Charlotte Schlesinger

Verlegeort
Wilhelmsaue 136
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
30. Juli 2005
Geboren
01. Januar 1880 in Berlin
Deportation
am 19. Januar 1942 nach Riga
Ermordet
in Riga

Charlotte Schlesinger, die mit ihrem zweiten Vornamen Jeanette hieß, kam am 1. Januar 1880 in Berlin auf die Welt. Sie war das zweite von vier Kindern des Kaufmanns Isidor Schlesinger (1843–1897) und seiner Ehefrau Flora (Florchen), geb. Wittkowsky (1850–1923): 1878 war ihr älterer Bruder Max auf die Welt gekommen, 1881 die jüngere Schwester Blanka und 1885 der Bruder Arthur. – Charlotte Schlesinger und ihre Schwester Blanka blieben ledig, die beiden Brüder heirateten.

Die Geburtsorte der Eltern lagen an der Oder: Der Vater stammte aus Dyhernfurth, einem kleinen Ort in Schlesien nordwestlich von Breslau, die Mutter war in Stettin an der Odermündung auf die Welt gekommen. Die Eltern hatten 1877 in Berlin geheiratet.

1880, im Jahr der Geburt von Charlotte Schlesinger, wohnten die Eltern in der Köpenickerstraße, vorher hatten sie in der Ohmgasse (seit 1895 Ohmstraße) gewohnt. Mit der größer werdenden Familie zogen sie bis zur Jahrhundertwende immer wieder um und lebten mit ihren heranwachsenden Kindern in der Keibelstraße, der Landsberger Straße und der Wallner-Theater-Straße. Mit Ausnahme der Landsberger Straße in Berlin-Friedrichshain befanden sich die Wohnungen in Berlin-Mitte – das heißt in Alt-Berlin. 

Der Vater von Charlotte Schlesinger war Kaufmann und besaß gemeinsam mit seinem Freund und Geschäftspartner Siegfried Jacob einen Großhandel für Baumwollwaren, die Firma „Jacob & Schlesinger“. Als Isidor Schlesinger 1897 in der Wallner-Theater-Straße 26/27 starb, hatten die beiden Unternehmer mehr als 20 Jahre gemeinsam gearbeitet. Im Berliner Tageblatt trauerten die Familie, der Kompagnon und die Beschäftigten der Firma um den relativ jung verstorbenen Isidor Schlesinger.

Charlotte Schlesingers verwitwete Mutter Flora blieb in Berlin-Mitte und zog mit ihren Kindern in die Kaiser-Wilhelm-Straße (heute Karl-Liebknecht-Straße und Rosa-Luxemburg-Straße). Wie so oft in jener Zeit, führten die beiden ledigen Töchter ein „unsichtbares Leben“, über Charlotte Schlesingers Schulbildung und weitere Ausbildung wissen wir nichts. Sie wohnte bei der Mutter, wie auch die noch unverheirateten Brüder. Als selbstständiger Kaufmann aber erschien ihr Bruder Max 1904 gemeinsam mit der Mutter im Berliner Adressbuch: Mutter und Sohn (und sicherlich auch die Töchter/Schwestern) lebten in der Lindenstraße 45 und blieben dort auch die folgenden Jahre. Bruder Max Schlesinger arbeitete als Berliner Vertreter verschiedener Firmen. – Die Mutter besaß bereits 1902 eine Exportfirma und ein „Lager sämmtl. Gasglühlicht-Artikel und Neuheiten des Beleuchtungswesen“ in der Krausnickstraße 15. (Nachbar im Haus Nr. 14 war der bekannte orthodoxe Rabbiner Dr. Ezra Munk, 1867–1940). Auch Bruder Max handelte für kurze Zeit mit „Neuheiten des Beleuchtungswesens“ und verkaufte Glühstrümpfe, die Lichtquellen in den noch weit verbreiteten Gasleuchten und Petroleumlampen. – Es könnte sein, dass die beiden Töchter in dem Geschäft der Mutter gearbeitet haben, zumal die Schwester Blanka von Beruf Verkäuferin war.

Am 1. August 1914 begann der Erste Weltkrieg. Inzwischen lebten die Schlesingers in der Bambergerstraße 8 in Berlin-Wilmersdorf. Beide Brüder wurden Soldaten: Max Schlesinger meldete sich als Kriegsfreiwilliger, er kehrte bereits nach wenigen Wochen nach Berlin zurück. Arthur Schlesinger heiratete im ersten Kriegsjahr, er fiel am 24. März 1918 in Frankreich. 

Am 15. November 1916 heiratete Max Schlesinger Martha Habeluschke (1880–1945), die als Packerin arbeitete. Sie war keine Jüdin. Nach dem Ende des Krieges gründete er eine Agentur für Textilwaren. (1937 wurde seine Firma liquidiert.) 1923 starb die Mutter Flora Schlesinger.

Im Mai 1939 wohnten die Geschwister Schlesinger im Haus Wilhelmsaue 136 in Berlin-Wilmersdorf. Ob Max Schlesingers Ehefrau auch in der gemeinsamen Wohnung lebte, ist nicht ersichtlich. Am 1. Dezember 1939 ließen Max und Martha Schlesinger sich scheiden, Martha nahm 1940 ihren Mädchennamen Habeluschke wieder an. (Sie kam am 3. Februar 1945 bei einem Luftangriff der US-amerikanischen Bomberverbände in Berlin-Kreuzberg ums Leben.)

Am 19. Januar 1942 wurde Charlotte Schlesinger mit ihrer Schwester Blanka und ihrem Bruder Max nach Riga deportiert. Es waren über 1000 Menschen, die bei großer Kälte in Güterwagen vom Bahnhof Grunewald nach Osten verschleppt wurden. Der Zug erreichte Riga am 23. Januar 1942. Wer die Fahrt überlebt hatte, wurde in den nächsten Tagen erschossen. Es sind nur 19 Überlebende bekannt. Charlotte, Blanka und Max Schlesinger kehrten nicht zurück.