Gertrud Sadunischker geb. Lewy

Verlegeort
Bochumer Str. 10
Historischer Name
Bochumer Str. 9
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
Juli 2007
Geboren
20. April 1893 in Memel (Ostpreußen) / Klaipėda
Deportation
am 19. Februar 1943 nach Auschwitz
Ermordet
in Auschwitz

Gertrud Lewy wurde am 20. April 1893 in der damals zu Ostpreußen gehörenden Stadt Memel (dem heutigen Klaipėda in Litauen) geboren. Sie war die Tochter des Kaufmanns Israel Lewy (1859–1925) und der Lina Lewy, geborene Hirschfeld (1863–1941). Ihre Eltern führten in der Memeler Großen Wasserstraße 21 eine Flachshandlung. Im selben Gebäude befand sich die Wohnung der Familie und wenigstens seit den 1910er-Jahren waren sie Eigentümer des Wohnhauses, das in der Innenstadt südlich der Dange (Danė) lag. Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Gertrud Lewy in Memel haben sich leider keine weiteren Quellen erhalten. Es ist auch nicht bekannt, ob sie das einzige Kind ihrer Eltern blieb oder ob sie noch Geschwister hatte. Nach aller Wahrscheinlichkeit gehörten ihre Eltern aber zur jüdischen Gemeinde der Stadt, zu der um 1890 etwa 900 der rund 19.000 Einwohner zählten.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs heiratete Gertrud Lewy am 12. Dezember 1919 den Berliner Zigarettenfabrikanten Martin Meier Sadunischker. Ihr Ehemann war 1884 in Wilna (dem heutigen Vilnius in Litauen) geboren worden, in jungen Jahren mit seiner Familie nach Berlin gezogen und hatte nach seinem Schulabschluss eine kaufmännische Ausbildung absolviert. 1918 war er Mitinhaber der von seinem Vater gegründeten Tabak- und Zigarettenfabrik am Weinbergsweg 6 in Berlin-Mitte geworden. Nach der Hochzeit nahm sich das Ehepaar Sadunischker eine gemeinsame Wohnung am Wikingerufer 2 am Spreebogen in Moabit und zog 1926 in die unweit ihrer vorherigen Adresse gelegenen Krefelder Straße 4 im Westfälischen Viertel. Am 8. Juni 1927 kam mit ihrem Sohn Mark Alfred das einzige Kind der Sadunischkers zu Welt.

Im selben Jahr gründete Gertruds Ehemann die „Maschalla Cigarettenfabrik“ in der Alexanderstraße 22. Die Zigarettenfabrik bestand unter diesen Namen nur bis 1929/1930, danach ist zwar anzunehmen, dass sich Martin Meier weiterhin kaufmännisch in der Tabakindustrie betätigte, aber er tritt in den vorliegenden Dokumenten nicht mehr als Unternehmensinhaber auf. In den Berliner Adressbüchern wird er als Kaufmann geführt. 1928 zogen die Sadunischkers in eine Wohnung in der Bochumer Straße 9. Leider haben sich keine weiteren Zeugnisse erhalten, die einen Einblick in das Leben der Familie im Berlin der Weimarer Republik geben könnten.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Gertrud Sadunischker und ihre Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung, des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte sowie der Verdrängung aus dem Berufs- und Wirtschaftsleben.

In den 1930er-Jahren gelang einigen der Geschwister von Martin Meier, Deutschland zu verlassen und in die USA auszureisen. So konnte etwa Gertruds Schwager Dr. Hermann Sadunischker, der 1933 aus antisemitischen Gründen aus seiner Stellung als Wohlfahrtsarzt in Berlin entlassen worden war, 1936 in die USA emigrieren. Bereits seit den 1910er-Jahren lebte dort seine Schwester Rosa, später verheiratete Meyer, mit ihrem Sohn Arthur (*1916). Auch Gertruds Schwägerinnen Helena, verheiratete Löwenstein, und Elise Leah, verheiratete Garbuny, gelang es 1934 und 1939 in die USA auszureisen. Ob auch das Ehepaar Sadunischker in den 1930er-Jahren plante, mit ihrem Sohn Mark Alfred aus Deutschland zu entkommen, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Sollten sie konkrete Schritte unternommen haben, so scheiterten diese. Vermutlich Ende der 1930er-Jahre hatten sie die verwitwete Mutter von Gertrud in ihrer Wohnung in der Bochumer Straße 9 mit aufgenommen. Sie starb im Alter von 77 Jahren im April 1941.

Spätestens Anfang der 1940er-Jahre war das Leben für die Sadunischkers in Berlin zum reinen Existenzkampf geworden. So konnten sie sich mit der Polizeiverordnung vom 1. September 1941 „über die Kennzeichnung der Juden“ vom 19. September an nur noch mit stigmatisierendem „Judenstern“ in der Öffentlichkeit bewegen. Im Oktober 1941 mussten sie ihre langjährige Wohnung in der Bochumer Straße 9 räumen und zogen in eine Dreizimmerwohnung in der Klopstockstraße 30 im Hansaviertel, die sie sich mit zwei jüdischen Untermietern teilten. Seit Ende der 1930er- oder Anfang der 1940er-Jahre waren außerdem sowohl Gertruds Ehemann als auch ihr Sohn zu Zwangsarbeit herangezogen worden – der minderjährige Mark Alfred Sadunischker zuletzt bei der Fahrbereitschaft der Stadt Berlin; Martin Meier Sadunischker als Straßenreiniger beim Bezirksamt Wilmersdorf, wo er unter schwerer physischer Belastung bei der Trümmerbeseitigung eingesetzt wurde.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Gertrud Sadunischker und ihr Ehemann erhielten den Deportationsbescheid im Frühjahr 1943. Sie wurden im Sammellager in der Großen Hamburger Straße 26 interniert und von dort aus am 19. Februar 1943 mit dem „29. Osttransport“ in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie – vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft – ermordet wurden. Ihr fünfzehnjähriger Sohn Mark Alfred war wenige Tage zuvor, am 3. Februar 1943, ebenfalls nach Auschwitz deportiert worden. Keiner der drei Familienangehörigen gehörte zu den wenigen Überlebenden des Vernichtungslagers.