Agnes Minner née Marcuse

Location 
Gubener Straße 36
District
Friedrichshain
Born
17 February 1876 in Grand Rapids (USA)
Deportation
on 18 October 1941 to Łódź / Litzmannstadt
Later deported
in September 1942 to Chełmno / Kulmhof
Murdered
September 1942 in Chełmno / Kulmhof

Agnes Marcuse kam am 17. Februar 1876 in der Stadt Grand Rapids nahe des Lake Michigan (USA) als Tochter des Zigarrenfabrikanten Salomon Marcuse und dessen Ehefrau Bertha, geb. Davidsohn, zur Welt. Möglicherweise war ihre Familie in der Auswanderungswelle der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Deutschland in die USA emigriert. Zwischen 1850 und 1870 hatten etwa zwei Millionen Deutsche aus ökonomischen und politischen Gründen ihre Heimat verlassen – ein Großteil von ihnen Richtung USA. Spuren jüdischer Siedler reichen in Michigan bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. 1837 wurde das Gebiet zum 26. Staat der USA erklärt. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Agnes Marcuse haben sich keine Zeugnisse erhalten. In den 1890er Jahren, wahrscheinlich nach dem Tod des Vaters, übersiedelte Agnes Marcuse mit ihrer Mutter nach Europa. Am 11. Februar 1898 heiratete sie in Berlin den Kaufmann Simson Minner.

Der gebürtige Berliner war 1874 zur Welt gekommen. Seine Eltern, der Schuhmacher Herschek Minner und Ida Minner, geb. Mest, waren seit längerem in der Stadt ansässig. Sie wohnten zum Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes in der Schönhauser Allee 182, wo sie auch ein Geschäft betrieben. Simson Minner sammelte im Betrieb seines Vaters sicher früh Erfahrungen im Umgang mit der Schusterei und Textilverarbeitung. 1901 bezog er mit seiner Frau eine eigene gemeinsame Wohnung und machte sich selbstständig. Er war als Mützenmacher in der Linienstraße 16 nahe der Prenzlauer Straße (der heutigen Karl-Liebknecht-Straße) in Mitte ansässig. Das Ehepaar bekam insgesamt vier Kinder: 1898 war die Tochter Margarete in Berlin geboren worden, 1901, 1902 und 1909 folgten die Söhne Erich, Alfred und Kurt Minner. Im Jahr 1907 zogen Simson und Agnes Minner mit ihren drei kleinen Kindern in eine größere Wohnung in die Keibelstraße 14, die damals die Linienstraße kreuzte. Im August 1910 erfolgte der Umzug in die Gubener Straße 36 in Friedrichshain, wo das Ehepaar in den kommenden drei Jahrzehnten und ihre Kinder bis ins Erwachsenenalter wohnten.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 war Simson Minner mit 39 Jahren noch im wehrfähigen Alter. Er wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder eingezogen oder meldete sich freiwillig und nahm an den Kampfhandlungen auf den europäischen Kriegsschauplätzen teil. Bereits 1910 hatte er sein Geschäft in die Gubener Straße verlegt. Im Winter 1917/18 eröffnete er eine Filiale für Galanteriewaren in Neukölln in der nahe des Körnerparks gelegenen Bergstraße 50-51 (heute Karl-Marx-Straße), in welcher modische Accessoires und Luxusartikel erhältlich waren. Diese Filiale wurde ab 1920 die Hauptgeschäftsadresse, die Niederlassung in der Gubener Straße aufgegeben. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das persönliche Leben der Familienmitglieder – insbesondere in das Leben von Agnes Minner und ihren Kindern in den Kriegsjahren und die Lebensumstände der Familie im Berlin der Weimarer Republik – geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden oder Geltungsjuden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen die Familie Minner. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Erlasse und Sondergesetze drängten sie in die Position von Rechtlosen.

Obwohl in Berlin geboren, hatte Simson Minner keine deutsche Staatsangehörigkeit, sondern wurde offiziell als „staatenlos“ geführt. Mit der Hochzeit hatte auch Agnes Minner ihre amerikanische Staatsangehörigkeit verloren und wurde genauso wie ihre Kinder ebenfalls als „staatenlos“ eingestuft. Seit 1933 waren die Minners zudem als Geschäftsinhaber von den antisemitischen Kampagnen und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in Boykotten sowie den Pogromen im Mai und November 1938 in Berlin erfuhren. Bis 1938/39 hielt das Ehepaar am Geschäftsbetrieb ihrer Galanteriewarenhandlung fest. Die Tochter von Agnes, Margarete Minner, arbeitete in Berlin als Stenotypistin und Buchhalterin. Erich war als Textilkaufmann tätig. Alfred Minner, seit 1936 mit der 1904 in Mewe (heute Gniew) geborenen Gertrude Lindenstrauss verheiratet, war als Verkäufer angestellt. Das Ehepaar hatte 1937 eine Wohnung in der Niemetzstraße 14 in Neukölln bezogen. Der jüngste Sohn von Agnes und Simson, Kurt Minner, war ebenfalls Kaufmann geworden. Er konnte im September 1939 das Land verlassen und emigrierte nach Großbritannien.

Im Frühjahr 1941 starb Simson Minner im Jüdischen Krankenhaus im Wedding. Die verwitwete Agnes Minner wohnte mit ihren Kindern Margarete und Erich weiter in der Wohnung Gubener Straße 36. Im Herbst 1941 musste Margarete Minner als Zwangsarbeiterin beim Betrieb Wagner & Wolff in der Hagelberger Straße 50 arbeiten. Erich war zuletzt bei der Müllbeseitigungsanstalt Berlin-Schöneberg beschäftigt.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 18. Oktober 1941 begannen die Massendeportationen aus Berlin, die den Auftakt zur systematischen Vernichtung der deutschen Juden bildeten. Die damals 65-jährige Witwe Agnes Minner und ihre beiden erwachsenen Kinder Margarete und Erich gehörten zu dem von der Gestapo als „Welle I“ bezeichneten ersten Transport aus der Stadt. Mit der „Teilevakuierung“ sollten auf Anweisung der Staatspolizeileitstelle Berlin bevorzugt große „Judenwohnungen“ freigemacht werden. Am 18. Oktober 1941 wurden Agnes, Margarete und Erich Minner vom Bahnhof Grunewald in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) deportiert. Zuvor waren sie von Polizisten der Stapoleitstelle und der Kriminalpolizei aus ihrer Wohnung in die als Sammellager missbrauchte ehemalige Synagoge Levetzowstraße 7-8 verschleppt worden. Nach knapp einem Jahr im Ghetto Litzmannstadt wurde die 66-jährige Agnes Minner im September 1942 weiter in das Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) deportiert und dort unmittelbar nach ihrer Ankunft in einem der drei „Gaswagen“ des Lagers ermordet.

Ihre Kinder Erich und Margarete überlebten bis Juni und Oktober 1943 die katastrophalen Lebensbedingungen im Ghetto, die auf Ermordung durch Überarbeitung, Mangelversorgung und Kälte zielten. Der Totenschein von Erich weist den 29. Juni 1943, der von Margarete den 5. Oktober 1943 aus. Kaum verlässlich sind die angegebenen Todesursachen „Herzschlag“ (Erich) und „Gehirnhautentzündung“ (Margarete), da die NS-Ärzte die tatsächlichen Todesumstände infolge von direkter und indirekter Gewalteinwirkung im Ghetto durch verschleiernde Sammelbegriffe kaschierten. Alfred Minner hatte mit seiner Frau Gertrude noch bis November 1942 in der Lippehner Straße (heute Käthe-Niederkirchner-Straße) im Prenzlauer Berg gelebt. Am 29. November 1942 wurden beide mit dem 23. Osttransport nach Auschwitz deportiert und dort vermutlich unmittelbar nach der Ankunft ermordet. Kurt Minner überlebte die NS-Verfolgung und Kriegszeit im Exil in London.

Agnes Marcuse kam am 17. Februar 1876 in der Stadt Grand Rapids nahe des Lake Michigan (USA) als Tochter des Zigarrenfabrikanten Salomon Marcuse und dessen Ehefrau Bertha, geb. Davidsohn, zur Welt. Möglicherweise war ihre Familie in der Auswanderungswelle der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Deutschland in die USA emigriert. Zwischen 1850 und 1870 hatten etwa zwei Millionen Deutsche aus ökonomischen und politischen Gründen ihre Heimat verlassen – ein Großteil von ihnen Richtung USA. Spuren jüdischer Siedler reichen in Michigan bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. 1837 wurde das Gebiet zum 26. Staat der USA erklärt. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Agnes Marcuse haben sich keine Zeugnisse erhalten. In den 1890er Jahren, wahrscheinlich nach dem Tod des Vaters, übersiedelte Agnes Marcuse mit ihrer Mutter nach Europa. Am 11. Februar 1898 heiratete sie in Berlin den Kaufmann Simson Minner.

Der gebürtige Berliner war 1874 zur Welt gekommen. Seine Eltern, der Schuhmacher Herschek Minner und Ida Minner, geb. Mest, waren seit längerem in der Stadt ansässig. Sie wohnten zum Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes in der Schönhauser Allee 182, wo sie auch ein Geschäft betrieben. Simson Minner sammelte im Betrieb seines Vaters sicher früh Erfahrungen im Umgang mit der Schusterei und Textilverarbeitung. 1901 bezog er mit seiner Frau eine eigene gemeinsame Wohnung und machte sich selbstständig. Er war als Mützenmacher in der Linienstraße 16 nahe der Prenzlauer Straße (der heutigen Karl-Liebknecht-Straße) in Mitte ansässig. Das Ehepaar bekam insgesamt vier Kinder: 1898 war die Tochter Margarete in Berlin geboren worden, 1901, 1902 und 1909 folgten die Söhne Erich, Alfred und Kurt Minner. Im Jahr 1907 zogen Simson und Agnes Minner mit ihren drei kleinen Kindern in eine größere Wohnung in die Keibelstraße 14, die damals die Linienstraße kreuzte. Im August 1910 erfolgte der Umzug in die Gubener Straße 36 in Friedrichshain, wo das Ehepaar in den kommenden drei Jahrzehnten und ihre Kinder bis ins Erwachsenenalter wohnten.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 war Simson Minner mit 39 Jahren noch im wehrfähigen Alter. Er wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder eingezogen oder meldete sich freiwillig und nahm an den Kampfhandlungen auf den europäischen Kriegsschauplätzen teil. Bereits 1910 hatte er sein Geschäft in die Gubener Straße verlegt. Im Winter 1917/18 eröffnete er eine Filiale für Galanteriewaren in Neukölln in der nahe des Körnerparks gelegenen Bergstraße 50-51 (heute Karl-Marx-Straße), in welcher modische Accessoires und Luxusartikel erhältlich waren. Diese Filiale wurde ab 1920 die Hauptgeschäftsadresse, die Niederlassung in der Gubener Straße aufgegeben. Leider haben sich keine weiteren Quellen erhalten, die einen Einblick in das persönliche Leben der Familienmitglieder – insbesondere in das Leben von Agnes Minner und ihren Kindern in den Kriegsjahren und die Lebensumstände der Familie im Berlin der Weimarer Republik – geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden oder Geltungsjuden galten – begannen auch Zwangsmaßnahmen gegen die Familie Minner. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Erlasse und Sondergesetze drängten sie in die Position von Rechtlosen.

Obwohl in Berlin geboren, hatte Simson Minner keine deutsche Staatsangehörigkeit, sondern wurde offiziell als „staatenlos“ geführt. Mit der Hochzeit hatte auch Agnes Minner ihre amerikanische Staatsangehörigkeit verloren und wurde genauso wie ihre Kinder ebenfalls als „staatenlos“ eingestuft. Seit 1933 waren die Minners zudem als Geschäftsinhaber von den antisemitischen Kampagnen und Ausschreitungen betroffen, die ihren sichtbarsten Ausdruck in Boykotten sowie den Pogromen im Juni und November 1938 in Berlin erfuhren. Bis 1938/39 hielt das Ehepaar am Geschäftsbetrieb ihrer Galanteriewarenhandlung fest. Die Tochter von Agnes, Margarete Minner, arbeitete in Berlin als Stenotypistin und Buchhalterin. Erich war als Textilkaufmann tätig. Alfred Minner, seit 1936 mit der 1904 in Mewe (heute Gniew) geborenen Gertrude Lindenstrauss verheiratet, war als Verkäufer angestellt. Das Ehepaar hatte 1937 eine Wohnung in der Niemetzstraße 14 in Neukölln bezogen. Der jüngste Sohn von Agnes und Simson, Kurt Minner, war ebenfalls Kaufmann geworden. Er konnte im September 1939 das Land verlassen und emigrierte nach Großbritannien.

Im Frühjahr 1941 starb Simson Minner im Jüdischen Krankenhaus im Wedding. Die verwitwete Agnes Minner wohnte mit ihren Kindern Margarete und Erich weiter in der Wohnung Gubener Straße 36. Im Herbst 1941 musste Margarete Minner als Zwangsarbeiterin beim Betrieb Wagner & Wolff in der Hagelberger Straße 50 arbeiten. Erich war zuletzt bei der Müllbeseitigungsanstalt Berlin-Schöneberg beschäftigt.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 18. Oktober 1941 begannen die Massendeportationen aus Berlin, die den Auftakt zur systematischen Vernichtung der deutschen Juden bildeten. Die damals 65-jährige Witwe Agnes Minner und ihre beiden erwachsenen Kinder Margarete und Erich gehörten zu dem von der Gestapo als „Welle I“ bezeichneten ersten Transport aus der Stadt. Mit der „Teilevakuierung“ sollten auf Anweisung der Staatspolizeileitstelle Berlin bevorzugt große „Judenwohnungen“ freigemacht werden. Am 18. Oktober 1941 wurden Agnes, Margarete und Erich Minner vom Bahnhof Grunewald in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) deportiert. Zuvor waren sie von Polizisten der Stapoleitstelle und der Kriminalpolizei aus ihrer Wohnung in die als Sammellager missbrauchte ehemalige Synagoge Levetzowstraße 7-8 verschleppt worden. Nach knapp einem Jahr im Ghetto Litzmannstadt wurde die 66-jährige Agnes Minner im September 1942 weiter in das Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) deportiert und dort unmittelbar nach ihrer Ankunft in einem der drei „Gaswagen“ des Lagers ermordet.

Ihre Kinder Erich und Margarete überlebten bis Juni und Oktober 1943 die katastrophalen Lebensbedingungen im Ghetto, die auf Ermordung durch Überarbeitung, Mangelversorgung und Kälte zielten. Der Totenschein von Erich weist den 29. Juni 1943, der von Margarete den 5. Oktober 1943 aus. Kaum verlässlich sind die angegebenen Todesursachen „Herzschlag“ (Erich) und „Gehirnhautentzündung“ (Margarete), da die NS-Ärzte die tatsächlichen Todesumstände infolge von direkter und indirekter Gewalteinwirkung im Ghetto durch verschleiernde Sammelbegriffe kaschierten. Alfred Minner hatte mit seiner Frau Gertrude noch bis November 1942 in der Lippehner Straße (heute Käthe-Niederkirchner-Straße) im Prenzlauer Berg gelebt. Am 29. November 1942 wurden beide mit dem 23. Osttransport nach Auschwitz deportiert und dort vermutlich unmittelbar nach der Ankunft ermordet. Kurt Minner überlebte die NS-Verfolgung und Kriegszeit im Exil in London.