Julie Sahlmann née Gutmann

Location 
Schlüterstr. 54
District
Charlottenburg
Stone was laid
23 September 2010
Born
18 July 1875 in Stuttgart
Deportation
on 29 January 1943 to Theresienstadt
Murdered
24 November 1944 in Theresienstadt

Julie Sahlmann wurde am 18. Juli 1875 in Stuttgart geboren als Tochter von Nathan Gutmann und Sophie geb. Dessauer. Einige Quellen geben ihr Geburtsdatum mit 17. August an, es dürfte sich dabei um einen Zahlendreher handeln.<br />
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Am 25. April 1895 heiratete Julie Gutmann den acht Jahre älteren Kaufmann Louis Sahlmann aus Fürth, auch Joseph Bär genannt. Die Hochzeit fand in Stuttgart statt, das Paar lebte anschließend in Fürth in der vornehmen Promenadenstraße (heute Hornschuchpromenade), wo am 7. Juni 1896 ihre Tochter Franziska auf die Welt kam. Louis Sahlmann betrieb in Fürth die Firma Bernhard Sahlmann, einen Hopfengroßhandel, der nach seinem Vater benannt war. Alle Brüder seines Vaters und fast alle Neffen waren ebenfalls im Hopfengeschäft tätig, die Familie stammte aus Burghaslach. 1818 wurde Louis in Fürth zum Kommerzienrat ernannt.<br />
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Am 3. Oktober 1925 starb Louis Sahlmann, Julie war nun Witwe. Ihre Tochter hatte 1918 nach Nürnberg geheiratet, den Wirtschaftswissenschaftler Robert Ehrenbacher, auch aus einer Hopfenhändlerdynastie stammend. Ein Jahr darauf war dort Julies Enkelin Marianne geboren worden. Ob Julie bald nach Louis’ Tod nach Berlin ging ist unklar aber unwahrscheinlich. Denn 1933 reichte Franziska die Scheidung ein und wohnte, vermutlich mit der jungen Tochter, bis Anfang 1934 wieder in Fürth. Danach ging sie nach Berlin, und es ist plausibel, dass Julie mit ihr umzog oder ihr folgte.<br />
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In Berlin hatten weder Julie noch Franziska eine eigene Wohnung, sie wohnten zur Untermiete oder bei Verwandten. Mehrere der Fürther Sahlmanns waren in die Hauptstadt gezogen, zum Beispiel Cousin Kurt Sahlmann, der zunächst in Berlin, dann in Kleinmachnow lebte. Julies verwitwete Schwägerin Clara Sahlmann wohnte in einem „Familienheim“ in Berlin-Grunewald. Sehr wahrscheinlich ist, dass Julie von Anfang an oder bald auch in eine Pension zog, die seit 1934 von Alice Schlesinger in der Schlüterstraße 54 geführt wurde. Dort wurde Julie Sahlmann im Mai 1939 bei der Volkszählung registriert, eine Zählung, bei der Juden in gesonderten Fragebögen erfasst wurden, was späteren Diskriminierungsmaßnahmen Vorschub leistete, z. B. der Zwangseinweisung von Juden in andere Wohnungen, um Wohnraum für „Deutschblütige“ frei zu machen.<br />
<br />
So musste Julie Sahlmann im November 1942 mit der Witwe Emmy Mattull in der Bleibtreustraße 33 zusammenziehen. Emmy Mattull hatte selbst vorher in der Grolmannstraße gewohnt. Eine von der NS-Verwaltung für Julie „versehentlich angelegte“ Akte legt nahe, dass sie vor der Bleibtreustraße schon einmal umgezogen war, in die Xantener Straße 19. Hier wohnte auch ihre Tochter Franziska Ehrenbacher, genannt Franzi, die auch davor eine andere Wohnung hatte. Vielleicht war die Enkelin Marianne ebenfalls dort. Wahrscheinlich war Julie auch in diesem Haus, als ihre Tochter dem Druck der Verfolgung nicht mehr standhielt und am 29. August 1942 Selbstmord beging – siebzehn Tage nachdem Clara Sahlmann, die Witwe von Louis’ Bruder Justus, in den Tod geflüchtet war. Schließlich musste Julie noch erleben, dass am 9. Dezember 1942 ihre Enkelin Marianne Ehrenbacher deportiert wurde.<br />
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Sechs Wochen später musste sie selbst dieses Schicksal erleiden. Julie Sahlmann wurde zunächst in das ehemalige jüdische Altenheim in der Gerlachstraße 21 gebracht, das als Durchgangslager für ältere zu Deportierende dienen musste. Dort unterschrieb sie am 13. Januar 1943 die von ihr verlangte „Vermögenserklärung“, in der sie nur spärliche Angaben gemacht hatte: an Vermögen hätte sie noch ca. 1500.- RM, Wertpapiere seien für die Reichfluchtsteuer gepfändet, im übrigen hätte sie noch Schulden beim „Zahnbehandler“ (diese verächtliche Berufsbezeichnung mussten jüdische Zahnärzte verwenden) Dr. Kubatzky.<br />
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Die Finanzverwaltung stellte fest, dass ihr Wertpapiervermögen 38 800.- Reichsmark betrug, die sie, zusammen mit dem Bargeld und dem Versteigerungserlös spärlicher persönlicher Gegenstände, als „staats- und volksfeindliches Vermögen“ einziehen konnte. Vorher noch aber nötigte man Julie zu einem „ Heimeinkaufsvertrag “, wonach sie für einen angeblichen „Heimplatz“ im „Altersghetto“ Theresienstadt im Voraus bezahlte. Der zu zahlende Betrag ging von einer Lebenserwartung von 85 Jahren aus à 150.- RM pro Monat plus beträchtlicher „Spenden“ für die Finanzierung von „Heimplätzen“ anderer, nicht vermögender Juden. Der Vertrag garantierte Unterbringung, Verpflegung und Krankenversorgung bis zum Lebensende. Er wurde mit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland geschlossen, die die Unterbringung in Theresienstadt zu finanzieren hatte – im „Auftrag“ des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA). Die Reichsvereinigung konnte jedoch nur begrenzt über dieses Geld verfügen, nach ihrer Auflösung im Juni 1934 fiel der beträchtliche Überschuss dem RSHA zu. Da das eigentliche Vermögen der Deportierten von der Oberfinanzdirektion und nicht vom RSHA eingezogen wurde, war letzteres an den Heimeinkaufsverträgen interessiert, deren Ertrag es sich letztlich weitgehend aneignen konnte.<br />
<br />
Es erübrigt sich zu sagen, dass der Vertrag in allen seinen Punkten überaus zynisch war. Am 29. Januar 1943 wurde Julie Sahlmann mit 99 weiteren Leidensgenossen nach Theresienstadt deportiert. Was sie dort erwartete, waren überfüllte und schlecht geheizte Wohnstätten, unzureichende Ernährung und mangelhafte Krankenbetreuung. Hinzu kamen katastrophale hygienische Verhältnisse. An ein Lebensalter bis 85 Jahre war nicht zu denken. Über ein Drittel aller Insassen kamen unter diesen Umständen weit vorher ums Leben, von den anderen wurde der größere Teil in Vernichtungslager weiter deportiert und dort ermordet. Julie Sahlmann gehörte zu denen, die besonders lange diese menschenverachtenden Bedingungen aushielt. Am 24. November 1944 kam aber auch sie in Theresienstadt zu Tode.<br />
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Julies Enkelin Marianne Ehrenbacher wurde in Auschwitz ermordet. Kurt Sahlmann, Vetter von Julies Ehemann, erfuhr 1938 bei einer Reise nach Riga, dass sein Haus in Kleinmachnow geplündert und zerstört worden war. Er blieb in Riga, wurde aber nach der deutschen Besetzung 1941 verhaftet und 1942 in das dortige Ghetto interniert, schließlich 1944 in Riga erschossen. Für ihn wurde am Kleinmachnower Erlenweg 2 im Jahr 2009 ein Stolperstein verlegt<br />
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Am gleichen Tag wie Julie Sahlmann, dem 29. Januar 1943, wurde ihre letzte Wirtin Emmy Mattull von einer anderen Sammelstelle aus, der Großen Hamburger Straße 26, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Julie Sahlmann wurde am 18. Juli 1875 in Stuttgart geboren als Tochter von Nathan Gutmann und Sophie geb. Dessauer. Einige Quellen geben ihr Geburtsdatum mit 17. August an, es dürfte sich dabei um einen Zahlendreher handeln.

Am 25. April 1895 heiratete Julie Gutmann den acht Jahre älteren Kaufmann Louis Sahlmann aus Fürth, auch Joseph Bär genannt. Die Hochzeit fand in Stuttgart statt, das Paar lebte anschließend in Fürth in der vornehmen Promenadenstraße (heute Hornschuchpromenade), wo am 7. Juni 1896 ihre Tochter Franziska auf die Welt kam. Louis Sahlmann betrieb in Fürth die Firma Bernhard Sahlmann, einen Hopfengroßhandel, der nach seinem Vater benannt war. Alle Brüder seines Vaters und fast alle Neffen waren ebenfalls im Hopfengeschäft tätig, die Familie stammte aus Burghaslach. 1818 wurde Louis in Fürth zum Kommerzienrat ernannt.

Am 3. Oktober 1925 starb Louis Sahlmann, Julie war nun Witwe. Ihre Tochter hatte 1918 nach Nürnberg geheiratet, den Wirtschaftswissenschaftler Robert Ehrenbacher, auch aus einer Hopfenhändlerdynastie stammend. Ein Jahr darauf war dort Julies Enkelin Marianne geboren worden. Ob Julie bald nach Louis’ Tod nach Berlin ging ist unklar aber unwahrscheinlich. Denn 1933 reichte Franziska die Scheidung ein und wohnte, vermutlich mit der jungen Tochter, bis Anfang 1934 wieder in Fürth. Danach ging sie nach Berlin, und es ist plausibel, dass Julie mit ihr umzog oder ihr folgte.

In Berlin hatten weder Julie noch Franziska eine eigene Wohnung, sie wohnten zur Untermiete oder bei Verwandten. Mehrere der Fürther Sahlmanns waren in die Hauptstadt gezogen, zum Beispiel Cousin Kurt Sahlmann, der zunächst in Berlin, dann in Kleinmachnow lebte. Julies verwitwete Schwägerin Clara Sahlmann wohnte in einem „Familienheim“ in Berlin-Grunewald. Sehr wahrscheinlich ist, dass Julie von Anfang an oder bald auch in eine Pension zog, die seit 1934 von Alice Schlesinger in der Schlüterstraße 54 geführt wurde. Dort wurde Julie Sahlmann im Mai 1939 bei der Volkszählung registriert, eine Zählung, bei der Juden in gesonderten Fragebögen erfasst wurden, was späteren Diskriminierungsmaßnahmen Vorschub leistete, z. B. der Zwangseinweisung von Juden in andere Wohnungen, um Wohnraum für „Deutschblütige“ frei zu machen.

So musste Julie Sahlmann im November 1942 mit der Witwe Emmy Mattull in der Bleibtreustraße 33 zusammenziehen. Emmy Mattull hatte selbst vorher in der Grolmannstraße gewohnt. Eine von der NS-Verwaltung für Julie „versehentlich angelegte“ Akte legt nahe, dass sie vor der Bleibtreustraße schon einmal umgezogen war, in die Xantener Straße 19. Hier wohnte auch ihre Tochter Franziska Ehrenbacher, genannt Franzi, die auch davor eine andere Wohnung hatte. Vielleicht war die Enkelin Marianne ebenfalls dort. Wahrscheinlich war Julie auch in diesem Haus, als ihre Tochter dem Druck der Verfolgung nicht mehr standhielt und am 29. August 1942 Selbstmord beging – siebzehn Tage nachdem Clara Sahlmann, die Witwe von Louis’ Bruder Justus, in den Tod geflüchtet war. Schließlich musste Julie noch erleben, dass am 9. Dezember 1942 ihre Enkelin Marianne Ehrenbacher deportiert wurde.

Sechs Wochen später musste sie selbst dieses Schicksal erleiden. Julie Sahlmann wurde zunächst in das ehemalige jüdische Altenheim in der Gerlachstraße 21 gebracht, das als Durchgangslager für ältere zu Deportierende dienen musste. Dort unterschrieb sie am 13. Januar 1943 die von ihr verlangte „Vermögenserklärung“, in der sie nur spärliche Angaben gemacht hatte: an Vermögen hätte sie noch ca. 1500.- RM, Wertpapiere seien für die Reichfluchtsteuer gepfändet, im übrigen hätte sie noch Schulden beim „Zahnbehandler“ (diese verächtliche Berufsbezeichnung mussten jüdische Zahnärzte verwenden) Dr. Kubatzky.

Die Finanzverwaltung stellte fest, dass ihr Wertpapiervermögen 38 800.- Reichsmark betrug, die sie, zusammen mit dem Bargeld und dem Versteigerungserlös spärlicher persönlicher Gegenstände, als „staats- und volksfeindliches Vermögen“ einziehen konnte. Vorher noch aber nötigte man Julie zu einem „ Heimeinkaufsvertrag “, wonach sie für einen angeblichen „Heimplatz“ im „Altersghetto“ Theresienstadt im Voraus bezahlte. Der zu zahlende Betrag ging von einer Lebenserwartung von 85 Jahren aus à 150.- RM pro Monat plus beträchtlicher „Spenden“ für die Finanzierung von „Heimplätzen“ anderer, nicht vermögender Juden. Der Vertrag garantierte Unterbringung, Verpflegung und Krankenversorgung bis zum Lebensende. Er wurde mit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland geschlossen, die die Unterbringung in Theresienstadt zu finanzieren hatte – im „Auftrag“ des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA). Die Reichsvereinigung konnte jedoch nur begrenzt über dieses Geld verfügen, nach ihrer Auflösung im Juni 1934 fiel der beträchtliche Überschuss dem RSHA zu. Da das eigentliche Vermögen der Deportierten von der Oberfinanzdirektion und nicht vom RSHA eingezogen wurde, war letzteres an den Heimeinkaufsverträgen interessiert, deren Ertrag es sich letztlich weitgehend aneignen konnte.

Es erübrigt sich zu sagen, dass der Vertrag in allen seinen Punkten überaus zynisch war. Am 29. Januar 1943 wurde Julie Sahlmann mit 99 weiteren Leidensgenossen nach Theresienstadt deportiert. Was sie dort erwartete, waren überfüllte und schlecht geheizte Wohnstätten, unzureichende Ernährung und mangelhafte Krankenbetreuung. Hinzu kamen katastrophale hygienische Verhältnisse. An ein Lebensalter bis 85 Jahre war nicht zu denken. Über ein Drittel aller Insassen kamen unter diesen Umständen weit vorher ums Leben, von den anderen wurde der größere Teil in Vernichtungslager weiter deportiert und dort ermordet. Julie Sahlmann gehörte zu denen, die besonders lange diese menschenverachtenden Bedingungen aushielt. Am 24. November 1944 kam aber auch sie in Theresienstadt zu Tode.

Julies Enkelin Marianne Ehrenbacher wurde in Auschwitz ermordet. Kurt Sahlmann, Vetter von Julies Ehemann, erfuhr 1938 bei einer Reise nach Riga, dass sein Haus in Kleinmachnow geplündert und zerstört worden war. Er blieb in Riga, wurde aber nach der deutschen Besetzung 1941 verhaftet und 1942 in das dortige Ghetto interniert, schließlich 1944 in Riga erschossen. Für ihn wurde am Kleinmachnower Erlenweg 2 im Jahr 2009 ein Stolperstein verlegt

Am gleichen Tag wie Julie Sahlmann, dem 29. Januar 1943, wurde ihre letzte Wirtin Emmy Mattull von einer anderen Sammelstelle aus, der Großen Hamburger Straße 26, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.