Anton Grylewicz

Verlegeort
Brusendorfer Straße 23
Bezirk/Ortsteil
Neukölln
Verlegedatum
22. Juni 2021
Geboren
08. Januar 1885 in Berlin
Beruf
Abgeordneter
Flucht
1933 Tschechoslowakei, Frankreich, Kuba
Überlebt

Anton Grylewicz wurde am 8. Januar 1885 in Berlin geboren. Nach einer Lehre arbeitete er als Metallarbeiter, und trat 1912 in die SPD ein. Im selben Jahr heirateten er und Anna-Maria Bräuer. Während des Ersten Weltkrieges wurde er für zwei Jahre an die Ostfront geschickt, und kam 1917 nach einer Verwundung nach Berlin zurück. Nachdem alle Kriegsgegner*innen aus der SPD ausgeschlossen wurden, konstituierten sie sich als Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD). Anton Grylewicz wurde USPD-Mitglied, und organisierte sich gleichzeitig in einer konspirativen Gruppe von Gewerkschafter*innen: den Revolutionären Obleuten. Als führendes Mitglied dieser Gruppe war er unmittelbar an den Vorbereitungen des Aufstandes vom 9. November 1918 beteiligt, der den Krieg beendete und den Kaiser stürzte. Während der Novemberrevolution diente Anton Grylewicz als Stellvertreter des Polizeipräsidenten Emil Eichhorn und nahm in dieser Funktion am Januaraufstand teil.<br />
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1920 wurde Grylewicz zum Vorsitzenden der Berliner USPD gewählt. Als diese Partei sich spaltete, war er Teil der Mehrheit, die sich mit der KPD zur Vereinigten Kommunistischen Partei fusionierte. Grylewicz arbeitete als Orgleiter des KPD-Bezirks Berlin-Brandenburg, als Teil der ultralinken Bezirksleitung um Ruth Fischer und Arkadi Maslow. 1923 nahm er an der KPD-Delegation nach Moskau teil, um die Aufstandspläne für den "deutschen Oktober" vorzubereiten. Nachdem der linke KPD-Flügel um Fischer und Maslow 1924 die KPD-Führung übernahm, leitete Grylewicz die Organisationsabteilung der Zentrale. Von 1920 bis 1924 war er Stadtverordneter in Neukölln, bevor er von 1924 bis 1928 Abgeordneter im Preußischen Landtag wurde. Im Jahr 1924 war er auch für ein halbes Jahr Mitglied des Reichstags für den Wahlkreis Potsdam II. <br />
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Beim XI. Parteitag der KPD im Jahr 1927 in Essen vertrat Anton Grylewicz den linken Parteiflügel — wegen seiner Kritik am Stalinismus, der mittlerweile die Parteiführung dominierte, wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Tausende ausgeschlossene Linkskommunist*innen gründeten den Leninbund, Grylewicz wurde ihr Reichsorganisationsleiter. Doch innerhalb des Leninbundes kam es zu heftigen politischen Auseinandersetzungen. Fischer und Maslow kapitulierten in der Hoffnung auf Wiederaufnahme in die KPD vor dem Stalinismus; die verbleibende Leninbund-Führung um Hugo Urbahns kam zur Auffassung, dass die Sowjetunion gar kein Arbeiter+innenstaat mehr sei. Grylewicz teilte die Auffassung des Anführers der russischen Revolution Leo Trotzki, der zu diesem Zeitpunkt im Exil in der Türkei lebte. Dessen Unterstützer wurden 1930 aus dem Leninbund ausgeschlossen.<br />
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1930 gründete die Leninbund-Mehrheit zusammen mit der Weddinger Opposition der KPD und anderen die erste trotzkistische Organisation in Deutschland: die Vereinigte Linke Opposition (VLO, später LO). Anton Grylewicz war Mitglied ihrer Reichsleitung und eine zentrale Figur. Die trotzkistische Wochenzeitung "Permanente Revolution" gab er aus seiner Neuköllner Wohnung in der Brusendorfer Straße 23 heraus. Gleichzeitig verlegte er Broschüren von Leo Trotzki über die Situation in Deutschland. Trotzkis Schriften wie "Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats" oder "Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen? Arbeiter-Einheitsfront gegen den Faschismus" erreichten eine Auflage von 75.000 Stück. Auch Trotzkis russischsprachige Zeitung, das Bulletin der Opposition, wurde zeitweise bei Grylewicz verlegt. In dieser Zeit arbeitete er als Wohlfahrts-Angestellter des Bezirks — später musste er von der kümmerlichen Arbeitslosenhilfe leben.<br />
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Am 13. März 1933 hat die SA die Neuköllner Wohnung des Ehepaars Grylewicz zerstört. Anton tauchte unter und floh in die Tschechoslowakei. Er kam zuerst in Reichenberg (Liberec) und dann in Prag unter. Seine Ehefrau Anna-Maria wurde verhaftet, und konnte erst Mitte 1933 nachkommen. In den Moskauer Prozessen wurde auch Grylewicz denunziert, und als Ergebnis eines sowjetischen Geheimdienstkomplotts für einige Monate von den tschechoslowakischen Behörden festgenommen. Ende 1937 floh das Ehepaar nach Paris, wo es ohne Aufenthaltsgenehmigung lebte. 1939 wurden beide aus Deutschland ausgebürgert, aber trotzdem beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Frankreich interniert. 1941 konnten sie von Vichy-Frankreich nach Kuba fliehen. Anton Grylewicz überlebte dort als Tischler.<br />
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1955 zog Anton nach West-Berlin zurück — Anna-Maria war bereits da. Da es in der Frontstadt der 1950er Jahre kaum antistalinistisch-kommunistische Organisationen gab, trat Grylewicz in die SPD ein. Seine revolutionären und trotzkistischen Ansichten behielt er jedoch. In einem sehr hohen Alter erlebte er den Aufbruch der Jugend im Jahr 1968. Plötzlich bildeten sich neue trotzkistische Gruppen, und Grylewicz konnte seine Erfahrungen an Jugendliche weitergeben, die diese Tradition neu aufgreifen wollten.<br />
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Anna-Maria verstarb am 28. November 1970, und Anton zehn Monate später, am 2. August 1971. Er wurde im Parkfriedhof Neukölln begraben, das Grab wurde 1991 eingeebnet.<br />
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Anton Grylewicz wurde am 8. Januar 1885 in Berlin geboren. Nach einer Lehre arbeitete er als Metallarbeiter, und trat 1912 in die SPD ein. Im selben Jahr heirateten er und Anna-Maria Bräuer. Während des Ersten Weltkrieges wurde er für zwei Jahre an die Ostfront geschickt, und kam 1917 nach einer Verwundung nach Berlin zurück. Nachdem alle Kriegsgegner*innen aus der SPD ausgeschlossen wurden, konstituierten sie sich als Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD). Anton Grylewicz wurde USPD-Mitglied, und organisierte sich gleichzeitig in einer konspirativen Gruppe von Gewerkschafter*innen: den Revolutionären Obleuten. Als führendes Mitglied dieser Gruppe war er unmittelbar an den Vorbereitungen des Aufstandes vom 9. November 1918 beteiligt, der den Krieg beendete und den Kaiser stürzte. Während der Novemberrevolution diente Anton Grylewicz als Stellvertreter des Polizeipräsidenten Emil Eichhorn und nahm in dieser Funktion am Januaraufstand teil.

1920 wurde Grylewicz zum Vorsitzenden der Berliner USPD gewählt. Als diese Partei sich spaltete, war er Teil der Mehrheit, die sich mit der KPD zur Vereinigten Kommunistischen Partei fusionierte. Grylewicz arbeitete als Orgleiter des KPD-Bezirks Berlin-Brandenburg, als Teil der ultralinken Bezirksleitung um Ruth Fischer und Arkadi Maslow. 1923 nahm er an der KPD-Delegation nach Moskau teil, um die Aufstandspläne für den "deutschen Oktober" vorzubereiten. Nachdem der linke KPD-Flügel um Fischer und Maslow 1924 die KPD-Führung übernahm, leitete Grylewicz die Organisationsabteilung der Zentrale. Von 1920 bis 1924 war er Stadtverordneter in Neukölln, bevor er von 1924 bis 1928 Abgeordneter im Preußischen Landtag wurde. Im Jahr 1924 war er auch für ein halbes Jahr Mitglied des Reichstags für den Wahlkreis Potsdam II.

Beim XI. Parteitag der KPD im Jahr 1927 in Essen vertrat Anton Grylewicz den linken Parteiflügel — wegen seiner Kritik am Stalinismus, der mittlerweile die Parteiführung dominierte, wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Tausende ausgeschlossene Linkskommunist*innen gründeten den Leninbund, Grylewicz wurde ihr Reichsorganisationsleiter. Doch innerhalb des Leninbundes kam es zu heftigen politischen Auseinandersetzungen. Fischer und Maslow kapitulierten in der Hoffnung auf Wiederaufnahme in die KPD vor dem Stalinismus; die verbleibende Leninbund-Führung um Hugo Urbahns kam zur Auffassung, dass die Sowjetunion gar kein Arbeiter+innenstaat mehr sei. Grylewicz teilte die Auffassung des Anführers der russischen Revolution Leo Trotzki, der zu diesem Zeitpunkt im Exil in der Türkei lebte. Dessen Unterstützer wurden 1930 aus dem Leninbund ausgeschlossen.

1930 gründete die Leninbund-Mehrheit zusammen mit der Weddinger Opposition der KPD und anderen die erste trotzkistische Organisation in Deutschland: die Vereinigte Linke Opposition (VLO, später LO). Anton Grylewicz war Mitglied ihrer Reichsleitung und eine zentrale Figur. Die trotzkistische Wochenzeitung "Permanente Revolution" gab er aus seiner Neuköllner Wohnung in der Brusendorfer Straße 23 heraus. Gleichzeitig verlegte er Broschüren von Leo Trotzki über die Situation in Deutschland. Trotzkis Schriften wie "Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats" oder "Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen? Arbeiter-Einheitsfront gegen den Faschismus" erreichten eine Auflage von 75.000 Stück. Auch Trotzkis russischsprachige Zeitung, das Bulletin der Opposition, wurde zeitweise bei Grylewicz verlegt. In dieser Zeit arbeitete er als Wohlfahrts-Angestellter des Bezirks — später musste er von der kümmerlichen Arbeitslosenhilfe leben.

Am 13. März 1933 hat die SA die Neuköllner Wohnung des Ehepaars Grylewicz zerstört. Anton tauchte unter und floh in die Tschechoslowakei. Er kam zuerst in Reichenberg (Liberec) und dann in Prag unter. Seine Ehefrau Anna-Maria wurde verhaftet, und konnte erst Mitte 1933 nachkommen. In den Moskauer Prozessen wurde auch Grylewicz denunziert, und als Ergebnis eines sowjetischen Geheimdienstkomplotts für einige Monate von den tschechoslowakischen Behörden festgenommen. Ende 1937 floh das Ehepaar nach Paris, wo es ohne Aufenthaltsgenehmigung lebte. 1939 wurden beide aus Deutschland ausgebürgert, aber trotzdem beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Frankreich interniert. 1941 konnten sie von Vichy-Frankreich nach Kuba fliehen. Anton Grylewicz überlebte dort als Tischler.

1955 zog Anton nach West-Berlin zurück — Anna-Maria war bereits da. Da es in der Frontstadt der 1950er Jahre kaum antistalinistisch-kommunistische Organisationen gab, trat Grylewicz in die SPD ein. Seine revolutionären und trotzkistischen Ansichten behielt er jedoch. In einem sehr hohen Alter erlebte er den Aufbruch der Jugend im Jahr 1968. Plötzlich bildeten sich neue trotzkistische Gruppen, und Grylewicz konnte seine Erfahrungen an Jugendliche weitergeben, die diese Tradition neu aufgreifen wollten.

Anna-Maria verstarb am 28. November 1970, und Anton zehn Monate später, am 2. August 1971. Er wurde im Parkfriedhof Neukölln begraben, das Grab wurde 1991 eingeebnet.