Samuel Nakler

Location 
Hufelandstr. 17
District
Prenzlauer Berg
Stone was laid
30 August 2023
Born
01 August 1886 in Rogasen (Posen) / Rogoźno
Occupation
Schneider und Bügler
Deportation
on 27 May 1942 to Sachsenhausen
Murdered
28 May 1942 in Sachsenhausen

Samuel Nakler wurde am 1. August 1886 in Rogasen, damals zum preußischen Regierungsbezirk Posen gehörend, das heutige in der Woiwodschaft Großpolen gelegene Rogozno, geboren. Seine Eltern waren der Pferdehändler  Moses Nakler und seine Frau Ernestine geb. Liebschütz. Samuel hatte mindestens noch zwei Geschwister, die Schwester Dora verh. Tasselkraut und den Bruder Leo.[1]

Samuel N. besuchte die Volksschule in Rogasen. Er tat sich sehr schwer in der Schule, ein Schuljahr musste er wiederholen. Anschließend absolvierte er eine Bäckerlehre beim Bäcker Levy in Pinne bei Posen. Aufgrund seiner schwächlichen körperlichen Konstitution lernte er später noch das Schneider- und Büglerhandwerk. Wann er  nach Berlin gekommen ist, ist nicht genau bekannt. Fest steht allerdings, dass er am 16. September 1909 die am 1. April 1882 in Murowana im Bezirk Posen, damals zu Preußen gehörig, geborene Rose Sturm geheiratet hat. Die Heirat fand in Berlin statt. Zu dem Zeitpunkt lebte das Ehepaar vermutlich zusammen mit Samuels Bruder Leo in der Esmarchstraße 8 im Bötzow-Viertel. Am 2. November 1910 wurde ihr einziges Kind, der Sohn Heinz, geboren. Der Bruder zog bald nach der Geburt des Kindes aus der gemeinsamen Wohnung aus. 1913 wohnten Samuel und Rosa Nakler schließlich in der benachbarten Hufelandstraße Nr. 17. In dieser Wohnung blieben sie über 25 Jahre wohnen.[2]  Irgendwann in den 1930er Jahren haben Rose und Samuel Nakler einen Pflegesohn in ihrem Haushalt aufgenommen, Joachim Glaß, Sohn von Genia Glaß. Er war am 22. Oktober 1930 in Berlin geboren worden und jüdischen Glaubens. Seit wann er mit ihnen in der Hufelandstraße wohnte, ist nicht bekannt.[3]

Den Ersten Weltkrieg hat Samuel Nakler  über die gesamte Zeit als Soldat mitgemacht und erhielt wg. besonderer Tapferkeit das E.K. II, das Verwundetenabzeichen sowie das Frontkämpferabzeichen. Ansonsten arbeitete er  in all diesen Jahren als Schneider und Bügler, zeitweise selbständig, zumeist aber als Angestellter bei unterschiedlichen Unternehmen. In den Jahren 1933 bis 1939 war er bei der Schneiderei Benno Ulreich in der Weissenburgerstraße  24 beschäftigt. Dort lernte er die Witwe Bertha Becker, Hauswartsfrau in der Weissenburgerstraße, kennen. Er begann mit ihr ein  außereheliches Verhältnis. Dieses über Jahre laufende Verhältnis mit einer Frau evangelischen Glaubens sollte ihm große Probleme einbringen.

Im Sommer 1939 denunzierte der Arbeiter Ernst Freier, wohnhaft in der Weissenburgerstraße 20 (heute: Kollwitzstraße), Samuel Nakler, weil  er ihn der ‚Rassenschande mit der Witwe Becker‘ verdächtigte. Auf seine Anzeige hin wurde Samuel Nakler am 29. Juni 1939 festgenommen. Beide gaben in der kriminalpolizeilichen Vernehmung zu, dass sie über Jahre hinweg sexuellen Verkehr miteinander hatten.[4] Im darauf eingeleiteten Strafprozess wurde Samuel Nakler am  4. Januar 1940 in der Hauptverhandlung vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Berlin  wg. Verstoßes gegen das ‚Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre‘ (damals als ‚Rassenschande‘ bezeichnet) vom 15. Sept. 1935 zu 2 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus und der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf 3 Jahre verurteilt. Die Untersuchungshaft von sieben Monaten wurde auf die Strafe angerechnet.

Über die Zeit seiner Haft existiert eine ‚Personalakte für Samuel Nakler‘. Neben biographischen Informationen enthält die Akte einige wenige Informationen über die Haftsituation. Aus dieser wird deutlich, dass Samuel Nakler kein angepasster Häftling war, sondern sich über gesetzte Haftregeln gelegentlich hinwegsetzte und  dafür auch Arresttage in Kauf nahm. Als Häftling wurde er in der ‚Judenkolonne‘ der Brennabor-Werke zur Arbeit eingesetzt. Dort handelte er sich wegen Übertretung des Rauchverbots einen 7-tägigen Arrest ein.[5] In der ‚Anzeige über die Entlassung von politischen Strafgefangenen‘ heißt es über ihn: „Führung und Fleiß ließen sehr zu wünschen übrig. Wegen seines undurchsichtigen Charakters ist die Tatsache, ob die Strafe ihn beeinflusst hat, schwer zu beurteilen. Politische Tätigkeit konnte nicht festgestellt werden.“[6] Seine Strafe hat Samuel Nakler bis auf den letzten Tag abgesessen, entlassen wurde er  „zu seinem Schwager Alfred Sturm Breslauerstr. 6“ am 4. Dezember  1941. Dieser betrieb unter der Adresse in Friedrichshain einen Seifenhandel.[7]

Im Jahre 1942 wohnte Samuel Nakler dann in der Jablonskistr. 2., unweit seiner langjährigen Wohnung in der Hufelandstraße. Dort wurde er am 27. Mai 1942 von der Gestapo verhaftet und mit weiteren 153 am selben Tag verhafteten jüdischen Männern aus Berlin in das KZ Sachsenhausen geschafft und am folgenden Tag dort erschossen. Am 29. Mai wurden weitere 96 Männer, die bereits im Lager einsaßen, erschossen. Alle diese Morde geschahen als eine Art ‚Rache‘ an die Juden und ‚Warnung‘ für andere Juden infolge des Anschlags der sog. Baum-Gruppe im Mai 1942 auf eine NS-Ausstellung im Berliner Lustgarten. Die Ausstellung unter dem Titel ‚Das Sowjetparadies‘ sollte den im Juni 1941 begonnenen Angriffskrieg gegen die Sowjetunion ideologisch legitimieren.

Zu diesem Zeitpunkt lebten Ehefrau Rose und Sohn Heinz schon lange nicht mehr im Deutschen Reich.  Ihnen ist noch rechtzeitig die Emigration gelungen.  Während der Sohn Heinz wohl schon zum Zeitpunkt der Verurteilung  des Vaters als Kaufmann in Sao Paulo / Brasilien lebte, ist die Mutter erst im Frühjahr 1940 ausgewandert. Am 24. Februar 1940 wurde ihr vom brasilianischen Konsulat eine Legitimationskarte ausgestellt.[8] Über das weitere Schicksal des Vaters bzw. Ehemanns haben Mutter und Sohn erst nach Kriegsende ungenaue Informationen erhalten.[9] Rose Nakler starb am 2. April 1961 in Sao Paulo, sie wurde auf dem jüdischen Friedhof in Butanta beerdigt. Der Sohn Heinz stellte in den 1950er Jahren Entschädigungsanträge, 1965 dann noch einen Wiedergutmachungsantrag bzgl. des Umzugsguts der Mutter.[10]

Schwager Alfred Sturm, bei dem Samuel kurzfristig nach der Haftentlassung untergekommen war, wurde ebenfalls Opfer des Holocaust. Der Bruder von Rose Nakler starb nur wenige Monate nach Samuel,  am 16. Oktober 1942, ebenfalls im KZ Sachsenhausen. Wann und warum er inhaftiert wurde, ist unbekannt. Als Todesursache wurde im Sterbebuch eine ‚doppelseitige Lungenentzündung‘ angegeben.[11] Seine Frau Sara und die Tochter Thea wurden 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Der Pflegesohn Joachim Glass kam nach der Emigration von Rosa Nakler 1940 in das jüdische Kinderheim ‚Baruch Auerbach‘  in der Schönhauser Allee 162. Von dort wurde er mit fast 60 Kindern und Jugendlichen am 19. Oktober 1942 mit dem 21. Osttransport nach Riga deportiert, wo er vermutlich zu Tode kam bzw. ermordet wurde.

Quellen

[1] Wesentliche Informationen über die Biographie von Samuel Nakler sind der Entschädigungsakte Nr. 322.384 im Labo Berlin und der ‚Personalakte für Samuel Nakler‘ der ‚Zuchthaus- und Sicherungsanstalt Brandenburg-Görden‘ entnommen. (Vgl. hierzu: ITS Digital Archive, Arolsen Archives Bestand 1.2.2.1  Dok. Nr. 12119590)

[2] Vgl. die entsprechenden Berliner Adressbücher

[3] Siehe hierzu die Ergänzungskartei zur Volkszählung im Frühjahr 1939.

[4] Vgl. den Schlussbericht in der ‚Kriminalpolizeilichen Strafakte‘ in: ITS Digital Archive, Arolsen Archives Bestand 1.2.2.1 Dok. Nr. 12102244

[5] Vgl. hierzu die Anzeige vom 6. 8. 1941, in: Personalakte (Anm. 1)

[6] Schreiben des Vorstandes der Strafanstalt vom 27. Oktober 1941 an die Staatspolizei, in: siehe Anm. 1

[7] Vgl. Berliner Adressbuch Jg. 1939 Teil I S. 2930

[8] Die Legitimationskarte mit Foto findet sich auf der genealogischen Webseite von www.ancestry.com

[9] Vgl. hierzu die Entschädigungsakte (Anm. 1).

[10] Vgl. hierzu die WGA-Akte 22 WGA 199/65 im LandesA Berlin.

[11] ITS Digital Archive, Arolsen Archives Bestand 1.1.38.1 Dok. Nr. 4132771