Dr. Selmar Frankenstein

Location 
Meierottostr. 6
District
Wilmersdorf
Stone was laid
30 July 2005
Born
28 February 1871 in Bischofsburg / Biskupiec
Deportation
on 03 October 1942 to Theresienstadt
Murdered
24 October 1942 im Ghetto Theresienstadt

Selmar Frankenstein wurde am 28. Februar 1871 in Bischofsburg (dem heutigen Biskupiec in Polen) geboren. Er war der Sohn des Kaufmanns Moritz Moses Frankenstein, der als Mitinhaber mehrere Textilgeschäfte am Marktplatz von Bischofsburg führte. Selmar hatte einen jüngeren Bruder namens Max, der 1873 geboren wurde. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Selmar und seinem Bruder in Bischofsburg haben sich keine Informationen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur recht kleinen jüdischen Gemeinde der Stadt, zu der zum Zeitpunkt der Geburt von Selmar etwa 134 der knapp 4000 Einwohner zählten.<br />
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Nach seinem Schulabschluss studierte Selmar Frankenstein Medizin in Freiburg und Königsberg (Kaliningrad), erhielt 1894 seine Approbation und promovierte 1895 in Königsberg mit einer Arbeit zur Mittelohrentzündung mit dem Titel „Über periauriculäre Entzündungen und Abcessbildungen bei Otitis media purulenta“. Ende der 1890er-Jahre ließ sich Selmar Frankenstein in Berlin nieder und eröffnete 1897 als Allgemeinmediziner eine Praxis in der Neuen Königstraße 32 (der heutigen Otto-Braun-Straße). 1903 verlegte er die Praxis in die Lützowstraße 91a und 1909 in die Kurfürstenstraße 128, wo der Mediziner mehr als 20 Jahre lang praktizieren sollte. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, war als Oberstabsarzt im Hauptquartier von Hindenburg (1847–1934) bei Tannenberg eingesetzt und Leibarzt des Kronprinzen Rupprecht von Bayern (1869–1955). Für seine Dienste wurde Selmar Frankenstein mit dem Eisernen Kreuz II. und I. Klasse ausgezeichnet und ihm wurde der Titel eines Sanitätsrats verliehen. Aus der Zeit des Ersten Weltkriegs existieren zwei Zeugnisse von Selmar Frankenstein, die sich in der Sammlung des Jüdischen Museums Berlin erhalten haben: Eine Fotografie von 1914 zeigt Dr. Frankenstein in Uniform als Soldat vor einer getarnten Unterkunft. Das zweite Objekt ist ein Glückwunschtelegramm vom 19. September 1914 an seinen Bruder Max zur Geburt von dessen Zwillingen, welche einen Tag zuvor in Flatow (Złotów) geboren worden waren. Im Telegramm übermittelt Selmar Frankenstein: „Herzlichsten Glückwunsch. Zwei tüchtige / Soldaten kann unser Vaterland immer / brauchen. Gutes gedeien [sic] wünscht / Selmar / Mehlsack [heute Pieniężno, Anm. d. Aut.] / Ostpreussen“. Aus der ersten Ehe von Selmars Bruder Max Frankenstein mit Emma Klein, war sein Sohn Manfred (1910–1969) hervorgegangen und die beiden Zwillinge, von denen aber nur Martin (1914–1982) das Kleinkindalter überlebte. Nach dem Tod von Emma 1917 heiratete Oskar in zweiter Ehe Martha Fein, mit der er 1924 Selmars dritten Neffen Walter bekam.<br />
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1926 heiratete Selmar Frankenstein die gebürtige Berlinerin Ottilie Lewisson. Die mit Selmar gleichaltrige Ottilie hatte sich 1905 von ihrem ersten Mann scheiden lassen, dem Mediziner Dr. Isidor Frankenstein, der – soweit bekannt – nicht in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zur Familie der Frankensteins aus Bischofsburg stand. Ottilies 1898 in Berlin geborener Sohn Hans Joseph Frankenstein war 1922 in Hamburg verstorben. Aus der Ehe von Selmar und Ottilie – beide waren bereits in ihren Fünfzigern – gingen keine Nachkommen hervor. Bis 1930 lebte das Paar in der Kurfürstenstraße. 1931 zogen sie in eine Wohnung in der Meierottostraße 6, wohin Selmar Frankenstein ein Jahr später auch die Praxis verlegte. Selmar Frankenstein wird in Familienquellen als patriotischer, hoch angesehener Mediziner beschrieben. Er achtete stets auf korrekte Kleidung, trug am linken Revers seines Anzugs die ihm verliehenen Orden aus dem Ersten Weltkrieg und war Verehrer des Kaisers, der ihm einst eine Uhr geschenkt hatte. Im Berlin der Weimarer Republik zählten Maler, Dichter und Schauspieler zu seinem Freundeskreis. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben des Ehepaares Frankenstein im Berlin der Weimarer Republik vermitteln könnten.<br />
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Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Selmar Frankenstein und seine Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Abgesehen von Boykottmaßnahmen, behördlichen Schikanen und Verhaftungsaktionen wurde die Schlinge für jüdische Ärzte durch eine Flut von Verordnungen und Gesetzen schrittweise enger gezogen: So wurde mit insgesamt sieben Verordnungen von 1933 bis 1937 „nichtarischen“ Ärzten nach und nach die Kassenzulassung entzogen; mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 waren sie vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossen, mit der Verordnung vom 20. November 1933 durften sie keine ärztlichen Fortbildungskurse mehr besuchen und wurden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst ausgeschlossen; ab dem Jahr 1936 durften sie nicht mehr mit „deutschstämmigen“ Ärzten zusammenarbeiten. Bereits 1933 wurde Dr. Selmar Frankenstein aus seiner Position als Wohlfahrtsarzt aus dem städtischen Gesundheitswesen Berlins entlassen.<br />
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Im Sommer 1936 wurde seinem zwölfjährigen Neffen Walter verboten, weiterhin die christliche Schule in Flatow zu besuchen. Dessen Vater Max war 1929 verstorben und dessen Mutter hatte seitdem alleine den Landhandel mit angeschlossener Schenke geführt, die das Einkommen der Familie in Flatow gesichert hatte. Selmar Frankenstein, der Walters Vormund war, besorgte diesem einen Platz im Auerbach´schen Waisenhaus in Berlin. Nach seinem Abschluss an der Jüdischen Volksschule 1938 war Walter Frankenstein als Maurerlehrling in der Jüdischen Bauschule am Ostbahnhof tätig. Die Sonntage verbrachte er zumeist bei seinem Onkel und seiner Tante in Wilmersdorf. Walter erinnerte sich später: „Das war ganz streng geregelt. Es gab zuerst Brot und Tee, und dann gingen wir gemeinsam in den Zoo. Danach wurde Mittag gegessen, und anschließend musste ich in einem Zimmer, das mit japanischen Möbeln ausgestattet war, mindestens eine Stunde schlafen. […] Danach gab es Kaffee und Kuchen, vielleicht noch einen kleinen Spaziergang und dann Abendbrot, eine Tafel Schokolade, 20 Pfennig für die U-Bahn und zurück ins Auerbach. Um acht mußten wir wieder zu Hause sein. Später, als ich älter geworden war, durfte ich bis halb neun Uhr abends draußen bleiben.“ (zit. nach Hillenbrand 2008, S. 13–14).<br />
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Am 30. September 1938 wurde Dr. Selmar Frankenstein wie allen jüdischen Ärzten und Ärztinnen mit der „Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ die Approbation entzogen. Zwischen 1939 und 1941 konnte er noch als „praktischer Krankenbehandler“ ausschließlich jüdische Patienten versorgen. Laut Aussagen seines Neffen Walter kam es für Selmar Frankenstein trotz zunehmender Verfolgung aufgrund seiner deutschnationalen Einstellung allerdings nicht in Frage, das Deutsche Reich zu verlassen. Das Gleiche erwartete er von seiner Familie und setzte ein Testament auf, das nur die im „Reichsgebiet“ verbliebenen Verwandten berücksichtigte (Schwoch 2018). Er war und blieb ein strikter Gegner zionistischer Auswanderung. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Deutschen die Juden verfolgen würden. Schon gar nicht ihn.<br />
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1942 wurden Selmar und Ottilie Frankenstein mit dem Deportationsbescheid entschädigungslos enteignet und zu „Reichsfeinden“ erklärt. Sie wurden im Sammellager in der Gerlachstraße 18–21 interniert und am 3. Oktober 1942 mit dem „3. großen Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie nach Ankunft eine Baracke im Gebäude Q 808 zugewiesen bekamen. Dr. Selmar Frankenstein und seine Ehefrau überlebten die unmenschlichen Bedingungen in Theresienstadt nur knapp einen Monat. Der im Ghetto ausgefüllte Totenschein gibt für Dr. Frankenstein den 24. Oktober 1942 als Todestag an, für Ottilie Frankenstein den 29. Oktober 1942.<br />
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Seine Schwägerin Martha Frankenstein, geborene Fein, wurde 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Selmar Frankensteins Neffen Manfred, Martin und Walter überlebten mit ihren Ehepartnern und Kindern die NS-Verfolgung: Manfred Frankenstein hatte 1935 sein Staatsexamen in Zahnmedizin an der Universität Königsberg abgelegt. Er sollte die Praxis seines Onkels Dr. Julius Hirschfeld in Braunsberg (dem heutigen Braniewo) übernehmen. 1937 emigrierte er mit seiner Ehefrau Ursel Frankenstein, geborene Konitzer, nach Palästina, wo ihre Tochter Esther zur Welt kam. Martin Frankenstein war bereits 1934 in das Mandatsgebiet Palästina geflüchtet und hatte hier Lea Frankenstein geheiratet. Walter Frankenstein heiratete im Februar 1942 in Berlin die drei Jahre ältere Leonie Rosner. Kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes, Peter Uri, tauchten die Familie 1943 unter. 1944 wurde in der Illegalität ein zweiter Sohn namens Michael geboren. Alle vier erlebten das Kriegsende 1945, emigrierten nach Palästina und in den 1950er-Jahren nach Schweden.

Selmar Frankenstein wurde am 28. Februar 1871 in Bischofsburg (dem heutigen Biskupiec in Polen) geboren. Er war der Sohn des Kaufmanns Moritz Moses Frankenstein, der als Mitinhaber mehrere Textilgeschäfte am Marktplatz von Bischofsburg führte. Selmar hatte einen jüngeren Bruder namens Max, der 1873 geboren wurde. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Selmar und seinem Bruder in Bischofsburg haben sich keine Informationen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur recht kleinen jüdischen Gemeinde der Stadt, zu der zum Zeitpunkt der Geburt von Selmar etwa 134 der knapp 4000 Einwohner zählten.

Nach seinem Schulabschluss studierte Selmar Frankenstein Medizin in Freiburg und Königsberg (Kaliningrad), erhielt 1894 seine Approbation und promovierte 1895 in Königsberg mit einer Arbeit zur Mittelohrentzündung mit dem Titel „Über periauriculäre Entzündungen und Abcessbildungen bei Otitis media purulenta“. Ende der 1890er-Jahre ließ sich Selmar Frankenstein in Berlin nieder und eröffnete 1897 als Allgemeinmediziner eine Praxis in der Neuen Königstraße 32 (der heutigen Otto-Braun-Straße). 1903 verlegte er die Praxis in die Lützowstraße 91a und 1909 in die Kurfürstenstraße 128, wo der Mediziner mehr als 20 Jahre lang praktizieren sollte. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich als Kriegsfreiwilliger, war als Oberstabsarzt im Hauptquartier von Hindenburg (1847–1934) bei Tannenberg eingesetzt und Leibarzt des Kronprinzen Rupprecht von Bayern (1869–1955). Für seine Dienste wurde Selmar Frankenstein mit dem Eisernen Kreuz II. und I. Klasse ausgezeichnet und ihm wurde der Titel eines Sanitätsrats verliehen. Aus der Zeit des Ersten Weltkriegs existieren zwei Zeugnisse von Selmar Frankenstein, die sich in der Sammlung des Jüdischen Museums Berlin erhalten haben: Eine Fotografie von 1914 zeigt Dr. Frankenstein in Uniform als Soldat vor einer getarnten Unterkunft. Das zweite Objekt ist ein Glückwunschtelegramm vom 19. September 1914 an seinen Bruder Max zur Geburt von dessen Zwillingen, welche einen Tag zuvor in Flatow (Złotów) geboren worden waren. Im Telegramm übermittelt Selmar Frankenstein: „Herzlichsten Glückwunsch. Zwei tüchtige / Soldaten kann unser Vaterland immer / brauchen. Gutes gedeien [sic] wünscht / Selmar / Mehlsack [heute Pieniężno, Anm. d. Aut.] / Ostpreussen“. Aus der ersten Ehe von Selmars Bruder Max Frankenstein mit Emma Klein, war sein Sohn Manfred (1910–1969) hervorgegangen und die beiden Zwillinge, von denen aber nur Martin (1914–1982) das Kleinkindalter überlebte. Nach dem Tod von Emma 1917 heiratete Oskar in zweiter Ehe Martha Fein, mit der er 1924 Selmars dritten Neffen Walter bekam.

1926 heiratete Selmar Frankenstein die gebürtige Berlinerin Ottilie Lewisson. Die mit Selmar gleichaltrige Ottilie hatte sich 1905 von ihrem ersten Mann scheiden lassen, dem Mediziner Dr. Isidor Frankenstein, der – soweit bekannt – nicht in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zur Familie der Frankensteins aus Bischofsburg stand. Ottilies 1898 in Berlin geborener Sohn Hans Joseph Frankenstein war 1922 in Hamburg verstorben. Aus der Ehe von Selmar und Ottilie – beide waren bereits in ihren Fünfzigern – gingen keine Nachkommen hervor. Bis 1930 lebte das Paar in der Kurfürstenstraße. 1931 zogen sie in eine Wohnung in der Meierottostraße 6, wohin Selmar Frankenstein ein Jahr später auch die Praxis verlegte. Selmar Frankenstein wird in Familienquellen als patriotischer, hoch angesehener Mediziner beschrieben. Er achtete stets auf korrekte Kleidung, trug am linken Revers seines Anzugs die ihm verliehenen Orden aus dem Ersten Weltkrieg und war Verehrer des Kaisers, der ihm einst eine Uhr geschenkt hatte. Im Berlin der Weimarer Republik zählten Maler, Dichter und Schauspieler zu seinem Freundeskreis. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben des Ehepaares Frankenstein im Berlin der Weimarer Republik vermitteln könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Selmar Frankenstein und seine Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Abgesehen von Boykottmaßnahmen, behördlichen Schikanen und Verhaftungsaktionen wurde die Schlinge für jüdische Ärzte durch eine Flut von Verordnungen und Gesetzen schrittweise enger gezogen: So wurde mit insgesamt sieben Verordnungen von 1933 bis 1937 „nichtarischen“ Ärzten nach und nach die Kassenzulassung entzogen; mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 waren sie vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossen, mit der Verordnung vom 20. November 1933 durften sie keine ärztlichen Fortbildungskurse mehr besuchen und wurden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst ausgeschlossen; ab dem Jahr 1936 durften sie nicht mehr mit „deutschstämmigen“ Ärzten zusammenarbeiten. Bereits 1933 wurde Dr. Selmar Frankenstein aus seiner Position als Wohlfahrtsarzt aus dem städtischen Gesundheitswesen Berlins entlassen.

Im Sommer 1936 wurde seinem zwölfjährigen Neffen Walter verboten, weiterhin die christliche Schule in Flatow zu besuchen. Dessen Vater Max war 1929 verstorben und dessen Mutter hatte seitdem alleine den Landhandel mit angeschlossener Schenke geführt, die das Einkommen der Familie in Flatow gesichert hatte. Selmar Frankenstein, der Walters Vormund war, besorgte diesem einen Platz im Auerbach´schen Waisenhaus in Berlin. Nach seinem Abschluss an der Jüdischen Volksschule 1938 war Walter Frankenstein als Maurerlehrling in der Jüdischen Bauschule am Ostbahnhof tätig. Die Sonntage verbrachte er zumeist bei seinem Onkel und seiner Tante in Wilmersdorf. Walter erinnerte sich später: „Das war ganz streng geregelt. Es gab zuerst Brot und Tee, und dann gingen wir gemeinsam in den Zoo. Danach wurde Mittag gegessen, und anschließend musste ich in einem Zimmer, das mit japanischen Möbeln ausgestattet war, mindestens eine Stunde schlafen. […] Danach gab es Kaffee und Kuchen, vielleicht noch einen kleinen Spaziergang und dann Abendbrot, eine Tafel Schokolade, 20 Pfennig für die U-Bahn und zurück ins Auerbach. Um acht mußten wir wieder zu Hause sein. Später, als ich älter geworden war, durfte ich bis halb neun Uhr abends draußen bleiben.“ (zit. nach Hillenbrand 2008, S. 13–14).

Am 30. September 1938 wurde Dr. Selmar Frankenstein wie allen jüdischen Ärzten und Ärztinnen mit der „Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ die Approbation entzogen. Zwischen 1939 und 1941 konnte er noch als „praktischer Krankenbehandler“ ausschließlich jüdische Patienten versorgen. Laut Aussagen seines Neffen Walter kam es für Selmar Frankenstein trotz zunehmender Verfolgung aufgrund seiner deutschnationalen Einstellung allerdings nicht in Frage, das Deutsche Reich zu verlassen. Das Gleiche erwartete er von seiner Familie und setzte ein Testament auf, das nur die im „Reichsgebiet“ verbliebenen Verwandten berücksichtigte (Schwoch 2018). Er war und blieb ein strikter Gegner zionistischer Auswanderung. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Deutschen die Juden verfolgen würden. Schon gar nicht ihn.

1942 wurden Selmar und Ottilie Frankenstein mit dem Deportationsbescheid entschädigungslos enteignet und zu „Reichsfeinden“ erklärt. Sie wurden im Sammellager in der Gerlachstraße 18–21 interniert und am 3. Oktober 1942 mit dem „3. großen Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie nach Ankunft eine Baracke im Gebäude Q 808 zugewiesen bekamen. Dr. Selmar Frankenstein und seine Ehefrau überlebten die unmenschlichen Bedingungen in Theresienstadt nur knapp einen Monat. Der im Ghetto ausgefüllte Totenschein gibt für Dr. Frankenstein den 24. Oktober 1942 als Todestag an, für Ottilie Frankenstein den 29. Oktober 1942.

Seine Schwägerin Martha Frankenstein, geborene Fein, wurde 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Selmar Frankensteins Neffen Manfred, Martin und Walter überlebten mit ihren Ehepartnern und Kindern die NS-Verfolgung: Manfred Frankenstein hatte 1935 sein Staatsexamen in Zahnmedizin an der Universität Königsberg abgelegt. Er sollte die Praxis seines Onkels Dr. Julius Hirschfeld in Braunsberg (dem heutigen Braniewo) übernehmen. 1937 emigrierte er mit seiner Ehefrau Ursel Frankenstein, geborene Konitzer, nach Palästina, wo ihre Tochter Esther zur Welt kam. Martin Frankenstein war bereits 1934 in das Mandatsgebiet Palästina geflüchtet und hatte hier Lea Frankenstein geheiratet. Walter Frankenstein heiratete im Februar 1942 in Berlin die drei Jahre ältere Leonie Rosner. Kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes, Peter Uri, tauchten die Familie 1943 unter. 1944 wurde in der Illegalität ein zweiter Sohn namens Michael geboren. Alle vier erlebten das Kriegsende 1945, emigrierten nach Palästina und in den 1950er-Jahren nach Schweden.