Martha Reuss née Bonyhady

Location 
Müllerstraße 38
District
Wedding
Stone was laid
17 February 2022
Born
29 February 1896 in Graz
Occupation
Arzthelferin
Escape
1938 USA
Survived

Martha wurde wahrscheinlich am 29. Februar 1896 in Graz/Österreich geboren, wobei das genaue Geburtsdatum nicht ganz geklärt werden konnte.

Sie war das vorletzte Kind von Solomon und Bertha Bonyhady. Die Familie war wohlhabend und hatte ein florierendes Lederwarengeschäft. Sie hatte eine Schwester, Mira, und fünf Brüder, Edward, Norbert, Bertolt, Albert und Emil. Martha war ihrem Bruder Norbert, einem Arzt, sehr verbunden und arbeitete in seiner Praxis.

Marthas Bruder Bertholt gehörte in Berlin der jüdischen Loge  B'nai Brith an. Dort befreundete er sich mit einem jungen Berliner Arzt, den er mit seiner Schwester Martha zu verkuppeln gedachte. Dieser Arzt, Erich Reuss, willigte tatsächlich ein, Martha in Österreich zu besuchen. Bertholts Kuppeleien zeigten Erfolg. Martha und Erich heirateten weniger als ein halbes Jahr später, am 16. Oktober 1923 in Österreich.

Nun verheiratet, zogen Erich und Martha in die Müllerstraße 38 im Berliner Wedding in eine große Wohnung, die sowohl als Arztpraxis diente als auch für das Privatleben geeignete Räume bot. 

Im Februar 1925 wurde die gemeinsame Tochter Eva geboren. Sie war in jeder Hinsicht eine Freude. Fünf Jahre später im April 1930 kam ihr Sohn Heinrich zur Welt.

Mit ihrer Machtübernahme im Jahr 1933 begannen die Nationalsozialisten mit der Ausschaltung der Demokratie und der Entrechtung der jüdischen Deutschen.

Erichs jüngster Bruder und seine beiden Schwestern waren bereits nach Palästina ausgewandert. 
Für jüdische Kinder war es seit 1933 aufgrund strenger Quotierungen des Schulzugangs zusehends schwieriger, an einer öffentlichen Schule unterrichtet zu werden. Dazu kam der immer offenere Antisemitismus der Lehrerinnen- und Schülerinnenschaft. Viele Kinder aus jüdischen Familien wechselten daher an jüdische Schulen.  

Martha betonte, dass es Zeit war, Deutschland zu verlassen. Erich aber fühlte sich als Deutscher und vertrat die Meinung, das politische Klima würde sich wieder verbessern.
 
Martha sagte, sie fühle sich weder als Deutsche noch als Österreicherin. Sie ließ sich nicht von ihrem Wunsch abbringen, Deutschland zu verlassen. Schließlich hatte auch Erich verstanden, dass es für ihn und seine Familie keine Zukunft mehr in Deutschland gab. Die Familie beschloss die Auswanderung in die USA.

Martha hörte von Jemandem, der Geld von Deutschland in die Niederlande und von dort aus an jeden weiteren Ort transferieren konnte. Dies war notwendig, da Auswanderer aufgrund der Reichsfluchtsteuer, die in den 1930er Jahren vor allem Jüdinnen und Juden in Deutschland traf, nahezu ihr gesamtes Vermögen zurücklassen mussten. Unter erheblichem Risiko überredete Martha den Direktor ihrer Bank, ihr alle ihre Ersparnisse zu geben und hoffte, dass diese tatsächlich in die sicher außer Landes gelangen würden.

Erich ging wie geplant als erster. Er hatte in der Schule Englisch gelernt und musste, für die weitere Ausübung seines Berufs, in den USA erneut eine medizinische Prüfung ablegen. Er war 51 Jahre alt, als er einen Neuanfang mit einer fremden Sprache und in einem fremden Land wagen musste.

Sechs Monate später verließen Martha und ihre beiden Kinder Berlin mit dem Zug. Einer von Erichs Brüdern, Gunther, kam, um sie zu verabschieden. Er war der letzte verbliebene Reuss-Verwandte in Berlin. Kurz darauf reiste er mit seiner Familie nach Südafrika ab.

Martha und die Kinder gingen nach London und blieben bei Verwandten. Tatsächlich hatte sich ihr Vertrauen ausgezahlt. Sie konnte das in die Niederlande transferierte Vermögen weiter in die USA überweisen.

Die Familie Reuss ließ sich 1938 in Brooklyn, New York nieder, in einer Wohnung, die der Berliner Wohnung sehr ähnlich war. Sie war geteilt und ermöglichte einen Bereich für die Praxis und den anderen Bereich für das Wohnen. 

Martha bestand mehrere Jahre darauf, dass zu Hause alle Englisch sprechen, um die Sprachkenntnisse der Kinder zu verbessern. Sobald die Kinder fließend Englisch sprachen, wurde zu Hause wieder Deutsch gesprochen

Als sie Deutschland verließen, hatten sie keine Ahnung von der ganzen Tragweite der Shoah. Als die Nachrichten bekannt wurden, waren sie schockiert und versuchten, etwas über Marthas Familie herauszufinden, die sich noch in Graz befunden hatte, als der Krieg ausbrach. Die meisten Angehörigen Marthas konnten nicht fliehen und wurden in den Vernichtungslagern ermordet.

1966 entschlossen sich Erich und Martha nach Phoenix, Arizona umzuziehen. Martha hatte ihn überredet, sich aus dem Beruf zurückzuziehen und er hatte schließlich zugestimmt.

Erich starb 1970 in Scottsdale, Arizona.

Martha zog nach seinem Tod von Phoenix nach Scottsdale und führte viele Jahre lang ein aktives soziales Leben. Sie reiste nach Australien, um ihre Schwester und ihren Bruder zu besuchen, die sich vor dem Krieg dort niedergelassen hatten. Mit ihren Kindern und Enkeln viel Zeit zu verbringen, genoss Martha sehr. Sie überlebte ihren Mann um 20 Jahre und starb 1990.