Alma Mendelsohn

Verlegeort
Neue Grünstraße 28
Bezirk/Ortsteil
Mitte
Verlegedatum
20. September 2013
Geboren
24. September 1896 in Hohensalza/ Inowrazlaw
Deportation
am 26. Februar 1943
Ermordet
in Auschwitz

Alma Mendelsohn wurde am 24. September 1896 in Inowrazlaw (dem heutigen Inowrocław in Polen) geboren. Die Stadt liegt an der Netze (polnisch: Noteć) rund 40 Kilometer südöstlich von Bromberg (heute Bydgoszcz) und gehörte damals zur preußischen Provinz Posen. Alma war die Tochter des Fleischermeisters Louis Mendelsohn (1860–1942) und von dessen Ehefrau Pauline Mendelsohn, geborene Haase (1862–1942). Ihr Vater stammte aus einer alteingesessenen Fleischerfamilie in Inowrazlaw, die Filialen in der Synagogenstraße (heutige ul. Wałowa) in der Innenstadt unterhielt. Ihre Mutter stammte aus der Kleinstadt Budsin (heute Budzyń), rund 100 Kilometer westlich von Inowrazlaw. Im Mai 1891 hatten ihre Eltern geheiratet und sich eine gemeinsame Wohnung in Inowrazlaw genommen, wo 1893 Almas älterer Bruder Leopold zur Welt kam. Alma hatte noch weitere Geschwister: 1895 war ihre Schwester Dorothea zur Welt gekommen und 1899 wurde ihr jüngerer Bruder Adolf in Inowrazlaw geboren. Almas Eltern gehörten aller Wahrscheinlichkeit nach zur bedeutenden jüdischen Gemeinde der Stadt, zu der zum Zeitpunkt der Geburt von Alma etwa 1400 der rund 26000 Einwohner zählten.

Die Familie dürfte in Inowrazlaw (von 1903 bis 1920 und von 1939 bis 1945 hieß die Stadt Hohensalza) zur gutbürgerlichen Mittelschicht gezählt haben. Wenigstens bis zum Ende des Ersten Weltkriegs bestritt Louis Mendelsohn das Familieneinkommen mit seiner Fleischerei. Die Kinder besuchten die Volksschule: Leopold und Adolf Mendelsohn absolvierten anschließend kaufmännische Ausbildungen im Textilwesen. Dorothea Mendelsohn erhielt eine Ausbildung zur Buchhalterin. Alma Mendelsohn trat, nachdem sie die Volksschule beendet hatte, mit 14 Jahren als Lehrling in das Modewarengeschäft „Julius Wisniewski“ in der Friedrichstraße 31 (heute ul. Królowej Jadwigi) in Hohensalza ein und absolvierte dort ihre Berufsausbildung. Während des Krieges wurde mindestens Almas ältester Bruder Leopold eingezogen oder er meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst. Er wurde bei seinem Einsatz als Soldat beim Feldartillerie-Regiment 53 im Oktober 1914 verwundet, überlebte aber und kehrte nach Kriegsende zurück.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Hohensalza gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages polnisch. Die Mendelsohns entschlossen sich, die Stadt zu verlassen und siedelten sich Anfang der 1920er-Jahre in Bad Polzin (heute Połczyn-Zdrój) an. Die pommersche Kleinstadt liegt etwa 130 Kilometer nordöstlich von Stettin (dem polnischen Szczecin) und war bis ins 20. Jahrhundert ein bedeutender Badekurort mit viel Fremdenverkehr. Es ist anzunehmen, dass Almas Vater auch in Bad Polzin noch eine Zeitlang eine Fleischerei führte. In den Adressbüchern, die für die Stadt erst wieder für 1933 vorliegen, wird er allerdings bereits als Rentner an der Wohnadresse Brunnenstraße 31 (ul. 5 Marca) geführt. Alma wohnte unweit entfernt davon in der Brunnenstraße 21. Sie hatte eine Anstellung gefunden und arbeitete in Bad Polzin als erste Verkäuferin im Modegeschäft „Leiser & Co.“, welches in der Brunnenstraße 10 firmierte.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Alma Mendelsohn und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben. Almas Geschwister hatten sich inzwischen in Berlin niedergelassen: Leopold Mendelsohn hatte dort 1921 Rita Wolfsfeld (*1899) geheiratet, 1925 eine Tochter namens Marion bekommen, und war bis Ende der 1930er-Jahre der Inhaber einer Herrenkleiderfabrik in der Spandauer Straße 11 in Mitte. Adolf Mendelsohn hatte Erna Schwersenz (*1905) geheiratet, 1930 einen Sohn namens Manfred Claus bekommen, und arbeitete als Textilunternehmer in der Hauptstadt. Auch Dorothea hatte 1920 in Berlin geheiratet und lebte mit ihrem Ehemann Stefan (Sally) Finkelstein und ihren zwei Kindern in Berlin, bevor das Ehepaar und ihre Kinder Ende der 1930er-Jahre aus Deutschland nach Südamerika entkommen konnten. Sie lebten später in Kolumbien. Der minderjährigen Tochter von Leopold, Marion Mendelsohn, gelang es noch 1939 in das britische Mandatsgebiet Palästina zu entkommen. Ob auch Alma den Versuch unternahm, Deutschland zu verlassen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollte sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. 1936/1937 verließ sie gemeinsam mit ihren Eltern die Kleinstadt Bad Polzin.

Alma, Louis und Pauline Mendelsohn zogen nach Berlin – vermutlich, weil sie hofften, in der Anonymität der Großstadt einen besseren Schutz finden zu können und näher bei Almas Geschwistern und deren Familien zu sein. Die drei kamen in einer Wohnung in der Seydelstraße 25a in Berlin-Mitte nahe des Spittelmarktes unter. Unterdessen drängten immer mehr Gesetze und Sondererlasse die Familienmitglieder in die Position von Rechtlosen im eigenen Land. Leopold Mendelsohn wurde 1939 – nach den Pogromen im Juniund November 1938 – im Rahmen der Zwangsveräußerung jüdischer Gewerbebetriebe („Arisierung“) gezwungen, die „Leopold Mendelsohn & Co. GmbH“ Herrenkleiderfabrik zu liquidieren. Er konnte daraufhin, genauso wie sein Bruder Adolf, nicht mehr unternehmerisch oder anderweitig berufstätig sein. Adolf Mendelsohn war im März 1938 von der Gestapo aufgegriffen worden, als er noch versucht hatte, auf einem Potsdamer Markt Gewerbehandel zu treiben. Alma war in Berlin noch kurzzeitig als Werkstattmeisterin in der Krawattenfabrik „Cady Wolfsfeld“ beschäftigt gewesen, bevor auch dieser Betrieb seine Gewerbeerlaubnis verlor. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Alma  in den Folgejahren Zwangsarbeit bei Berliner Firmen leisten musste, aber es haben sich in den vorliegenden Dokumenten keine Details hierzu erhalten. Im Jahr 1939 zog sie in eine Wohnung in der Dresdener Straße 79 in Kreuzberg. Ihre Eltern bewohnten dort ein Zimmer zur Untermiete.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Im Sommer 1942 wurde die Familie Mendelsohn gewaltsam auseinandergerissen. Almas Eltern erhielten den Deportationsbescheid, mussten ihr Zimmer in der Dresdener Straße räumen und wurden im August 1942 im Sammellager an der Großen Hamburger Straße 26 interniert. Von dort aus wurden sie am 7. August 1942 mit dem „39. Alterstransport“ in das Ghetto Theresienstadt deportiert und wenige Wochen später, am 26. September 1942, weiter in das Vernichtungslager Treblinka, wo sie ermordet wurden. Alma wohnte noch bis Frühjahr 1943 in Berlin. Sie wurde im Vorfeld der „Fabrik-Aktion“, bei der die letzten offiziell in der Hauptstadt verbliebenen Jüdinnen und Juden deportiert werden sollten, am 26. Februar 1943 mit dem „30. Osttransport“ aus Berlin in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort – vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft – ermordet. Alma Mendelsohn war zum Zeitpunkt der Deportation 46 Jahre alt.

Nur wenige ihrer Verwandten überlebten die NS-Verfolgung: Leopold und Rita Mendelsohn waren im Dezember 1942 nach Theresienstadt und im Oktober 1944 weiter nach Auschwitz deportiert worden, wo sie ermordet wurden. Almas Nichte Marion überlebte im Exil in Palästina. Dorothea Mendelsohn, verheiratete Finkelstein, ihr Ehemann Stefan (Sally) Finkelstein und ihre Kinder überlebten im Exil in Südamerika. Adolf Mendelsohn, seine Ehefrau Erna und sein Sohn Manfred Claus waren im November 1941 aus Berlin in das Ghetto Minsk deportiert worden. Keiner der drei Familienmitglieder gehörte zu den wenigen Überlebenden des Minsker Ghettos.