Martin (Meier) Sadunischker

Location 
Bochumer Str. 10
Historical name
Bochumer Str. 9
District
Moabit
Stone was laid
July 2007
Born
22 June 1884 in Wilna (Russisches Reich) / Vilnius
Deportation
on 19 February 1943 to Auschwitz
Murdered
in Auschwitz

Martin Meier Sadunischker wurde am 22. Juni 1884 im damals zum russischen Kaiserreich gehörenden Wilna (dem heutigen Vilnius in Litauen) geboren. Er war der Sohn des Tabakfabrikanten Jakob Ruben Sadunischker (1857–1935) und der Martha Sadunischker, geborene Werblum (1859–1922). Martin Meier hatte mindestens sieben Geschwister: Seine älteren Brüder Max Mendel und Adolf Sadunischker waren 1881 und 1883 in Wilna geboren worden. Nach der Geburt seiner Schwester Elise Leah im Jahr 1887 zog die Familie von Wilna nach Berlin, wo in den Jahren 1890 und 1892 Hermann und Fanny Sadunischker geboren wurden. Im Februar 1895 kam Rosa Meyer in Berlin zur Welt und 1899 schließlich Helena Sadunischker. Eine weitere Schwester namens Bertha war im Dezember 1895 kurz nach ihrer Geburt verstorben. Zum Zeitpunkt der Geburt von Hermann wohnte die Familie in einer Wohnung in der Linienstraße 201 im Berliner Scheunenviertel. In den 1890er-Jahren zogen sie mehrmals um; wohnten in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte, der Oranienstraße in Kreuzberg und der Zehdenickerstraße 12 in Mitte. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Martin Meier Sadunischker im Berlin der Kaiserzeit haben sich keine weiteren Informationen erhalten. Seine Eltern gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur Jüdischen Gemeinde Berlins.

Martin Meier absolvierte nach seinem Schulabschluss eine kaufmännische Ausbildung und war – wie sein Vater vor ihm – als Zigarettenfabrikant in Berlin tätig. Im Jahr 1918 wurde Martin Meier Mitinhaber der Tabak- und Zigarettenfabrik, die sein Vater in Berlin gegründet hatte, und die zu diesem Zeitpunkt am Weinbergsweg 6 nahe des Rosenthaler Platzes firmierte. Bereits 1921 war er alleiniger gesetzlicher Vertreter des Tabakunternehmens, das nun an die Rosenthaler Straße 13 verlegt wurde. Im Dezember 1919 hatte er die aus Memel (dem heutigen Klaipėda in Litauen) stammende Gertrud Lewy geheiratet. Gertrud war 1893 in Memel als Tochter des Kaufmanns Israel Jaques Lewy (1859–1925) und der Lina Lewy, geborene Hirschfeld (1863–1941), geboren worden. Ihre Eltern hatten in Memel eine Flachshandlung in der Große Wasserstraße 21 geführt, wo sie auch wohnten und die Eigentümer des Hauses waren. Nach dem Tod von Gertruds Vater lebte ihre Mutter als Witwe in der Stadt an der Dange (Danė), bis sie, wohl Ende der 1930er-Jahre, nach Berlin zu ihrer Tochter zog. Die Eheleute Martin Meier und Gertrud nahmen sich eine gemeinsame Wohnung am Wikingerufer 2 am Spreebogen in Moabit und zogen 1926 in die unweit ihrer vorherigen Adresse gelegenen Krefelder Straße 4 im Westfälischen Viertel. Am 8. Juni 1927 kam Mark Alfred, ihr einziges Kind, zur Welt. Im selben Jahr gründete Martin Meier die „Maschalla Cigarettenfabrik“ in Produktionsstätten in der Alexanderstraße 22 – vermutlich in Anlehnung an die bekannte Mahala-Problem Cigarettenmanufaktur, die bis 1914 an dieser Adresse ihre Fabrikation hatte. Die Maschalla-Zigarettenfabrik bestand unter diesen Namen nur bis 1929/1930, danach ist zwar anzunehmen, dass sich Martin Meier weiterhin kaufmännisch in der Tabakindustrie betätigte, aber er tritt in den vorliegenden Dokumenten nicht mehr als Unternehmensinhaber auf. In den Berliner Adressbüchern wird er als Kaufmann geführt. 1928 zogen die Sadunischkers in eine Wohnung in der Bochumer Straße 9. Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als „Juden“ galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Martin Meier Sadunischker und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. In den 1930er-Jahren schafften es mehrere seiner Geschwister aus Deutschland zu entkommen.

Sein Bruder Dr. Hermann Sadunischker war im Juni 1933 aus seiner Anstellung als Wohlfahrtsarzt der Stadt Berlin entlassen worden, bis Mitte der 1930er-Jahre war er noch als Anstaltsarzt im Jüdischen Altersheim in der Großen Hamburger Straße tätig gewesen, bevor er 1936 in die USA emigrierte. Rosa Sadunischker lebte bereits seit den 1910er-Jahren in den USA, wo sie Meyer Pollack geheiratet hatte, der 1921 verstarb. Mit ihm hatte sie einen Sohn, Arthur (*1916). In zweiter Ehe war sie mit Jake Ansbach und in dritter Ehe mit Martin Meyer verheiratet. Ebenfalls in den USA lebte Helena Sadunischker, verheiratete Löwenstein. Sie hatte 1934 in Berlin Herbert Löwenstein geheiratet und war mit ihm nach Amerika ausgewandert. Elise Leah Sadunischker gelang mit ihrem Ehemann Chaim Jankel Garbuny und ihren beiden Kindern Max Garbuny (*1912) und Siegfried (*1915) noch im April 1939 die Flucht in die USA. Ob auch Martin Meier mit seiner Familie in den 1930er-Jahren Pläne verfolgte, aus Deutschland zu entkommen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollte er konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese.

Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Sadunischkers in Berlin zum reinen Existenzkampf geworden. Um nur eine der vielen einschneidenden Maßnahmen zu nennen, konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. 1941 starb Martin Meiers Schwiegermutter Lina Lewy, die zuletzt mit den Sadunischkers gelebt hatte, im Alter von 77 Jahren in Berlin. Im selben Jahr musste die Familie ihre langjährige Wohnung in der Bochumer Straße 9 räumen und zog in eine Dreizimmerwohnung in der Klopstockstraße 30 im Hansaviertel, die sie sich mit zwei jüdischen Untermietern teilte. Seit spätestens Anfang der 1940er-Jahre wurde Martin Meier außerdem zur Zwangsarbeit herangezogen – zuletzt als Straßenreiniger beim Bezirksamt Wilmersdorf, wo er unter schwerer physischer Belastung bei der Trümmerbeseitigung eingesetzt wurde. Sein Sohn war zuletzt Zwangsarbeiter bei der Fahrbereitschaft der Stadt Berlin.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Martin Meier Sadunischker und seine Ehefrau erhielten den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Sie wurden im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert und von dort aus am 19. Februar 1943 mit dem „29. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie ermordet wurden. Ihr fünfzehnjähriger Sohn Mark Alfred war wenige Tage zuvor, am 3. Februar 1943, ebenfalls nach Auschwitz deportiert worden. Auch er gehörte nicht zu den wenigen Überlebenden von Auschwitz.

Von seinen Geschwistern überlebten sein Bruder Hermann Sadunischker sowie seine Schwestern Rosa Meyer, Helene Löwenstein und Elise Leah Garbuny in den USA. Sein Bruder Max Mendel Sadunischker war bereits 1909 oder 1911 in Paris verstorben. Das Schicksal seines Bruders Adolf Sadunischker und von dessen Ehefrau Jeanette Sadunischker, geborene Tobar, ist bislang ungeklärt. Seine Schwester Fanny Mendelsohn, geborene Sadunischker, wurde mit ihrem Ehemann, dem Apotheker Siegfried Mendelsohn, im Oktober 1941 aus Berlin in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) und von dort aus im Mai 1942 weiter in das Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) deportiert, wo sie ermordet wurden. Ihr Sohn Heinz Alexander Mendelsohn (*1922) wurde am 15. Juli 1942 aus dem niederländischen Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort am 17. August 1942 ermordet. Sein jüngerer Bruder Klaus Mendelsohn (*1926) wurde am 4. September 1944 aus Westerbork in das Ghetto Theresienstadt deportiert und am 29. September 1944 weiter in das Vernichtungslager Auschwitz. Er überlebte.