Dr. Siegbert Goldstein

Verlegeort
Thomasiusstraße 5
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
08. August 2014
Geboren
06. Juni 1903 in Berlin
Beruf
Richter/Jurist
Verhaftet
10. November 1942 im KZ Sachsenhausen
Ermordet
01. Dezember 1942 im KZ Sachsenhausen

Siegbert Goldstein wurde am 6. Juni 1903 in Berlin geboren. Er war der Sohn des Kaufmanns Israel Georg Goldstein (1875–1918) und dessen Frau Julie Goldstein, geborene Mendelsohn (1877–1958). Sein Vater stammte ursprünglich aus Kiel; seine Mutter aus Sorau (dem heutigen Żary in Polen). Am 7. September 1902 hatten seine Eltern in Berlin geheiratet und sich eine gemeinsame Wohnung in der Zehdenicker Straße 20 in Berlin-Mitte genommen. Siegberts Vater war in Berlin als Expedient (kaufmännischer Angestellter) tätig. Um 1911/1912 zogen die Goldsteins in eine Wohnung an der Adresse Alt-Moabit 83b. Im Nachbarhaus 84b wohnten Siegberts Großeltern mütterlicherseits und sein Onkel, der Kaufmann Martin Mendelsohn. Siegbert Goldstein besuchte ein Gymnasium in Berlin. Am Ende des Ersten Weltkriegs erkrankte sein Vater schwer. Er wurde im Jüdischen Krankenhaus an der Exerzierstraße (heute Iranische Straße) behandelt, wo er am 23. Dezember 1918 im Alter von 42 Jahren verstarb. Die verwitwete Julie Goldstein lebte in den folgenden Jahren alleinerziehend mit ihrem Sohn Siegbert in Berlin. Siegbert Goldstein begann nach seinem Abitur ein Rechtsstudium, das er mit dem zweiten Staatsexamen am Juristischen Landesprüfungsamt in Berlin und einer Promotion abschloss. Er war in der Weimarer Republik Gerichtsreferendar und ab Juni 1930 Gerichtsassessor. Zuletzt wurde er als Hilfsrichter an das Amtsgericht II Berlin berufen. Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten, die einen Einblick in das Leben von Dr. Siegbert Goldstein im Berlin der Weimarer Republik geben können.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Siegbert Goldstein und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. 1933 wurde Dr. Goldstein mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 als „Beamter nicht arischer Abstammung“ aus dem Staatsdienst entlassen. Er besuchte daraufhin die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin in der Artilleriestraße (heute Tucholskystraße 9) und übernahm in den 1930er-Jahren die Leitung der Schlichtungsstelle der Berliner Jüdischen Gemeinde. Im Jahr 1938 zog Siegbert zusammen mit seiner Mutter und seinem Onkel Martin in eine Sechseinhalb-Zimmer-Wohnung in der Thomasiusstraße 5 in Moabit. Martin Mendelsohn war in den 1920er-Jahren Mitinhaber eines Engros-Warengeschäfts für Seidenbänder und Seidenstoffe geworden, das in der Krausenstraße 19/20 unter dem Namen „Gerson Krotowski“ firmierte. Als Geschäftsinhaber war er von den antisemitischen Kampagnen, Boykotten und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in den Pogromen im Juni und November 1938 in Berlin erfuhren. Laut Aufzeichnungen von Siegberts Mutter war er in den 1930er-Jahren gezwungen, die Lagerbestände zu verschleudern und musste das Geschäft 1938 unter Zwang veräußern. Daraufhin nahm er eine Stelle als Verwaltungsangestellter der Reichsvereinigung der Juden an. Ende 1938 wurde er verhaftet und vom November bis zum 22. Dezember 1938 als Häftling im KZ Sachsenhausen interniert. Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für Siegbert Goldstein und seine Angehörigen in Berlin zum Existenzkampf geworden. Gesetze und Sondererlasse machten sie zu Rechtlosen im eigenen Land. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Im Oktober 1942 mussten Siegbert Goldstein, seine Mutter und sein Onkel noch einmal auf behördlichen Druck hin umziehen. Sie zogen in eine Wohnung in der vierten Etage der Tile-Wardenberg-Straße 26a, die sie zusammen mit zwei jüdischen Untermietern bewohnten.

Der Entrechtung folgten die Deportationen: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Im Vorfeld der „Gemeindeaktion“, bei der Hunderte Gemeindemitarbeiter am 26. Oktober 1942 in das Ghetto Riga deportiert werden sollten, hatte der Vorstand den Aufenthalt von 20 Personen nicht ermitteln und der Gestapo mitteilen können. Daraufhin drangen am 10. November 1942 Gestapobeamte in die Büroräume von Siegbert Goldstein in der Schlichtungsstelle ein und verhafteten ihn zusammen mit 17 anderen Gemeindebeamten als Geiseln für den Vorstand der Berliner Jüdischen Gemeinde. Siegbert Goldstein wurde in das Polizeipräsidium Alexanderplatz verschleppt und von dort aus als Häftling in das Zellengefängnis Lehrter Straße. Am 3. Dezember 1942 wurde der 39-jährige Siegbert Goldstein – zusammen mit sieben anderen der als Geiseln genommenen Verhafteten – in Lichterfelde erschossen.

Seine Mutter und seinen Onkel erreichte die Nachricht seines Todes erst einige Wochen später, gegen Ende Dezember 1942. Im Frühling 1943 erhielten sie den Deportationsbescheid. Julie Goldstein und Martin Mendelsohn wurden in einem der Berliner Sammellager interniert und zusammen am 19. Mai 1943 mit dem „89. Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Martin Mendelsohn wurde dort am 17. Februar 1944 ermordet – entweder infolge direkter oder indirekter Gewalteinwirkung mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlichen Misshandlungen. Siegberts Mutter erlebte die Befreiung des Ghettos durch die Rote Armee am 8. Mai 1945. Sie kam in das bayerische Lager Winzer und Deggendorf für Displaced Persons (DP) und emigrierte 1946 in die USA, wo seit 1945 Siegbert Onkel Ludwig Mendelsohn lebte. Der Kinderarzt, der in der Zeit der Weimarer Republik Leiter der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge im Wedding gewesen war, hatte seine Anstellung wie Siegbert 1933 verloren. Nachdem ihm 1938 auch die Approbation entzogen worden war, war er 1941 mit seiner Ehefrau und seinen Kindern über Portugal nach Argentinien geflohen, von wo aus er 1945 in die USA emigrierte.