Julius Latte

Location 
Neue Roßstraße 16
District
Mitte
Born
01 May 1869 in Schrimm / Śrem
Occupation
Arzt
Deportation
on 17 March 1943 to Theresienstadt
Murdered
09 June 1943 im Ghetto Theresienstadt

Julius Latte kam am 1. Mai 1869 in Schrimm (dem heutigen Śrem in Polen), etwa 40 Kilometer südlich von Posen (Poznań), zur Welt. Er war der Sohn des Kaufmanns Moritz Latte und dessen Ehefrau Johanna Latte, geborene Feuerstein. Julius wuchs im Kreis von mindestens fünf Geschwistern auf: Seine älteren Brüder Markus und Bernhard waren 1864 und 1868 in Schrimm geboren worden, seine jüngeren Geschwister Baruch, Else Ernestine und David 1871, 1875 und 1878. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Julius Latte und seinen Geschwistern haben sich keine Informationen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde Schrimms, zu der zum Zeitpunkt der Geburt von Julius etwa 1100 der rund 6.000 Einwohner zählten. Seit den 1820er-/1830er-Jahren gab es am Ort eine jüdische Elementarschule, die vermutlich auch von Julius Latte und seinen Geschwistern besucht wurde. Ab den 1890er-Jahren setzte eine starke Abwanderung der jüdischen Familien aus Schrimm ein – vornehmlich nach Posen und andere Großstädte wie Berlin.<br />
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Nach seinem Schulabschluss begann Julius Latte – wie auch seine Brüder Baruch, Markus und David – ein Medizinstudium. Er erhielt seine Approbation 1894 und promovierte 1895 an der Universität Leipzig mit einer Arbeit zur Entzündungsreaktion des Auges mit dem Titel „Beiträge zur Lehre der sympathischen Ophthalmie“. Julius Lattes Bruder Bernhard war Kaufmann und lebte mit seiner Ehefrau Viola, geborene Geis, in Magdeburg. Baruch Latte ließ sich als Chirurg und Geburtshelfer in Nürnberg nieder. Sein Bruder Markus Latte praktizierte als Arzt in Magdeburg, später in Karlsruhe. Der jüngste Bruder David Latte erhielt 1904 seine Approbation in Königsberg i. Pr. (Kaliningrad) und heiratete später die Augenärztin Julie Mathilde Loeb, mit der er in Berlin lebte. Seine Schwester Else Ernestine hatte in Schrimm den Mediziner Moses Schereschewsky geheiratet und arbeitete als Juwelierin. Dr. Julius Latte ließ sich 1900 als praktischer Arzt in Berlin nieder und eröffnete eine Praxis am Engelufer 2b (dem heutigen Engeldamm) nahe der Köpenicker Straße in Mitte. Ab 1904 war er als HNO-Facharzt tätig. Von 1906 bis 1909 praktizierte er in der Neanderstraße 22, 1910 verlegte er Praxis und Wohnung in die Neue Roßstraße 16 in Mitte, wo er fast 30 Jahre lang ansässig war. Vermutlich in den 1900er-Jahren heiratete er die sechs Jahre jüngere, aus Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) stammende Martha Jacobus. Sie war die Tochter des Bäckermeisters Joseph Jacobus und seiner Ehefrau Minna, geborene Pincus.<br />
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Vermutlich wurde Julius Latte während des Ersten Weltkriegs rekrutiert oder er meldete sich freiwillig, anders als für seinen Bruder Baruch Latte, der als Stabsarzt und später Oberstabsarzt an der Westfront verwundet wurde, existieren für Julius aber keine eindeutigen Quellen zur Militärzeit. Im Jahr 1919 starb seine Ehefrau Martha in der Berliner Charité. Später heiratete der verwitwete Julius die bedeutend jüngere Berlinerin Valeska Spät (oder Spaeth). Aus beiden Ehen sind, soweit bekannt, keine Kinder hervorgegangen. Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten, die einen Einblick in das Leben des Arztes im Berlin der ausgehenden Kaiserzeit und der Weimarer Republik geben könnten.<br />
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Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Dr. Julius Latte und seine Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Abgesehen von Boykottmaßnahmen, behördlichen Schikanen und Verhaftungsaktionen wurde die Schlinge für jüdische Ärzte durch eine Flut von Verordnungen und Gesetzen schrittweise enger gezogen: So wurde mit insgesamt sieben Verordnungen von 1933 bis 1937 „nichtarischen“ Ärzten nach und nach die Kassenzulassung entzogen; mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 waren sie vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossen, mit der Verordnung vom 20. November 1933 durften sie keine ärztlichen Fortbildungskurse mehr besuchen und wurden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst ausgeschlossen; ab dem Jahr 1936 durften sie nicht mehr mit „deutschstämmigen“ Ärzten zusammenarbeiten. Am 30. September 1938 wurde Dr. Latte wie allen jüdischen Ärzten und Ärztinnen mit der „Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ die Approbation entzogen und er musste seine Praxis schließen. Ein knappes halbes Jahr darauf verstarb am 25. Februar 1939 sein Bruder Markus Latte unter nicht bekannten Umständen im städtischen Krankenhaus Karlsruhe. Ende der 1930er-Jahre floh sein Bruder Baruch Latte mit seiner Familie in die Niederlande, seinem Bruder David gelang mit seiner Frau Julie 1938 die Flucht in die USA, bereits ein Jahr zuvor war Else Ernestine mit ihrem Mann Moses Schereschewsky ebenfalls in die USA gegangen. Ob auch Julius Latte Pläne verfolgte, das Land zu verlassen, ist unklar. Sollte er konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese.<br />
<br />
In Berlin wurde das Leben für Julius Latte Ende der 1930er-Jahre und Anfang der 1940er-Jahre zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnte er sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 teilte die Gestapo der Jüdischen Gemeinde Berlin mit, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Julius Latte, der seit 1939 mit seiner Ehefrau vermutlich zur Untermiete in der Poststraße 12 in Mitte lebte, erhielt den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Der 73-Jährige wurde in eines der Berliner Sammellager verschleppt und von dort aus am 17. März 1943 mit dem „4. großen Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dr. Julius Latte überlebte die unmenschlichen Bedingungen im Ghetto kaum drei Monate, bevor er am 9. Juni 1943 ermordet wurde – durch direkte Gewalteinwirkung oder indirekte mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlichen Misshandlungen.<br />
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Julius’ Ehefrau Valeska wurde am 17. Mai 1943 mit dem „38. Osttransport“ aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Sein Bruder David Latte und dessen Ehefrau überlebten genauso im Exil in den USA wie seine Schwester Else Ernestine, die sich später Elsie Shery nannte. Sein Bruder Baruch erlebte das Kriegsende in den Niederlanden. Das Schicksal von Bernhard Latte und seiner Ehefrau ist ungeklärt.

Julius Latte kam am 1. Mai 1869 in Schrimm (dem heutigen Śrem in Polen), etwa 40 Kilometer südlich von Posen (Poznań), zur Welt. Er war der Sohn des Kaufmanns Moritz Latte und dessen Ehefrau Johanna Latte, geborene Feuerstein. Julius wuchs im Kreis von mindestens fünf Geschwistern auf: Seine älteren Brüder Markus und Bernhard waren 1864 und 1868 in Schrimm geboren worden, seine jüngeren Geschwister Baruch, Else Ernestine und David 1871, 1875 und 1878. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Julius Latte und seinen Geschwistern haben sich keine Informationen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde Schrimms, zu der zum Zeitpunkt der Geburt von Julius etwa 1100 der rund 6.000 Einwohner zählten. Seit den 1820er-/1830er-Jahren gab es am Ort eine jüdische Elementarschule, die vermutlich auch von Julius Latte und seinen Geschwistern besucht wurde. Ab den 1890er-Jahren setzte eine starke Abwanderung der jüdischen Familien aus Schrimm ein – vornehmlich nach Posen und andere Großstädte wie Berlin.

Nach seinem Schulabschluss begann Julius Latte – wie auch seine Brüder Baruch, Markus und David – ein Medizinstudium. Er erhielt seine Approbation 1894 und promovierte 1895 an der Universität Leipzig mit einer Arbeit zur Entzündungsreaktion des Auges mit dem Titel „Beiträge zur Lehre der sympathischen Ophthalmie“. Julius Lattes Bruder Bernhard war Kaufmann und lebte mit seiner Ehefrau Viola, geborene Geis, in Magdeburg. Baruch Latte ließ sich als Chirurg und Geburtshelfer in Nürnberg nieder. Sein Bruder Markus Latte praktizierte als Arzt in Magdeburg, später in Karlsruhe. Der jüngste Bruder David Latte erhielt 1904 seine Approbation in Königsberg i. Pr. (Kaliningrad) und heiratete später die Augenärztin Julie Mathilde Loeb, mit der er in Berlin lebte. Seine Schwester Else Ernestine hatte in Schrimm den Mediziner Moses Schereschewsky geheiratet und arbeitete als Juwelierin. Dr. Julius Latte ließ sich 1900 als praktischer Arzt in Berlin nieder und eröffnete eine Praxis am Engelufer 2b (dem heutigen Engeldamm) nahe der Köpenicker Straße in Mitte. Ab 1904 war er als HNO-Facharzt tätig. Von 1906 bis 1909 praktizierte er in der Neanderstraße 22, 1910 verlegte er Praxis und Wohnung in die Neue Roßstraße 16 in Mitte, wo er fast 30 Jahre lang ansässig war. Vermutlich in den 1900er-Jahren heiratete er die sechs Jahre jüngere, aus Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) stammende Martha Jacobus. Sie war die Tochter des Bäckermeisters Joseph Jacobus und seiner Ehefrau Minna, geborene Pincus.

Vermutlich wurde Julius Latte während des Ersten Weltkriegs rekrutiert oder er meldete sich freiwillig, anders als für seinen Bruder Baruch Latte, der als Stabsarzt und später Oberstabsarzt an der Westfront verwundet wurde, existieren für Julius aber keine eindeutigen Quellen zur Militärzeit. Im Jahr 1919 starb seine Ehefrau Martha in der Berliner Charité. Später heiratete der verwitwete Julius die bedeutend jüngere Berlinerin Valeska Spät (oder Spaeth). Aus beiden Ehen sind, soweit bekannt, keine Kinder hervorgegangen. Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten, die einen Einblick in das Leben des Arztes im Berlin der ausgehenden Kaiserzeit und der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen Dr. Julius Latte und seine Familie. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Abgesehen von Boykottmaßnahmen, behördlichen Schikanen und Verhaftungsaktionen wurde die Schlinge für jüdische Ärzte durch eine Flut von Verordnungen und Gesetzen schrittweise enger gezogen: So wurde mit insgesamt sieben Verordnungen von 1933 bis 1937 „nichtarischen“ Ärzten nach und nach die Kassenzulassung entzogen; mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 waren sie vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossen, mit der Verordnung vom 20. November 1933 durften sie keine ärztlichen Fortbildungskurse mehr besuchen und wurden vom ärztlichen Bereitschaftsdienst ausgeschlossen; ab dem Jahr 1936 durften sie nicht mehr mit „deutschstämmigen“ Ärzten zusammenarbeiten. Am 30. September 1938 wurde Dr. Latte wie allen jüdischen Ärzten und Ärztinnen mit der „Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ die Approbation entzogen und er musste seine Praxis schließen. Ein knappes halbes Jahr darauf verstarb am 25. Februar 1939 sein Bruder Markus Latte unter nicht bekannten Umständen im städtischen Krankenhaus Karlsruhe. Ende der 1930er-Jahre floh sein Bruder Baruch Latte mit seiner Familie in die Niederlande, seinem Bruder David gelang mit seiner Frau Julie 1938 die Flucht in die USA, bereits ein Jahr zuvor war Else Ernestine mit ihrem Mann Moses Schereschewsky ebenfalls in die USA gegangen. Ob auch Julius Latte Pläne verfolgte, das Land zu verlassen, ist unklar. Sollte er konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese.

In Berlin wurde das Leben für Julius Latte Ende der 1930er-Jahre und Anfang der 1940er-Jahre zum Existenzkampf. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnte er sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 teilte die Gestapo der Jüdischen Gemeinde Berlin mit, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Juden beginnen würde. Julius Latte, der seit 1939 mit seiner Ehefrau vermutlich zur Untermiete in der Poststraße 12 in Mitte lebte, erhielt den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Der 73-Jährige wurde in eines der Berliner Sammellager verschleppt und von dort aus am 17. März 1943 mit dem „4. großen Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dr. Julius Latte überlebte die unmenschlichen Bedingungen im Ghetto kaum drei Monate, bevor er am 9. Juni 1943 ermordet wurde – durch direkte Gewalteinwirkung oder indirekte mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlichen Misshandlungen.

Julius’ Ehefrau Valeska wurde am 17. Mai 1943 mit dem „38. Osttransport“ aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Sein Bruder David Latte und dessen Ehefrau überlebten genauso im Exil in den USA wie seine Schwester Else Ernestine, die sich später Elsie Shery nannte. Sein Bruder Baruch erlebte das Kriegsende in den Niederlanden. Das Schicksal von Bernhard Latte und seiner Ehefrau ist ungeklärt.