Gertrud Cohn, geb. Ohnstein, wurde am 21. Januar 1876 in Berlin als Tochter des Kaufmanns Isidor Ohnstein und seiner Ehefrau Natalie geboren. Sie besuchte die Viktoria-Schule in Berlin und heiratete am 1. Juli 1900 den Kaufmann Hugo Cohn. Mit ihrem 1928 gestorbenen Ehemann hatte sie zwei Söhne: Ludwig, geboren am 27. April 1901 in Berlin, und Werner.<br />
<br />
Gertrud Cohn wohnte am Nikolsburger Platz 4, direkt gegenüber der Cecilien-Schule. Sie lebte in guten Verhältnissen. Ihre Wohnung war großzügig geschnitten, mit einem Wohnzimmer, einem „Herrenzimmer“, einem Schlafzimmer sowie Küche, Diele und Bad. Das Wohn- und das Herrenzimmer waren komfortabel eingerichtet, unter anderem mit einem schweren, eichenen Büffet, einem antiken Bücherschrank und einem großen Schreibtisch.<br />
<br />
Kurz nach der Machtübernahme durch die Nazis am 30. Januar 1933 wurde ihr Sohn, der junge Studienassessor Ludwig, als Jude aus dem Schuldienst entlassen. Fortan musste er sich mit Gelegenheitsarbeiten oder als Hilfslehrer durchschlagen. Er heiratete und 1936 bekamen er und seine Frau Steffy eine kleine Tochter, Susi. Die junge Familie wohnte um die Ecke vom Nikolsburger Platz in der Holsteinischen Straße 28.<br />
<br />
Um dem zunehmenden Druck der Nazis zu entgehen und wieder eine Lebensperspektive zu haben, wanderte der jüngere Bruder von Gertrud Cohn, Walter, nach Brasilien aus. Ihre Schwester Clara wanderte mit Familie nach Spanien aus. Schließlich verließ sie 1938 auch ihr jüngerer Sohn Werner, um in die USA auszuwandern.<br />
<br />
1940 zwangen die Nazis Gertrud Cohn, ihre Wohnung am Nikolsburger Platz zu verlassen und in eine „Judenwohnung“ zu ziehen: Wohnungen, in denen man jüdische Menschen zusammenpferchte, um sie besser überwachen und berauben zu können. Frau Cohn musste den Großteil ihres Mobiliars und ihrer Habe weit unter Wert verschleudern – an nichtjüdische „Volksgenossen“, die sich nur zu gern an der Not anderer bereicherten. 1941 wohnte sie in der Landhausstraße 43 bei Strauss, als sich auch Gertrud Cohn dazu durchgerungen hatte, Nazi-Deutschland zu verlassen. Sie beantragte einen Reisepass, den sie auch ausgestellt bekam – nach Hinterlegung der sogenannten „Reichsfluchtsteuer“ – ein weiteres Mittel, Menschen in Not auszuplündern. Das Wichtigste in diesem Pass war ein Visum für die Einreise von Deutschland nach Cuba. Wie so oft bei diesen Rettungsversuchen in letzter Minute haben viele von draußen verzweifelte Anstrengungen auf sich genommen, um den Verzweifelten drinnen, im Vorhof zur Hölle, das Entkommen zu ermöglichen. Aber es war für Gertrud Cohn zu spät.<br />
<br />
Gertrud Cohn gelangte nicht nach Cuba. Mit dem Kriegseintritt der USA am 8. Dezember 1941 wurde der Atlantik für Schiffspassagen geschlossen. Gertrud Cohns Lage war aussichtslos. Am 30. August 1942 zerrten Gestapomänner Gertrud Cohn aus ihrem Zimmer der „Judenwohnung“ und brachten die 66-Jährige, vermutlich auf der Ladefläche eines Lkws, in die Große Hamburger Straße 26, ein ehemaliges Altenheim der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, das die Nazis zu einer Sammelstelle zur Deportation missbrauchten. Von hier aus ging es auf den Transport nach Osten. In der Großen Hamburger Straße musste Gertrud Cohn eine Vermögenserklärung vor einem Finanzbeamten ausfüllen, damit auch der allerletzte Besitz bekannt, amtlich festgestellt und per Enteignung, gegen eine Art Quittung der Gestapo, geraubt werden konnte. Frau Cohn musste zusätzlich einen „Heimeinkaufsvertrag“ unterzeichnen, mit dem sie ihr Konto bei der Dresdner Bank letztlich der Gestapo übereignete. Das Ghetto Theresienstadt berechnete sozusagen im Voraus den „Heimaufenthalt“ – einschließlich Quälerei und Totschlag.<br />
<br />
Am 2. September 1942 wurde Gertrud Cohn vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald mit 100 Leidensgenossen nach Theresienstadt in der Tschechoslowakei deportiert. Bald danach wurde sie nach Minsk, Weißrussland, weitertransportiert und am 29. September dort ermordet.<br />
<br />
Ludwig Cohn und seine Frau Steffy rissen sich und ihrer 6-jährigen Tochter Susi die Judensterne, die sie seit einem Jahr, wie alle anderen Juden auch, tragen mussten, von den Kleidern und versteckten sich vor den Häschern und Mördern. Ludwig Cohn, der sich jetzt Ludwig Collm nannte, ging im Oktober 1942 mit seiner Familie in die Illegalität.<br />
<br />
Die Familie Collm überlebte. Ludwig Collm, der wieder als Gymnasiallehrer im Schuldienst tätig war, bezog mit seiner Familie eine Wohnung in der Cecilien-Schule am Nikolsburger Platz 5 – direkt gegenüber, wo einmal das Haus stand, in dem Ludwigs Mutter, Gertrud Cohn, gewohnt hatte. Ein kleiner Kreis des Lebens hatte sich wieder geschlossen – trotz Verfolgung und Mord.
Gertrud Cohn wohnte am Nikolsburger Platz 4, direkt gegenüber der Cecilien-Schule. Sie lebte in guten Verhältnissen. Ihre Wohnung war großzügig geschnitten, mit einem Wohnzimmer, einem „Herrenzimmer“, einem Schlafzimmer sowie Küche, Diele und Bad. Das Wohn- und das Herrenzimmer waren komfortabel eingerichtet, unter anderem mit einem schweren, eichenen Büffet, einem antiken Bücherschrank und einem großen Schreibtisch.
Kurz nach der Machtübernahme durch die Nazis am 30. Januar 1933 wurde ihr Sohn, der junge Studienassessor Ludwig, als Jude aus dem Schuldienst entlassen. Fortan musste er sich mit Gelegenheitsarbeiten oder als Hilfslehrer durchschlagen. Er heiratete und 1936 bekamen er und seine Frau Steffy eine kleine Tochter, Susi. Die junge Familie wohnte um die Ecke vom Nikolsburger Platz in der Holsteinischen Straße 28.
Um dem zunehmenden Druck der Nazis zu entgehen und wieder eine Lebensperspektive zu haben, wanderte der jüngere Bruder von Gertrud Cohn, Walter, nach Brasilien aus. Ihre Schwester Clara wanderte mit Familie nach Spanien aus. Schließlich verließ sie 1938 auch ihr jüngerer Sohn Werner, um in die USA auszuwandern.
1940 zwangen die Nazis Gertrud Cohn, ihre Wohnung am Nikolsburger Platz zu verlassen und in eine „Judenwohnung“ zu ziehen: Wohnungen, in denen man jüdische Menschen zusammenpferchte, um sie besser überwachen und berauben zu können. Frau Cohn musste den Großteil ihres Mobiliars und ihrer Habe weit unter Wert verschleudern – an nichtjüdische „Volksgenossen“, die sich nur zu gern an der Not anderer bereicherten. 1941 wohnte sie in der Landhausstraße 43 bei Strauss, als sich auch Gertrud Cohn dazu durchgerungen hatte, Nazi-Deutschland zu verlassen. Sie beantragte einen Reisepass, den sie auch ausgestellt bekam – nach Hinterlegung der sogenannten „Reichsfluchtsteuer“ – ein weiteres Mittel, Menschen in Not auszuplündern. Das Wichtigste in diesem Pass war ein Visum für die Einreise von Deutschland nach Cuba. Wie so oft bei diesen Rettungsversuchen in letzter Minute haben viele von draußen verzweifelte Anstrengungen auf sich genommen, um den Verzweifelten drinnen, im Vorhof zur Hölle, das Entkommen zu ermöglichen. Aber es war für Gertrud Cohn zu spät.
Gertrud Cohn gelangte nicht nach Cuba. Mit dem Kriegseintritt der USA am 8. Dezember 1941 wurde der Atlantik für Schiffspassagen geschlossen. Gertrud Cohns Lage war aussichtslos. Am 30. August 1942 zerrten Gestapomänner Gertrud Cohn aus ihrem Zimmer der „Judenwohnung“ und brachten die 66-Jährige, vermutlich auf der Ladefläche eines Lkws, in die Große Hamburger Straße 26, ein ehemaliges Altenheim der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, das die Nazis zu einer Sammelstelle zur Deportation missbrauchten. Von hier aus ging es auf den Transport nach Osten. In der Großen Hamburger Straße musste Gertrud Cohn eine Vermögenserklärung vor einem Finanzbeamten ausfüllen, damit auch der allerletzte Besitz bekannt, amtlich festgestellt und per Enteignung, gegen eine Art Quittung der Gestapo, geraubt werden konnte. Frau Cohn musste zusätzlich einen „Heimeinkaufsvertrag“ unterzeichnen, mit dem sie ihr Konto bei der Dresdner Bank letztlich der Gestapo übereignete. Das Ghetto Theresienstadt berechnete sozusagen im Voraus den „Heimaufenthalt“ – einschließlich Quälerei und Totschlag.
Am 2. September 1942 wurde Gertrud Cohn vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald mit 100 Leidensgenossen nach Theresienstadt in der Tschechoslowakei deportiert. Bald danach wurde sie nach Minsk, Weißrussland, weitertransportiert und am 29. September dort ermordet.
Ludwig Cohn und seine Frau Steffy rissen sich und ihrer 6-jährigen Tochter Susi die Judensterne, die sie seit einem Jahr, wie alle anderen Juden auch, tragen mussten, von den Kleidern und versteckten sich vor den Häschern und Mördern. Ludwig Cohn, der sich jetzt Ludwig Collm nannte, ging im Oktober 1942 mit seiner Familie in die Illegalität.
Die Familie Collm überlebte. Ludwig Collm, der wieder als Gymnasiallehrer im Schuldienst tätig war, bezog mit seiner Familie eine Wohnung in der Cecilien-Schule am Nikolsburger Platz 5 – direkt gegenüber, wo einmal das Haus stand, in dem Ludwigs Mutter, Gertrud Cohn, gewohnt hatte. Ein kleiner Kreis des Lebens hatte sich wieder geschlossen – trotz Verfolgung und Mord.