Erwin Rothschild

Location 
Bleibtreustraße 17
District
Charlottenburg
Stone was laid
14 April 2015
Born
15 August 1912 in Wiesbaden
Deportation
on 02 March 1943 to Auschwitz
Later deported
to Mittelbau-Dora
Murdered
im KZ Mittelbau-Dora

Erwin Norbert Rothschild war der Sohn des Kaufmannes Israel Julius Rothschild und seiner Frau Elise geb. Meininger. Sie hatten 1905 geheiratet und waren nach Berlin gezogen. Dort kamen in der Heilbronner Straße 5 die Töchter Lucie und Margot 1907 und 1909 zur Welt. Um 1911 zog die Familie nach Wiesbaden, wo Erwin am 15. August 1912 in der Kleiststraße 25 geboren wurde. Schon im nächsten Jahr starb Israel Rothschild, und seine Witwe zog mit den Kindern nach Hildesheim, wo sie schon vor ihrer Heirat gelebt hatte. Sie wohnte in der Altpetristraße 15, möglicherweise bei Verwandten. Obwohl Erwin nicht auf ihrer Meldekarte eingetragen ist, ist anzunehmen, dass er hier aufwuchs. <br />
<br />
1934 oder 1935 entschloss sich Erwins Mutter nach Palästina auszuwandern. Vielleicht war dies für Erwin der Anlass, nach Berlin zu gehen. Dort muss er bei Verwandten oder zur Untermiete gewohnt haben, bis er 1938 Elly Lipowetzky heiratete. Zum Zeitpunkt der Volkszählung am 17. Mai 1939, bei der alle Juden auf besonderen Ergänzungskarten erfasst wurden, waren Elly und Erwin bereits vom Kurfürstendamm 66 in die Bleibtreustraße 17 gezogen, wo sie zur Untermiete bei Max Bergwerk wohnten. Spätestens als die Familie Bergwerk im November 1941 nach Riga deportiert und dort ermordet wurde, mussten auch Elly und Erwin die Wohnung wechseln. Sie wurden in der Großgörschenstraße 24 in eine 1-Zimmer-Wohnung im Gartenhaus eingewiesen. Dort lebten sie zu dritt: am 8. März 1940 war ihr Sohn Dan zur Welt gekommen. Ellys Mutter Rose war bereits im August 1939 nach London zu ihrer Schwester geflüchtet.<br />
<br />
1940 oder 1941 wurden Erwin und Elly zum Arbeitseinsatz zwangsverpflichtet. Der Zwangseinsatz war nach den Pogromen vom November 1938 am 20. Dezember zunächst für erwerbslose und wohlfahrtsunterstützte Juden angeordnet worden. Die Arbeit fand in der Regel in gesonderten Kolonnen getrennt von anderen Arbeitern statt, sog. „geschlossener Arbeitseinsatz“. Im Sommer 1940 wurde die Zwangsarbeit auf Juden im Allgemeinen ausgeweitet. Ein Jahr später waren in Berlin rund 28000 Juden und Jüdinnen Zwangsarbeiter, meist in der Rüstungsindustrie. Im Oktober 1941 wurde das „Beschäftigungsverhältnis eigener Art“ geschaffen, mit dem die jüdischen Zwangsarbeiter außerhalb der üblichen arbeits-, arbeitsschutz- und sozialrechtlichen Gesetzesnormen gestellt wurden. Wir wissen nicht, wo Erwin und Elly arbeiten mussten, sie bezeichneten sich zuletzt selbst lediglich als „Arbeiter“ und „Arbeiterin“.<br />
<br />
Im April 1942 erhielt Rose Lipowetzky einen am 10. März datierten Rotkreuzbrief von Elly mit Absender Großgörschenstraße 24: „Geliebte Mutti! Hoffe Dich gesund. Wir auch. Ich arbeite auch. Peter bringt Dänny morgens 7 Uhr Kindergarten. Leika ist rührend zu uns. Baldiges Wiedersehen. Ellyka Peter u Danny“. Offenbar nannte sie Erwin Peter, wer Leika war, ist nicht bekannt. Ein gutes halbes Jahr später, im November 1942, mussten Erwin, Elly und sogar der 2-jährige Dan eine „Vermögenserklärung“ ausfüllen, der Vorbote der Deportation. Diese erfolgte jedoch nicht wie üblich kurz darauf, wahrscheinlich, weil Juden in der Rüstungsindustrie noch von der Deportation zurückgestellt waren. Aber Ende Februar beschloss das Reichssicherheitshauptamt, alle noch beschäftigten Juden zu deportieren. <br />
Am 27. Februar 1943 und in den folgenden Tagen wurden in einer reichsweiten Aktion sämtliche noch in den Rüstungsbetrieben beschäftigte Juden ohne Vorankündigung an ihren bisherigen Arbeitsstätten verhaftet. In Berlin betraf das rund 8000 Juden, auch Erwin und Elly. Sie wurden zusammen mit dem kleinen Dan in das Sammellager Große Hamburger Straße 26, ein von den Nazis umfunktioniertes jüdisches Altersheim, gebracht und am 2. März 1943 vom Güterbahnhof Moabit aus nach Auschwitz deportiert. Dort wurden von 1756 Opfern in diesem Zug 535 Männer und 45 Frauen zur weiteren Zwangsarbeit aussortiert. Elly mit Dan gehörte vermutlich nicht dazu, da Mütter mit Kindern in der Regel mit den anderen sofort in den Gaskammern ermordet wurden. Erwin hingegen wurde zur weiteren „Vernichtung durch Arbeit“ bestimmt, Arbeit unter so unmenschlichen Bedingungen, das ein Überleben sehr unwahrscheinlich war. Dies galt noch verschärft für seine spätere Weiterverschleppung in das KZ Mittelbau-Dora, in Thüringen. Dort sollten nach der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde durch die Engländer, in unterirdischen Stollen vor allem Hitlers „Wunderwaffen“ V1 und V2 gebaut werden (V für Vergeltungswaffe). Die dorthin verschleppten Häftlinge mussten zunächst unter inhumanen Umständen - u.a. rund um die Uhr in den Stollen, Hunger, Staublunge durch Sprengungen - die unterirdische Fabrik erstellen, die Produktion lief Anfang 1944 an. Ob Erwin dies noch erlebte, wissen wir nicht. Tausende Häftlinge waren schon vorher an Unterernährung, Entkräftung oder Staublunge gestorben, weitere Tausende kamen noch um bis zur Befreiung am 11. April 1945 durch die Amerikaner. Erwin Rothschild war nicht unter den Überlebenden.<br />
<br />
Erwins Schwester Lucie Rothschild wurde 1937 in Hamburg wegen Diebstahls zu einigen Monaten Haft verurteilt, nach der Haft aber nicht entlassen, sondern in die „Heil- und Pflegeanstalt“ Hamburg-Langenhorn eingewiesen. Von dort wurde sie am 23. September 1940 mit anderen aus ganz Norddeutschland stammenden jüdischen Patienten in das Zuchthaus Brandenburg an der Havel überführt und dort in einer Garage, die als Hinrichtungsstätte eingerichtet war – später „Mordgarage“ genannt – umgebracht. Erwins Schwester Margot ist nicht im Gedenkbuch des Bundesarchivs aufgeführt, man kann also hoffen, dass sie den NS-Mördern entkommen konnte.<br />

Erwin Norbert Rothschild war der Sohn des Kaufmannes Israel Julius Rothschild und seiner Frau Elise geb. Meininger. Sie hatten 1905 geheiratet und waren nach Berlin gezogen. Dort kamen in der Heilbronner Straße 5 die Töchter Lucie und Margot 1907 und 1909 zur Welt. Um 1911 zog die Familie nach Wiesbaden, wo Erwin am 15. August 1912 in der Kleiststraße 25 geboren wurde. Schon im nächsten Jahr starb Israel Rothschild, und seine Witwe zog mit den Kindern nach Hildesheim, wo sie schon vor ihrer Heirat gelebt hatte. Sie wohnte in der Altpetristraße 15, möglicherweise bei Verwandten. Obwohl Erwin nicht auf ihrer Meldekarte eingetragen ist, ist anzunehmen, dass er hier aufwuchs.

1934 oder 1935 entschloss sich Erwins Mutter nach Palästina auszuwandern. Vielleicht war dies für Erwin der Anlass, nach Berlin zu gehen. Dort muss er bei Verwandten oder zur Untermiete gewohnt haben, bis er 1938 Elly Lipowetzky heiratete. Zum Zeitpunkt der Volkszählung am 17. Mai 1939, bei der alle Juden auf besonderen Ergänzungskarten erfasst wurden, waren Elly und Erwin bereits vom Kurfürstendamm 66 in die Bleibtreustraße 17 gezogen, wo sie zur Untermiete bei Max Bergwerk wohnten. Spätestens als die Familie Bergwerk im November 1941 nach Riga deportiert und dort ermordet wurde, mussten auch Elly und Erwin die Wohnung wechseln. Sie wurden in der Großgörschenstraße 24 in eine 1-Zimmer-Wohnung im Gartenhaus eingewiesen. Dort lebten sie zu dritt: am 8. März 1940 war ihr Sohn Dan zur Welt gekommen. Ellys Mutter Rose war bereits im August 1939 nach London zu ihrer Schwester geflüchtet.

1940 oder 1941 wurden Erwin und Elly zum Arbeitseinsatz zwangsverpflichtet. Der Zwangseinsatz war nach den Pogromen vom November 1938 am 20. Dezember zunächst für erwerbslose und wohlfahrtsunterstützte Juden angeordnet worden. Die Arbeit fand in der Regel in gesonderten Kolonnen getrennt von anderen Arbeitern statt, sog. „geschlossener Arbeitseinsatz“. Im Sommer 1940 wurde die Zwangsarbeit auf Juden im Allgemeinen ausgeweitet. Ein Jahr später waren in Berlin rund 28000 Juden und Jüdinnen Zwangsarbeiter, meist in der Rüstungsindustrie. Im Oktober 1941 wurde das „Beschäftigungsverhältnis eigener Art“ geschaffen, mit dem die jüdischen Zwangsarbeiter außerhalb der üblichen arbeits-, arbeitsschutz- und sozialrechtlichen Gesetzesnormen gestellt wurden. Wir wissen nicht, wo Erwin und Elly arbeiten mussten, sie bezeichneten sich zuletzt selbst lediglich als „Arbeiter“ und „Arbeiterin“.

Im April 1942 erhielt Rose Lipowetzky einen am 10. März datierten Rotkreuzbrief von Elly mit Absender Großgörschenstraße 24: „Geliebte Mutti! Hoffe Dich gesund. Wir auch. Ich arbeite auch. Peter bringt Dänny morgens 7 Uhr Kindergarten. Leika ist rührend zu uns. Baldiges Wiedersehen. Ellyka Peter u Danny“. Offenbar nannte sie Erwin Peter, wer Leika war, ist nicht bekannt. Ein gutes halbes Jahr später, im November 1942, mussten Erwin, Elly und sogar der 2-jährige Dan eine „Vermögenserklärung“ ausfüllen, der Vorbote der Deportation. Diese erfolgte jedoch nicht wie üblich kurz darauf, wahrscheinlich, weil Juden in der Rüstungsindustrie noch von der Deportation zurückgestellt waren. Aber Ende Februar beschloss das Reichssicherheitshauptamt, alle noch beschäftigten Juden zu deportieren.
Am 27. Februar 1943 und in den folgenden Tagen wurden in einer reichsweiten Aktion sämtliche noch in den Rüstungsbetrieben beschäftigte Juden ohne Vorankündigung an ihren bisherigen Arbeitsstätten verhaftet. In Berlin betraf das rund 8000 Juden, auch Erwin und Elly. Sie wurden zusammen mit dem kleinen Dan in das Sammellager Große Hamburger Straße 26, ein von den Nazis umfunktioniertes jüdisches Altersheim, gebracht und am 2. März 1943 vom Güterbahnhof Moabit aus nach Auschwitz deportiert. Dort wurden von 1756 Opfern in diesem Zug 535 Männer und 45 Frauen zur weiteren Zwangsarbeit aussortiert. Elly mit Dan gehörte vermutlich nicht dazu, da Mütter mit Kindern in der Regel mit den anderen sofort in den Gaskammern ermordet wurden. Erwin hingegen wurde zur weiteren „Vernichtung durch Arbeit“ bestimmt, Arbeit unter so unmenschlichen Bedingungen, das ein Überleben sehr unwahrscheinlich war. Dies galt noch verschärft für seine spätere Weiterverschleppung in das KZ Mittelbau-Dora, in Thüringen. Dort sollten nach der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde durch die Engländer, in unterirdischen Stollen vor allem Hitlers „Wunderwaffen“ V1 und V2 gebaut werden (V für Vergeltungswaffe). Die dorthin verschleppten Häftlinge mussten zunächst unter inhumanen Umständen - u.a. rund um die Uhr in den Stollen, Hunger, Staublunge durch Sprengungen - die unterirdische Fabrik erstellen, die Produktion lief Anfang 1944 an. Ob Erwin dies noch erlebte, wissen wir nicht. Tausende Häftlinge waren schon vorher an Unterernährung, Entkräftung oder Staublunge gestorben, weitere Tausende kamen noch um bis zur Befreiung am 11. April 1945 durch die Amerikaner. Erwin Rothschild war nicht unter den Überlebenden.

Erwins Schwester Lucie Rothschild wurde 1937 in Hamburg wegen Diebstahls zu einigen Monaten Haft verurteilt, nach der Haft aber nicht entlassen, sondern in die „Heil- und Pflegeanstalt“ Hamburg-Langenhorn eingewiesen. Von dort wurde sie am 23. September 1940 mit anderen aus ganz Norddeutschland stammenden jüdischen Patienten in das Zuchthaus Brandenburg an der Havel überführt und dort in einer Garage, die als Hinrichtungsstätte eingerichtet war – später „Mordgarage“ genannt – umgebracht. Erwins Schwester Margot ist nicht im Gedenkbuch des Bundesarchivs aufgeführt, man kann also hoffen, dass sie den NS-Mördern entkommen konnte.