Else Fanni Reichenbach geb. Glaserfeld

Verlegeort
Duisburger Straße 7
Bezirk/Ortsteil
Wilmersdorf
Verlegedatum
23. November 2021
Geboren
22. Mai 1873 in Berlin
Deportation
am 08. Juli 1942 nach Theresienstadt
Später deportiert
am 19. September 1942 nach Treblinka
Ermordet
in Treblinka

Else Fanni Reichenbach geb Glaserfeld wurde am 22. Mai 1873 in Berlin geboren. Im Jahr 1894 heiratete sie Martin Bernhard Reichenbach. In den Jahren 1895 und 1902 wurden die Kinder Alice und Ernst geboren. Das Ehepaar Reichenbach war vermögend. Es gab Bankvermögen, Staatsanleihen und Wertpapiere und die Wohnung war mit wertvollen Möbeln und Teppichen eingerichtet. Else Reichenbach besaß zudem kostbaren Schmuck. Doch die Repressalien des nationalsozialistischen Systems trafen auch diese Familie – im Jahr 1940 wird Else schon ganz allein in Berlin sein, ohne Familienangehörige und konfrontiert mit der täglichen Unterdrückung durch die Nazis. Im Jahr 1942 wird ihr gesamter Besitz aufgelistet, beschlagnahmt und vom Staat verkauft.

Zwei Jahre vor ihrer Deportation, im Alter von 67 Jahren, wurde Else von den Nationalsozialisten gezwungen zweimal umzuziehen – offenbar in Abhängigkeit zu der abnehmenden Zahl der Familienmitglieder und wegen der besseren „Übersichtlichkeit“ hinsichtlich einer geplanten Deportation. Der erste dieser Umzüge fand statt, als sie und ihr 76-jähriger Mann noch in der Duisburger Straße 7 wohnten. Sie zogen in die nahegelegene Konstanzer Straße. Beim zweiten Umzug war Else schon allein und wurde in die Sächsische Straße umgesiedelt.

Im Jahr 1939 wird die 10-jährige Enkelin Eva mit einem Kindertransport zu einer Familie Peterson in Schweden gerettet. Sie war die erste der Familie Reichenbach, die aus Deutschland floh. Im Jahr 1940 gelang Elses Kindern die Flucht - Alice nach England und Ernst nach Brasilien. (Für Ernst Reichenbach, seine Frau Charlotte und die Tochter Eva liegen Stolpersteine in der Egerstraße12). Als Erwachsene erzählte Eva von der Frustration ihres Vaters Ernst, als er es nicht schaffte, rechtzeitig eine Flucht für seine Mutter zu organisieren. Schließlich aber im Jahr 1942 ist den Briefen an ihren Sohn Ernst zu entnehmen, dass Else von der Notwendigkeit der Emigration überzeugt war – in diesen informierte sie Ernst über bürokratische Prozesse in Berlin für ihre Flucht. Aber: ab dem 18.Oktober 1941 gab es ein Ausreiseverbot für die jüdische Bevölkerung und ab da begann auch die systematische Deportation.

Zwischen April 1939 und Juni 1940 schickte Else viele Postkarten aus der Duisburger Straße 7 an Eva in Schweden. Die Großmutter schickte fast jeden Monat eine Postkarte an ihre Enkelin.

Vor allem Else schrieb sehr liebevoll, als ob die Familie außerhalb Deutschlands ihre große Hoffnung auf eine bessere Zukunft wäre. Sie versuchte immer, ihrer Enkelin gegenüber positiv zu sein und nicht zu zeigen, wie schwierig ihre Situation in Berlin wirklich war. In einer der letzten Postkarten, die Else aus der Duisburger Str. 7 schickte, teilte sie ihrer Enkelin dann die Schwierigkeiten des Wohnungswechsels mit – bald würden sie und Martin in eine Wohnung in der Konstanzer Straße ziehen. Am 21.06.1940 schreibt Else: „Liebes Evilein, nun musst Du Dir unsere neue Adresse aufschreiben, denn wir ziehen nämlich am 25. Juni um, bleiben hier in der Nähe. Also schreib uns bald nach: Berlin W. 15 Konstanzerstr. 7. bei Stadthagen. Der Umzug und die Arbeit dabei ist auch Brrrr! Ebenso wie dein Weg zum Zahnarzt! Hat er dir wehgetan?”. Der Adresszusatz „bei Stadthagen" ist zu deuten, als dass es sich bei dem Umzug in die Konstanzer Straße um zugewiesene Zimmer in Untermiete handelte.

Am 14. Dezember 1940, fünf Monate nach dem Umzug in die Konstanzer Straße 7, starb Elses Mann Martin in eben dieser Wohnung. Er wurde auf Antrag seiner Frau am 7. Januar 1941 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.

Aus den Akten des Entschädigungsamtes Berlin (Nr. 79550-C2) geht hervor, dass Else ab dem 19. Juli 1941 verpflichtet war, in der Öffentlichkeit den Judenstern auf ihrer Kleidung zu tragen. Im selben Jahr wurde Else erneut umgesiedelt. Am 22. November 1941 schreibt sie an ihre Enkelin: „Denke dir, mein Liebling, ich ziehe wieder in ein anderes Zimmer. Also schicke Deine Briefe von jetzt ab an folgende Adresse: Sächsischestraße 5., bei Bacher. Berlin W. 15. Ich teil das Zimmer mit einer sehr netten Dame, mit der ich auch schon hier zusammen wohne. Wahrscheinlich werden wir bald nach den Feiertagen umziehen können.”. Die Aussagen „bei Bacher" und „ich ziehe wieder in ein anderes Zimmer" können – auch in Zusammenhang mit dem vorangegangenen Brief – nur bedeuten, dass es sich bei bei den Umzügen in die Konstanzer und die Sächsische Straße um zugewiesene Zimmer in Untermiete, also Zwangsadressen handelte. Ab dem 29. Dezember 1941 bezog Else Reichenbach ein Zimmer in der Sächsischen Straße 5.

Else erzählte Eva immer von ihren Großeltern mütterlicherseits, die in der Nähe wohnten. (Für Arthur Landsberger und seine Frau Käthe Landsberger liegen Stolpersteine in der Giesebrechtstraße 7). In einem Brief vom 12. Januar 1942 teilt Else ihrer Enkelin mit, dass sie immer noch keine Nachricht von ihren Großeltern habe. Es lässt sich nicht sagen, ob Else nichts über den Verbleib von Arthur und Käthe wusste oder ob sie ihrer 12-jährigen Enkelin nicht davon berichten wollte, aber Tatsache ist, dass sie bereits am 18. Oktober 1941 nach Lodz/Litzmannstadt deportiert worden waren.

Auch aus der Sächsischen Straße gibt es einen Brief vom 24. April 1942, den Else über das Rote Kreuz an ihren Sohn Ernst in São Paulo schickte, aus dem hervorgeht, dass sie sich um die Flucht aus Deutschland bemühte und ihrem Sohn von diesem Vorhaben berichtete: „Erwarte sehnsuchtsvoll Nachricht. Ich bin gesund. Mein Generalbevollmächtigter Konsulent Dr. Kurt Israel Sachs, Berlin W.8 Kronenstraße 60. Mir warm empfohlen, interessevoll.”.

Während sich Else in Berlin mit der Auswanderungsbürokratie herumschlug, scheute Ernst in Brasilien keine Mühen, die Einreiseerlaubnis für Mutter und Tochter zu erhalten. Die Formalitäten umfassten unter anderem einen speziellen Brief, der direkt an den damaligen brasilianischen Präsidenten Getúlio Vargas geschickt wurde – verfasst von dem zuständigen Anwalt in Brasilien – ein Standardverfahren, in dem ein Ton der Demut und des wiederholten Flehens vorherrscht. Den Brief seiner Mutter erhielt Ernst offenbar erst ein Jahr später, denn der Eingangsstempel des Roten Kreuzes in Brasilien ist auf den 17. Juni 1943 datiert – zu spät. Else war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr am Leben.

Am 1. Juni 1942 war bereits ihr gesamtes Vermögen entwendet worden, ihre letzten Möbel und Textilien wurden an den Händler Karl Riebow verkauft. Zehn Tage später, am 11. Juni 1942 - einen Monat vor ihrer Deportation - schickte Else erneut über das Rote Kreuz ein verzweifeltes und bereits hoffnungsloses Telegramm an ihren Sohn: „Sehnsuchtvollst, tieftraurig drücke Euch mein Herz. Gott schütze, behüte Euch! Elly nachrichtenlos, Puis verstorben. Sagt Egoistin Hella, unaussprechlichster, tiefster Groll. Liebste Beide, ewige Liebe, Mutter.”. Dieses Telegramm wurde erst am 20. April 1943 in Brasilien empfangen, sicherlich ließ diese letzte Nachricht Ernst besorgt.

Die letzte bekannte Nachricht von Else an ihre Familie kam von der Sächsischen Straße 5, eine Postkarte vom 5. Juli 1942 an ihre Enkelin Eva: „Mein Liebling, ich Küsse und umarme Dich in Gedanken von ganzem Herzen! Schreibe doch bald an Pappi, er schreibt, dass er hofft, dass Du genesen bist. Bleibe gesund und vergnügt! Alles, alles Liebe von Deiner Oma Else.”. Drei Tage später wurde Else Reichenbach am 8. Juli.1942 nach Theresienstadt deportiert.

1942 war Theresienstadt u.a. ein Sammellager für die Transporte aus dem sog. „Reich“, um die Menschen dann weiter in die Vernichtungslager im Osten zu deportieren. Ab 1942 war das Ghetto aufgrund von Massendeportationen total überfüllt, es herrschte Mangel an Platz, Lebensmitteln und Medikamenten. Im September 1942 gab es über 58 000 Insassen, Alte, Kranke, Blinde, aber auch Kinder. Viele hatten nicht einmal einen Schlafplatz, ständig grassierten Krankheiten und wer überlebte, wurde in die Vernichtungslager transportiert, wo dann die meisten sofort umgebracht wurden.

Auch Else Reichenbach wurde am 19. September 1942 nach Treblinka deportiert, wo sie ermordet wurde.
 

Else Fanni Reichenbach (geb. Glaserfeld) wurde am 22. Mai 1873 in Berlin geboren. Im Jahr 1894 heiratete sie Martin Bernhard Reichenbach. In den Jahren 1895 und 1902 wurden die Kinder Alice und Ernst geboren. Das Ehepaar Reichenbach war gutbürgerlich situiert. Doch die Repressalien der Nationalsozialisten trafen unvermeidlich auch ihre Familie.

Im Jahr 1939 wurde die 10-jährige Enkelin Eva, Tochter ihres Sohns Ernst, mit einem Kindertransport zur Familie Peterson in Schweden gebracht und damit gerettet. Sie war die erste der Familie Reichenbach, die aus Deutschland floh. Im Jahr 1940 gelang auch Elses Kindern die Flucht – Alice gelangte nach England und Ernst nach Brasilien. (Für Ernst Reichenbach, seine Frau Charlotte und die Tochter Eva liegen Stolpersteine in der Egerstraße 12). Als Erwachsene erzählte Eva von der Frustration ihres Vaters Ernst, als er es nicht schaffte, rechtzeitig eine Flucht für seine Mutter zu organisieren. Elses Briefen an ihren Sohn Ernst aus dem Jahr 1942 ist zu entnehmen, dass sie von der Notwendigkeit der Emigration überzeugt war. In diesen informierte sie Ernst über bürokratische Vorbereitungen ihrer Flucht. Allerdings galt seit dem 23. Oktober 1941 ein Ausreiseverbot für die jüdische Bevölkerung in Deutschland.

Zwischen April 1939 und Juni 1940 schickte Else nahezu monatlich Postkarten aus der Duisburger Straße 7 an ihre Enkelin in Schweden. Sie schrieb sehr liebevoll. Sie versuchte immer, Eva gegenüber positiv zu bleiben und nicht zu zeigen, wie schwierig ihre Situation in Berlin wirklich war.
Ab 1940, im Alter von 67 Jahren, wurde Else gezwungen, zweimal umzuziehen. Diese Maßnahme stand im Zusammenhang mit dem Reichsgesetz über die Mietverhältnisse von April 1939, welches dazu führte, dass jüdische Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen verloren. In der Regel mussten Sie bei anderen jüdischen Familien zur Untermiete wohnen oder wurden gleich in sogenannten „Judenhäusern“ zusammengepfercht. Der erste dieser Umzüge fand statt, als Else und ihr 76-jähriger Mann noch in der Duisburger Straße 7 wohnten. Sie zogen in die nahegelegene Konstanzer Straße.
In einer der letzten Postkarten, die Else aus der Duisburger Str. schickte, teilte sie ihrer Enkelin dann die Schwierigkeiten des Wohnungswechsels mit – bald würden sie und Martin in eine Wohnung in der Konstanzer Straße ziehen. Am 21.06.1940 schreibt Else: „Liebes Evilein, nun musst Du Dir unsere neue Adresse aufschreiben, denn wir ziehen nämlich am 25. Juni um, bleiben hier in der Nähe. Also schreib uns bald nach: Berlin W. 15 Konstanzerstr. 7. bei Stadthagen. Der Umzug und die Arbeit dabei ist auch Brrrr! Ebenso wie dein Weg zum Zahnarzt! Hat er dir wehgetan?“. Der Adresszusatz „bei Stadthagen“ deutet darauf hin, dass es sich um zugewiesene Zimmer in Untermiete handelte.

Am 14. Dezember 1940, fünf Monate nach dem Umzug in die Konstanzer Straße 7, verstarb Elses Mann Martin in der dortigen Wohnung. Er wurde auf Antrag seiner Frau am 7. Januar 1941 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.

Wie alle Jüdinnen und Juden in Deutschland, war Else ab dem 19. September 1941 verpflichtet, in der Öffentlichkeit den Judenstern auf ihrer Kleidung zu tragen. Im selben Jahr wurde sie erneut aus ihren Wohnverhältnissen gerissen. Am 22. November 1941 schrieb sie an ihre Enkelin: „Denke dir, mein Liebling, ich ziehe wieder in ein anderes Zimmer. Also schicke Deine Briefe von jetzt ab an folgende Adresse: Sächsischestraße 5., bei Bacher. Berlin W. 15. Ich teil das Zimmer mit einer sehr netten Dame, mit der ich auch schon hier zusammen wohne. Wahrscheinlich werden wir bald nach den Feiertagen umziehen können.” Auch hier deuten die Aussagen „bei Bacher“ und „ich ziehe wieder in ein anderes Zimmer“ an, dass es sich bei den Umzügen in die Konstanzer und die Sächsische Straße um zugewiesene Zimmer in Untermiete, also Zwangsadressen handelte. Am 29. Dezember 1941 bezog Else Reichenbach ein Zimmer in der Sächsischen Straße 5.

Else erzählte Eva immer von deren Großeltern mütterlicherseits, die in der Nähe wohnten. (Für Arthur Landsberger und seine Frau Käthe Landsberger liegen Stolpersteine in der Giesebrechtstraße 7). In einem Brief vom 12. Januar 1942 teilt Else ihrer Enkelin mit, dass sie immer noch keine Nachricht von den Großeltern habe. Es lässt sich nicht sagen, ob Else nichts über den Verbleib von Arthur und Käthe wusste oder ob sie ihrer 12-jährigen Enkelin nicht davon berichten wollte. Tatsache ist, dass das Ehepaar mit dem allerersten Deportationszug aus Berlin, der am 18. Oktober 1941 nach Lodz/Litzmannstadt ging, in den Tod deportiert wurden.

Auf den 24. April 1942 datiert ein Brief, den Else über das Rote Kreuz an ihren Sohn Ernst in São Paulo schickte. Aus diesem geht hervor, dass sie sich – trotz des für Jüdinnen und Juden geltenden Ausreiseverbots – weiter um die Flucht aus Deutschland bemühte, wie sie ihrem Sohn berichtete: „Erwarte sehnsuchtsvoll Nachricht. Ich bin gesund. Mein Generalbevollmächtigter Konsulent Dr. Kurt Israel Sachs, Berlin W.8 Kronenstraße 60. Mir warm empfohlen, interessevoll.“

Während sich Else in Berlin mit der Auswanderungsbürokratie herumschlug, scheute Ernst in Brasilien keine Mühen, die Einreiseerlaubnis für Mutter und Tochter zu erhalten. Die Formalitäten umfassten unter anderem einen speziellen Brief, der direkt an den brasilianischen Präsidenten Getúlio Vargas geschickt wurde. Ein Standardverfahren, in dem ein Ton der Demut und des wiederholten Flehens vorherrschten. Den Brief seiner Mutter erhielt Ernst offenbar erst ein Jahr später, denn der Eingangsstempel des Roten Kreuzes in Brasilien ist auf den 17. Juni 1943 datiert. Else war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr am Leben.

Am 1. Juni 1942 verlor Else ihr letztes Vermögen. Ihre übrigen Möbel und Textilien wurden beschlagnahmt und an den Händler Karl Riebow verkauft. Kurz vor ihrer Deportation am 11. Juni 1942 schickte Else erneut ein Telegramm an ihren Sohn, diesmal verzweifelt und hoffnungslos: „Sehnsuchtvollst, tieftraurig drücke Euch mein Herz. Gott schütze, behüte Euch! Elly nachrichtenlos, Puis verstorben. Sagt Egoistin Hella, unaussprechlichster, tiefster Groll. Liebste Beide, ewige Liebe, Mutter.“ Dieses Telegramm wurde erst am 20. April 1943 in Brasilien empfangen.

Die letzte bekannte Nachricht von Else an ihre Familie war eine Postkarte vom 5. Juli 1942 an ihre Enkelin Eva: „Mein Liebling, ich Küsse und umarme Dich in Gedanken von ganzem Herzen! Schreibe doch bald an Pappi, er schreibt, dass er hofft, dass Du genesen bist. Bleibe gesund und vergnügt! Alles, alles Liebe von Deiner Oma Else.“ Drei Tage später, am 8. Juli 1942, wurde Else Reichenbach mit einem Deportationszug in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort blieb sie bis zu ihrer Ermordung im Vernichtungslager Treblinka, in welches sie am 19. September 1942 verschleppt wurde.