Margarete Leon née Katz, verw. Türk

Location 
Kaiserdamm 103/104
District
Charlottenburg
Stone was laid
15 November 2023
Born
12 August 1880 in Berlin
Deportation
on 03 October 1942 to Theresienstadt
Later deported
on 28 October 1944 to Auschwitz
Murdered
1944 in Auschwitz

Margarete Dora wird am 12. August 1880 als Tochter von Hedwig Katz geb. Hanau und Dr. Jacob Katz in Berlin geboren. Sie lebt mit ihren Eltern in Berlin in der Luisenstraße 31a, dann ab 1895, ab dem Alter von 15 Jahren, in der Potsdamerstr. 29. Ihr Vater, Sanitätsrat Dr. med. Jacob Katz (1838 - 1912), ist ein renommierter Augenarzt, bis heute ist seine Publikation „Wie erhält man seine Sehkraft?“ erhältlich.

Als niedergelassener Augenarzt ist er zusätzlich in der gemeinnützigen Klinik Albert-Charlottenheim in der Potsdamer Straße tätig, einer Heilanstalt für arme Augenkranke aus der Stadt und dem Umland. Ihm obliegt die ärztliche Leitung, gemeinsam mit Herrn Dr. Türk.

Margarete wächst in gesicherten wirtschaftlichen und familiären Verhältnissen auf, soweit bekannt als einzige Tochter. Der ärztliche Kollege ihres Vaters, Dr. Siegmund Türk, ist öfter zu Gast bei der Familie, er lernt die junge Margarete kennen und lieben. Die Eltern stimmen der Verbindung zu und geben im August 1903 die Verlobung von Margarete und Siegmund bekannt. Margarete ist gerade 23 Jahre alt geworden, ihr Verlobter ist bereits 36 Jahre alt.

Dr. Siegmund Türk wurde am 14. Januar 1867 in Posen an der Warthe in einer Kaufmannsfamilie geboren. Die Familie stammte ursprünglich aus der Stadt Turek, 130 km südwestlich von Posen gelegen, woher sich die Herkunft des Familiennamens ableitete. Siegmund studiert Medizin in Berlin und Zürich, wird 1889 zum Dr. med. promoviert, erhält 1890 seine Approbation. Bis 1896 arbeitet er als Assistent an der Universitäts-Augenklinik in Zürich, danach praktiziert er als Augenarzt in Berlin, wo er in der Königgrätzerstraße 39 in Kreuzberg wohnt. Seine vielbeachteten Veröffentlichungen betreffen Retraktionsbewegungen der Augen, die Entstehung des physiologischen Netzhautvenenimpulses und vieles mehr.

Dr. Siegmund Türk und Margarete Katz heiraten am 12. November 1903. Das junge Paar lässt sich in der Kurfürstenstraße 83 nieder. Am 2. Dezember 1904 wird Sohn Hans geboren, ein Jahr und einen Tag später, am 3. Januar 1906, kommt Tochter Brigitte zur Welt.

In der Familie wird erzählt, dass Margarete nach den Entbindungen schnell wohlauf war. Eine Woche nach der Geburt von Tochter Brigitte soll sie sogar schon wieder einen Ball besucht haben! Die Familie ist gesellschaftlich etabliert. Man erzählt sich, dass bei den Türks sogar der Kaiser zum Frühstück geladen war.

Margarete lässt ihre Kinder evangelisch taufen, hingegen sind sie und Siegmund jüdischen Glaubens. Die Kinder werden in einem bürgerlichen Haushalt mit vielen Annehmlichkeiten groß, sie erhalten eine gute Schul- und Ausbildung.

In der Folge zieht die Familie nach Charlottenburg in die Berliner Straße 158 (heute Otto-Suhr-Allee) um. Sie überstehen weitgehend unbeschadet die Wirren des 1. Weltkriegs. Aber plötzlich erkrankt Siegmund und stirbt nach kurzer, schwerer Krankheit am 1. November 1922 im Alter von nur 55 Jahren.

Mit 42 Jahren ist Margarete Witwe, Sohn Hans ist 17 Jahre alt, Tochter Brigitte 16. Der frühe Tod von Ehemann und Vater bringt Veränderungen mit sich, auch wirtschaftlicher Art. Margarete wird ab jetzt finanziell von der Familie ihrer Schwägerin Grete Türk und deren Sohn Ernst unterstützt. Mitte der 30ger Jahre zieht sie innerhalb von Charlottenburg in den Kaiserdamm 89 um.

Mitte/Ende der 30ger Jahren macht sie Bekanntschaft mit dem neun Jahre älteren Junggesellen Charles Leon, einem Kaufmann aus der Textilbranche aus Berlin-Mitte, Molkenmarkt 11. Seine Firma M. Hiller Nachf. wird 1938 arisiert, die Existenzgrundlage wird ihm damit genommen.

Mitte Mai 1939 beziehen Margarete und er eine Wohnung im Kaiserdamm 103/104. Für beide wird dies der letzte freiwillig gewählte Wohnort.

Im Februar 1939 flieht Tochter Brigitte nach England, im Juni 1940 folgt Sohn Hans nach Afghanistan.

Ab Juni 1940 bis Herbst 1941 ist ihre Korrespondenz mit Sohn Hans erhalten, aus der sich ihr Leben in dieser Zeit ableiten lässt.

Ihre Briefe sind von der Fürsorge und Liebe für ihren erwachsenen Sohn Hans gezeichnet, der ohne Familie in der Fremde lebt. Ihm beschreibt sie oft mit Humor ihr aktives gesellschaftliches Leben mit vielen Besuchen und Einladungen und charakterisiert augenzwinkernd die Familie und den großen Freundeskreis. Zentrales Thema ist jedoch die Auswanderung: einmal in ihrem Umfeld, wessen Gesuche auf den Weg gebracht wurden, welche angenommen oder abgelehnt wurden, und zum anderen ihre eigene und Charles‘ Emigration.

Margarete will mit Charles zusammenbleiben, beide wollen ebenfalls nach Afghanistan zu Hans kommen. Dort wollen sie Hans nicht auf der Tasche liegen, sondern planen, weiter nach Australien auszuwandern, wo Charles entfernte Verwandte hat. „ Wir kommen beide - je eher, je lieber“ schreibt sie an Hans am 4. August 1940, und „… kann ich meine Möbel mitbringen?“

Ende August 1940 feiert Margarete ihren 60. Geburtstag mit vielen Gästen, sie hat auch Neuigkeiten von Brigitte, der es gut geht.

Ende September 1940 freut sie sich auf ein baldiges Wiedersehen in Kabul.

Im Oktober 1940 berichtet sie von ihren neuen, häufigeren Besuchen in der Synagoge in der Joachimsthaler Straße, gemeinsam mit Charles. Es treibt sie um, was sie alles in Kabul benötigt: „Habt Ihr Daunendecken dort?“ Sie berichtet weiter von Brigitte, die mit Max Leon, dem nach England emigrierten Bruder von Charles, und dessen Cousin Paul Heinemann dort in Kontakt steht.

Im November 1940 schreibt sie, dass Ernst Türk seine Zahlungen an sie einstellen muss, er hat keine Mittel mehr, um sie weiter zu unterstützen. Man muss sich weiter einschränken. Ob man die Haushaltshilfe noch bezahlen kann?

Ende November 1940 wird ihr Telefon abgestellt. Es wird höchste Zeit für ihre Auswanderung! Die Visa für Afghanistan sollen in allernächster Zeit kommen, sodass ein Wiedersehen mit Hans für Anfang 1941 geplant ist.

Es tut sich nichts über Weihnachten und den Jahreswechsel.

Mitte Februar 1941 berichtet sie von einer erneuten schriftlichen Eingabe in der Ahornallee, Zweigstelle der Königlich-Afghanischen Gesandtschaft, für ihre Ausreise. Neu hinzu kommt jetzt das Verbot für sie, Flugzeuge zu benutzen.

Ende Februar 1941 berichtet sie von einem herzlichen Empfang bei Seiner Exzellenz Ngvan Khan in der Ahornallee, der die erforderlichen Maßnahmen für ihre Ausreise und die ihres (zukünftigen) Mannes treffen kann. Dazu braucht er eine Anweisung seiner Regierung, er rechnet in Kürze mit dem Eintreffen des maßgeblichen Herren aus Afghanistan, der sich in Berlin einer Operation unterziehen soll und anschließend weiter in die Vereinigten Staaten reisen wird. Sobald die Genehmigung der afghanischen Regierung vorliegt, wird Seine Exzellenz sich befürwortend einschalten. - Einen Teil der Kosten ihrer Auswanderung kann der „Hilfsverein der Juden in Deutschland“ übernehmen, für Charles gibt es eine Zusage seiner Jüdischen Gemeinde.

Nach dem Besuch in der Ahornallee beschließen Margarete und Charles zu heiraten, sie kündigt es an: „Hansi, falle nicht um, wir heiraten … vor allem möchten wir durch eine Heirat die größere Sicherheit haben, nicht getrennt zu werden, komme, was da wolle“.

Am 4. März 1941 heiraten Margarete und Charles Leon in kleinstem Kreis, sie ist aufgeregt und glücklich zugleich. Obwohl sie ihre Hochzeit nicht publik gemacht haben, ist ihre Wohnung in ein „Blumengeschäft“ nach der Rückkehr von der Trauung aus dem Standesamt verwandelt.

Eine größere Feier findet am 26. März statt, dem 70. Geburtstag von Charles, zu dem sie 80 Gäste empfangen, er erhält über 100 Glückwunschbriefe, Geschenke und viele Blumengrüße.

Zwischenzeitlich ist der angekündigte Herr in der Afghanischen Gesandtschaft eingetroffen, Margarete macht daraufhin erneut eine schriftliche Eingabe für ihr Einwanderungsgesuch, wird zusätzlich telefonisch in der Gesandtschaft vorstellig. Man sichert ihr freundlich die weitere Bearbeitung ihres Gesuchs zu.

Im Mai 1941 kommt die Auswanderung immer noch nicht voran. Sie ist jedoch nicht zu sehr beunruhigt, da die heiße Jahreszeit in Afghanistan ungünstig für ihre geplante Reise sein kann.

Im Juni 1941 tut sich immer noch nichts. „Wir wollen mit Hochdruck zu Dir kommen - aber es geht nicht voran.“ Der Kabuler Herr ist immer noch in Berlin, handelt aber nicht zielführend in ihrer Angelegenheit.

Margarete schlägt vor, dass auch Brigitte nach Kabul kommen soll, „… dann sehen wir uns alle dort wieder“.

Am 3. November 1941 schickt Hans ein Telegramm, dass Brigitte nach Afghanistan kommt, sobald sie einen Schiffsplatz hat. Am 30. Mai 1942 antwortet Margarete, dass sie und Charles wohlauf und miteinander glücklich sind. Sie lässt über Hans Brigitte, Max und Paul in England grüßen.

Hier endet die Korrespondenz mit Hans.

Sie ist noch so voller Hoffnung, dass die Familie bald in Kabul wieder vereint ist. Es sollte anders kommen.

Am 1. Oktober 1942 wird ihr Vermögen zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen, was ihr am 2. Oktober schriftlich zugestellt wird. Damit wird ein sog. Heimeinkaufsvertrag erfüllt, wodurch der Aufenthalt im Ghetto Theresienstadt finanziert werden soll.

Am 2. Oktober 1942 müssen Margarete und Charles ihre Wohnung verlassen und sich in das Sammellager Große Hamburger Straße begeben.

Am 3. Oktober 1942 werden sie mit Lastwagen zum Bahnhof Berlin-Moabit zur Deportation in das Altersghetto Theresienstadt gebracht. Am Bahnhof müssen sie stundenlang warten, bis jeder gezählt und registriert ist. Erst am Abend fährt der Transport I/71 Zug Da 523 ab und kommt einen Tag später in Theresienstadt an. Er besteht aus 1.021 Juden, das Durchschnittalter der Deportierten beträgt 67 Jahre. Die Deportierten dürfen 50 Reichsmark, einen Koffer, einen zusätzlichen Satz Kleidung, Schuhe, Bettzeug, Essbesteck und Verpflegung für acht Tage mitnehmen. Margarete und Charles werden zwei Jahre im Ghetto verbringen müssen.

Am 6. Mai 1943 wird die Wohnung am Kaiserdamm 103/104 geräumt. Möbel und Wertgegenstände werden von der Oberfinanzdirektion eingezogen.

Am 26. Oktober 1944 erhalten sie im Ghetto Theresienstadt eine Transportaufforderung, die ihnen vorschreibt, sich in der Nacht in der Abgangshalle einzufinden. Es wird nur wenig Gepäck erlaubt.

Am 28. Oktober 1944 verlässt Transport Ev mit 2.038 Männern, Frauen und Kinder das Ghetto. Die Güterwagen werden gleich versiegelt, sie sind völlig überfüllt. Auf der grauenhaften Fahrt ins Ungewisse ohne Luft, Wasser und Licht sterben viele Menschen. Es ist der letzte Transport von Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau.

Nach der Ankunft in Auschwitz am 30. Oktober 1944 müssen die Deportierten ihr Gepäck zurücklassen. Männer und Frauen werden getrennt und durch den Lagerarzt selektiert. Die Arbeitsfähigen werden in ein Arbeitslager gebracht, die anderen Juden werden zu den Gaskammern geführt.

Am 31. Oktober 1944 werden Margarete und Charles in Auschwitz ermordet.

Margarete stirbt im Alter von 64 Jahren.