Gerhard Ruschin

Location 
Torstraße 216
District
Mitte
Stone was laid
October 2014
Born
07 June 1915 in Posen (Poznań)
Deportation
on 09 December 1942 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Gerhard Ruschin wurde am 7. Juni 1915 in Posen (dem heutigen Poznań in Polen) geboren. Er war der Sohn des Schneiders Wolf Willy Ruschin, der 1885 in Schokken (Skoki) geboren worden war, und von dessen zwei Jahre älteren Ehefrau Hulda Doris Ruschin, geborene Gronowski, die aus Gleiwitz (Gliwice) stammte. Gerhards Eltern hatten im Dezember 1913 geheiratet und sich in Posen niedergelassen, wo am 8. Juli 1917 Gerhards jüngerer Bruder Arthur geboren wurde. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Gerhard Ruschin und seinem Bruder haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde Posens, zu der um die Geburt von Gerhard etwa 5.600 der rund 160.000 Einwohner der Stadt zählten.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde Posen im Zuge des Versailler Vertrages polnisch und große Teile der deutschsprachigen Bevölkerung verließen die Stadt. Auch die Ruschins waren Teil der Abwanderungsbewegung und zogen in dieser Zeit nach Berlin, wo sich die Familie eine Wohnung in der zweiten Etage der Weinmeisterstraße 7 in Mitte nahm. Gerhards Vater arbeitete als Schneider und sicherte mit dem Einkommen den Familienunterhalt; die Söhne besuchten die Berliner Volksschulen. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie Ruschin im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Gerhard Ruschin und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Antisemitismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Gerhard und seine Angehörigen zunehmend in die Position von Rechtlosen.

Es ist unklar, welchen Beruf der damals 18-jährige Gerhard ergreifen wollte. In den Folgejahren bereitete er sich auf eine Auswanderung in das britische Mandatsgebiet Palästina vor und blieb so lange in der elterlichen Wohnung gemeldet. Mitte der 1930er-Jahre mussten die Ruschins aus ihrer langjährigen Wohnung in der Weinmeisterstraße ausziehen und nahmen sich eine neue Wohnung in der Alten Schönhauser Straße 43/44. Ende 1938 starb Gerhards und Arthurs Mutter Hulda Ruschin. Ihr Vater heiratete in zweiter Ehe die ebenfalls auf Gleiwitz stammende Doris Freund (*1893).

Im Jahr 1939 gelang es Arthur Ruschin, Deutschland zu verlassen, und nach England zu gehen, wo er sich später als Kriegsfreiwilliger meldete und als Soldat am Zweiten Weltkrieg teilnahm. Gerhard Ruschin besuchte im Vorfeld der geplanten Auswanderung (Hachschara) 1939 das Umschulungs- und Einsatzlager am Grünen Weg in Paderborn. Dort lernte er die gebürtige Berlinerin Hanni Ert (*1922) kennen, die ihren schon geplanten Auswanderungstransport in Zuge einer Krankheit verpasste. Die beiden heirateten am 3. April 1940 in Paderborn und zogen anschließend in die Wohnung von Hannis Eltern in der Elsässer Straße 52 in Berlin-Mitte (heutige Torstraße).

Für die frischvermählten Eheleute war das Leben spätestens im Berlin der 1940er-Jahre zum reinen Existenzkampf geworden: Beide mussten Zwangsarbeit leisten. Hanni als Wicklerin im Wernerwerk von „Siemens & Halske“ in der Siemensstadt; Gerhard als Zwangsarbeiter im Barackenbau bei einem Unternehmen „Willi Müller“ in Neuenhagen bei Berlin. Der Vater von Hanni, Leo Ert, hatte Ende der 1930er-Jahre mit der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ seinen jahrzehntelang sehr erfolgreich geführten Bäckereibetrieb in Berlin einstellen müssen. Auch er war nun zu Zwangsarbeit bei der Städtischen Straßenreinigung in Berlin herangezogen worden.

Mehrere der Geschwister von Hanni hatten sich in den 1930er-Jahren in das britische Mandatsgebiet retten können, nur ihr Bruder Hans Ert, lebte mit seiner nichtjüdischen Ehefrau und der 1938 geborenen Tochter ebenfalls noch in der Vierzimmerwohnung in der Elsässer Straße 52, wo die Familie außerdem zwei jüdische Untermieter aufgenommen hatte. Hans Ert tauchte 1942 unter und konnte sich zwei Jahre in der Illegalität in Berlin verstecken, bevor ihm die Flucht mit falschen Papieren nach Italien gelang. Das Leben der Familienmitglieder wurde in den 1940er-Jahren durch immer mehr Gesetze und Verordnungen eingeschränkt. So konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ vom 19. des Monats an, nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Gerhards Vater Wolf Ruschin wurde mit seiner Ehefrau Doris Ruschin, geborene Freund, im Oktober 1942 aus Berlin in das Ghetto Riga deportiert und dort ermordet. Im Winter 1942 erhielten auch Gerhard und Hanni Ruschin sowie Gerhards Schwiegereltern Leo und Martha Ert den Deportationsbescheid. Sie wurden im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert und von dort aus am 9. Dezember 1942 mit dem „24. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Leo und Martha Ert sind vermutlich unmittelbar nach der Ankunft des Transports in Auschwitz ermordet worden. Der 27-jährige Gerhard und seine sieben Jahre jüngere Ehefrau Hanni sind entweder sofort ermordet oder zunächst als Häftlinge in das Lager selektiert und später ermordet worden. In jedem Fall gehörten alle vier nicht zu den wenigen Überlebenden von Auschwitz.

Gerhards Bruder Arthur Ruschin überlebte die NS-Verfolgung im Exil in England. Er heiratete 1941 Rosa Wulkan (*1921), mit der er später in Kanada lebte. Gerhards Schwager Hans Ert überlebte Verfolgung und Krieg in Mailand, Italien.