Leo Rittler

Verlegeort
Dortmunder Straße 13
Bezirk/Ortsteil
Moabit
Verlegedatum
20. Mai 2014
Geboren
15. Dezember 1854 in Zempelburg (Pommern) / Sępólno Krajeńskie
Deportation
am 17. August 1942 nach Theresienstadt
Ermordet
12. Oktober 1942 in Theresienstadt

Leo Rittler wurde am 15. Dezember 1854 in der damals westpreußischen Kleinstadt Zempelburg (dem heutigen Sępólno Krajeńskie in Polen) geboren. Die Ortschaft liegt 63 Kilometer nordwestlich von Bromberg (Bydgoszcz) am Zempelburger See (Jezioro Sępoleńskie). Über das Elternhaus, die Kindheit und Jugend von Leo Rittler in Zempelburg haben sich keine Zeugnisse erhalten. Die Namen und das Schicksal seiner Eltern sind unbekannt. Sie gehörten aber aller Wahrscheinlichkeit nach zur jüdischen Gemeinde Zempelburgs, zu der zur Zeit der Geburt von Leo etwa 1.200 der rund 3.500 Einwohner der Stadt zählten. Nachdem die dreiklassige jüdisch-evangelische Schule der Stadt wegen Überfüllung mehr als einhundert jüdische Schüler vom Besuch ausgeschlossen hatte, richtete die Gemeinde für die jüdischen Schüler Zempelburgs Mitte des 19. Jahrhunderts eine eigene Volksschule ein, die vermutlich auch von Leo Rittler besucht wurde. Genauso wenig wie sich Informationen zu seinen Eltern erhalten haben, ist auch nicht bekannt, ob Leo im Kreis von Geschwistern aufwuchs, welche Berufsausbildung er erhielt und wann er Zempelburg verließ und sich in Berlin niederließ.

In den Berliner Adressbüchern wurde Leo Rittler zuerst in den Ausgaben der Kriegsjahre 1914/1915 geführt. Er lebte damals in einer Wohnung in der Dortmunder Straße 9 im Westfälischen Viertel Berlin-Moabits, unweit des Spreebogens an der Levetzowstraße. Er war als Kaufmann in der Hauptstadt tätig. 1916 nahm sich Leo einen neuen Wohnsitz: Mehr als 20 Jahre sollte er in dieser Wohnung in der zweiten Etage des Wohnhauses in der Elberfelder Straße 24, Aufgang B, leben. Bereits in den 1910er-Jahren – als dies zwar nicht mehr gänzlich ungewöhnlich, aber auch noch kein Standard in den Berliner Stuben war – ließ er sich dort einen Telefonanschluss legen. Leo erlebte die Nahrungsengpässe des sogenannten Steckrübenwinters 1916/1917 in Berlin, die Nachkriegszeit, die Wirren der Inflationszeit und die sogenannten Goldenen Jahre ab 1924. 1926/1927 ging der zu diesem Zeitpunkt schon mehr als siebzigjährige Kaufmann in den Ruhestand und lebte in den Folgejahren als Rentner in Moabit.

Weitere Informationen, die einen Einblick in das Leben des Ruheständlers im Berlin der Weimarer Republik geben könnten, haben sich nicht erhalten. Unklar ist, wann Leo Rittler Martha, geborene Aronsohn (*1873 in Thorn (Toruń)) heiratete. Beide wurden in den Volkszählungsdaten vom Mai 1939 in einer gemeinsamen Wohnung an der Adresse Dortmunder Straße 13 in Moabit geführt.

Mit der schrittweisen Entrechtung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden seit 1933 – beziehungsweise aller Personen, die nach den Nürnberger Gesetzen im NS-Staat als Juden galten – begannen auch staatliche Zwangsmaßnahmen gegen Leo und seine Angehörigen. Darunter fielen zahlreiche Maßnahmen der Diskriminierung und sozialen Ausgrenzung sowie des Entzugs staatsbürgerlicher Rechte. Bereits in der Zeit der Weimarer Republik war Berlin zum Schauplatz antisemitischer Ausschreitungen geworden und Anfang der 1930er-Jahre hatte die sichtbare Brutalität in Form von Straßenkämpfen, Saalschlachten und SA-Aufmärschen in den Straßen massiv zugenommen. Ab 1933 institutionalisierte sich der Antisemitismus mit Hilfe staatlicher Autorität. Gesetze und Sondererlasse drängten Leo zunehmend in die Position eines Rechtlosen. 1937 musste er seine langjährige Wohnung in der Elberfelder Straße 24 aufgeben. In den Berliner Adressbüchern wird er anschließend nicht mehr geführt, was vermuten lässt, dass er und Martha Rittler zuletzt zur Untermiete in der Dortmunder Straße 13 lebten, bevor Martha im Frühjahr 1942 verstarb.

Als letzte Meldeadresse vor der Deportation wird für Leo Rittler das Altersheim in der Schönhauser Allee 22 im Prenzlauer Berg angegeben, bei der es sich um die von Moritz Manheimer (1826–1916) gegründete Zweite Jüdische Versorgungsanstalt handelte. Leo wird dort vermutlich ab dem Frühjahr 1942 eine Unterkunft gefunden haben.

Der Entrechtung folgte die Deportation: Am 1. Oktober 1941 hatte die Gestapo die Jüdische Gemeinde Berlins informiert, dass die „Umsiedlung“ der Berliner Jüdinnen und Juden beginnen würde. Leo Rittler erhielt den Deportationsbescheid im Sommer 1942. Er wurde aus dem Altersheim in eines der Berliner Sammellager verschleppt und von dort am 17. August 1942 mit dem „1. großen Alterstransport“ in das KZ Theresienstadt deportiert. Die unmenschlichen Bedingungen dort überlebte der 87-Jährige nur wenige Wochen. Er wurde am 12. Oktober 1942 in Theresienstadt ermordet – entweder infolge direkter oder indirekter Gewalteinwirkung mittels planvoller Mangelernährung, versagter Medikamente, Kälte und körperlichen Misshandlungen.