Wolfgang Stiebel

Verlegeort
Wilhelmsaue 134
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
29. November 2005
Geboren
19. Juni 1930 in Berlin
Deportation
am 12. März 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Wolfgang Stiebel kam am 19. Juni 1930 als einziges Kind des Kaufmanns Georg Stiebel und dessen Ehefrau Charlotte (genannt Lotte) Stiebel, geb. Cohn, in Berlin auf die Welt. Sein 1891 geborener Vater stammte aus Kempen in der Provinz Posen, seine Mutter war 1901 in Berlin auf die Welt gekommen. Die Eltern hatten 1928 in Berlin geheiratet. Der Vater Georg Stiebel betrieb in der Kaiser-Wilhelm-Straße 25 in Berlin-Mitte eine „Krawattenfabrik“, eine kleinere Firma, in der Krawatten genäht wurden. Die Mutter Charlotte war von Beruf Kontoristin. Sie lebte mit ihrer verwitweten Mutter Rosa Cohn (1869–?), einer Schneiderin, im Haus Wilhelmsaue 134/135 in Berlin-Wilmersdorf, wo ihr Ehemann nach der Hochzeit einzog. In dem bürgerlichen Wohnhaus nicht weit vom Volkspark Wilmersdorf wohnte die Familie im ersten Stock des Vorderhauses. In der ruhigen und grünen Umgebung wuchs Wolfgang Stiebel auf.

Seine Großeltern Stiebel lebten – wie auch seine Onkel und Tanten – in Breslau, der Hauptstadt der Provinz Schlesien. Die Großmutter Berta Stiebel starb 1937, der Großvater Jakob Stiebel im Jahr 1941 – Enkel Wolfgang kann also beide gekannt haben.

1933, zu Beginn der NS-Diktatur, war Wolfgang Stiebel ein Vorschulkind. Im April 1936 wurde er eingeschult – noch durften die jüdischen Kinder staatliche Schulen besuchen. Der sechsjährige Wolfgang kam in die 5. Gemeindeschule in der Koblenzer Straße 22–24 (heute die Birger-Forell-Grundschule). In der Nr. 22 wurden die Mädchen unterrichtet, in der Nr. 24 die Jungen. Die Schule war nicht weit von seinem Elternhaus entfernt – ob er den Weg allein gegangen ist? Die Diskriminierung der Juden hatte längst begonnen. Eine städtische Kindertagesstätte hätte der Junge schon nicht mehr besuchen dürfen. Nach dem Novemberpogrom 1938 wurde auch der Besuch staatlicher Schulen verboten. Wolfgang Stiebel musste eine jüdische Schule besuchen.

Die „Kinderwelt“ wurde kleiner: Ab Dezember 1938 durften die Kinder nicht mehr auf die Rummelplätze, die Sportplätze und Eisbahnen. Auch Badeanstalten und Museen waren ihnen verschlossen. Ab April 1939 durfte Wolfgang Stiebel die städtischen Jugendbüchereien und Kinderlesesäle nicht mehr betreten, im September desselben Jahres mussten die Juden ihre Rundfunkapparate abgeben – auch der Kinderfunk fehlte von nun an in seinem Leben. – 1939 wurde die Firma seines Vaters liquidiert – der Vater war kein „Fabrikant“ mehr.

1940 war Wolfgang Stiebel zehn Jahre alt – alt genug für das Deutsche Jungvolk in der Hitlerjugend (HJ), in der nun die deutschen Jungen ab 10 zwangsweise Mitglied waren. Für ihn galt dies nicht, ohne Uniform gehörte er damit für alle sichtbar nicht zur „Volksgemeinschaft“.

Seit September 1941 musste er – wie auch seine Eltern und anderen Verwandten – den Stern tragen. Und falls er einen Hund besaß: Haustiere waren ab Mai 1942 den Juden verboten.

Am 30. Juni 1942 wurden alle jüdischen Schulen geschlossen. Wolfgang Stiebel war nun zwölf Jahre alt. Seine Bar Mizwah (am ersten Sabbath nach dem 13. Geburtstag) konnte er nicht mehr feiern:

Nach der „Fabrik-Aktion“ Ende Februar 1943 wurden die in der Rüstungsindustrie beschäftigten jüdischen Zwangsarbeiter nach Osten deportiert. Seine Mutter wurde mit dem ersten Transport am 1. März 1943 vom Güterbahnhof Moabit nach Auschwitz deportiert. Wolfgang Stiebel wurde mit seinem Vater am 12. März 1943 ebenfalls nach Auschwitz verschleppt. Am 13. März erreichte der Transport mit 947 Menschen Auschwitz. Die Kinder wurden alle sofort ermordet. – Auch seine Eltern kehrten nicht zurück.