Bertha Silberstein

Location 
Freiligrathstraße 4
District
Kreuzberg
Stone was laid
28 August 2021
Born
19 August 1912 in Berlin
Interniert
January 1942 to April 1942 in Arbeitserziehungslager Fehrbellin
Survived

Bertha Marie Hildegard Silberstein, genannt Betty, kam am 19. August 1912 in Berlin als Tochter von Max Silberstein und seiner Ehefrau Karoline, geb. Gaida, zur Welt. Der Vater gehörte der jüdischen Religionsgemeinschaft an, die Mutter war katholisch. Bertha hatte einen älteren Bruder, Walter (*1910), sowie zwei ältere Halbgeschwister, die ihre Mutter mit in die Ehe gebracht hatte: Anna (*1895) und Erwin Paul (*1902). Der Vater verdiente den Lebensunterhalt der Familie mit verschiedenen Tätigkeiten: als Bäcker, Bauarbeiter, Gasanstaltsarbeiter oder Fuhrwerksbesitzer. Sie zogen häufig um und wohnten an verschiedenen Adressen im östlichen Kreuzberg und im südlichen Friedrichshain.

Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete Bertha Silberstein mit 14 Jahren als Kindermädchen. Mit 15 wurde sie zum Kaffeebrühen und als Laufmädchen in der Buchdruckerei Adolph Fürst & Sohn in der Stallschreiberstraße 6 angestellt. Dort arbeitete sie anschließend für drei Jahre als „Anlegerin“ und „Bogenfängerin“ – war also dafür zuständig, das Papier in die Druckpresse einzuführen und ordentlich auszurichten.

Mit 19 Jahren erhielt sie eine Anstellung als Hausmädchen, die sie bis 1935 innehatte. Im Februar desselben Jahres verstarb ihre Mutter an einem Schlaganfall.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen die Familie Silberstein. Darunter fielen zahlreiche Diskriminierungen und eine zunehmende soziale Ausgrenzung, der Entzug staatsbürgerlicher Rechte sowie die Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben.

In den späten 1930er Jahren wohnte Bertha mit ihrem Vater Max, ihrem Bruder Walter Silberstein und dessen 1934 geborenem Sohn Lothar Ebel in der Freiligrathstraße 4. Da Bertha nur väterlicherseits jüdische Großeltern hatte, galt sie für die Nationalsozialisten als „Mischling 1. Grades“. Und obwohl sie der jüdischen Religionsgemeinschaft nie angehört hatte – sie war evangelisch getauft –, war sie vor Anfeindungen nicht gefeit. In den Entschädigungsakten schildert sie: „Weil mein Vater und damit auch die Kinder, nämlich mein Bruder Walter und ich, immer stärker bedrängt und belästigt wurden, zog ich etwa 1939 von zu Hause weg. Mein Bruder zog ebenfalls weg. 1941 wurde mein Elternhaus Freiligrathstraße 4 mit Parolen beschmiert, u.a. mit der Parole: Jude Silberstein raus.“ Bertha zog zunächst in die Stallschreiberstraße 40.

Von 1936 bis 1940 arbeitete sie als Fräserin – zunächst bei Siemens, anschließend bei einer anderen Firma, aus der sie wegen Arbeitsmangel entlassen wurde. Ab 1941 wurde sie zu schwerer körperlicher Arbeit in einem Rüstungsbetrieb in der Alexandrinenstraße zwangsverpflichtet. Dort musste sie Eisenstangen stapeln und wurde fortwährend vom Meister, der ein großer Nazi war, schikaniert und wegen ihrer jüdischen Herkunft beleidigt. Nachdem Bertha Silberstein bei der Arbeit ein Stahlsplitter ins Auge geraten war, was eine ärztliche Behandlung erforderlich machte, bat sie eine Bekannte, sie deswegen im Betrieb zu entschuldigen. Der Meister erklärte, dass er Bertha Silberstein verhaften lassen würde, wenn sie am nächsten Tag nicht zur Arbeit erschiene. Daraufhin ging Bertha nicht mehr zu ihrer Zwangsarbeitsstelle zurück, sondern versteckte sich bei Bekannten in Berlin.

Die Gestapo verhaftete sie jedoch im Januar 1942 und brachte sie in die Oranienburger Straße, wo weitere Juden und „Halbjuden“ zusammengetrieben waren. Nach drei Tagen wurden sie auf LKW verladen und in das Arbeitserziehungslager (AEL) Fehrbellin verschleppt, das neben dem KZ Ravensbrück das zentrale Frauenstraflager der Reichshauptstadt war.

In den Entschädigungsakten schildert Bertha: „Dort mussten wir von früh 6 Uhr bis abends 18 Uhr ohne Unterbrechung arbeiten. Wir mussten Hanf in Maschinen schütten. Der Hanf wurde ausgepresst. Die Arbeit war schwer und schmutzig. Der Staub verpestete unsere Atmungsorgane.“

Die Unterbringung, Verpflegung und die hygienischen Bedingungen waren miserabel, Bertha Silberstein wurde wegen geringster „Vergehen“ von der Aufseherin geschlagen.

Nach drei Monaten, im April 1942, wurde sie plötzlich wieder auf einen LKW verladen und in die Oranienburger Straße zurückgebracht. Dort mussten sie ein Schriftstück unterzeichnen, in dem sie versprachen, über die Erlebnisse im Lager Fehrbellin nicht zu sprechen.

Bertha Silberstein war vom Aufenthalt im Lager vollkommen verstört. So schildert ihre spätere Schwägerin Hildegard Silberstein, dass sie „nach ihrer Rückkehr gesundheitlich stark mitgenommen [war]. Sie sah sehr heruntergekommen aus und ganz mager, offensichtlich krank. Es fiel mir insbesondere auf, dass sie zerfahren, nervös und stark deprimiert war.“

Bertha lebte bis Kriegsende weiter in Berlin, in ständiger Angst, abgeholt zu werden. Nachts arbeitete sie in der Küche einer Gaststätte.

Ihr Vater Max Silberstein wurde am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ihr Bruder Walter überlebte die Shoah. Auch er konnte sich in Berlin verbergen.

Nach Kriegsende verdiente Bertha ihren Lebensunterhalt als Küchenhilfe, als Stationshilfe in einem Krankenhaus und als Stanzerin in einer Fleischkonservenfabrik. Seit 1963 war sie arbeitsunfähig. Sie kam über die Erlebnisse während der Verfolgungszeit, insbesondere während ihrer Inhaftierung, nicht hinweg und litt unter den psychischen und physischen Folgen.

Bertha Silberstein starb am 31. Mai 1966 im Alter von nur 53 Jahren.