Hans Philipp Simke

Location 
Wilhelmshöher Str. 17
District
Friedenau
Stone was laid
17 May 2023
Born
01 October 1902 in Schwersenz (Posen) / Swarzędz
Occupation
Kaufmann
Escape
1935 Portugal, 1941 USA
Survived

Hans Philipp Simke wurde am 1. Oktober 1902 in Schwersenz in der preußischen Provinz Posen geboren. Seine Eltern waren Robert Simke (geb. 1872) und Lisa, geb. Placzek (geb. 1879), die beide ebenfalls aus Schwersenz stammten. Sein Vater war Schneider und führte ein Maßschneidereigeschäft in Posen. 1906 zog die Familie nach Berlin. Dort kam am 22. Dezember 1906 Hans Philipps jüngere Schwester Eleonore zur Welt.

Die jüdische Familie Simke wohnte von 1908 bis 1914 in der Carmerstr. 1, von 1915 bis 1933 in der Xantener Str. 17. Der Vater Robert arbeitete dort zunächst bei einer Wach- und Schließgesellschaft, später als Verkaufsleiter in der Gemäldegalerie Erna Knippel am Kurfürstendamm mit einem Büro in der Friedrichstraße.

Hans Philipp besuchte nach der Grundschule das Kaiser-Friedrich-Gymnasium in Berlin-Charlottenburg und ab 1916 auf die Rothert'sche Realschule in Blankenburg (Harz). Er absolvierte eine kaufmännische Lehre, worauf eine erfolgreiche berufliche Karriere in Berlin folgte. Bereits 1928 bekleidete er bei der Firma Blochert & Comp. eine leitende Stellung und war für den Export von Lederwaren in die USA zuständig. In dieser Zeit freundete sich Hans Philipp, gemeinsam mit seiner Schwester Eleonore und deren Verlobten Arnold Schmitt, mit der jungen Modezeichnerin Erna Toepfer an.

Helene Gertrud Erna Toepfer wurde am 29. März 1905 in Potsdam geboren. Sie stammte aus einer evangelischen Familie und hatte zwei Schwestern, Hannelore und Johanna. Ihre Eltern waren der Feinmechaniker Reinhold Toepfer (1873 – 1951) und Margarethe, geb. Hensing (1879 – 1967). Die Familie war 1918 nach in Steglitz in die Albrechtstr. 18 gezogen. Erna nahm nach Abschluss der Schule ein Studium zur Modezeichnerin an der Albert-Reimann-Schule in Berlin-Schöneberg auf. In der prosperierenden Modebranche arbeitete Erna für mehrere Modehäuser, für die sie bei den Haute-Couture-Schauen in Paris die aktuellen Designs zeichnete.

Am 22. Dezember 1930 heirateten Hans Philipp und Erna Toepfer. Ihre Eltern hatten aufgrund des spürbar wachsenden Antisemitismus gewisse Bedenken, wollten aber dem Glück ihrer Kinder nicht mit Weg stehen. In der Familie Toepfer gab es auch bereits eine interkonfessionelle Ehe zwischen Ernas Schwester Johanna und ihrem jüdischen Ehemann Walter Winter.

Hans Philipp und Erna Simke bezogen eine Wohnung in der Wilhelmshöher Str. 17 in Friedenau; hier lebten auch die Mitglieder der „Roten Kapelle“ Erika Gräfin von Brockdorff, Adam und Greta Kuckhoff, sowie Künstler und Journalisten. Das Gebäude war ursprünglich ein „Einküchenhaus“: Lily Braun (geb. von Kretschman) hatte ein Konzept, das Frauen durch eine „Zentralküche“ im Erdgeschoss von der Hausarbeit entlasten sollte, bereits 1897 vorgestellt. 1909 bezogen die ersten Mieter ihre Wohnungen, doch die Idee setzte sich nicht durch. Wenige Jahre später hatten alle Wohnungen, auch die der Simkes, ihre eigene Küche.

Am 22. September 1934 wurde das erste Kind der Eheleute geboren: die Tochter Barbara Hannelore Margarethe. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die junge Familie bereits in Gedanken mit der Emigration befasst. Seit Beginn der 1930ger Jahre sank das Einkommen von Hans Philipp kontinuierlich. Erna steuerte mit ihren Aufträgen maßgeblich zum Lebensunterhalt der Familie bei. Spätestens der staatlich organisierte Aufruf zum Boykott des jüdischen Geschäftslebens 1933, der von erheblichen gewalttätigen Übergriffen begleitet wurde, machte deutlich, dass das Leben der jüdischen Menschen in Deutschland von nun an noch schwerer werden würde.

Hans Philipp schildert seinen beruflichen Werdegang von der Beendigung seiner Lehrzeit bis zum Jahre 1935 in einem Antrag auf Entschädigung für Verluste im Beruflichen Fortkommen 1958 folgendermaßen:

„[...] (nach Beendigung der Schulausbildung)[…] trat ich als Lehrling in die Kaufmännische Abteilung der Firma L.S. Mayer GmbH ein (Berlin Kreuzberg, Ritterstr. 61) und verblieb nach Beendigung meiner Lehrzeit weitere drei Jahre bis 1926 in der Export Abteilung dieser Firma, wo ich als stellvertretender Abteilungsleiter im Bereich Amerika Export zuletzt tätig war. Anschließend war ich bei der Firma E.B. Blochert & Company, Lindenstr. 69 in leitender Stellung bis zum 30. April 1928 [...] danach [...] als Reisender [...] und blieb dort bis zum 31. Dezember 1928. Ich übernahm dann das Einkaufsbüro der American Art Leather Juwelry Co., Los Angeles, USA, für Deutschland und für die Tschechoslowakei. Um dieselbe Zeit übernahm ich auch einen leitenden Posten in der Exportabteilung der Lederwarenfabrik von Robert Hartmann & Neuhan, Alexandrinenstr. 97 bis Ende Dezember 1931. [...]
Meine Stellung [...] verlor ich [...], weil der Export dieser Firma nach den Vereinigten Staaten außerordentlich zurückging. Meine Tätigkeit als Einkäufer für die amerikanische Firma endete im Jahr 1932.
Von Juli 1932 bis Nov. 1934 war ich als freier Handelsvertreter und Reisender bei der Firma Carl O. Kain GmbH, Bülowstr. 22 tätig. [...] Bereits im Jahre 1933 ging mein Einkommen bei der Firma Kain um rund ein Drittel zurück als Folge des von der nationalsozialistischen Regierung geforderten Judenboykotts. Als eine immer mehr zunehmende Zahl von Kunden es ablehnten mich als Juden zu empfangen, musste ich meine Tätigkeit für die Firma Kain aufgeben.
Unter großen Schwierigkeiten gelang es mir dann noch, eine Anstellung als Reisender bei der Radiogroßhandlung WEZETT RADIO GmbH zu finden, sah mich aber bereits Mitte 1935 gezwungen, diese Stellung wegen der judenfeindlichen Einstellung der Kundschaft aufzugeben [...].“

Im Angesicht dieser Entwicklungen bereiteten Hans Philipp und sein Schwager Arnold Schmitt im Juni 1935 die Emigration nach Porto in Portugal vor, „da es mir unmöglich gemacht wurde in Deutschland mein Einreise-Visum in die USA abzuwarten, da man mir auf dem amerikanischen Konsulat in Berlin erklärte, dass mein Einwanderungsvisum nach USA nicht vor Ablauf von mehreren Jahren zu erwarten sei, weil ich nach meinem Geburtsort unter die polnische Quota fiele“

Erna und die inzwischen ein Jahr alte Tochter Barbara sowie Hans Philipps Schwester Eleonore folgten im Oktober 1935 ihren Ehemännern nach Porto. Es war nicht leicht für Hans Philipp, dort Arbeit zu finden. Erna konnte ihre Tätigkeit als Modezeichnerin fortsetzen. Ihr Berliner Auftraggeber Aribert Schwabe sorgte dafür, dass sie weiterhin zu den jährlichen vier Modeschauen nach Paris reisen konnte. Die Zukunft war jedoch völlig ungewiss: Würden sie jemals wieder nach Berlin zurückkehren können? Würden sie jemals ein Visum für die USA bekommen? Was würde angesichts der Unterdrückung und Entrechtung von Juden in Deutschland mit Hans Philipps Eltern geschehen? Wann würden sie ihre Familien wiedersehen können?

Für die Eltern von Hans Philipp wie von Erna war die Emigration ihrer Kinder sehr schmerzlich. Ernas Eltern hatten zwar aufgrund ihrer protestantischen Religionszugehörigkeit selbst keine Verfolgung zu befürchten, aber sie hatten zwei jüdische Schwiegersöhne. Hans Philipps Eltern Robert und Lisa lebten bereits seit Beginn der 1930ger Jahre in einer finanziell zunehmend schwierigen Situation: 1934 mussten sie ihren langjährigen Lebensmittelpunkt, die Wohnung in der Xantener Str. 17 aufgeben.

Lisa wohnte zunächst bei ihrer Tochter Eleonore am Südwestcorso 28, nahe bei ihrem Enkelkind Barbara. Nach der Emigration ihrer Kinder zog sie in die Duisburger Str. 7 und verdiente ihren Lebensunterhalt als Garderobiere im jüdischen Bridgeclub in der Ballenstaedterstr. 3. Als dieser Ende 1938 von den Nazis geschlossen wurde, nahm sie im Februar 1939 den Dampfer nach Lissabon und floh zu ihren Kindern nach Portugal.

Robert zog zur Untermiete in ein Zimmer in der Köpenicker Str. 26a in Kreuzberg, floh jedoch 1936 nach Prag. Der Kontakt zu seiner Familie wurde über Briefe und Postkarten gehalten. Während seine Familie in Porto in relativer Sicherheit war, ging es ihm in der Tschechoslowakei immer schlechter. Am 25.3.1939 sandte Robert einen Hilferuf an seinen Sohn Hans Philipp:

„.Lieber Phili, im Anschluss an meine letzte Postkarte worin ich ... meine Freude über die gute Ankunft von Mutter sowie des Stammhalters zum Ausdruck brachte, teile ich Dir heute mit, dass die Situation sich sehr sehr verschlimmert hat. Ihr werdet aus den Zeitungen wohl entnehmen, was hier vorgeht. Dadurch ist die Lage der Emigranten unhaltbar geworden. Was mit ihnen geschieht weiß niemand. Hier stockt jedes Geschäft. Infolge dessen keinen auch gar keinen Verdienst. Ich bin hier ohne jeden Heller und leide Not. Silberstein hat vollkommen versagt. Wenn möglich sendet Flugpost Hauptpostlagernd 200 RM  (Kr?), habe mein Zimmer aus geldlichen und aus anderen Gründen aufgegeben. Gruß und Kuss, Robert“ 
(Unterstreichungen im Original)

In Porto wurde am 1. März 1939 das zweite Kind von Hans Philipp und Erna, ihr Sohn John Peter geboren. Eleonore und Arnold bekamen im April 1940 ihr drittes Enkelkind Isabel. 1941 wurden die ersehnten Einreisevisa in die USA genehmigt. Am 23. Juni 1941 kamen Hans Philipp und seine Familie gemeinsam mit seiner Mutter Lisa Simke in Ellis Island an. Auch Eleonore und Arnold Schmitt konnten mit ihrer einjährigen Tochter Isabel 1941 von Portugal in die USA emigrieren.

In der Tschechoslowakei war Vater Robert inzwischen von den Deutschen verhaftet worden. 1941 war er im Jüdischen Krankenhaus in der Elsässer Str. 85 in Berlin stationär. Seit Jahren war er schwer nierenkrank. Aus dem Jüdischen Krankenhaus wurde er ins Untersuchungsgefängnis Moabit überstellt. Im zugehörigen Begleitschreiben der Staatsanwaltschaft vom 4. September 1941 wird angeordnet:

 „[...] Kaufmann Robert Simke [...] hat in der Strafsache gegen Simke wegen Betruges und Bestechung pp noch eine Reststrafe von 298 Tagen und 11 Stunden und 15 Minuten Gefängnis zu verbüßen. Der Direktor des Untersuchungs-Gefängnisses wird ersucht, die Freiheitsstrafe ab Einlieferung zur Vollstreckung zu bringen.“

1927 war Robert mit mehreren anderen Beteiligten wegen „Branntweinmonopol-Einnahmehinterziehung“ angeklagt und seine Strafe rechtskräftig zur Bewährung ausgesetzt worden. Die Angelegenheit war demnach 1941 längst verjährt. Dennoch wurde Robert mit Hinweis auf dieses Urteil  14 Jahre später am 5. September 1941 aus dem Krankenhaus ins Gefängnis überführt und am 9. September 1941 in das Gefängnis Tegel eingeliefert. Am 30. Juni 1942 wurde der todkranke Robert in das Jüdische Krankenhaus in der Iranischen Straße gebracht, wo er noch am selben Tag verstarb. Er wurde am 9. Juli 1942 auf dem Jüdischen Friedhof Weißensee bestattet (Abt. N  IV, Reihe 8, Grab Nr. 108 905).

Hans Philipp, seine Mutter Lisa und seine Schwester Eleonore suchten jahrelang über das Rote Kreuz nach dem Verschollenen. Erst 1955 erhielten sie Gewissheit über Roberts tragischen Tod.

Hans Philipps Onkel Leopold Simke, der Bruder seines Vaters, geriet am 27. Mai 1942 in eine Massenverhaftung jüdischer Männer, die als Vergeltungsaktion von den Behörden wegen des Anschlages auf die Ausstellung „Das Sowjetparadies“ durchgeführt wurde. Leopold wurde am 28. Mai 1942 im KZ Sachsenhausen erschossen. Seine Ehefrau hatte bereits 1939 zu ihrer Tochter nach England fliehen können.

Der Ehemann von Ernas Schwester Johanna, Walter Winter, wurde am 28.06.1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert und ermordet.