berlin Ende der 1930er- und Anfang der 1940er-Jahre wurde für Gertrud Cohn zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich nach der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.<br />
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Am 6. Oktober 1942 starb Gertrud Cohns Mutter Therese im Alter von 79 Jahren in Berlin. Wenige Wochen zuvor hatte sich ihr Onkel Max Pincsohn am 22. Juli 1942 der Verfolgung durch Selbstmord entzogen. Vermutlich unmittelbar vor der drohenden Deportation nahm sich Gertrud Cohn am 19. April 1943 das Leben. Sie wurde 56 Jahre alt. Ihre Schwester Pauline überlebte die NS-Verfolgung. Sie hatte sich in den 1930er-Jahren nach England retten können. Das Schicksal des Vaters von Gertrud Cohn und das ihres Ehemanns ist ungeklärt.

Gertrud Pincsohn wurde am 17. September 1887 in Berlin geboren. Sie war die Tochter des aus Tütz (dem heutigen Tuczno) stammenden Kaufmanns und Fabrikanten Heimann Pincsohn und seiner in Posen (Poznań) geborenen Ehefrau Therese, geborene Mamroth. Gertrud hatte eine ältere Schwester, die 1894 geborene Pauline. Außerdem lebten noch weitere Geschwister ihres Vaters in Berlin: Mit seinen Brüdern Selig und Max führte Heimann Pincsohn die Strickgarn- und Strumpfwarenfabrik „Lindenau & Pincsohn“. Zum Zeitpunkt der Geburt von Gertrud lebte die Familie Pincsohn in der Charlottenstraße 89 in Kreuzberg. Über die Kindheit und Jugend von Gertrud haben sich keine Informationen erhalten. Ihre Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde der Stadt.

Im Oktober 1906 bestand Gertrud ihr Lehrerinnenexamen für höhere und mittlere Mädchenschulen, erhielt 1909 das Abitur und begann in Berlin ihr Medizinstudium, das sie 1914 mit dem Staatsexamen abschloss. Im ersten Kriegsjahr erhielt sie ihre Approbation und war vom Oktober 1914 bis 1921 Assistenzärztin im renommierten Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin-Schöneberg in den Abteilungen Innere und Chirurgie – Abteilungen, in denen Ärzte wie Walther Kausch (1867–1928) und Otto Nordmann (1876–1846) in jener Zeit Pionierarbeit leisteten. 1916 erschien ein Aufsatz von ihr zu „Sehstörungen nach der Darreichung von Optochin“ in der Berliner klinischen Wochenschrift. Am 4. März 1921 veröffentlichte Gertrud Pincsohn, inzwischen verheiratete Cohn, ihre Dissertation zum Thema von Pneumonien bei Paratyphuserkrankungen – also Entzündung des Lungengewebes bei einer durch Salmonellen hervorgerufenen Infektionskrankheit – mit dem Titel „Zur Kenntnis des Pneumoparatyphus“. Ab dem 29. August 1924 praktizierte Gertrud Cohn als niedergelassene Hausärztin. Ihre Praxis lag in der Pistoriusstraße 147 in Weißensee und ab 1931 in der Berliner Straße 112 in Hohenschönhausen. In den 1930er-Jahren lebte die Ärztin in der Charlottenburger Sybelstraße 61. 1931 trat Gertrud Cohn in den Bund deutscher Ärztinnen (BdÄ) ein.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Gertud Cohn und ihre Verwandten. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Abgesehen von Boykottmaßnahmen, behördlichen Schikanen und Verhaftungsaktionen wurde die Schlinge für jüdische Ärzte durch eine Flut von Verordnungen und Gesetze schrittweise enger gezogen: So wurden mit insgesamt sieben Verordnungen von 1933 bis 1937 „nichtarischen“ Ärzten nach und nach die Kassenzulassungen entzogen; mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 waren sie vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossen, mit der Verordnung vom 20. November 1933 durften sie keine ärztlichen Fortbildungskurse mehr besuchen und wurden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst ausgeschlossen; ab dem Jahr 1936 durften sie nicht mehr mit „deutschstämmigen“ Ärzten zusammenarbeiten. Gertrud Cohn wurde die Kassenzulassung am 1. Juli 1933 entzogen. Am 30. September 1938 wurde ihr wie allen jüdischen Ärzten und Ärztinnen mit der „vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ die Approbation entzogen. Das Leben in Berlin Ende der 1930er- und Anfang der 1940er-Jahre wurde für Gertrud Cohn zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich nach der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Am 6. Oktober 1942 starb Gertrud Cohns Mutter Therese im Alter von 79 Jahren in Berlin. Wenige Wochen zuvor hatte sich ihr Onkel Max Pincsohn am 22. Juli 1942 der Verfolgung durch Selbstmord entzogen. Vermutlich unmittelbar vor der drohenden Deportation nahm sich Gertrud Cohn am 19. April 1943 das Leben. Sie wurde 56 Jahre alt. Ihre Schwester Pauline überlebte die NS-Verfolgung. Sie hatte sich in den 1930er-Jahren nach England retten können. Das Schicksal des Vaters von Gertrud Cohn und das ihres Ehemanns ist ungeklärt.