Martha Kroner

Verlegeort
Thomasiusstraße 19
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
08. August 2014
Geboren
10. Juli 1903 in Zempelburg (Westpreußen) / Sępólno Krajeńskie
Beruf
Wirtschafterin
Deportation
am 29. November 1942 nach Auschwitz
Ermordet

Martha Kroner wurde am 10. Juli 1903 in der damals westpreußischen Kleinstadt Zempelburg (dem heutigen Sępólno Krajeńskie in Polen) geboren. Die Ortschaft liegt 63 Kilometer nordwestlich von Bromberg (Bydgoszcz) am Zempelburger See (Jezioro Sępoleńskie). Ihre Eltern, der Zigarrenfabrikant Selig Sally Kroner (1866–1942) und Rahel Kroner, geborene Caminer (1869–1939), waren beide ebenfalls in Zempelburg geboren worden und hatten dort im Januar 1901 geheiratet. Ihr Vater, der Sohn eines örtlichen Schuhgeschäftsinhabers, hatte eine kaufmännische Ausbildung in Berlin bei einer Zigarrenfabrik abgeschlossen und nach seiner Rückkehr 1889 in Zempelburg die „Sally Kroner Zigarrenfabrik“ gegründet, die bis zu 50 Mitarbeiter beschäftigte. Zum Zeitpunkt von Marthas Geburt lebte die Familie in der Wilhelmstraße 15 (heutige ul. Hallera) in einem Mietshaus, das Selig Sally neben Baugrundstücken am Poetensteig (ul. Ogrodowa) und in der Sadowstraße (ul. Sądowa) erworben hatte. Martha wuchs im Kreis von insgesamt fünf Geschwistern auf: Im Oktober 1901 war ihr ältester Bruder Siegbert zur Welt gekommen; 1905 wurde ihr jüngerer Bruder Julius Jakob geboren und 1908, 1910 und 1912 folgten ihre Geschwister Frieda, Jenny und Hans.

Zur schulischen Ausbildung von Martha Kroner in Zempelburg schrieb ihre jüngere Schwester Jenny später: „Meine Eltern waren begüterte Leute, und konnten ihr [Martha, Anm. d. Autors] auch eine angemessene Erziehung angedeihen lassen. Sie besuchte vom 6. Lebensjahr an in Zempelburg die höhere städtische Privatschule und bestand an dieser Schule die Reifeprüfung, als sie etwa 16 Jahre alt war. Im Anschluss daran, besuchte sie zwei Jahre lang ein Mädchen-Pensionat, um nachher in den Betrieb meines Vaters als Buchhalterin tätig zu sein.“ In den 1910er-Jahren wurde Selig Sally Kroner in den Stadtrat von Zempelburg gewählt und leitete nach Ende des Ersten Weltkriegs die Vergleichsverhandlungen der Stadt mit den dortigen streikenden Arbeitern. Aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags wurde die Stadt 1920 polnisch und Marthas Vater, der für Deutschland optiert hatte, verließ mit seiner Familie Zempelburg und ließ sich im nahegelegenen Schneidemühl (dem heutigen Piła) nieder – 67 Kilometer südwestlich von Zempelburg.

In Schneidemühl erwarb Selig Sally Kroner an einer Durchgangsstraße das Doppelhaus Albrechtstraße 121 (ul. Okrzei Stefana) / Ecke Friedrichstraße (ul. Spacerowa) mit 15 Mietwohnungen und einem angrenzenden Baugrundstück, gründete zunächst ein Zigarrengeschäft in der Alten Bahnhofstraße (ul. 14 Lutego) und übernahm später Generalvertretungen für die „Spirituosenfabrik Albert Buchholz“ und mehrere Zigarrenunternehmen, darunter die „Adam´s Cigarrenfabriken“ in Berlin. Die Familie lebte in einer Vierzimmerwohnung in der Albrechtsstraße 121, nebst Nebenräumen und einem Dachzimmer, das von Martha Kroner bezogen wurde. Nach dem Umzug nach Schneidemühl trat Martha eine Stelle als kaufmännische Angestellte bei der Firma Baumann in der Posenerstraße (ul. Śródmiejska) an. Ihr Bruder Siegbert arbeitete als Kaufmann, Julius Jakob Kroner studierte am städtischen Polytechnikum im hessischen Friedberg Tiefbauingenieurwesen, ihre Schwester Jenny wurde diplomierte Krankenschwester, Frieda Kroner Buchhalterin und Kontoristin und Hans Kroner besuchte in Schneidemühl das Gymnasium. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie im Schneidemühl der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Martha Kroner und ihre Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Martha verlor nach 1933 ihre Anstellung bei der Firma Baumann, als diese liquidiert wurde. Sie besuchte danach eine Haushaltsschule. Ende 1934 trat sie eine Stelle in Berlin an, wo sie als Wirtschafterin bei Herrn Queller in der Prager Straße in Wilmersdorf arbeitete. Ihrem Vater wurden ab 1933 die Generalvertretungen allmählich entzogen und er lebte seitdem von den Einkünften seiner Mietshäuser. Mehrere von Marthas Verwandten gelang es in den 1930er-Jahren das Land zu verlassen. Ihre Schwester Jenny, die zuletzt ganz nah bei Martha im Jüdischen Schwesternheim (ehemals Schwesternheim der B'nai B'rith-Loge) in der Prager Straße 33 tätig gewesen war, konnte im Sommer 1935 nach Palästina ausreisen. Ebenfalls nach Palästina konnten sich ihre Brüder Siegbert und Julius Jakob retten. Hans Kroner konnte sich Ende der 1930er-Jahre nach Dänemark flüchten und lebte später in Schweden. Frieda Kroner, verheiratete Koritzinski, plante mit ihrem Ehemann Saul (*1893), ebenfalls die Ausreise. Sie lebten zuletzt in Kaunas (Kowno). Ein Onkel väterlicherseits, Adolph Kroner (1860–1945), ging mit Ehefrau und Kindern in die Niederlande.

Auch Martha Kroner und ihre Eltern unternahmen Schritte, Deutschland zu verlassen. Selig Sally Kroner wollte zu seinem Bruder in die Niederlande, Martha hatte ein Affidavit einer Verwandten aus England erhalten, und Martha und Selig Sally Kroner unternahmen noch 1940 Anstrengungen, über die Fluchtroute Shanghai zu entkommen, um sich von dort nach Palästina durchzuschlagen, aber alle Pläne scheiterten letztlich. Seit Ende 1934 hatte Martha in verschiedenen Stellen als Wirtschafterin und Pflegerin gearbeitet, unter anderem bei einer Familie Philippsohn in der Elsässerstraße 54 in Berlin. Ab Ende 1937 trat sie einen Posten als Haushälterin bei einer Familie Cohn in Luckenwalde bei Berlin an. In einem Brief von 1939 an ihre Schwester Jenny, in der sie wunschgemäß Zeugnisse mitschicken sollte, – für potentielle Arbeitgeber im Ausland, die möglicherweise das Erlangen von Visa und Einreisepapieren erleichtert hätten – schrieb Martha: „Ich muss sagen, ich hatte immer Glück mit meinen Stellen, denn ich werde überall als Familienmitglied angesehen. […] Die Stelle in Luckenwalde fiel mir sehr schwer zu verlassen, da ich mich mit der Dame sehr gut verstand u. wir beide wie Freundinnen waren. Außerdem hatte ich […] noch einen 3jährigen Jungen zu betrauen […]. Der kl. Kerl weinte, als ich wegging u. wollte mit seiner Tante Erna, wie er mich nannte, mit. Wie er auf den Namen kam, weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich ihn in der kurzen Zeit gehegt u. gepflegt u. war mir wie ein eigenes Kind. Er war auch wirklich goldig. Ich habe dort eine schöne Zeit mitgemacht.“

Marthas Vater wurde nach den Pogromen im November 1938 in Schneidemühl von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg verschleppt, wo er bis zum 5. Dezember 1938 interniert war. Vor seiner Entlassung musste er sich verpflichten, seinen Landbesitz in Schneidemühl zu veräußern und das Land zu verlassen. Aus dem Zwangsverkauf erhielt er nur einen Bruchteil des Immobilienwerts, blieb aber hoffnungsvoll, dass er sich im Ausland eine neue Existenz aufbauen könne. So schrieb er in einem Brief vom Februar 1939 aus Schneidemühl an seine Kinder in Palästina: „Das Geld vom Hausverkauf habe [ich] noch immer nicht – mit Ausnahme von 1500 Mark, die ich fürs Leben hier gebrauchte. […] Ich glaube, dass wenn ich Geld haben werde, dort [in Palästina, Anm. d. Autors] noch Zigarren machen kann, um Mama und mich zu ernähren.“ 1938/1939 erkrankte Marthas Mutter Rahel Kroner schwer und bei ihr wurde eine Krebserkrankung diagnostiziert. Sie wurde Anfang 1939 für einige Zeit im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße in Berlin behandelt. Im Frühjahr/Sommer 1939 waren Martha und Selig Sally Kroner vermutlich deshalb kurzzeitig an der Adresse Thomasiusstraße 19 in Moabit gemeldet; einem Wohnhaus, welches Marthas Schwager Saul Koritzinski zu dieser Zeit verwaltete und das einem Verwandten von Saul – vermutlich dessen Vater – als Miteigentümer gehörte. Im August 1939 verstarb Rahel Kroner an den Folgen ihrer Krebserkrankung in Schneidemühl und Martha Kroner zog zu ihrem Vater, um sich um ihn zu kümmern.

Am 21. Februar 1940 wurden die im Regierungsbezirk der Stadt wohnhaften Juden im Ort Schneidemühl gesammelt und in provisorischen Sammellagern in der Friedhofs-Leichenhalle, im Gemeindehaus und im Bürgergarten-Restaurant („Straubel's Tivoli“) festgehalten. Es handelte sich um insgesamt 544 Personen, zu denen auch Martha und Selig Sally Kroner gehörten, die mehrere Wochen als Häftlinge im früheren Bürgergarten festgehalten wurden. Jenny Kroner schrieb später zu der Situation: „Im Jahre 1940 wurde er [Selig Sally Kroner] wieder verhaftet und in Schneidemühl in einem Lager im früheren Bürgergarten untergebracht. Einige Monate später sollten die dort Untergebrachten nach Lublin transportiert werden, doch wurde der Transport auf halbem Wege nach Berlin umdirigiert.“ Martha und Selig Sally Kroner befanden sich – laut einem Brief aus dieser Zeit von Frieda an Jenny Kroner – seit Mitte April 1940 in Berlin und, wie es in dem Brief weiter heißt, „leben sie doch wieder ein bisschen auf. Papa war in Schn[eidemühl] erkältet lag auch dort zu Bett. Er ist noch nicht ganz auf den Posten, aber er kann doch G.l. [Gottlob] schon Besuche machen. […] Papa wohnt bei Philippsohns und Martha in einem Heim in Weißensee. Ich bin schon froh, dass sie in Berlin sind.“

Zu dieser letzten Zeit in Berlin haben sich nur wenige Quellen erhalten, nach denen Martha wohl kurzzeitig bei Verwandten in der Rombergstraße 20 (heutige Mendelssohnstraße) in Prenzlauer Berg lebte, bevor sie in die Elsässer Straße 54 in Mitte (heutige Torstraße) zog. Dort war ihr Vater als Untermieter bei Philippsohns untergekommen – einer Familie, bei der Martha zuvor als Haushälterin gearbeitet hatte. Zuletzt war Martha auf dem Gelände der Israelitischen Taubstummenanstalt in Berlin-Weißensee in der Parkstraße 22 untergebracht, ihrer letzten Meldeadresse in Berlin. Aus einem Brief geht hervor, dass sie in den 1940er-Jahren in Berlin Lampenschirme nähte – es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich hierbei um Zwangsarbeit handelte. Ihr Vater wurde laut Familienangaben als Ehrenmitglied in der Chewra Kadischa in Berlin-Weißensee – einer Jüdische Bestattungsorganisation – beschäftigt. Für ihn und Martha war das Leben Anfang der 1940er-Jahre in Berlin zum Existenzkampf geworden: Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Marthas Vater erhielt den Deportationsbescheid im Sommer 1942. Er wurde am 29. Juli 1942 mit dem „32. Alterstransport“ aus Berlin in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Nach zwei Monaten im Ghetto wurde der 76-Jährige am 29. September 1942 aus Theresienstadt weiter in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Martha wurde, wenige Wochen nach ihrem Vater, am 29. November 1942 mit dem „23. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Sie wurde entweder unmittelbar nach ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet oder als Häftling in das Lager selektiert und zu einem späteren Zeitpunkt ermordet. Zum Zeitpunkt der Deportation war sie 39 Jahre alt.

Ihre Geschwister Siegbert, Julius Jakob und Jenny Kroner, verheiratete Goldschmidt, überlebten die NS-Verfolgung im Exil in Palästina. Ihr Bruder Hans Kroner überlebte ebenfalls im Exil und lebte später in Schweden. Ihre Schwester Frieda wurde mit ihrem Ehemann Saul Koritzinski aus ihrem letzten Wohnort in Kaunas in eines der Vernichtungslager deportiert und dort ermordet.