Johannes Jacobsohn

Location 
Bötzowstr. 28
District
Prenzlauer Berg
Stone was laid
15 November 2023
Born
23 January 1890 in Schmiegel (Posen) / Śmigiel
Occupation
Kantor
Interniert
27 May 1942 to 28 May 1942 in Sachsenhausen
Excecuted
28 May 1942 in Sachsenhausen

Johannes Jacobsohn wurde am 23. Januar 1890 in Schmiegel bei Posen geboren. Seine Eltern, David Jacobsohn und seiner Frau Ernestine geb. Lewy, hatten noch eine Reihe von Kindern, Elsa und Georg, von denen wir etwas wissen, und Albert und Ludwig. Einige Jahre besuchte Johannes nach der Volksschule das Liegnitzer Gymnasium, verließ es allerdings vor dem Abschluss, um in Breslau eine Buchhändlerlehre zu absolvieren.[1] Er arbeitete bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, insgesamt mit der Lehre neun Jahre lang, als Buchhändler, zuletzt in einem Warenhaus in Nürnberg. Dort leitete er die Buchabteilung. Wann die Eltern nach Berlin gezogen sind, ist nicht bekannt, aber die Mutter starb bereits 1910 in Berlin. Der Vater wohnte bei seinem Tode 1937 zusammen mit dem Sohn Albert und seiner Familie in der Heilbronner Straße 2 in Wilmersdorf. 

1914 wurde Johannes J. zum Militärdienst einberufen. Nach Ende des Weltkriegs kam er nach Berlin und änderte seine berufliche Tätigkeit. Er begann - vielleicht unter dem Eindruck des Krieges, sich zum Sänger und Kantor ausbilden zu lassen. In dieser Zeit machte er erste Erfahrungen als Opernsänger. Auch in seinem Privatleben traten Änderungen ein. Am 27. Juni 1923 heiratete er Gertrude Stein, geboren am 3. November 1900 in Mainz, Tochter eines Miteigentümers eines privaten Bankhauses. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er noch als kaufmännischer Angestellter. Am 16. August 1925 wurde die Tochter Susanne geboren. Damals lebte die Familie in der Thielallee in Berlin-Dahlem.

1926 und 1928 machte Johannes Jacobsohn auch Erfahrungen mit der Justiz. Wegen der ‚Erregung öffentlichen Ärgernisses‘ wurden Strafverfahren gegen ihn eröffnet. Im ersten Fall wurde er zu einer Geldstrafe von 150 RM verurteilt, im zweiten Fall aus rechtlichen Gründen freigesprochen.[2] Seine erste Anstellung als Kantor fand er 1927 an einer privaten reformierten Synagoge in Wilmersdorf. 1930 wurde er Oberkantor der Jüdischen Gemeinde Berlin, er war aber auch als Prediger, Sänger, Komponist und Pädagoge aktiv.[3] „Einen Höhepunkt jüdischer Sakralmusik in Berlin erlebte die Synagoge (in der Lützowstraße, Anm. d. Verf.) am 16. September 1932 mit der Uraufführung der „Freitagabend-Liturgie“ von Heinrich Schalit (1886-1976) für Kantor – es sang der Chasan der Gemeinde … Johannes Jacobsohn alias Hanns John –, für einstimmigen und gemischten Chor und Orgel.“[4]

Jetzt benutzte er gerne als ‚Künstlername‘ den Namen Hanns John, wie etwa bei der Schallplatte ‚Herr, was ist der Mensch‘, die er 1929 bei Electrola veröffentlichte, aufgenommen in der Singakademie Berlin.[5] Die ‚Berliner Börsenzeitung‘ schrieb damals in ihrer Rubrik ‚Neuerscheinungen bei Electrola‘: „Jüdische Gesänge mit überraschender Wirkung bringt der stimmgewaltige Kantor Hans John mit Orgelbegleitung …; seine kraftvolle und doch weiche, empfindungsstarke Baritonstimme kommt in ‚Herr, was ist der Mensch‘ (in Deutsch) und ‚Segensspruch zur Trauung‘ (in Hebräisch) vorteilhaft zum Ausdruck.“[6] Zu dieser Zeit lebte die Familie in der Thiel-Allee in Dahlem, im Berliner Adressbuch firmierte er als Sänger.[7]

Nach 1933 wurde seine künstlerische Entfaltung durch den Nationalsozialismus im Laufe der Jahre immer stärker beschränkt. Dafür engagierte er sich für den ‚Jüdischen Kulturbund‘ und für die ‚Freie Jüdische Volkshochschule‘. 1936 wurde jüdischen Künstlern das Tragen eines Künstlernamens verboten. Er trat nun unter dem Namen Hanns John Jacobsohn auf und war - insbesondere bei seiner Arbeit in der jüdischen Gemeinde Berlin - sehr engagiert. So veröffentlichte er eine Broschüre mit dem Titel 'Sabbathklang und Festessang'. Darin schreibt er u. a. über Möglichkeiten ‚Kiddusch‘ zu machen, d. h. den traditionell vorgesehenen Trinkspruch über das erste Glas Wein am Vorabend des Sabbaths zu begehen.[8] Zu dieser Zeit war die Familie bereits in die Lipaerstraße 2 nach Berlin-Lichterfelde verzogen.

Am Vormittag des 9. November 1938 erstattet der Vater einer 17-jährigen Schülerin wegen sittenwidrigen Verhaltens gegenüber seiner Tochter Anzeige gegen Johannes Jacobsohn. Unmittelbar danach wurde er festgenommen. Bei der noch am selben Tag durchgeführten Vernehmung gestand er sein Fehlverhalten ein, er wurde in Untersuchungshaft genommen und bereits am 14. Dezember 1938 wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses in Tateinheit mit öffentlicher Beleidigung von der Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. [9]  

Genau zu dieser Zeit, im Dezember 1938, verließ seine Tochter Susanne Berlin mit einem Kindertransport nach England. Sie war bis dahin Schülerin in Luise Zickels ‚Höherer Privatschule für Knaben und Mädchen und jüdische Volksschule‘ in der Kufsteiner Straße in Schöneberg gewesen, wohin sie nach knapp vier Jahren Volksschulbesuch in Dahlem gewechselt hatte.[10]

Während Johannes Jacobsohns eigene Bemühungen um eine Auswanderung - er versuchte zum Zeitpunkt seiner Verhaftung eine Auswanderungsmöglichkeit nach Shanghai zu erlangen - mit der Verurteilung und anschließenden Haft gescheitert waren, konnte seine Frau Gertrude während seiner Haft nach Großbritannien emigrieren. Das gelang ihr nur, weil sie sich als Dienstmädchen verdingte. Kurz nach der Entlassung aus der Haft im Jahre 1940 wurde Johannes Jacobsohn Oberkantor und Prediger der Synagogengemeinde zu Halle. Er wohnte jetzt in der Bötzowstraße 28 wie seine Schwester Elsa bei einer Cousine und fuhr zu allen entsprechenden Anlässen (Sabbath, Feiertage) nach Halle. In kurzer Zeit besaß er dort ein hohes Ansehen als Kantor der Gemeinde. Diese Tätigkeit wurde ihm im Sommer 1941 verboten. Stattdessen musste er wie alle noch im Reich lebenden Juden Zwangsarbeit leisten.[11]

Am Abend des 27. Mai 1942 wurde er ohne erkennbaren Grund verhaftet, mit weiteren 153 jüdischen Männern aus Berlin in das KZ Sachsenhausen geschafft und dort am 28./29. Mai 1942 erschossen. Weitere 94 Männer - ausgewählt aus den jüdischen Lagerinsassen - wurden in derselben Aktion erschossen, insgesamt also 250 Männer. Die Morde waren die von Goebbels und Himmler initiierte ‚Rache‘ für einen Anschlag der jüdisch-kommunistischen Gruppe um Herbert Baum. Mitglieder der Gruppe hatten am 18. Mai 1942 im Lustgarten Brandsätze in der dort laufenden Propagandaausstellung ‚Das Sowjetparadies‘ gelegt. Mit dieser brutalen Reaktion auf den Brandanschlag wollten die Nationalsozialisten, die noch in Berlin lebenden Juden vor weiteren Widerstandsaktionen warnen.[12]

Gertrude Jacobsohn und ihre Tochter Susanne sind 1948 von England nach New York verzogen. Susannes Tochter Lisa schrieb dazu an den Vortragenden:

„In New York wurde meine Mutter, die gut Englisch sprach und las, Sekretärin. Meine Mutter lernte ihren Mann in New York kennen. Sie heiratete 1951. Sie bekam zwei Kinder, mich selbst im Jahr 1955 und meinen Bruder Ronald im Jahr 1959. Wir lebten in Washington Heights. Meine Mutter erkrankte an Krebs und starb 1989 im Alter von 63 Jahren an Krebs. Meine Großmutter, die in einer Fabrik arbeitete, die Gummibänder für die Bekleidungsindustrie herstellte, überlebte sie. Sie lebte meine ganze Kindheit bei uns und selbst nach dem Tod meiner Mutter lebte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1992 bei meinem Vater.“[13]

Die Familie stellte in den 1950er Jahren Anträge auf Entschädigung wegen der Ermordung des Ehemanns und Vaters. Gertrude Jacobsohn erhielt ab 1956 ein Witwengeld als Entschädigung. Weitergehende Rückerstattungsanträge aus den 1960er Jahren wurden im August 1970 auf Wunsch der beiden Antragstellerinnen ohne Ergebnis eingestellt.[14]

1996 wurde eine Musik-CD mit dem Titel ‚Es wird nicht untergehen‘ veröffentlicht.  Sie versammelt Aufnahmen von Berliner Kantoren aus der Vorkriegszeit und enthält unter anderem das Lied ‚U'w Nuchau Jaumar‘, gesungen von Hanns John/Johannes Jacobsohn. „Diese einzigartige Aufnahme rief den bereits völlig vergessenen Namen von Hanns John in das Bewusstsein der Freunde jüdisch-liturgischer Musik zurück.“[15]

2010 reiste Alexandra Fox, eine Urenkelin von Johannes und Gertrude Jacobsohn, auf den Spuren ihres Urgroßvaters durch Deutschland. Einen Bericht hierüber hat sie nach der Reise im Internet veröffentlicht.[16]

Quellen

[1] Die Darstellung der Jugend- und Berufsjahre folgt hier: Sophie Fetthauer, Hanns John Jacobsohn, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Claudia Maurer Zenck, Peter Petersen (Hg.), Hamburg: Universität Hamburg, 2008 (https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002791). Allerdings fehlte dort noch der Hinweis auf das Strafverfahren gegen Jacobson im Herbst 1938.

[2] Siehe hierzu die Akte der Staatsanwaltschaft, in: LandesA Berlin Bestand A Rep 258-2 Akte Nr. 115872.

[3] Vgl. hierzu die eidesstattliche Versicherung von Dr. Leo Baeck vom 10. 11. 1954, in: Labo Berlin Entschädigungsakte Nr. 264.470

[4] Zit. nach ‚Berliner Woche‘ 2018 (Einst blühte an der Lützowstraße jüdisches Leben - Tiergarten (berliner-woche.de) Zugriff am 17. 10. 2023

[5] Nach dem Wikipedia-Artikel zu Johannes Jacobsohn in: https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Jacobsohn (Zugriff 19. 9. 2021)

[6] Zitat aus: Berliner Börsenzeitung Jg. 1929 Nr. 430 vom 14. 9. 1929, S. 4

[7] Berliner Adressbuch für 1930 Teil I S. 1419

[8] Vergleiche hierzu auch den Beitrag im ‚Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde Berlin‘, Bd. 27, Nr. 3 vom 17. 1. 1937, S. 9. Hier wirbt er für seine gerade erschienene Broschüre.

[9] Siehe hierzu das Urteil in der in Anm. 2 genannten Akte, Bl. 44ff .

[10] Vgl. zum Schicksal der Tochter die Entschädigungsakte Nr. 274982 Labo Berlin, hier Bl. E 4.

[11] Detaillierte Informationen über diese Zeit in Halle (1940 bis 1942) liefert die Personalakte der Jüdischen Gemeinde Halle zu Johannes Jacobsohn, in: Archiv Centrum Judaicum Berlin, Bestand Jüdische Gemeinde Halle

[12] Vgl. hierzu die Aktennotiz von Paul Eppstein (Vors. der Reichsvereinigung der Juden)betr. einer Vorladung im Reichssicherheitshauptamt am 29. 5. 1942, in: BundesA Rep 8150 Nr. 8 Bl. 116

[13] Ins Deutsche übersetzt aus einer Email von Lisa Fox, der Enkeltochter von Johannes Jacobsohn, vom 26. 6. 2023 an den Verfasser

[14] Vgl. hierzu die in Anm. 7 genannte Akte.

[15] Zitat aus Wikipedia (s. Anm. 3)

[16] Siehe hierzu: https://www.smartasafox.org/germany-my-roots-their-lives/  Zugriff am 18. 3. 2023